Adele Berner-Wenner, Brief

Samstag, 6. Oktober 1917 – Der Winter naht

Die verwitwete Adele Berner-Wenner machte sich zunehmend Sorgen, wo sie sich den Winter über einquartieren könnte und was sie mit ihrem schulpflichtigen Sohn machen sollte. Ihrer Schwester Silvia schrieb sie:

[Randnotiz:] Erhalten – i[n] Fratte

Montreux.

Samstag, 6. Oct. 1917.

Meine liebe Silvia,

Vorgestern habe ich Deinen ersten Brief von Ende Aug. bekommen, der wirklich etwas lange zur Reise gebraucht hat, & jetzt verwundert es mich nicht mehr[,] dass ich nie einen Brief von Dir bekommen hatte. Ich danke Dir aber nachträglich dafür. – Ich hätte so gern von Dir gewusst[,] ob Du glaubst[,] dass es Mama freuen würde zum Geburtstag ein electr. Pfännchen zu haben, das 1 lt. fasst, & so ein wenig die Form einer Theemaschine hat, oder ob ihr das kleine genügt, das sie hat. Sage mir die Antwort nur per Postkarte. –

Emily hat mir Deinen letzten Brief vorgelesen, als ich am 24. Sept. zu ihnen kam. Dann habe ich auch einen lieben langen Brief von Mama bekommen[,] für den ich ihr vielmal danken lasse. Es tut mir so leid[,] dass Tante Jeanne krank ist, es ist wirklich recht traurig, & der arme Onkel hat nie auch ein wenig Freude haben können in den letzten Jahren. –

Seit vorgestern bin ich hier bei Gaspard’s [?] zu einem kleinen Besuch, am Montag bin ich wahrscheinlich wieder im Bellevue.

Nachdem wir 3 volle Wochen das wunderbarste Wetter gehabt haben, hat es sich vor 2 Tagen plötzlich verdorben, & heute nacht hat es bis ganz nach herunter geschneit. – Das wird vielleicht der Grund sein[,] dass Alex früher Ferien bekommt, denn diese fangen erst an, wenn es reichlich so kalt ist[,] dass man heizen müsste entweder am 20[.] oder 27. Oct. & dauern dann 14 Tage. Wenn sie erst so spaä stattfinden, so gehe ich mit Alex vielleicht in’s Wallis, wo es nicht so kalt ist, denn Pauls sind dann am aufpacken. – Für die Winterferien war Clara so gut[,] mir anzubieten vom 4[.] Jan. an Alex in’s Hôtel in Zuoz zu sich zu nehmen, was ich sehr dankbar angenommen habe, & für die 10 Tage vorher will ich noch einmal Frau Pfarrer anfragen, ob es ihr möglich wäre. – Hoffentlich giebt [sic] es nicht wieder es nicht wieder einen so langen Winter, wie der letzte, es wäre recht schlimm mit dem argen Kohlenmangel; es muss schrecklich sein so zu frieren. –

Ich habe es die ganze Zeit & überall herrlich, & habe Angst[,] dass ich furchtbar verwöhnt werde. Bevor ich nach Bellevue kam, hatte ich noch eine arge Hetzerei, das kann ja nicht anders sein, wenn man sich noch so Mühe giebt [sic], aber dann war es in Bellevue so wunderbar, dass wir die ersten Tage nicht einmal nach Genf gingen. Es war so blau & duftig, & so still am See, & die Sonne so herrlich[,] dass man [es] in Waschkleidern gerade recht hatte. Der grossen Obstsegen giebt [sic] auch viel zu tun, man pflückt, sortiert, & richtete einen Korb nach dem andern, der verschenkt wird. – Hier habe ich Gaspard’s beide wohl getroffen, Marcelle hat zwar immer mit Rheumatismus zu schaffen, aber G. ist gut dran & sehr leistungsfähig. Die kleine Lise ist reizend[,] so ein Muster von guter Erziehung, das versteht Marcelle aus dem Fundament. Am Morgen trägt sie Spielhöschen, & am Nachm. Replums [?] in allen Farben, & tanzt einher wie ein kl. Schmetterling. – Ich hoffe[,] dass es bei Euch immer gut geht, & dass Ihr Euch bei kühlerem Wetter recht schön von der Sommerhitze erholt. – Kann Maria den Kleinen noch gut stillen? & nimmt [sic] er schön zu? M. schrieb Emily[,] dass Gianni etwas zugenommen habe, ob er nicht mehr zu essen bekomme. Aber vielleicht jetzt hat man anfangen können. Führt sich die Balia [?] wieder recht auf? & will [sic] sie weiter bleiben? –

Die Cousinen sind jetzt in Lugano auf etwas 14 Tage, & denke Dir[,] ich darf wieder zu ihnen, wenn ich Alex zur Schule zurück bringe, für die wenigen Tage. – Sie hatten Lorly noch 8 Tage bei sich, die sich natürlich etwas langsam erholt, denn es war eine schwere Operation. Lorly liess Mama für ihren lieben Brief sehr danken. –

Marcelle lässt Euch alle sehr grüssen. Auch von mir viele herzliche Grüsse an Euch alle, gross & klein, im grossen & kleinen Haus. – Dich, liebe Silvia, umarmt mit einem innigen Kuss

Deine Dich herzlich liebende

Adèle Berner.

In der Korrespondenz von Silvia Wenner findet sich ein weiterer Brief ihrer Schwester vom 4. Januar 1918 aus Zuoz im Oberengadin. Darin schreibt Adèle Berner-Wenner, dass Clara Peters-Wenner (1874-1944), eine weitere Verwandte, mit ihrem Sohn Max (1907-1988) ebenfalls ins Engadin gekommen sei und dass sie ihr ihren Sohn, Alex Berner, während des Rests der Neujahrsferien in Obhut geben könne. Adèle Berner-Wenner fand bis Anfang Februar wieder Unterkunft bei den Cousinen Zürich, von denen in anderen Briefen die Rede ist. Danach reiste sie, wie ein weiterer Brief vom 19. Februar 1918 belegt, offenbar weiter nach Rom.

Nächster Beitrag: 13. Oktober1917 (erscheint am 13. Oktober 2017)

 Quellen: W 054/127.4.2 (Briefe an Silvia Wenner)

Kneippanstalt Krähenmann, Risegg, Gemeinde Thal

Samstag, 8. September 1917 – Unglück im Steinbruch

Neuestes und Telegramme.

Unfall in den Steinbrüchen ob Buchen.

Staad, 8. Sept. * [sic] Gestern nachmittag ging eine Frau aus Rorschach mit ihrem sechsjährigen Knäblein Beeren suchen bei den Steinbrüchen ob Buchen. Eben hatten sie noch den Kleinen gemahnt, doch vorsichtig zu sein und schnell nachher fiel er über eine zirka zwölf Meter hohe Felswand. Wider Erwarten lebte das Kind noch, hatte aber einen Schenkelbruch, eine Wunde an der Stirne, und klagte über Schmerzen in der Brust. Herr Dr. Krähenmann, Risegg, legte dem Verunglückten einen Notverband an und zwei Männer trugen den Patienten auf einer Tragbahre ins Krankenhaus Heiden. – Ob sich nichts machen liesse zur Verminderung der Absturzgefahr in diesem Steinbruchgebiet?

Das Kurhaus Risegg präsentierte sich zur Zeit des Ersten Weltkriegs folgendermassen. Offenbar hatte man den auf dem Beitragsbild von ca. 1899 zu sehenden Laubenanbau in der Zwischenzeit durch ein festes Gebäude ersetzt :

Risegg, ca. 1910

Nächster Beitrag: 11. September 1917 (erscheint am 11. September 2017)

Quellen: Staatsarchiv St.Gallen, P 913 (Rorschacher Zeitung, Nr. 209, 08.09.1917) sowie W 238/02.13-11 (Ausschnitt aus Ansichtskarte aus dem Verlag von U. Rhomberg, Fotograf, St.Fiden, ca. 1910) und W 238/02.13-08 (Beitragsbild, Ausschnitt aus Ansichtskarte des Verlags Gebrüder Weigmann, St.Gallen, C.B. 2027, ca. 1899)

Fritz und Maria Wenner

Samstag, 21. April 1917 – Ehekorrespondenz

Fritz Wenner-Andreae antwortet seiner schwangeren Ehefrau auf ihren Brief vom Vortag (s. Beitrag vom 20. April):

Fratte di Salerno, 21. April 1917.

Liebes Frauchen,

Heute sende ich Dir also, wie abgemacht, die Wäsche der Kleinen durch unsern Corriere und gleichzeitig diesen kurzen Samstagsgruss für Dich und die l. Bübchen. Ich werde viel an Euch denken, obschon mir die Zeit nicht lange werden wird, denn ich habe genug Stoff, um mich zu beschäftigten. Wenn nichts dazwischen kommt, so hoffe ich[,] am Mittwoch morgen nach Neapel zu reisen und wenn Du einverstanden bist, so siedeln wir am Donnerstag um 12 Uhr hierher über. Hoffentlich geht es bis dann Mama besser! Hier ist das Wetter seit gestern wieder sehr schön[,] aber recht frisch. – Hat der Maler die Bilder wohl gebracht? Man könnte sie vielleicht vorläufig in die Via Medina bringen und kann ich sie dann von dort gelegentlich einpacken u. hierher spedieren lassen, denn am Mittwoch werde ich keine Zeit dazu haben u. im Hôtel sind uns die Dinger dann im Weg. Meinst Du nicht?

Wegen der Bezahlung kann ich dann ein anderes mal [sic] mit dem Maler verhandeln. –

Hier im Haus ist, wie mir scheint, alles in Ordnung u. für Euern Empfang bereit. Die beiden Kisten Mellin’s Food sind angekommen u. in der Küche untergebracht.

Und nun sage ich Dir auf Wiedersehen, liebe Maria, am Mittwoch und sende Dir u. den beiden Kleinen einen festen Kuss. Bitte sage der l. Mama[,]  ich lasse ihr herzlich gute Besserung wünschen u. der Adèle u. dem Alex eine gute Reise. – Es grüsst Dich u. umarmt Dich von ganzem Herzen Dein Dich innig liebender Maritino

Fritz.

Mellin’s Food war ein spezielles Kleinkinder-Milch-Getreidepräparat, hergestellt in Boston USA, vermutlich ähnlich wie das Nestlé-Kindermehl aus Lausanne.

Nächster Beitrag: 23. April 1917 (erscheint am 23. April 2017)

Quelle: Staatsarchiv St.Gallen, W 054/128.1 (Text) und W 054/129.1.1 (Fritz und Maria Wenner-Andreae 1913 auf ihrer Hochzeitsreise in England)

Gaertnerhaus der Villa Wenner

Freitag, 20. April 1917 – Ehekorrespondenz: Der Gärtner soll Lauch pflanzen

Maria Wenner-Andreae schreibt an ihren Mann Fritz. Sie weilt zusammen mit ihren beiden Söhnen immer noch im Parker’s Hotel am Corso Vittorio Emanuele in Neapel.

Neapel, den 20-4-1917.

Mein lieber armer Strohwitwer!

Damit Du am Sonntag doch etwas v. Deiner kl. Frau habest, sende ich Dir diese Zeilen. Unsere Putzel [Kinder] sind munter u. wohl u. Deine Frau hat 9 Stunden geschlafen. Che pigrona!

Es scheint mir[,] ich habe Dich seit einer Woche nicht mehr gesehen, stattdessen ist es ja seit gestern. Ich habe dann doch noch Adèle u. Alex überredet[,] mit mir zu essen. Es war sehr nett[,] dass sie kamen u. es schmeckte ihnen sehr gut. Ich hatte noch Marrons glacés gekauft, die auch nicht verschmäht wurden. Sie blieben bis nach 9 Uhr u. gingen Heim [sic], da Adèle den ganzen Tag unterwegs gewesen war.

Eben telephonierte ich mit Silvia. Mama hatte gestern abend über 39 Grad u. heute morgen hat sie über 38 Grad [Fieber]. De Nobili sagt aber: non è allarmante! Im Gegenteil[,] die Schmerzen sind seit dem Fieber besser geworden. Hoffen wir von Herzen[,] es sei bald überwunden! Diesen Nachmittag will ich sie besuchen. Vorher kommt aber Silvia her, da Mama wünscht, dass sie u. ich einen Augenblick Schivens [?] besuchen, der alte Herr soll nicht gut dran sein.

Bitte grüsse mir alle Schlaepfers, besonders Tante Elise. Sage ihr, wenn ich ihr etwas besorgen u. mitbringen könnte, täte ich es gerne. Grüsse mir die Bienchen, ich denke mir[,] Du stattest ihnen ein  Besüchlein ab. Lass Dich nicht stechen! – – Wenn morgen der Maler kommt, dann, bitte ich ihn[,] sich am Mittwoch zu presentieren [sic], denn ich kann nicht mit ihm verhandeln.

Mille baci al Papà caro da Gianni e Dimy. Grüsse mir die Leute. Sage Pietro[,] er soll ein bis[s]chen Porro [Lauch] pflanzen u. ein schönes Feld für Fagioli [Bohnen] preparieren den Samen hätte ich.

Von ganzem, ganzem Herzen umarmt u. küsst Dich Deine Dich sehr lieb habende

Maria.

Quelle: Staatsarchiv St.Gallen, W 054/128.1 (Text) und W 054/73.8 (Bild, Gärtnerhaus der Villa Wenner in Fratte di Salerno, ca. 1885)

Couvert

Freitag, 13. April 1917 – Ehekorrespondenz zum weiteren

Maria Wenner-Andreae schreibt an ihren Mann Fritz. Sie weilt immer noch im Parker’s Hotel am Corso Vittorio Emanuele in Neapel. Honig ist in Italien ein rares Gut:

Freitag, den 13. April 1917

Mein lieber Schatzel! Entschuldige, dass ich mit Bleistift schreibe, aber ich sitze in der sonne u. tro[c]kne meine Haare. Ich benutze diesen ruhigen morgen [sic] dazu. hoffentlich bist Du gut gereist u. verlief der gestrige gästereiche Tag gut. Marietta wird es schon gut gemacht haben. Ich wünsche Dir einen möglichst guten Sonntag, mein Schatz! Siehst Du auch nach den Bienen? Denke Dir[,] in Mailand [wo Marias Eltern lebten] bezahlt man jetzt 6-7 Lire für ein Kg. Honig. Hätte man jetzt, dann könnte man feine Geschäfte machen. Die Eltern baten mich[,] ihnen hier welchen zu besorgen, aber ich fürchte[,] die Preise werden auch hoch sein. So werde ich ihnen schreiben[,] sie mögen sich gedulden, bis wir ihnen senden können. Meinst Du nicht auch? Sorge dafür[,] dass die Familien recht stark werden. Die Eltern lassen Dich vielmals grüssen. – Unseren Buben geht es prächtig, Gianni behauptet[,] Du müsstest morgen kommen. Er wird dann bitter enttäuscht sein. Poverino! Nächste Woche kann Frl. Brogh [?] doch kommen[,] die Photos zu machen. – Heute werden wir hoffentlich mit dem Maler fertig. Wenn nur auch das Bild von Gianni netter wäre!! Die Kinder spielen in der Rampa unten u. Dimy huscht als echte Gallina überall herum. – Es ist doch eine penitenza [Strafe] so in der Sonne zu sitzen[,] um die Haare zu trocknen. Dafür findest Du aber ein ganz sauberes Frauchen!!! Gestern spazierte ich zu Elsa, die sich wohl fühlt. Auch dem Baby geht es ausgezeichnet. Ich wohnte auch einer Mahlzeit bei. Alles geht gut[.] Ich bin gespannt zu hören[,] wann Marietta abreist. A propos[:] Das Dienstmädchen sagte mir[,] sie sei für diesen Dienstag entlassen. Wenn Du wirklich nicht vor Mittwoch kommen kannst, dann bitte schreibe mir[,] was ich ihr geben soll. Du kannst ja einfach die Summe hinschreiben, ohne etwas dazu, wenn Du mir eine Karte sendest. Bitte vergiss es nicht, da ich sonst in Schwulitäten [sic] gerate. Bitte grüsse mir alle Schlaepfers!

Die Kinder umarmen u. küssen ihren Papa caro! Ich habe Dich innig lieb u. küsse Dich tausendmal Deine treue Mogliettina Maria.

Gleichentags schreibt auch Fritz Wenner an seine Ehefrau:

Fratte, 13. April 1917.

Liebstes Frauchen!

Ich hofe, am Sonntag mit dem 10.40 Uhr Zug nach Neapel reisen zu können, wo ich um halb 1 Uhr eintreffen sollte. Ich werde in diesem Falle von der Bahn zuerst in die Via Medina fahren, um zu hören, ob Du zum Mittagessen dort bist; wenn nicht, so fahre ich weiter ins Hotel.  Ich überlasse es natürlich Dir[,] für den Nachmittag zu arrangi[e]ren, was Dich freut; die Pferde können hoffentlich wieder regelmässiger Dienst tun. –

Die Schwestern u. Alex haben es gut getroffen mit dem Wetter hier u. in Pompei; auch für mich war es nett[,] Besuch zu haben. – Marietta wird also morgen um 10 Uhr morgens abreisen. Willst Du bitte das Mama sagen, dass ich mir erlauben werde[,] über diese Zeit drüben zu essen; ich hoffe[,] es wird ihr nicht unangenehm sein. –

Ich freue mich[,] Euch bald wieder zu sehen u. zu hören, was der Maler noch geleistet hat. Mit tausend herzlichen Grüssen u. einem Kuss meinem lieben Kleeblatt verbleibe ich Dein Dich herzinnig liebender

Fritz.

Quelle: Staatsarchiv St.Gallen, W 054/128.1

 

Briefkopf Wenner

Mittwoch, 7. März 1917 – Ehekorrespondenz

Fritz Wenner schreibt an seine Ehefrau – Papiertaschentücher waren noch nicht erfunden:

Fratte [di Salerno, Süditalien, Wohnort von Fritz und Maria Wenner-Andreae], 7. März 1917.

Mein liebes Frauchen

Ich hoffe es geht Dir immer besser u. dass Du ordentliche Nächte habest; ebenso die Kleinen. Durch Max Salis hörte ich, dass Du am Montag bei seiner Frau warst, u. das ist mir ja ein gutes Zeichen. – Also ich denke[,] Euch morgen früh zu sehen; aber am Abend muss ich wieder zurückreisen, damit ich am Freitag tüchtig hier arbeiten kann; denn es giebt [sic] in diesen Tagen recht viel zu tun und mann wird so wie so während der Arbeit immer so häufig gestört, dass es nicht viel ausgiebt. – Die Wäsche schicke ich Dir durch unsern Kurier. Brot, Honig u. Mellins’s Food hoffe ich Dir selbst morgen zu bringen. – Ich wäre Dir dankbar, wenn Du mir gelegentlich ein Dutzend ganz einfacher Taschentücher (nicht zu gross u. mittelfein) besorgen könntest, denn ich bin sehr schlecht drank in diesem Artikel, natürlich ohne gestickten Namen, da es sonst zu lange gehen würde, denn ich möchte sie gerne bald haben. – Grüsse alle Lieben von mir tausend mal [sic], besonder die l. Bübchen u. sei Du selbst von ganzen Herzen umarmt von Deinem Dich innigst liebenden

Maritino.

In einem früheren Brief vom 26. Februar 1917 verabschiedete sich Fritz Wenner mit den Worten: Mille bacioni a tè[,] Gianni e Dimy [die Söhne Giovanni und Diethelm]! Es umarmt Dich in Eile[,] aber von ganzem Herzen Dein Fritz.

Maria Wenner-Andreae weilte zusammen mit ihren beiden ältesten Söhnen, Giovanni (genannt Gianni) und Diethelm (genannt Dimy/Dimi) im Parker Hotel in Neapel. Sie war in dieser Zeit zum dritten Mal schwanger. Valentin (genannt Pipo) Wenner kam im Sommer 1917 zur Welt.

Zu Fritz und Maria Wenner-Andreae vgl. auch die Beiträge vom 12. Januar 1916 und vom 24. Januar 1916.

Ein weiterer Beitrag zum Ehepaar, diesmal mit einem Brief von Maria Wenner-Andreae an ihren Ehemann wird am 13. April erscheinen.

Mellin’s Food war ein spezielles Kleinkinder-Milch-Getreidepräparat, hergestellt in Boston USA, vermutlich ähnlich wie das Nestlé-Kindermehl aus Lausanne.

Nächster Beitrag: 8. März 1917 (erscheint am 8. März 2017)

Quellen: Staatsarchiv St.Gallen, W 054/128.1

Haus zum Hirschen

Samstag, 6. Januar 1917 – Kinderbegräbnis

Tagebucheintrag von Architekt Johann Baptist Thürlemann (1852-1939), Oberbüren:

6. Januar 1917.

wolkig & bedeckt, theils mondhell.

Leichter Schneefall. Gegen Morgen hell & sehr kalt. Der kleine Schnee gefror hart. – Starker Reif bis Mittag.

Morgens stand ich ziemlich frühe auf & machte noch dem Morgenessen Toilette. –

Gegen 3/4 8h begab ich mich in’s Unterdorf – zum Hause des Wagners Friedrich Lengg, um an der Beerdigung seiner 2 kleinen Kinder [teilzunehmen], die am 1. Januar geboren wurden und wegen Lebensschwäche schon nach 2 Tagen wieder starben.

Als Gespan hatte ich den Nachbar[n] J. B. Kempter. – Es war empfindlich kalt. Nach der Beerdigung wurde in der Kirche vom Ortspfarrer, vom Chore aus, das Geburts- & Todesdatum der 2 Mädchen: Pauline Frieda und Hedwig Lydia, sowie die bei diesem Anlasse von deren Eltern gemachten Vermächtnisse verlesen.

Fr. 5 an den hies. Friedhofsverein.

» [Wiederholungszeichen von obiger Zeile für «Fr.»] 5 an die Anstalt für Epileptische

sowie ein Quantum Brod für die Hausarmen.

Hierauf fand eine stille Messe mit Rosenkranz statt. – Hernach Grabbesuch. – Die Zahl der Teilnehmer war nicht gross. – 3/4 9h.

Hernach hatte die Verwandtschaft ein Essen im «Eidgenöss. Kreuz» dahier. (: Es bestand in Fleischsuppe, Kalbsbraten, KartoffelnSchnitzen & Kopfsalat. Dessert: Bisquittorte & schwarzer Kaffee. – Das Essen soll vorzüglich gewesen sein : )

Vormittags besorgte ich die üblichen Samstagsarbeiten: Ordnen & Aufräumen etc. –

Nachmittags von ca. 3/4 2 Uhr bis gegen 1/2 5 Uhr machte ich einen Spaziergang über die Wiesen zum Wald. Von dort auf die Höhe des Bürerwald & auf dem Höhenrücken südlich vom «Buchen» zur Landstrasse nach Niederwil. Von dort auf einem Fusswege in’s Schlosstobel bis hinauf nach Storchegg. Von Storchegg gegen Rätenberg. Dann zurück gegen Städeli & zur Höhe des StorcheggerWaldes am Abhange des Schlosstobels. Hierauf trat ich den Rückweg an, den waldigen Abhang hinunter gegen «Städeli» & «Wieden«. Vom «Wieden» durch den «Schalmenacker» zu den Corporationswiesen, zum «Berg«; «Brandkropf» Unterziel & über die Wiesen nach Hause. –

Nach dem Kaffee besorgte ich einige Arbeiten im Hause & las später die Zeitungen.

Um 9 Uhr begab ich mich zur Ruhe.

Nächster Beitrag: 7. Januar 1917 (erscheint am 7. Januar 2017)

Quellen: Staatsarchiv St.Gallen, Wy 035b (Familie Thürlemann zum Hirschen, Tagebücher von Architekt Johann Baptist Thürlemann, 1852-1939) und ZOA 008/1.052 (Oberbüren, Haus zum Hirschen, Wohnort von Ludwig Thürlemann, Bruder von Johann Baptist, der im Tagebuch oft erwähnt wird)

 

August Andreae-Korff

Dienstag, 2. Januar 1917 – «die Schlechtigkeit der Welt»

August Andreae-Korff (1880-1943) war Textilingenieur und Farmer in Lakemont, Georgia, USA. 1906 hatte er sich mit Minna Korff (1878-?) verheiratet. Am 2. Januar schrieb er an seinen Vater, Alexander Andreae-Stumpf (1846-1926). Als Absendeadresse ist angegeben: 144 South Boulevard, Atlanta, G.a. [Georgia] U.S.A. Der schreibmaschinengeschriebene, orthografisch und interpunktionsmässig fehlerhafte Brief gelangte anschliessend in den Besitz seiner Schwester Maria Wenner-Andreae (1889-1969) in Fratte di Salerno bei Neapel. Bei der im Brief erwähnten «Pima» handelt es sich um Pauline Maria Andreae-Andreae (1873-1953), bei «Rita» um Rita Momm-Andreae (1879-1924), beides Schwestern von August Andreae.

Die weitverzweigte Familie Andreae hat ihren Bürgerort in St.Gallen.

Lieber Papa

Deinen lieben Brief[,] den Du nach Lakemont schick[t]est[,] habe ich ein[i]ge Tage vor Weihnachten erhalten. Es thut [sic] mir sehr leid[,] dass ihr Lieben Euch noch Sorgen um uns machtet. Ihr habt ja der Sorgen so wie so [sic] schon genug, und wenn wir für Missgeschick selbst daran Schuld sind, sollen wir selbst dafür büssen.

Wie ich Euch schrieb bin ich jetzt in Atlanta und habe Anstellung in einer grossen Baumwoll Firma gefunden, deren Angehörige auch in Cannstadt und Ludwigs-Haven, Baumwollspinnereien und Webereien haben. Die Firma hier hat fünf Fabriken in America. Ich bin in der Engineur [sic] und Einkaufsabteilung untergebracht, habe sehr viel zu rechnen und hauptsächlich darauf [zu] sehen[,] dass die Rechnungen, Discontoes [sic] und Quantitäten stimmen. Meine techni[s]che Bildung findet leider noch nicht viel Verwendung und als Anfänger ist mein Gehalt noch bescheiden.

Leider habe ich Minna noch nicht bewegen können[,] ihre Anstellung bei der gleichen Fabrik aufzugeben, d[e]ren Arbeit dort mir übelgenommen wird. Es wird von mir auch verlangt, dass ich mit der Schreibma[s]chine schreibe. Da Deren [sic] Schreibma[s]chinen ein ganz andere Tastenbuchstabierungen als meine hat[,] macht mir die fortwährende Verwechselung viel Schwierigkeiten. Auch muss ich mit Rechenma[s]chinen arbeiten und die Ausgabe der Fabrik und Office Formulare und sonstigen Notwendigkeiten kontrollieren. Siewie [sic] mithelfen am Ausbezahlen und die Angestellten für ihre Ankäufe in der Fabrik zu belasten.

Das Ganze erfordert besonders für einen Neuling sehr viel Aufmerksamkeit und Kopfanstrengung, doch sehe ich[,] dass ich mich ganz gut einarbeiten kann. Dass die armen Kinderchen ganz allein zu Hause gelassen werden, macht mir ziemlich Sorge, zumahl [sic] da sie nachdem sie auf der Farm alle Freiheit genossen haben, ebenso hier auf der Strasse sich einbilden, die gleiche Freiheit aneignen zu dürfen. Auch bieten Ihnen die Schleckereien der Stadt manche Versuchungen und erheilten [sic] sie sich die Süssigkeiten[,] indem sie die Äpfel[,] die ich ihnen von der Farm aus geschickt habe für diese umtauschten. Martha konnte noch nicht in die Schule aufgenommen werden[,] weil sie noch zu jung war, doch kann sie im Februar in die Schule eintreten. Während Ritchen [sic] in die Schule ging[,] musste der armer Wurm ganz allein zu Hause bleiben. Gedeihen tun die Kinder nicht[,] wie auf der Farm.

Wir leben in einer zweizimmerigen Behausung im Arbeiterviertel. Die Arbeiter hier sind alle von einer tiefen Bildungsstufe.

Vor dem Haus ist eine viel mit Outomobil [sic] befahrene Strasse und dahinter ein grosser Friedhof, so dass wir die Grabsteine leicht sehen können. Der Weichkohlenverbrauch hier in der Fabrik und den Häusern lässt einem meisten[s] dreckig aussehen und ist die Luft selten [… unlesbar]. Alles lässt einen den Unterschied mit dem Landleben deutlich fühlen.

An Weihnachten brachte ich die Familie in die Deu[t]sch Lutherische Kirche, woh [sic] am Abend nette Feierlichkeiten aufgeführt wurden, was die Kinder  recht interessierte.

August Andreae-Korff mit Familie in AtlantaAugust und Minna Andreae-Korff mit ihren Töchtern Hertha (geb. 1910) und Rita (geb. 1908) in Atlanta, USA, ca. 1913. Das Beitragsbild ist ein Ausschnitt aus dieser Familienfoto.  Fortsetzung des Briefs an seine Eltern:

Hier ist alles auch recht teuer. Doch glücklicherweise für uns, nicht so teuer wie im bedauerungswerten Europa und besonders in Italien.

Wann wird endlich der Friede kommen[?] Die Schlechtigkeit der Welt lässt sich nicht verleugnen, und anstatt dass die Welt besser geworden ist, ist sie nur brutahler [sic] geworden, roher, blutdürstiger und gehässiger. Zu bedauern sind die Menschen, die in einer solchen Welt geboren werden.

Über den freundlichen Vorschlag von Maria für Minna zu Sorgen [sic] danke ich sehr als wie für Euer liebes Angebot und der der guten Pima. Besser wäre es, wenn die Kinder und Minna überhaupt aus Europa bleiben würden, solange das Elend noch dort anherrscht.

Die Schulen hier sind ganz gut und Ritchen macht schon gut Fortschritte im Englischen. Eine Unterbrechung in ihren Studien wäre auch recht nachteiligh [sic]. In der Fabrik hier arbeiten mehrere[,] die von deutscher Abstammung sind.

Hoffentlich erhalten wir bald gute Nachrichten von Euch. Von Rita hörte ich schon lange nichts mehr und von Pima auch nur durch Euch[.]

Mit dem besten Wunsch[,] dass Neunahr Euch wieder guten Grund zum Frohsein giebt [sic], verbleibe ich [handschriftlich:] mit herzlichen Grüssen

Euer Euch liebender Sohn [handschriftlich] August

Nächster Beitrag: 5. Januar 1917 (erscheint am 5. Januar 2017)

Quellen: Staatsarchiv St.Gallen, W 054/128.1 (Text) und W 054/130.13.62 (August Andreae-Korff und Familie in Atlanta, ca. 1913)