Donnerstag, 30. November 1916 – Der Kantonsrat trauert um den österreichischen Kaiser

Beileidskundgebung für Kaiser Franz Josef von Oesterreich. Anlässlich der am 30. November in der Domkirche zu St. Gallen veranstalteten kirchlichen Trauerfeier für Seine Majestät, den am 21. November verstorbenen Kaiser von Oesterreich, Franz Josef I, widmet der Vorsitzende [Grossrat Anton Messmer], als Ausdruck der Teilnahme des st. Gallischen Volkes und seiner Behörden, dem Andenken des verstorbenen Monarchen einige Worte pietätvoller Erinnerung, unter Hinweis auf die vielfachen wirtschaftlichen und freundnachbarlichen Beziehungen unseres Landes mit der Grenzbevölkerung des österreichischen Nachbarstaates, sowie auf das während der Regierungszeit des Verstorbenen ins Leben getretene segensreiche Werk der internationalen Rheinregulierung.

Der Rat, der auf Anordnung des Bureaus durch zwei Ratsmitglieder sich an der Trauerfeier hat vertreten lassen, erhebt sich zu Ehren des Dahingeschiedenen von seinen Sitzen.

Der verstorbene Kaiser blieb – wie das Porträt oben aus dem St.Galler Kalender für das Jahr 1918 zeigt – über seinen Tod hinaus populär. Die Monarchie überstand den Weltkrieg indes nicht: Der Neffe von Franz Joseph I. und letzte Kaiser der Doppelmonarchie, Karl I., ging 1919 ins Schweizer Exil. Die ersten zwei Monate verbrachte der Monarch mit seiner Familie auf Schloss Wartegg bei Rorschach.

Schloss Wartegg

Schloss Wartegg, 1918, kurz vor dem Einzug der kaiserlichen Familie.

Quellen: Staatsarchiv St.Gallen, ZA 005 (gedrucktes Protokoll des Grossen Rates) sowie P 136 (St.Galler Kalender für das Jahr 1918) und ZMA 18/02.11-08 (Schloss Wartegg)

Mittwoch, 29. November 1916 – Verführung von Frauenspersonen soll neuerdings bestraft werden

Oben: Ob der „ledige Herr gesetzten Alters“ aus dem St.Galler Tagblatt vom 29. November 1916 bis dato wohl enthaltsam gelebt hatte?

Am 29. November 1916 behandelt der Grosse Rat das „Nachtragsgesetz zum Strafgesetz über Verbrechen und Vergehen vom 4. Januar 1886“, darunter auch den Artikel 177 („einfache Unzucht“):

Als Art. 177 wird ohne Diskussion folgende von der Kommission vorgeschlagene neue Fassung angenommen:

„Art. 177. Einfache Unzucht wird im ersten Falle polizeilich mit einer Geldstrafe von Fr. 20.- bis Fr. 40.-, im Rückfalle gerichtlich mit Geldstrafe von Fr. 40.- bis Fr. 100.- allein oder in Verbindung mit Gefängnis bis auf drei Monate bestraft.

Das Strafverfahren ist aufzuheben:

a) gegenüber Personen, die schwerer Verführung erlagen;

b) gegenüber Frauenspersonen, die infolge der Schwangerschaft oder der Niederkunft in eine Notlage geraten, wenn nicht besondere Gründe dagegen sprechen.

Aus den gleichen Gründen hat auch der Richter auf Straflosigkeit zu erkennen.

Die Verehelichung der Fehlbaren hat die Aufhebung des Strafverfahrens oder die Ausserkraftsetzung eines noch nicht vollzogenen Straferkanntnisses zur Folge.“

Desgleichen erhält der von der Kommission neu vorgeschlagene Art. 177 bis, lautend

„Art. 177 bis. Wer eine unmündige Person von mehr als 16 Jahren durch Missbrauch ihrer Unerfahrenheit oder ihres Vertrauens, oder wer eine Frauensperson durch Ausnützung ihrer Notlage oder ihrer Abhängigkeit zur Unzucht verführt, wird mit Arbeitshaus bis auf 6 Monate oder mit Gefängnis bis auf ein Jahr oder mit Geldstrafe bestraft. Freiheitsstrafe und Geldstrafe können auch verbunden werden“

(…) die diskussionslose Zustimmung der Versammlung.

Das Strafgesetz sanktionierte eine ganze Reihe von sexuellen Aktivitäten, welche zumindest hierzulande heute längst keine Vergehen mehr darstellen. Während Homosexualität und Prostitution höhere Strafmasse nach sich ziehen konnten, zählte die „einfache Unzucht“ – d.h. der Geschlechtsverkehr zwischen zwei ledigen Erwachsenen – zu den leichteren Vergehen. Grundsätzlich konnte die zwischengeschlechtliche Sexualität aber nur innerhalb einer Ehe legal ausgelebt werden. Über ledigen Verliebten, Ehebrecherinnen und Ehebrechern sowie Freiern und Prostituierten hing somit stets der jeweilige Paragraph als Damoklesschwert.

Quellen: Staatsarchiv St.Gallen, AGR B 1 (Protokoll des Grossen Rates) und P 909 (St.Galler Tagblatt)

Dienstag, 28. November 1916 – Motion zur Schaffung eines Verwaltungsgerichts

Aus der Herbstsession des Grossen Rates:

Das Präsidium [gibt] dem Rate Kenntnis vom Eingang folgender, von Herrn Kantonsrat Dr. Lehmann und 40 weiteren Ratsmitgliedern eingereichten Motion, lautend:

„Der Regierungsrat wird eingeladen, die Frage zu prüfen und dem Grossen Rate darüber Bericht und Antrag vorzulegen, ob nicht im Kanton St.Gallen ein Verwaltungsgericht einzuführen sei.“

Die Motion wird auf die Tagesordnung gesetzt.

Der Regierungsrat beriet die Motion erstmals im folgenden Frühling, freilich ohne erkennbare – oder zumindest ohne protokollierte – Stossrichtung. Im November 1917 erkundigte sich das Justizdepartement deshalb beim Regierungsrat, welche Haltung er einzunehmen gedenke. Der Regierungsrat beschied dem sachthematisch zuständigen Justizdepartement, dass man dessen Auffassung teile: Die Motion sei „in wohlwollendem Sinne zur Prüfung entgegen zu nehmen“, „immerhin nicht ohne gleichzeitige Betonung der Bedenken, welche durch die mit der Verwirklichung der Motion verbundene, weitgehende Zersplitterung und Verteuerung der Rechtspflege hervorgerufen werden, und unter Hinweisung auf die Möglichkeit, auf dem Wege der Spezialgesetzgebung über die in Frage kommenden einzelnen Verwaltungsgebiete den Bestrebungen der Motion teilweise Rechnung zu tragen.“

Der etwas lustlose Eindruck täuscht nicht: Fortan wird das Geschäft auf der Pendenzenliste des Regierungsrates bis in den Mai 1924 mitgeschleppt. Dann beantragt das Justizdepartement die Streichung der Motion von der Tagesordnung des Parlaments. Der Regierungsrat beschliesst, diesem Antrag zu folgen und beim Parlament die Streichung zu beantragen. Der Grosse Rat folgt der Regierung in der Frühjahrssession ohne nennenswerte Opposition. Als Grund für die Streichung nennt das Ratsprotokoll die bevorstehende Errichtung eines eidgenössischen Verwaltungsgerichts und die „mangelnde Dringlichkeit eines bezüglichen gesetzgeberischen Erlasses“.

Ein St.Galler Verwaltungsgericht wurde schliesslich erst 1965 geschaffen; Mitte 1966 nahm es seine Amtstätigkeit auf. Seither ist es vorwiegend als Beschwerdeinstanz gegenüber der Regierung und der Verwaltung tätig. Als Teil der sogenannten dritten Staatsgewalt (Judikative) ist es unabhängig von der Regierung und der Verwaltung. Beim Verwaltungsgericht angefochten werden können Verfügungen und Entscheide der Regierung und anderer Verwaltungsbehörden (Erziehungsrat, Universitätsrat, Gesundheitsrat, Verwaltungskommission der Gebäudeversicherungsanstalt, Rat der pädagogischen Fachhochschule Rorschach), aber auch Rekursentscheide der kantonalen Departemente.

Quellen: Staatsarchiv St.Gallen, ZA 005 (gedrucktes Protokoll des Grossen Rates) und ZMH 64/877.020.1 (Büromöbel-Verkauf in St.Gallen, zwischen 1909 und 1913, Foto: Otto Rietmann, St.Gallen)

Montag, 27. November 1916 – Das Kantonsparlament diskutiert über die Not in der Bevölkerung

Die zunehmende materielle Not der einfachen Bevölkerung wird im Kantonsparlament thematisiert:

Der Vorsitzende [Kantonsrat Anton Messmer] gibt der Versammlung noch Kenntnis vom Eingang folgender, von Herrn Kantonsrat Dr. Duft und 9 weiteren Ratsmitgliedern unterzeichneten Interpellation, lautend:

„Der Regierungsrat wird um Auskunft gebeten, ob und wie er die durch den Bund in die Wege geleitete verbilligte Lebensmittelversorgung der bedürftigen und notleitenden Volksteile im Kanton St.Gallen zu organisieren und unter Mitwirkung der Gemeinden durchzuführen gedenkt.“

Die Interpellation wird auf die Tagesordnung gesetzt.

Die sogenannte Armenpflege hing zu einem grossen Teil von der privaten Wohltätigkeit ab. Da die AHV noch ebenso wenig existierte wie eine staatliche Arbeitslosenversicherung und ein Erwerbsersatz für die Wehrmänner, konnten sozial schlechter gestellte Bürgerinnen und Bürger schnell bedürftig werden. Trotz der staatlichen Interventionen verschärften sich die Probleme bei der Lebensmittelversorgung, und die soziale Unrast in der Arbeiterschaft stieg. Im November 1918 entlud sie sich schliesslich im landesweiten Generalstreik.

Quellen: Staatsarchiv St.Gallen, AGR B 1 (Protokoll des Grossen Rates) und ZMA 18/09.03-01 (Eines der Kosthäuser für die Arbeiterschaft der Weberei Felsegg der Firma Matthias Naef & Cie. in Henau, ca. 1910, Foto D. Bär, Zürich)

Freitag, 24. November 1916 – Der Grosse Rat verabschiedet das Budget für das kommende Jahr

Das Budget für 1917 zeigt

unter Berücksichtigung der im Laufe der Beratung beschlossenen Abänderungen folgendes Endergebnis:

Gesamtsumme der Einnahmen            Fr. 14‘573‘800.–

Gesamtsumme der Ausgaben              Fr. 16‘497‘500.–

Passiv-Saldo                                         Fr.   1‘923‘700.– 

Von Seite der Versammlung wird hierauf dem also bereinigten Budget die endgültige Genehmigung erteilt und desgleichen der Schlussantrag der regierungsrätlichen Budgetbotschaft zum Beschluss erhoben, lautend:

Der Regierungsrat sei beauftragt und ermächtigt, im Jahre 1917 zu erheben:

a) eine Staatssteuer von Fr. 2.50 von tausend Franken des Vermögens, nebst der entsprechenden Progressiv- und Einkommenssteuer;

b) die Steuern der Aktiengesellschaften und Erwerbsgenossenschaften nach Massgabe der betreffenden Spezialbestimmungen, sowie die Personal- und allfällige Ratasteuern.

Der Erste Weltkrieg mit seinen vielfältigen Auswirkungen setzte die Gemeinde- und Kantonshaushalte sowie die Bundesfinanzen gleichermassen unter Druck. Um die steigenden Militärausgaben decken zu können, wurde der Bundesrat daher 1915 per Volksabstimmung erstmals ermächtigt, eine sogenannte „Kriegssteuer“ zu erheben. Diese Vorläuferin der heutigen Direkten Bundessteuer wurde auch 1916 und 1917 eingezogen.

Quelle: Staatsarchiv St.Gallen, AGR B 1, Protokoll des Grossen Rates

Mittwoch, 22. November 1916 – Begnadigung eines zum Tod Verurteilten

Tagebucheintrag von Josef Scherrer-Brisig (1891-1965), Sekretär des Schweizerischen Christlichen Textilarbeiterverbands (1910-1916) später Kantonsrat und Nationalrat sowie Mitbegründer der Christlichsozialen Bewegung:

Grosser Rat – Sitzung.

Begnadigung des Mörders Eichmann von Uznach. Ich stimmte gegen die Begnadigung,

um für die Todesstrafe zu demonstrieren.

Mit 145 gegen 37 Stimmen wandelte das Kantonsparlament die vom damaligen Strafgesetz für Mord vorgesehene Todesstrafe in eine lebenslängliche Zuchthausstrafe um. Es handelte sich dabei nicht um einen Bauchentscheid: Die Ratsmitglieder konnten zuvor Einsicht in die Strafakten nehmen. Zudem waren das kantonsgerichtliche Urteil, das Begnadigungsgesuch des Verurteilten sowie die Botschaft des Regierungsrates allen Ratsmitgliedern zugestellt und im Rat verlesen worden.

Der 36-jährige Josef Anton Eichmann hatte am 15. August 1916 in einem Waldstück seinem sechsjährigen Sohn die Kehle durchschnitten. Um sich nicht verdächtig zu machen, beteiligte sich Eichmann eifrig an der folgenden Suchaktion. Als das tote Kind gefunden wurde, vermutet die Polizei als Tatmotiv zuerst einen Lustmord, begangen von einem Landstreicher. Eichmanns Inszenierung misslang indes und bereits am 19. August wurde er in Haft gesetzt. Zwei Tage später gestand Eichmann die Tat. Als Motiv gab der in ärmlichsten Verhältnissen lebende Fabrikarbeiter an, dass ihn das Benehmen des Knaben häufig gereizt und aufgeregt habe. Der kleine Josef habe ihm nicht mehr gehorcht und hätte ihn „auch gar viel angelogen“. Eichmann hatte sich schon längere Zeit überlegt, wie er den ungeliebten Sohn loswerden könnte. Unmittelbarer Auslöser der Tag war Eichmanns Wut darüber, dass Josef jun. nicht zum vereinbarten Zeitpunkt vom Beerensuchen heimkehrte und er ihn im Wald suchen gehen musste.

Die latente Tötungsabsicht von Eichmann und die ihm bescheinigte volle Zurechnungsfähigkeit könnten Josef Scherrer bewogen haben, im Rat gegen eine Begnadigung zu stimmen. Im Gegensatz zu Scherrer erkannte der Regierungsrat jedoch eine Reihe von Milderungsmomenten, die nach Ansicht des Gremiums eine Strafumwandlung rechtfertigten: Eichmann war nicht vorbestraft, lebte unauffällig und galt als fleissig, verfügte über einen guten Leumund und zeigte Reue. Laut der Botschaft des Regierungsrates habe „die Herkunft, die Erziehung und der Lebensgang des Verurteilten offenbar wesentlich dazu beigetragen, dass er so tief sinken konnte.“ Schon der Vater des Täters sei wie sein Sohn „geistig schwach begabt“ gewesen und die Mutter eine Trinkerin. Nachdem Eichmann als Sechsjähriger Vollwaise geworden war, wuchs er im Armenhaus auf.

Als er als Erwachsener selber Familienvater geworden war, überforderte ihn die Erziehung des kleinen Josef und dessen jüngerer Schwester zunehmend. Eichmann brachte seine Kinder deshalb auf eigene Kosten im Bezirkswaisenhaus unter. Mangels Geld musste er die Kinder aber schliesslich wieder in seinen Haushalt zurücknehmen: „Offenbar“ – so der Regierungsrat – „trug dann seine geistige Rückständigkeit und Unbeholfenheit wesentlich dazu bei, dass er keine andern geeigneten Mittel fand, um den Knaben auf bessere Wege zu bringen und schliesslich auf den schrecklichen Gedanken kam, ihn zu beseitigen.“

Das nächste und letzte Todesurteil im Kanton St.Gallen wurde erst 1938 gesprochen. Auch hier wurde der Doppelmörder Paul Irniger schliesslich begnadigt, 1939 im Kanton Zug aber wegen einem anderen Mord verurteilt und mit der Guillotine hingerichtet.

Quellen: Staatsarchiv St.Gallen, W 108/1 (Tagebuch), GA 002/376 (Gerichtsakte Eichmann: Fingerabdrücke eines fälschlicherweise verdächtigten, „übelbeleumundeten Vaganten“)

Montag, 20. November 1916 – Volles Vertrauen in den Bundesrat und Millionengeschenk an die Staatskasse

Herbstsession des Grossen Rates, Auszug aus der Eröffnungsansprache von Grossratspräsident Anton Messmer, Stickereikaufmann und Erziehungsrat aus St.Gallen, von 1902 bis 1912 Regierungsrat, später von 1919 bis 1935 Ständerat:

Meine Herren Kantonsräte!

Zur ordentlichen Herbstsession des Grossen Rates heisse ich Sie herzlich willkommen.

Wir tagen abermals zur Zeit des furchtbaren Weltkrieges, dessen schreckliche Wirkungen und Folgen Ihnen schon wiederholt geschildert worden sind.

Seit unserer diesjährigen Maisession ist sogar ein weiterer Staat aus seiner Neutralität herausgetreten und in den Strudel dieses Krieges hineingerissen worden, indem am 27. August dieses Jahres Rumänien an Oesterreich-Ungarn den Krieg erklärt hat. Es steht mir nicht an, an dieser Stelle eine Ansicht darüber auszusprechen, ob Rumänien mit diesem Schritt das getan hat, was für seine Ehren und Interessen das Beste war; dagegen hat es jedenfalls die Hoffnungen auf einen baldigen Friedensschluss nicht gestärkt und über sein eigenes Land unermessliches Unglück gebracht.

So werden wir mit sorgeerfülltem Herzen noch länger warten müssen, bis endlich die Sehnsucht aller Völker nach dem erlösenden Worte: „Friede!“ erfüllt wird.

Ist unser Vaterland auch bisher – und wir wollen zu Gott hoffen, dass dies auch in Zukunft der Fall sein werde – vom Kriege verschont geblieben, so gestalten sich immerhin die wirtschaftlichen Verhältnisse stets schwieriger. In einer Zeit, in der die Völkerrechte mit Füssen getreten werden und die brutale Gewalt triumphiert, bemächtigt sich auch bei uns weiterer Kreise eine bange Sorge, weil unseren Industrien die Bewegungsfreiheit und der Lebensspielraum immer mehr beschnitten und ein grosser wirtschaftlicher Druck auf uns ausgeübt wird.

Diese Verhältnisse mahnen alle Schweizer zu einem engeren Zusammenschluss der politischen Kreise und zu einer Sammlung und gegenseitigen Annäherung aller geistigen Kräfte. Glücklicherweise kann hierin wieder eine Besserung konstatiert werden. Es bricht sich immer mehr der Gedanke Bahn, dass mit vermehrtem Eifer und doppelter Vorsicht alles vermieden werden muss, was uns im Lande trennen könnte, und dass die ganze moralische Kraft des gesamten Volkes notwendig wird, um die Krisis zu überstehen, die uns im letzten Akt dieses furchtbaren Weltereignisses noch bedroht.

Halten wir vor allem auch fest an unserem vollen Vertrauen zum Bundesrat, der mit Unparteilichkeit, Kraft und Würde seines schweren Amtes waltete, an der dankbaren Anerkennung der Verdienste unserer Armee, die mit Opferwilligkeit die Grenzen der Schweiz bewacht, und an der Liebe zu unserm Vaterlande das die Neutralität bewahrt und uns bisher den Frieden erhalten hat.

[…]

In der kritischen Finanzperiode der Kriegszeit ist der st.gallischen Staatskasse unerwartet ein Millionengeschenk zugeflossen, das noch kurz zu erwähnen ist; es ist der kantonale Anteil an der eidgenössischen Kriegssteuer, deren Ergebnis im Kanton rund sechs Millionen Franken beträgt. Wenn in Betracht gezogen wird, dass unsere Hauptindustrie unter dem Krieg vielfach leidet und dass die meisten grössern Bankgeschäfte der Hauptstadt die Kriegssteuer ausserhalb des Kantons, an ihrem Hauptdomizil zu entrichten haben, so darf das Ergebnis des Kantons St.Gallen als ein erfreuliches Zeichen vaterländischer Gesinnung und patriotischen Opfergeistes betrachtet werden.

Es ist zu hoffen, dass bei der Beschaffung weiterer Einnahmen des Bundes in ähnlicher Weise Rücksicht auf die Bedürfnisse der Kantone genommen wird, denn der Bund hat ein grosses Interesse daran, dass bei der Neuordnung des Finanzwesens auch der Finanzhaushalt der Kantone saniert wird.

[…]

Quellen: Staatsarchiv St.Gallen, ZA 005 (Protokoll Grosser Rat) und BMA 328 (Anton Messmer-Lutz, Grossratspräsident 1916, zur Zeit des Ersten Weltkriegs)