Maria Wenner-Andreae erhielt Weihnachtspost von ihrem Vater, Alexander Andreae (1846-1926). Sie war die zweitjüngste Tochter aus seiner zweiten Ehe mit Johanna Broecker, hatte vier Geschwister und fünf Halbgeschwister (aus der ersten Ehe ihres Vaters mit der 1883 verstorbenen Lily Stumpf). Das erste Porträt zeigt sie 1913 bei ihrer Verlobung, das zweite 1922 nach dem Krieg.
Der Brief enthielt auch diverse Mitteilungen zu anderen Familienmitgliedern.
Milano, li 17.12.1918
Geliebte Kinder & Kindeskinder.
Da noch allerlei dazwischen kommen könnte, will ich schon heute meine allerherzlichsten Weihnachtswünsche an Euch richten, in der stillen Hoffnung, dass Ihr Alle [sic] dies schwere Fest ohne irgendwelche Störung und recht friedvoll & freudenreich werdet vollbringen können! –
Gina wird es dem Christkinde abnehmen[,] Euch auch einige kleine Gaben in unserem Namen auf den Weihnachtstisch zu legen, da werden sicher unsere Gedanken auch dort sein und Antheil an Eurer Weihnachtsstimmung nehmen. –
Gott Lob fühlt auch die gute Mama sich wiedeer ein wenig kräftiger, die letz[t]e Zeit war ihr Puls ja wieder sehr schlecht & ihre Stimmung sehr gedrückt, das bleibt ja für uns leider eine grosse Sorge.
Heute empfing ich Alex’ens Brief vom 14 ct, worin er mir schreibt, dass er hoffe[,] den 23 o 24 ct bei uns zu sein[;] hoffentlich kommt er nicht zu spät.
Hans kam gestern recht erregt Abends [sic] nach hause [sic], weil man ihm f. Ende Januar gekündigt hat, H Stoppani erlaubt der neue Chef nicht einmal mehr[,] in die Fabrik zu kommen. Das ist nun auch wieder eine Sorge mehr für Hans & uns. Für Landwirthschaft hat er keine Lust, er hätte sich s. Zt. dazu bringen lassen[,] nur um den Eltern nicht zu widersprechen. Wolle Gott, dass bald was Richtiges für ihn finde: Lili schuftete sich gehoerig ab für Hans, für’s Asil, die Weihnachtsgaben für die Schwestern, übt auch mit diesen Choräle ein, & für das Home etc[.] dabei [sic] kommen nur zu oft Frau Conti, Fräulein [unlesbar, Pachou?], die Sängerin & Abends [sic] sitzt sie bis spät in ihrem Schlafzimmer, um noch «Stickereien» für Mama zu vollenden. Hoffentlich kappt sie uns nicht zusammen. – Von Pima kam heute ein Bericht, wonach es ihr besser geht, aber Erminio sei noch recht kopfmüde [sic] und habe viel verlernt. – Auch von August kam ein ½ englisch, ½ deutsch geschriebener Brief, den er im Mai angefangen, Mitte November fortgeschickt hat. Es sind 2 englische, socialistische Gedichte darin, die er einer Sozialistisch [?] Zeitung schickte. Povero Augusto, wenn er nur seine Weltverbesserung mit sich anfangen wollte. Er schreibt[,] dass er sich ein neues Haus baue, um es zu vermieten an Sommerfrischler, das Geld dazu nehme er aus dem Verkauf eines Theiles seines Terrains, das wird er am Ende nach und nach verbuttern? – Mit Minna ist er noch nicht versöhnt, faselt noch von Scheidung, es gaebe genug netter, junger Mädchen dort, die ihn gleich nähmen. – Zia Claudia hatte leider auch wieder eine Bronchitis, ihrer Teresa gab sie sechsfachen Monatsgehalt, die Entlassung & bin ich froh[,] diese unverschämte Person nicht mehr empfangen zu müssen.
Gina bitte ich auch[,] den verehrten Eltern Wenner, und der l. Silvia, Fatios, Schlaepfers meine besten Festwünsche auszusprechen. Mama & Lili wollen ja auch noch direct schreiben. So empfanget von mir Küsse & Grüsse in Hülle & Fülle.
Euer Euch sehr liebender
Papa.
Pima war die familieninterne Abkürzung und der Kosename von Pauline Maria Andreae-Andreae (1873-1953). Sie war die älteste Tochter von Alexander und Lily Andreae-Stumpf und ab 1891 mit einem Vetter ihres Vaters, Conrad Andreae (1863-1947) verheiratet. Conrad Andreae war Bankier in Frankfurt und deutscher Konsul in Genua. Die Villa des Ehepaars in Rapallo bildete einen Mittelpunkt des Gesellschaftslebens. Hier waren u.a. auch Cosima und Siegfried Wagner, Gerhart Hauptmann sowie Kurban Said (Essad Bey) zu Gast.
Quellen: Staatsarchiv St.Gallen, W 054/128.1.1918 (Korrespondenz Fritz und Maria Wenner-Andreae) und W 054/129.1 (Beitragsbild aus Fotoalbum Fritz und Maria Wenner-Andreae)