Buchungsjournal Kantonspolizei

Donnerstag, 29. August 1918 – Kartoffelschmuggel im Rheintal

Der Krieg kam den Kanton teuer zu stehen, obwohl er selbst nicht Kriegspartei war. In der Staatsrechnung und in den Buchungsjournalen der Dienststellen tauchen immer wieder unvorhergesehene Überschreitungen von Budgetposten auf. So findet sich auch in der sogenannten Anweisungskontrolle der Kantonspolizei für das Jahr 1918 Abrechnungen über nicht budgetierte Ausgaben. Verschiedene, damals noch Landjäger genannte Polizisten erhielten Sonderzulagen für Kontrollen an der Grenze im Rheintal. Dort hatte offenbar der Kartoffelschleichdiebstahl überhand genommen. 1197 Fr. kosteten diese Zahlungen den Kanton allein im Monat August. Am Wachtdienst beteiligt waren ein Korporal, vier Landjäger und vier Landjäger-Rekruten:

Sonderzulagen

Quelle: Staatsarchiv St.Gallen, KA R. 102 B 10, Bd. 1918 (Anweisungskontrolle, Text und Bilder)

Naturfreunde

Sonntag, 2. Juni 1918 – Der sor-genbeladene Proletarier geniesst prächtige Fernsichten

Die Naturfreunde (und -freundinnen!) St.Gallen gingen wieder einmal auf Tour (vgl. frühere Beiträge zum 02.07.1916, 23.07.1916, 06.08.1916 und zum 27./28.05.1917). Hatte man in den Jahren zuvor anspruchsvolle Bergwanderungen im Alpstein und im Glarnerland unternommen, wanderte man nun auf bescheideneren Höhen kilometerweise und dadurch nicht weniger anstrengend durch das Appenzeller Vorderland.

St.Anton-Gebhardshöhe-Walzenhausen

Motto: Hinaus aus dem Hause, der Tag ist schön, / Hinaus auf die lieblichen, sonnigen Höhn! / Den Rucksack zur Stelle, den Bergstock zur Hand. / O herrliches Leben auf Bergeshöh’n, / Da wohnt der Friede, da ist es schön.

Was gibt es wohl Schöneres, als ein bis[s]chen Wandern im heimatlichen Hügelland, dazu noch im Frühling? Das ist ein Genuss, den sich auch der sorgenbeladene Proletarier leisten kann, denn noch sind Wanderlust und Lebensfreude nicht rationiert. Schon die blosse Aussicht der Teilnahme an einer Wanderfahrt lässt uns frohgestimmt sein und hebt uns hinaus über all den Alltagskram. – Die Sorgen hübsch zu Hause lassend, zieht man an einem milden Lenzmorgen hinaus in die blühende Natur. Mit oder ohne Ränzel und Wanderstab, Brot-, Fett-, Käse- und Landkarte in der Brusttasche wohl verwahrt, geht[‹]s früh morgens dem Appenzellerländli zu.

So war es auch am ersten Juni-Sonntag des vierten Kriegsjahres, als sich um halb 6 Uhr ein Häuflein wanderfroher Naturfreunde beim «Mühleck» [in St.Gallen-St.Georgen] zusammenfand. Das Wetter sah zwar nicht gerade einladend aus, graue Wolken zogen von einem leichten Nordost getrieben, am Himmel dahin. Unsere neun Touristen schienen jedoch in den Wettergott ein grosses Vertrauen zu haben, nur wenige hatten sich in vorsorglicher Weise die Pelerine umgeschnallt. Unter allerlei anregenden Gesprächen, Rede und Gegenrede tauschend, ging man munter durchs Philosophental und am Wenigerweier vorbei nach Vögelinsegg. In Speicher gab die Dorfmusik just ein Morgenkonzert; während wir ihren klangvollen Weisen lauschten, schlossen sich uns noch zwei Nachzügler an. Ohne Aufenthalt passierte [man] Trogen und nach kaum drei Stunden war das so hübsch gelegene Wald erreicht. Im Hof «Waldebene» ob dem Dorf war der Bauer gerade am Melken, bereitwillig überliess er den Hungernden von der köstlichen Milch. Allgemein wurde der Inhalt des Rucksackes einer Inspektion unterzogen und ein besonders Freigebiger regalierte [beschenkte] die Wandergenossinnen mit feiner Konfitüre.

Eine umfassende Rundsicht entzückt hier das Auge; vom waldumsäumten Kaien und heimeligen Rehetobel schweift der Blick bis weit ins Oberthurgau hinaus; Heiligkreuz, Rotmonten und der Tannenberg grüssen aus der Tiefe heraus. Im Westen liegen hinter den eben durchwanderten Orten die Erhebungen des Appenzeller Hinterlandes mit Sitz, Hundwilerhöhe und Kronberg. Die bewaldete Kuppe des Gäbris beschliesst die Rundsicht, links davon hängen die Regenwolken sehr tief. Vom Alpstein, der sich von hier aus prächtig ausnehmen dürfte, ist nichts zu sehen. Der kalte Wind vermochte unsere gute Stimmung nicht zu beeinflussen, mahnte aber doch zum Aufbruch[,] und über Bühl und «Tanne» pilgerte die Gesellschaft gemächlich nach St.Anton.

Bei der «Tanne» öffnet sich der Blick nach Osten, grüne Wiesen, waldreiche Hügel und freundliche «Heimeli» [kleine Heimstätten] bieten für das Auge angenehme Ruhepunkte. Um halb 10 Uhr kam die Gruppe auf St.Anton an. Rechts die ehrwürdige Kapelle, links ein behäbiges Gasthaus, dehnt sich unvermittelt das mittlere Rheintal mit dem staatlichen Flecken Altstätten unter uns aus. Wir sind auf dem östlichen Ausläufer des Alpsteins; gegen das Rheintal fallen die Hänge ziemlich steil ab, hin und wieder treten die nackten Nagelfluhfelsen zutage, während von Nordosten her das Gelände eine Hochebene bildet und gegen Wald und Kaien hin allmählich sich senkt. Um mit beschaulicher Ruhe die Aussicht geniessen und den Znüni einnehmen zu können, einigte man sich auf einen kleinen Halt; die einen wollten sich in der Wirtschaft gütlich tun, während die andern in der Nähe mitten auf einem Fussweg es sich bequem machten. Eine holde Fee im blauen Kleide verteilte brotkartenfreie Süssigkeiten, und fand damit allgemeines Lob. Die Fama will wissen, , es seien nun auf einmal drei Paare gewesen und der siebente im Bunde habe, in seiner Zurücksetzung, die Pfeife in Brand gesteckt und sich damit hinter seinen umfangreichen Rucksack verkrochen. Mehr kann ich nicht verraten!

Weil die Herbeischaffung der notwendigsten Lebensmittel heute die grösste Sorge ist, freute es uns besonders, zu sehen, wie in der weiten Rheinebene alles Land in sorgfältiger Weise bebaut wird. Von oben betrachtet, nehmen sich die ausgedehnten felder hinter Rebstein-Marbach und Altstätten wie ein einziger wohlgepflegter Garten aus. Das dunkle Grün der Mais- und Getreidepflanzungen wechselt mit den hellgelben, schon «geheuten» Wiesen, nebenan lassen sich «Schöchli» [Gras- oder Heuhaufen] und langgezogene Kartoffeläcker unterscheiden. Die rotbraunen Hausdächer verschwinden beinahe in dem sattgrünen Blätterdach der unzählichen Obstbäume. Möge die Mhüe der Landwirte durch einene reichen Ertrag belohnt werden, es kommt auch uns Städtern zugute, denn die Zufuhren an Nahrungsmitteln aus dem Auslande waren noch nie so unsicher wie gerade jetzt.

Bald nach 10 Uhr ward Oberegg erreicht, auf angenehmen Fusswegen durch Wiesen und Wald. Man muss es den Appenzellern lassen, sie verstehen es, ihren Ortschaften ein heimeliges, sauberes Aussehen zu geben. Von der Höhe schon bewunderten wir die reizvolle, geschützte Lage dieses Dorfes mit seinen vielen neuen Ziegeldächern. Die kleinen Häuschen inmitten hübscher Gärten machen einen wohnlichen Eindruck; hier stört kein lärmendes Getriebe die idyllische Ruhe. Die uns zur Verfügung stehende Zeit gestattete leider keinen Aufenthalt, es wurde direkt nach Blatten marschiert und durch dunkeln, geheimnisvoll träumenden Tannenwald nach Gerschwendi. Von allen Höhen zwischen Wald und Walzenhausen gefiel dem Berichterstatter diese am besten, die Rundsicht ist selten schön. Die Naturfreunde sind an diesem Punkt viel zu schnell vorbeigegangen, ein kurzer Halt hätte sich wohl gelohnt, die Ruhebänke am Waldessaum haben ja förmlich zum Verweilen eingeladen. Denn inzwischen hatte das Wetter mehr und mehr gebessert, lachender Sonnenschein begleitete die Wandernden.

Wieder trennte man sich in zwei Gruppen, die erstere fühlte sich durch die stolz im Winde flatternde weiss-rote Fahne unwillkürlich nach dem Restaurant Gebhardshöhe (892 Meter über Meer) hingezogen, die zweite zog eine Rast weiter unten am Waldrand vor, um in der eigenen Küche ein frugales Mahl zu bereiten. Auf der Terrasse der Sommerwirthschaft bietet sich eine prächtige Fernsicht: Von Fähnern und Hohen Kasten nach links folgen die bekannen Gipfel Falknis, Drei Schwestern, Scesaplana [Schesaplana], Zimbaspitze, Hoher Freschen, Staufen und weiterhin die Allgäuer Alpen. Unten die Ortschaften Dornbirn, Hohenems, Götzis und Rankweil. Im Vordergrund die ausgedehnte, vom Silberband des Rheins durchzogene Ebene, wo wir Lustenau, Heerbrugg, Diepoldsau, Schmitter, Altstätten, Oberriet usw. erkennen. Schnurgerade weisse Landstrassen verbinden die Dörfer untereinander und bringen wohltuende Abwechslung in das Landschaftsbild. Im Norden liegt der Bodensee vor dem Beschauer ausgebreitet. Von Bregenz schweift der Blick weit hinaus in schwäbische Gaue, um über das Schweizerufer nach Westen sich zu wenden, wo der Horizont durch waldige Höhen und einzelne Bauernhöfe abgeschlossen wird. Durch den Genuss einer solch weiten Rundschau wird die Anstrengung einiger Marschstunden reichlich aufgewogen. Aber auch für des Leibes Wohl ist gesorgt: wir wurden zu billigem Preise gut bedient, was hier ehrend erwähnt werden soll.

Beim Abstieg nach Walzenhausen ist leicht zu erkennen, dass hier ein rühriger Verkehrsverein an der Arbeit ist, die zahlreichen Waldwege und bequemen Ruhebänke sind gut unterhalten, die Wegweiser orientieren den Spaziergänger vortrefflich. Wo man sich auch befinden mag, überall gibt es herrliche Ausblicke. Am Hotel Rosenberg und prächtig gelegenen Friedhof vorbei sind wir bald auf dem Dorfplatz angelangt; nach einigem Zögern entschied sich die Gruppe dahin, bei der Strassenabzweigung nach Thal-Wolfhalden die Ankunft der zurückgebliebenen «Selbstversorger» abzuwarten. – Diese hatten beim Abkochen ein kleines Intermezzo. Freund Meyer offerierte von seiner Erbssuppe auch unserem jüngsten Mitglied Frl. Steinmann. Dabei ergoss sich das köstliche Eigenprodukt über ihr blaues Kleid. Dieses wurde kurz entschlossen an einem nahen Brunnen gewaschen[,] und bald waren alle Spuren des Missgeschickes verschwunden. Andere «Köche» befassten sich damit, die vom Baume fallenden Maikäfer vom Suppentopf fernzuhalten; sie wollten von dieser Würze, die eine Spassvogel ihnen zugedacht, absolut nichts wissen. Ueberhaupt ging es bei dieser Mahlzeit lustig und hoch her, von einer Einschränkung der Lebenshaltung war nichts zu bemerken!

In welchem Teil von Walzenhausen man sich auch aufhalten mag, überall überrascht das ausgedehnte Panorama. Der Bodensee aber wird – im Gegensatz zu früheren Zeiten – von keinem Schiffe belebt. Der einst rege Verkehr der Seeanwohner hat unter dem Einfluss des Krieges fast gänzlich aufgehört. –

Um 4 Uhr wurde der Weg nach Rorschach eingeschlagen. Bald ging es durch das windgeschützte, durch seinen Obstreichtum berühmte Dorf Thal. Am Buchberg rechts, mit seinem vielbesuchten Ausflugspunkt «Steinerner Tisch» am östlichen Ende, gedeiht der von Kennern gerühmte «Buchberger». Aber auch hier mussten die Rebberge zu einem schönen Teil dem heute so notwendigen und wohl nicht minder lohnenden Gemüsebau weichen. Beim Buchsteig, wo die Naturfreunde schon oft, das letzte Mal vor vier Wochen, bei ihrem altgewohnten Bluestbummel [sic] über den Fünfländerblick, Halt machten, gab[‹]s auch diesmal eine Rast. Der Rucksack wurde seines letzten Inhaltes beraubt und dann durch das idyllische Dörfchen Buchen und an der Kuranstalt Risegg vorbei dem See zu gepilgert. Der Weg ist heute von vielen Ausflüglern belebt, nicht minder die Hauptstrasse von Staad nach Rorschach, wo die zahlreichen Radler dem Spaziergänger den Staub um die Nase wirbeln. Zwei besonders Neugierige nahmen die im Entstehen begriffene moderne Seeparkanlage in Augenschein, welche wohl nicht wenige zur Hebung des Besuches unserer st.gallischen Hafenstadt beitragen wird. Schliesslich landeten die Naturfreunde alle wohlbehalten in der Volksküche zu Rorschach. Für das letzte Stück bis nach St.Gallen benützte ein Teil die Bahn, während die ganz Unentwegten auch diese Strecke noch unter die Füsse nahmen.

Wenn die zurückgelegte Tour auch ziemlich anstrengend war, hat sie dessenungeachtet durch ihre Abwechslung die Teilnehmer voll befriedigt. Ein schöner, genussreicher Tag liegt hinter uns, nach welchem man mit neuem Mute die Berufsarbeit wieder aufnimmt. Mögen den Naturfreunden noch viele ähnliche Sonnentage beschieden sein!

Berg frei!

Joh. Geuggis, Berichterstatter.

Quelle: Staatsarchiv St.Gallen, W 285/2.06.1-2 (Naturfreunde St.Gallen, Tourenberichte 02.07.1916-12.04.1920, Text und Beitragsbild; zusätzliche Absätze der leichteren Lesbarkeit wegen eingefügt)

Kriegsjahr 1917

Montag, 31. Dezember 1917 – Apfelkuchen zum Silvester, Schweinebraten zum Neujahr

Tagebucheintrag von Johann Baptist Thürlemann, Architekt im Ruhestand, wohnhaft in Oberbüren:

Montag, den 31. Dezember 1917 sehr kalter, theils dunkler, theils heller Tag. Morgens bedeckt & etwas neblig; im Verlaufe des Vormittags leicht aufheiternd; Matter Sonnenschein. Ueber Mittag wieder bedeckt und düster. Nachmittag wieder eine Zeit lang aufhellend – Sonnenschein. Abend düster & bedeckt. Leichter Nebel. Nacht kalt, neblig. matter Mondschein. – Den ganzen Tag scharfer, eindringlicher Nordostwind; in den Höhenlagen Südwestwind. –

Morgens 8h holte Caroline auf der Gemeinderathskanzlei die Rationenkarten für den Monat Januar 1918.

Ich besorgte vormittags schriftliche Arbeiten & sandte einige Neujahrskarten ab.

Nachmittags bereinigte ich das Tagebuch von gestern & besorgte weitere schriftliche Arbeiten.

Abends von ½7 Uhr bis ¾8 Uhrhatte ich Besuch von meinem Neffen [sic] Carl. – Während dieser Zeit holte Caroline den von uns in die Bäckerei Müller dahier zum Backen gegebenen Aepfelfladen mit Rahm. – (:Bäckerlohn: 45 Rp.:)

Später las ich die Zeitungen, schrieb noch eine Neujahrskarte nach Andwyl und begab mich um ½10 Uhr zu Bette. –

Ansichtskarte Frieden

In seinem Eintrag zum 1.  Januar 1918 berichtete Thürlemann über die Neujahrspredigt in der katholischen Kirche Oberbüren zum Text «Erneuert euch aber im Geiste eueres Gemüths!» Ep. Pauli ad Ephes. 4.23. [Brief des Paulus an die Epheser, 4,23]:

Das abgelaufene, blutrauschende Kriegsjahr gehört hinsichtlich seiner völkermordenden Geschehnisse zu den «schlimmen Zeiten«. Die schlimmen Zeiten werden aber nicht allein – wie die guten – von Gott verhängt, sondern auch die Menschen wirken bestimmend darauf ein.

Böse Gedanken; Worte; Thaten verkehren die gottgewollte Ordnung & bringen Noth, Elend und Unfrieden in die Welt.

Um bessere Zeiten zu haben muss vor allem der Mensch besser werden & zwar dadurch, dass er sich umgestaltet im «Geiste seines Gemüthes». Er muss sich erwerben:

1.) ein neues Herz;

2. Eine neue Zunge;

3. Eine neue Hand. –

Ein neues Herz, durch Ablegen aller sündhaften Anschläge, Gedanken & Begierden. Entfernung des Hochmuthes; des Geizes; der Unzucht; des Neides; der Feindschaft & des Hasses und durch Erringung der Demuth, der Freigebigkeit; der Keuschheit, des Wohlwollens, der Friedensliebe und der Versöhnlichkeit das Herz umwandeln.

Eine neue Zunge, welche die reine Wahrheit spricht; die sich scheut vor Verleumdung & Ehrabschneidung; vor schmutzigen, die Unschuld verführenden Reden; vor Flüchen & Gotteslästerungen.

Eine neue Hand, die nichts Unreines berührt; die das Besitzthum des Nächsten achtete & keine Ungerechtigkeit begeht; welche den Nächsten nicht misshandelt & verletzt; welche mit Mass und Gewicht unanfechtbar umgeht.

Würden alle Menschen von nun an streng die Gebete der christlichen Sittenlehre halten, so wäre die soziale Frage bald gelöst, und weder Krieg, noch Theuerung, noch schlechte Zeiten  würden die Menschheit bedrängen & dann würde das Jahr 1918 für uns Alle ein Jahr des Glückes, des Segens & des Heiles. –

Sehr schöne, kurze aber inhaltlich reiche Predigt.

Nach dem Gottesdienst gab es ein vorzügliches Essen: Schweinebraten aus dem benachbarten Restaurant Hirschen.

Quelle: Staatsarchiv St.Gallen, Wy 035a (Nachlass Thürlemann, Tagebücher: Text und Beitragsbild) und W 207 (Joseph Fischer: Album «Aus den Kriegszeiten»: ungebrauchte Rationenkarte für Reis)

Brotkarten

Samstag, 1. Dezember 1917 – Lebensmittel-rationierung: Brotkarte für Kinder unter 2 Jahren

Ab Dezember 1917 wurden für Kinder unter zwei Jahren spezifische Brotkarten ausgegeben. Die Ration betrug pro Tag nur 150g Brot und pro Monat 500g Mehl.

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Es gab noch weitere spezifische Brotkarten, so eine Brotkarte für Truppen, die Geldverpflegung erhalten mit Tagesrationen von 400g und 500g. Ausserdem wurde eine Militär-Brotkarte für Urlaubgänger (resp. eine Brotkarte für beurlaubte Militärs, die bis zu fünf Tage gültig war) ausgegeben: Für die länger als 3 Tage dauernden Urlaube hat der Urlaubgänger, der sich nach Hause begibt, diese Karte gegen die gewöhnliche Monatskarte umzutauschen. Kehrt ein Urlaubgänger vor Ablauf des Urlaubs zur Truppe zurück, so hat er die nicht benützten Urlaubs-Brotkarten zurückzugeben. Abschnitte dürfen nur vom Verkäufer entfernt werden.

Ausserdem gab es zwei Tage gültige, kurzfristige Brotkarten, die zum Bezug von 450g, 500g oder 600g berechtigten. Sie wurden an Reisende ausgegeben:

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Zum Thema Rationierung: vgl. den Beitrag vom 1. Oktober 1917

Nächster Beitrag: 13. Dezember 1917 (erscheint am: 13. Dezember 2017)

Quellen: Staatsarchiv St.Gallen, W 200/61

Metzgerei und Schulhaus in Rheineck

Samstag, 24. November 1917 – Kochen unter Kriegsumständen

Die Monatsbeilage zur Rorschacher Zeitung veröffentlichte in ihrer Ausgabe vom 24. November Menuvorschläge:

Reisfleisch½ Kilogramm Kalbfleisch, 200 Gramm Reis, der Saft von einer halben Zitrone, Salz, 1½ Liter Wasser, 1 Esslöffel Fett, 1 gehackte Zwiebel.

Das Kalbfleisch wird in kleine Würfel geschnitten, der Reis wird erlesen und gut gewaschen. Fett und Zwiebeln werden miteinander gedünstet, das Fleisch wird beigegeben, gesalzen und einige Minuten geröstet. Dann wer[d]en Salz, Wasser, Reis und Zitronensaft beigegeben und die Speise zugedeckt auf schwachem Feuer 1½ Stunden gedünstet. Wird das Gericht im Selbstkocher zubereitet, muss es 25 Minuten auf dem Feuer gedämpft und 3-4 Stunden in den Kocher gestellt werden.

Weisse Bohnen. 750 Gramm weisse Bohnen, 2½ Liter Wasser, Salz, 1 Esslöffel Fett, 2 gehackte Zwiebeln, 1 Esslöffel Mehl, 2 Esslöffel Essig.

Die Bohnen werden erlesen und einige Stunden in lauwarmes Wasser eingeweicht. Die Zwiebeln und das Mehl werden im Fett gedünstet, die Bohnen werden mit dem Einweichwasser beigegeben und noch so viel Wasser zugefügt, bis die Bohnen damit gedeckt sind. Sie werden 2½ Stunden weich gekocht, kurze Zeit vor dem Anrichten werden Essig und Salz beigegeben. Bei der Zubereitung im Selbstkocher werden die Bohnen ½ Stunde auf dem Feuer gekocht und 2-4 Stunden in den Kocher gestellt.

Saure Kartoffeln. 1½ Kilogramm Kartoffeln, Salzwasser, 1 Esslöffel Fett, 1½ Esslöffel Mehl ,1 gehackte Zwiebel, 3 Esslöffel Essig, 2 Tassen Wasser.

Die zugerüsteten Kartoffeln werden in Scheibchen geschnitten, im Salzwasser weichgekocht und auf ein Sieb angerichtet. (Das Wasser wird zu einer Suppe verwendet.) Fett, Zwiebeln und Mehl werden hellbraun geröstet und mit dem Wasser und dem Essig abgelöscht. Die Sauce wird gesalzen und einige Minuten gekocht. Hierauf werden die Kartoffelscheibchen beigegeben und noch einige Minuten mit der Sauce gekocht.

Dörrobst. 250 g Dörrobst, Wasser, 60 g Zucker.

Das Dörrobst wird gut gewaschen, in lauwarmes Wasser eingeweicht und einige Stunden zugedeckt stehen gelassen[.] Es wird mit dem Einweichwasser auf das Feuer gestellt, 10 Minuten vorgekocht und 2 Std. in den Selbstkocher gestellt. Das Obst wird angerichtet und mit dem Zucker vermengt. Wenn es an Zucker mangelt, werden 3-4 Tabletten Saccharin [synthetischer Zuckerersatzstoff] im Wasser aufgelöst und mit dem Obst vermischt. Das Saccharin darf nicht mitgekocht werden.

Bei dem in den Rezepten erwähnten Selbstkocher handelte es sich im Wesentlichen um ein gut isoliertes Behältnis, in dem die Speisen in ihrer eigenen Wärme ohne zusätzlichen Brennstoffverbrauch garen konnten. Erfinderin des Selbstkochers ist die Wattwilerin Susanna Müller, vor allem bekannt wegen ihres Longsellers «Das fleissige Hausmütterchen». Das Toggenburger Museum in Lichtensteig besitzt ein Originalexemplar eines Selbstkochers, vgl. http://www.tagblatt.ch/ostschweiz-am-sonntag/leben/Kleinod-der-Kueche;art304178,4608472 (Bild Nr. 3 im Artikel).

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Quellen: Staatsarchiv St.Gallen, P 913A (Text: Rorschacher Blätter zur Unterhaltung und Belehrung, Gratisbeilage zur Rorschacher Zeitung, Nr. 7, 1917, 24.11.1917) und W 238/02.14-28 (Ansichtskarte: Rheineck, 1911)

Baeckerei in Rheineck, ca. 1900

Dienstag, 6. November 1917 – Kriegsbilanz und Tagesgeschäft

Josef Scherrer, der vielbeschäftigte Sekretär des Zentralverbands christlichsozialer Organisationen, schrieb in seinem Tagebuch:

Ich habe seit langer Zeit keine Tagesnotizen mehr geführt. Eine Sünde, die ich immer wieder begehe. Zuviel Arbeit ist mir eine kleine Entschuldigung. Seit den letzten Notizen, die auch hier niedergelegt, ist so vieles wieder anders geworden. 

Der Krieg ist trotz den ernsten Bemühungen des Heiligen Vaters Papst Benedikt XV. weiter gegangen. Letzter Tage hat die gewaltige deutsch-österreichische Offensive den Italienern entscheidend zugesetzt. Heute melden die Österreicher und Deutschen bereits 250,000 Gefangene und eine Beute von 2000 Geschützen. Vielleicht ist das doch Friedensarbeit!

Ende September 1917 habe ich eine neue grosse Arbeit übernommen. Die Regierung des Kantons St. Gallen hat mich als Leiter des kantonalen Brotamtes berufen. Es ist einerseits für mich eine verlockende Arbeit, anderseits werde ich auch hier manche Sorgen zu kosten bekommen. Die Einführung der Brotkarte ist zwar im Kanton St.Gallen noch ziemlich glatt gegangen, Gott sei Dank! Ich hätte mich schon schön blamieren können! Möge Gott mir helfen, das wichtige Amt in schwerer Zeit gut zu verwalten.  

Rechnungskommission der politischen Gemeinde Tablat.

Rechnungskommission Die Sitzungen haben wieder seit einiger Zeit begonnen. Eine Arbeit, die an und für sich nicht uninteressant ist. Ich mache sie jetzt das 6. Mal. Da hat man doch bald genug.  

Konferenz. Vorberatende Kommission zur Baukommission.

Errichtung einer Baukammer des Kantons St.Gallen im Mercatorium in St.Gallen.

Koch & ich sind in die vorberatende Kommission berufen worden. Ich habe namens der christlich-sozialen Organisation grundsätzlich zugestimmt.

Antrag des Ingenieur- & Architekten-Vereins. Es soll das Justizdepartement angefragt werden, ob nicht ein Baugericht bestellt werden soll.

Schirmer [?]. Das Justizdepartement wird nicht dafür zu haben sein. Ein ganzes Baugericht wird so rasch nicht eintreten. Aber es wäre ein freiwilliges Baugericht doch zu gründen.

Dr. Wyler will wissen, wie sich das Kantonsgericht dazu stellt.

Ingenieur Sommer referiert über die Geschichte der Vorberatungen. Die Fachleute Kantonsbauamt, Stadtbauamt, die Bundesarchitekten sind gegen die Bildung.

Kantonsgerichtspräsident Dr. Geel hat sich gegen die gesetzlichen Fachgerichte ausgesprochen, da das Kantonsgericht nach und nach ausgeschaltet würde. Wenn alle Interessen-Kreise für ein Spezialgerichtswort einträten, so ist die Einführung möglich. Das Kantonsgericht lehnt die Errichtung eines Baugerichtes einstimmig ab.

Dr. Wyler ist für die Spezialgerichtsbarkeit.

Stauber, Zimmermeister Ich spreche mich grundsätzlich für eine Baukammer aus, immerhin unter gewissen Vorbehalten.

Koch sozialdemokratischer Sekretär spricht sich ebenfalls grundsätzlich für die Baukammer aus.

Högger will die Sache weiter verfolgen.

Es wird beschlossen, eine Konferenz mit den Behörden angestrebt. [sic]

Nächster Beitrag: 7. November 1917 (erscheint am 7. November 2017)

Quellen: Staatsarchiv St.Gallen, W 108/1 (Tagebuch Scherrer) und W 076/3.27.092 (Bäckerei und Conditorei von J. H. Tobler in Rheineck, ca. 1900)

Rationierungsmarken

Donnerstag, 1. November 1917 – Rationierung

In Nachlässen findet man zuweilen Rationierungsmarken aus den Weltkriegen. So sind auch im Album «Aus den Kriegszeiten», das Joseph Fischer zusammengestellt hatte, einige solcher Dokumente aufgeklebt. Diese Marken sind nur erhalten geblieben, weil sie nicht eingelöst wurden: entweder, weil man die entsprechende Speise benötigte und sie anderweitig ersetzen konnte, oder – sehr viel häufiger – weil man sich das betreffende Nahrungsmittel gar nicht leisten konnte. Vielen Arbeiterfamilien nützten alle Coupons nichts, weil sie gar kein Geld hatten, sie einzulösen. Aus welchen Gründen sich die vier Reiscoupons für November 1917 erhalten haben, lässt sich nicht mehr nachvollziehen:

Rationierung

Nächster Beitrag: 6. November 1917 (erscheint am 6. November 2017)

Quelle: Staatsarchiv St.Gallen, W 207, Album „Aus den Kriegszeiten» von Joseph Otto Ferdinand Fischer (1892-1967), St.Gallen

Coupon für Brot

Montag, 1. Oktober 1917 – Lebens-mittelrationierung: Brot und Mehl sind nicht mehr frei erhältlich

Mit dem 1. Oktober 1917 waren in der Schweiz Brot und Mehl rationiert. Bereits früher schon waren Reis, Zucker, Mais, Teigwaren, Hafer und Gerste der Rationierung unterstellt worden. Ab März 1918 wurden die Massnahmen noch verschärft, indem man auch Butter, Fett und Öl, später zusätzlich Käse und Milch rationierte.

Für Personen mit speziellen Bedürfnissen wurden bereits im Oktober 1917 Zusatz-Brotkarten ausgegeben. Sie berechtigten zum Bezug von weiteren 100g Brot pro Tag.

Mit diesen Massnahmen versuchte man, die Lebensmittelversorgung der Bevölkerung zu gewährleisten. Erst ab April 1920 waren wieder alle Lebensmittel ohne Einschränkung verfügbar.

 

Die Rationierungskarten wurden je nach Landesgegend in deutscher, französischer oder italienischer Sprache gedruckt. Sie bestanden neben dieser Titelseite aus drei weiteren Seiten mit Coupons, einer Doppelseite mit Abschnitten zu 25g und 50g sowie einer Einzelseite mit Abschnitten zu 250g:

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Die St.Galler Telefonistin Hedwig Haller schrieb an diesem Tag in ihr Tagebuch:

1. Oktober 1917. Nun haben wir auch noch Brot- & Butter-Marken, so dass jede Person pro Tag ½ Pfund Brot und im Monat 100 gr. Butter bekommt. – Ich habe vorher noch eine Schachtel gefüllt mit Zwieback, Biber, Birnweggen etc., um im Notfalle nicht hungern zu müssen ! –

(122) Im Bureau erlebten wir die grosse Freude, dass nun endlich einmal der 8-Stunden-Tag fürs ganze Jahr bewilligt wurde & jedes die Teuerungszulage von 225 frs. für das Jahr 1917 erhielt. – Fein ! Wunderbar ! – wir haben immer enorm viel Arbeit, da die Brieftaxen erhöht wurden, so greift Alles zum Telephon. Wir haben z.B. über eine Million mehr Gespräche wie vor dem Krieg (pro Jahr). –

Zum Thema Rationierung vgl. den Eintrag im Historischen Lexikon der Schweiz: http://www.hls-dhs-dss.ch/textes/d/D13782.php

Quellen: Staatsarchiv St.Gallen, W 200/61 und Privatbesitz (Tagebuch Haller, Transkription: Markus Kaiser)

Briefkopf

Montag, 3. September 1917 – Lebensmittelknappheit: Abschiebung von Internierten?

Wann genau Franz Eberle (1885-1941), Ingenieur, folgendes Schreiben erhielt, ist unbekannt. Datiert ist der Brief mit Flums, den 31. Aug. 1917. Der Text nimmt am Anfang Bezug auf die Postspedition in Kriegszeiten. Leider ist nicht eruierbar, was der Angesprochene in Bern offenbar regelmässig bestellte. Tabak vielleicht, da das Produkt offenbar in Kistchen abgepackt war?

Mein Lieber!

Es freute mich, wieder einmal ein Lebenszeichen von Dir zu erhalten. Deinen letzten Brief habe [ich] leider nicht erhalten & musste daher annehmen, Du seist von München weggezogen. Sonst hätte Dir schon vor längerer Zeit geschrieben. Habe auch in Bern nach Deinen event. Bestellungen gefragt & keine Antwort erhalten. Daher der Ausfall. Am 29. Aug. habe [ich] nun für Dich vorläufig die August-Bestellung nach Bern abgehen lassen & zugleich die Fr. 19.50 abgeliefert. Ich fragte auch nach, ob man für die frühern Monate nachbestellen dürfe. Gegebenenfalls werde [ich] Dir natürlich wenigstens noch 2 Kistchen nachsenden lassen. Die Sache dürfte so ohne weiteres in Ordnung kommen. – Es freut uns, dass es Dir immer gut geht. Auch wir befinden uns wohl. Habe zur Zeit sehr viel zu tun, da ich zu all dem andern noch den Vorsitz in unserer Gemeindefürsorgekommission übernehmen musste & die Rationierung von Brot, Butter & verschiedenen andern Lebensmitteln vorzubereiten habe. Die Folgen des Krieges machen sich nun auch bei uns immer fühlbarer, so dass man bereits ernstlich von der Abschiebung der Internierten spricht. Ein Glück, dass wenigstens noch eine gute Ernte zu erwarten steht. Hoffen wir auf baldige bessere Zeiten.

Freundl. Grüsse von mir & d. Mutter.

Anton.

Nächster Beitrag: 7. September 1917 (erscheint am 7. September 2017)

Quellen: Staatsarchiv St.Gallen, W 072/5.4 (Text) und ZMH 19/001c (Beitragsbild)

Butterzentrifuge

Samstag, 14. April 1917 – Milch-versorgung in der Schweiz und im angrenzenden Ausland (Teil 2)

An diesem Tag erschien der zweite Teil des Berichts zur Milchversorgung der Schweiz (der erste Teil ist zu lesen unter dem 17. März):

Der gegenwärtige Stand der Milchversorgung in der Schweiz.

In letzter Linie ist die Milchknappheit auch noch durch den vermehrten Konsum im bäuerlichen Haushalte und durch die Hausbutterung verursacht worden. Normalerweise sind vor dem Kriege pro Jahr 500 Wagen Butter in unser Land eingeführt worden. Seit Frühjahr 1916 hat die Buttereinfuhr fast ganz aufgehört. Schon in normalen Jahren wurde diese Ware in den Monaten November und Dezember knapp. Begreiflicherweise muss zur Zeit, wo die Mehrheit der Käsereien Konsummilch liefern muss, ein empfindlicher Buttermangel vorhanden sein. Dieser veranlasste die Hausfrauen, die nur ungern auf die Verwendung von Butter verzichten, mehr und mehr zu Selbstfabrikation überzugehen. Es ist erwiesen, dass noch nie so viele Haushaltungsbutterungsmaschinen [sic] abgesetzt wurden, wie im laufenden Winter. Diese Feststellung wird ausserdem durch die Tatsache erhärtet, dass gegenwärtig eine ganze Reihe von Butterungseinrichtungen zum Patent angemeldet sind. Je höher die Butterpreise gegenüber den Milchpreisen, die zurzeit durch die Bundesbehörden künstlich tief gehalten werden, um so intensiver wird die Hausbutterung einsetzen. Wenn auch die meisten Hausfrauen die für den Konsum bestimmte Milch abrahmen, so wird dadurch der Milchbedarf dennoch erheblich grösser. Völlig zu verwerfen ist die Hausbutterung, wenn die Abfälle nicht zur Verwertung gelangen.

Am grössten ist zurzeit der Milchmangel im Gebiete des Verbandes nordwestschweizerischer Käserei- und Milchgenossenschaften, insbesondere in der Stadt Basel. Die erwähnte Organisation soll von drei Schwesterverbänden zusammen 100,000 Tageskilo Milch erhalten, die bisher nicht voll zur Ablieferung gelangten. Der normale Milchbedarf der Stadt Basel beträgt zirka 100,000 Kilo pro Tag. Infolge des Rückganges in der Produktion konnten vorübergehend nurmehr 80-85,000 Kilo nach Basel spediert werden. Seit vielen Jahren wird vom nordwestschweizerischen Verband eine gewisse Milchmenge in das benachbarte badische Grenzgebiet und in einige süddeutsche Städte geliefert. Wenn auch die Pflicht besteht, in erster Linie für das Inland zu sorgen, so wäre es auf der andern Seite auch nicht zu verantworten, wenn man in diesen schweren Zeiten den süddeutschen Städten, insbesondere Mü[h]lhausen, die auf die Milchzufuhr aus der Schweiz angewiesen sind, keine Milch mehr senden wollte. In Mühlhausen erreicht die gegenwärtige Milchzufuhr nur mehr hin, um den dringendsten Bedarf der kleinen Kinder zu decken. Der Milchmangel im Gebiete des nordwestschweizerischen Verbandes wird durch die dort stationierten Truppenkontingente noch erhöht. Um der Zivilbevölkerung nach Möglichkeit entgegenzukommen, wurden einzelne Divisionen angewiesen, ihren Milchbedarf durch Verwendung von Kondensmilch zu decken.

In gewöhnlichen Zeiten trat nach Neujahr in der Milchproduktion regelmässig eine Besserung ein. Im laufenden Winter ist die Knappheit bis Mitte Februar eher grösser geworden. Die Ursache muss auf die schlechte Ernährung des Viehstandes zurückgeführt werden. Die frisch gekalbten Kühe geben nur während kurzer Zeit befriedigende Milchmengen, magern verhältnismässig stark ab und gehen in der Milchproduktion sehr bald bedeutend zurück.

Im weitern muss darauf hingewiesen werden, dass die Heuvorräte nicht sehr gross sind, so dass sie, wenn die Grünfütterung spät einsetzen sollte, knapp ausreichen werden. Es ist zu hoffen, dass beim Eintritt der wärmern Witterung die Milchproduktion sich wieder etwas günstiger gestaltet. Eine dauernde und durchgreifende Besserung in der Milchversorgung darf jedoch erst nach Beginn der Grünfütterung erwartet werden.

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Quelle: Staatsarchiv St.Gallen (St.Galler Bauer, 14.03.1917, Text mit etwas mehr Absätzen als im Original; 31.03.1917, Anzeige)