Riklin Bild, Skizze

Freitag, 17. August 1917 – Schweizer Ärztemission für England geplant

Der Psychiater Franz Beda Riklin sollte im Rahmen einer Schweizer Ärztedelegation in England Gefangenenlager besuchen. Im Brief an seine Frau ist beschrieben, wie sich die Pläne für die Organisation dieser Mission konkretisierten:

Küsnacht/Zch, den 17. Aug. 1917.

Liebster Schatz!

Vielen Dank für Deinen lieben Brief. De La Harpe [Armeearzt, mit dem Riklin während seiner Zeit in Château d’Oex zu tun gehabt hatte] hat mir mitgeteilt, dass es sicher noch wenigstens drei Wochen gehe. Ich reise wahrscheinlich mit Genfer Collegen, u. zwar solchen, die schon einmal drüben waren. Man geht so vor, halb alte u. halb neue, weil es so besser gehe wegen der conservativen Engländer.

Der Elektriker war da, hat Herd u. Heizkörper gebracht. Monti[e]rt wird erst in etwa 8 Tagen. Ich habe ihm alles erklärt. Es wird noch ein Draht von unten gezogen.

Gestern war ich bei Maria Moltzer zum Nachtessen u. habe nun extra mir die Bilder einmal angesehen. Man könnte vieles davon schon deutsch sagen!

Sonst nichts Besonderes, als dass ich auf einmal, am letzten Tage, nochmals in die Hodlerausstellung ging; aber es war eine grässliche Populace [sic, Publikum] da u. ich ging bald wieder; ein Einbruch der Masse (nicht des Volkes) auch Frau Sigg war da! Sie ist eine entsetzliche Figur wie immer; ich habe sie am Seil heruntergelassen, aber sie ist eigentlich von einem Hochmut der Dummheit beseelt. «Hodler müsste jedenfalls als Lehrer auch fein sein.»

Das Bild rückt; hier der Stand der Fläche; darf ichs [sic] noch fertig machen? Etwa zwei Tage. [vgl. Beitragsbild, im Original ca. 2,5 mm x 2,5 mm gross, vgl. auch die Abbildung im Beitrag vom 14. August]

Ich lasse die lieben Kinder recht herzlich grüssen, besonders auch Franzli. Wir haben also schon noch Zeit, uns etwas zu sehen.

Hier gibt›  [sic] viel Früchte zum Einmachen u. Bohnen zu trocknen: Pfirsiche, Pflaumen, Birnen, Mirabellen; die Zwetschgen fangen auch an.

Ich weiss jetzt mit äusserster Wahrscheinlichkeit, wer der Pfirsichdieb u. ebenso bestimmt der Küngeldieb [Kaninchendieb] war. Natürlich habe ichs [sic] von Kaul: Nämlich der Taglöhner des Gärtners. Er ist ein rückfälliger Dieb, u. ist auch Metzger! Den Kindern lieber nicht sagen. Dem Polizisten werde ich jedenfalls meine Mutmassung mitteilen.

Adieu für heute, u. auf baldiges Wiedersehen. Ich muss weitermalen.

Allerherzlichste Grüsse u. Küsse. Gruss an Tante Ida.

Dein treuer

Franz.

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Quelle: Staatsarchiv St.Gallen, W 106 (Korrespondenz Franz Beda Riklin an seine Ehefrau)

Riklin-Bild, Skizze

Dienstag, 14. August 1917 – Der Psychiater pflückt Obst, dörrt Bohnen und kocht Konfitüre

Der Psychiater Franz Beda Riklin, aus dessen Ehekorrespondenz 2017 schon etliche Beispiele publiziert wurden (vgl. Beiträge ab dem 11. April) weilte nach langer Militärdienstzeit wieder zu Hause in Küsnacht. Er ordnete sein Berufs- und Privatleben und nahm wieder Patientinnen und Patienten auf. Seine Familie war im Toggenburg in den Ferien. An sie schrieb er:

Küsnacht, den 14. August 1917.

Liebste Frau!

Es war mir am Sonntag komisch zu Mute, ganz allein hier zu sein. Jetzt bin ich schon etwas eingewöhnt und benütze die Zeit[,] um viel Arbeit zu erledigen: Viel liegende Correspondenz u kleine u. grössere Angelegenheiten, Geldgeschichten u.s.f., um reinen Tisch zu bekommen. Eigentlich ists [sic] angenehm, wieder gründlich aufzuräumen. Uniform ist bestellt. Baumann Morgen do. Rähmchen für kl. Bildchen Looser. Visitkarten. Lang hat 100 frs. bezahlt. Wasserzins erledigt. 20 gr. Rexeinmachgläser bestellt. Torfgeschichte morgen persönlich. Carl [vermutlich Carl Gustav Jung] wegen Frl. Walch [ev. Patientin?] geschrieben. Fortwährend Obstpflücken: Pfirsiche, Pflaumen, Zwetschgen, Marillen [Aprikosen], Aepfel. Es reift alles heran. Bohnen werden gedörrt und Holundergelée ist fertig, die erste Rata.

Lang [ev. Josef Bernhard Lang, Dr. med., Psychoanalytiker, geb. 1881] hat mir auch einen netten Brief geschrieben. Er möchte Freundschaft und ich habe ihm per Du geantwortet. Er hat mir die «Nachtwachen des Bonaventura» geschenkt; es ist romantisch – interessant, ähnlich E. Th. Hoffmann, u. ist aus der Romantikzeit.

Es kommen etwas Patienten: Looser, Frau Fridori (will sich während der übrigen Ferien die Annehmlichkeit leisten. Sie verliert das eigentlich Schöpferische im Kunstgewerbe noch, wenn sie nicht zu mir kommt.[)]

Sonst sehe ich niemand. Ich brauche auch die Zeit nötig, samt den Abenden.

Das Bild geht mehr zusammen u. wird dadurch weich u. schön. [vgl. Skizze im Beitragsbild, das Original im Brief misst rund 20 mm x 25 mm]

Es ist nur soviel weiss, als ich hier schwarz bezeichnet habe, eher weniger; noch 3 leere Flecken.

Man meint, in diesen Tagen sollte es fertig sein; aber wir wollen noch etwas zugeben, auch wegen des Auges. Übermorgen ist 1 Monat seit Beginn. 

Das Modejournal u. weitere Zeitungen kommen mit gleicher Post.

Vom Armeearzt noch nichts Neues. Dafür habe ich wegen Paul einen energischen Militärbrief schreiben müssen, weil noch keine Antwort auf das Zeugnis da ist u. er nächsten Montag einrücken sollte u. den Dienst verweigert. Ich habe vom Divisionsarzt Antwort bis Ende Woche gewünscht; sonst gelange ich telegraphisch nach Bern.

Wenn immer möglich komme ich über Sonntag, od. sonst für einen Restteil der nächsten Woche.

Philosophisches will ich nichts schreiben. Lang musste sich von mir trennen wegen noch starker Bindung, u. weil er das individuelle Schaffen auf seinem wirklichen Wege finden muss u. nicht in Anlehnung an mich den gleichen Gott verehren, sondern ihn erschaffen. Ich konstati[e]re x) [Einschub am Rand: x) aus 1. Brief u. Material] mit Belustigung, dass wahrscheinlich Maria Moltzer die Kunst doch noch nicht ganz als endgültig annehmen kann. Das zeigt mir, dass ich auf dem wirklich selbständigen Wege des Schaffens bin.

Auf d. Postcheckkonto sind noch 577 frs. greifbar. Morgen verteile ich.

Was machen wohl meine lieben Kinder, u. mein ältester Sohn? Ich muss sie wirklich wieder einmal sehen. Dies Jahr lebe ich bereits 14 Wochen ohne sie.

Wie hast Du es droben wohl angetroffen und was leben all die kleinen Leute? Sag[‹,] wenn Ihr Obst braucht. Es gibt jetzt fortwährend.

Looser muss ich auch in den Beschwerden seiner Dissertation helfen.

Eigentlich möchte ich am liebsten weitermalen u. bedaure in einer Beziehung den kommenden Unterbruch. Es melden sich allerlei Probleme, nicht bestimmte Bilder, sondern mehr über Bildgestaltung; aber noch nichts Fertiges. Ich habe ein Gefühl von fester drin sein [sic] u. fester Hineinkommens, wenn ich auf die frühern zurückblicke.

Ich möchte Dich gerne noch etwas haben, bevor ich fortgehe; es war schön[,] die letzten Wochen; überanstrenge Dich ja nicht u. pflege Dich wirklich; das andere ist teils unsichere Hatz, u. Du musst Dir sehr Sorge tragen. hoffentlich hast Du eine angenehme Zeit oben.

Gestern wollte scheints [sic] eine Dame zu Dir, weigerte Clara [Hausangestellte] die Namensangabe, da Sie [sic] Dich brauche. Das klingt fast nach Frau Rudolf am Telephon, oder?

Viele herzliche Grüsse u. Küsse an Dich u. die gesamten Kinderlein von Deinem treuen

Franz.

Hinweis: Franz Beda Riklin war später im Jahr (September und Oktober) als Mitglied der Commission militaire médicale Suisse in England und besuchte Kriegsgefangenenlager.

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Quelle: Staatsarchiv St.Gallen, W 106 (Korrespondenz Franz Beda Riklin an seine Ehefrau)

Kloster Glattburg

Montag, 7. Mai 1917 – Thürlemann fotografiert, grosse Wäsche und eine Hochzeit

Beitragsbild: Fotografie des Klosters Glattburg von Osten, die Architekt Johann Baptist Thürlemann (1852-1939) am 7. Mai 1917 aufgenommen hatte. Die Beschreibung erfolgt in seinem Tagebucheintrag:

Montag den 7. Mai [1917]

dunkler, stark bewölkter & sehr kühler Tag. – Die Wolken hiengen [sic] tief & schwer am Himmel. – Sehr herbstlich. – Den ganzen Tag scharfer, frischer Ostwind. Abend & Nacht dunkel. Gegen Morgen Regen. –

Vormittags von 840 bis 940 war ich beim Arzt in Niederutzwyl. Er erklärte, mein Uebel bessere & ich brauche nur mehr alle andern Tage zur Heissluftkur zu kommen. – Ich finde noch keine merkliche Besserung. –

Caroline hatte heute eine Wäsche & war von Morgen früh bis abends spät damit beschäftigt.

Nachmittags von ¾ 1 Uhr bis gegen 4 Uhr war ich mit meinem photographischen Apparat in Ebersoll [sic] & Glattburg, um 2 Aufnahmen vom Kloster Glattburg zu machen.

Die 1ste Aufnahme bewerkstelligte ich von der Westseite des Klosters, wo ich den Apparat am Tobelrande an der Strasse aufgestellt hatte. Die Bäume & Sträucher hinderten eine deutliche Wiedergabe der Gebäulichkeiten.

Um ¾ 2 Uhr photographierte ich die Westansicht. 13 x 18 cm. Blende 8 mm Belichtungszeit: 4 Sekunden.

Ich begegnete hiebei mehreren Klosterfrauen, die auf den Wiesen arbeiteten.

Nach der Aufnahme kehrte ich auf die Ostseite des Klosters zurück & umgieng [sic] die Ringmauer auf der Südseite, wo ich noch einige Vermessungen vornahm.

Von da verfügte ich mich (2 ¼ h) auf den Fussweg nach Ebersoll, bis nahezu auf die Höhe.

Dort stellte ich meinen Apparat nochmals auf & photographierte um ½ 3 Uhr nachm. die Ostseite des Klosters, bei einfacher Linse (: indem ich die hintere Linse herausgenommen hatte, behufs Erzielung eines grösseren Bildes : )

Belichtungszeit 4 Sekunden, Blende 8 mm. – Einpacken des Apparates & Rückkehr nach Ebersoll. Von dort den Fussweg hinunter zur Thurbrücke, Sonnenburg, & über die Wiesen nach Hause zurück, wo ich gegen 4 Uhr abends anlangte.

Im «Hirschen» fand nachmittags Gemeinderathssitzung [sic] statt, wobei die Käufe [sic] von August Scheiwiller, der am 28. April a.c. das Anwesen zur «Sonnnenburg» (Ziegelhütte) von J. Schaffhauser gekauft hatte (60000 Franken, mit 13 Stück Vie; sämtlichen Geräthschaften, 2 Häusern u.s.w.) – und derjenige von Emil Fürer im Buchen, der die Liegenschaft mit neuem Wohnhause an der Landstrasse um 57000 Frs. (leer & ohne irgend welche Zugabe) käuflich erworben hatte – ratifiziert wurden.

Neffe Ludwig betheiligte [sic] sich heute als Kutscher bei der Hochzeit seines Vetters S. Fräfel von Henau, mit Louise Sutter von Niederutzwyl. Die 5 Kutschen fuhren vormittags 10 Uhr hier vorbei nach Romanshorn und kehrten abends 9 ¼ Uhr wieder von dort zurück. – Im «Hirschen» wurde kurzer Halt gemacht, gesungen & musiziert. Um ½ 10 Rückfahrt nach Henau.

Unter den Hochzeitsgästen war auch Pfarrer Högger von Bütschwil, ein Verwandter des Bräutigams.

Ich las abends die Zeitungen, die wenig Neuigkeiten enthielten.

Von 6 bis 7 ¼ h abends besuchte mich mein Bruder Ludwig. –

Ich begab mich gegen 10 Uhr zu Bette.

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Quellen: Staatsarchiv St.Gallen, Wy 035b (Familie Thürlemann zum Hirschen, Tagebücher von Architekt Johann Baptist Thürlemann, 1852-1939) und ZOA 008/1.038 (Fotografie von Johann Baptist Thürlemann, aufgenommen am 07.05.1917)

Fruehling, ca. 1918-1920

Mittwoch, 2. Mai 1917 – Lange-weile und Durchgreifen im Dienst

Franz Beda Riklin, im Militär im Rang eines Sanitätsoberstleutnants, hatte endlich die Hälfte seines Dienstes als Leiter eines Interniertenlagers im Waadtland hinter sich. Wie er in seinen Briefen vom 4. und vom 7. Mai schrieb, führte er straffes Regiment und wurde von den Instanzen, die in Betracht kommen, geschätzt: […] ich habe in einen ziemlichen Wirrwar [sic] von Intriguen [sic] u. Unfertigkeiten mit kräftiger Soldatenhand Ordnung gebracht. Trotzdem fühlte er sich nicht wohl: Ich weiss, dass man mir dankbar ist, und einen Respekt vor mir hat, oben und unten. Aber auch das nützt mich wenig u. kann nicht viel Befriedigung geben.

An seine Ehefrau schrieb er am 2. Mai:

Château d’Oex, den 2. Mai 1917.

Allerliebste Frau!

Jetzt hast Du einen Teil des Mädchenwechsels [Dienstbotenwechsel] hinter Dir; hoffentlich bist Du bald wieder anständig versehen. Bleibt Frl. Kärcher [?]?

Est [sic] ist mir beim besten Willen z. Z. nicht mehr möglich zu sagen, dass es hier interessant sei. Dazu ist zuviel Bureaudienst, u. das Einerlei einer Anstalt sozusagen. Es ist zwar Frühling; aber in der Nähe von Montreux, wo ich kürzlich war, ist die Natur viel weiter u. reicher. Hier ist verbessertes Unterwasser [wo die Familie die Ferien zuzubringen pflegte, vgl. die Beiträge vom 20. und 26. Juli 1916]. Das Hôtel ist sozusagen ausgestorben; was konnte, zog in’s Tiefland. Wenn ich Zeit genug für mich hätte, wollte ich mich wenigstens mit mir allein beschäftigen; aber es will doch täglich ziemlich viel erledigt sein. Und eigentlich geht einem die ganze Sache so herzlich wenig an! Dazu sind alle zu wenig Menschen. So sehne ich mich selbstverständlich ausserordentlich nach hause [sic]. Ich will übrigens ganz bestimmt auf den 15. ds. zu Besuch kommen; nur wird es nicht sehr lange sein; aber es ist dann doch jenseits der Hälfte.

Übrigens wundert mich sehr, ob alle drei eingeschickten Bilder angenommen sind. Weisst Du etwas darüber? Deine Sachen sind ja selbstverständlich alle angenommen worden.

Ich suche mich mit meinen Träumen abzugeben; denn es ist etwas im Tun. Aber dieser Dienst verträgt sich unendlich schlecht mit der Kunst, u. tötet mich halb, wenigstens geistig.

Ich plange [schweizerdeutsch für sich sehnen] also ausserordentlich aufs Wiedersehen. Wie gehts [sic] Mutter?

Allerherzlichste Grüsse von Deinem

Franz.

Auch Riklins Ehefrau, Sophia Riklin-Fiechter war künstlerisch tätig. Auf welchen Wettbewerb Riklin im Brief anspielte, lässt sich nicht nachvollziehen, im Bestand im Staatsarchiv St.Gallen gibt es keinerlei Spuren. Auch die bisherigen Publikationen über Franz Beda Riklin erwähnten ihre künstlerische Tätigkeit nicht, obwohl sie offenbar Erfolg damit hatte. In der Zeitschrift Heimatschutz beispielsweise ist notiert, dass sie bei einem Wettbewerb einen Preis erhielt. (Vgl. Mitteilungen über den Wettbewerb der Verkaufsgenossenschaft SHS zur Gewinnung von künstlerischen Reiseandenken, in: Heimatschutz, Jg. 15, 1920, Heft 2, S. 43, publiziert unter: http://www.e-periodica.ch/cntmng?var=true&pid=hei-001:1920:15::61)

Im Brief vom 10. Mai steht, dass Riklin vom 13. bis zum 16. Mai endlich den langersehnten Urlaub erhielt, um nach Hause zu fahren: Nachher muss ich dann intensiv auf meine Entlassung arbeiten; man möchte mich am liebsten gar nicht weg lassen; ich entdecke, dass ich eine Erlösung bedeutet habe; allerdings habe ich ganz furchtbar eingreifen müssen und mit eiserner Hand Intriguennester [sic] ausräuchern. Der Rauch ging bis in die Gegend des englischen Hofs. Und dann muss ich, Schweizer Soldat, zeigen[,] was militärisch heisst. Du kannst Dir kaum vorstellen, mit was für Mentalitäten man zu tun u. zu rechnen hat. Merkwürdig, dass ich dabei noch als ausserordentlich anständiger Mensch gelte. Ein schweizerischer Militärdienst ist in dieser Hinsicht ein Kinderspiel. Aber ich kann hier wenigstens mit der geistigen Überlegenheit wirtschaften, was nicht allzuschwer ist!

Nächster Beitrag: 4. Mai 1917 (erscheint am 4. Mai 2017)

Quellen: Staatsarchiv St.Gallen, W 106 (Korrespondenz Franz Beda Riklin mit seiner Ehefrau) und ZOF 002/08.46 (Bildersammlung Psychiatrische Klinik St.Pirminsberg, ca. 1918-1920)

Maigloeckchen

Montag, 30. April 1917 – Allerliebste Frau und allerherzlichste Grüsse

Château d’Oex, 30. April 1917.

Allerliebste Frau!

Herzlichen Dank für die Wäsche, u. für Deinen letzten Bericht. Bald ist die Hälfte meines Dienstes um, u. die zweite wird schneller gehen. Inzwischen sehen wir uns ja. Gestern stieg ich bis in die Nähe von Montreux hinunter, wo die Vegetation viel weiter ist. Hier hingegen sah ich eben vom Bureau aus eine schöne Lawine herunterfahren. Sonst haben wir jetzt schönes Wetter; aber alles ist hier eben sehr zurück.

Eigentlich verträgt sich so ein Dienst doch recht schlecht mit dem Künstlerischen. Es ist zusehr [sic] eine Rückkehr zum Alten statt ein Vorwärtsgehen. Sonst geht es mit gut; natürlich ist es eigentlich langweilig. Aber wenn ich sehe, was für seelisches Unheil, eine Art Verblödung, die lange Gefangenschaft bei den Offizieren u. Soldaten bewirkt hat, bin ich mit meinem Schicksal hier noch sehr zufrieden.

Wenn ich nur wüsste, womit am 1. Juni den Zins bei der Kantonalbank zahlen!

Hoffentlich kommst Du alllmälig [sic] mit dem Mägdewechsel zurecht. Ich bin froh, wenn das vorüber ist u. man reinen Tisch hat.

Allerherzlichste Grüsse, auch an die Kindlein, von denen ich gerne wieder weiteres [sic] höre.

Dein treuer

Franz

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Quellen: Staatsarchiv St.Gallen, W 106 (Korrespondenz Franz Beda Riklin an seine Ehefrau) und ZOA 001/3.13 (Beitragsbild, ca. 1898)

Unterschrift Riklin

Freitag, 27. April 1917 – Das Wetter und die Moral

Der Psychiater Franz Beda Riklin leitete ein Interniertenlager in Château d’Oex. Nach einer längeren, ihn eher belastenden Phase schickte er erstmals positivere Meldungen nach Hause:

Château d’Oex, 27. April 1917.

Liebster Schatz!

Herzlichen Dank für Deine Mitteilungen. Es tut mir sehr leid, dass Du zuhause nun einen widrigen Betrieb u. so viel Arbeit hast. Gib acht, dass Du nicht wieder zuviel machst, u. vor dem Staub musst Du besonders aufpassen. Geh auch einmal zu Frl. Dr. Kuhn zur Kontrolle!

Sonst bin ich froh über Deinen Bericht. Ich lasse die Kindlein herzliche grüssen. Hier ist seit 3 Tagen gutes Wetter eingezogen, was den Aufenthalt angenehmer macht. Ich mache allerhand interessante Beobachtungen; ich schreibe Dir einmal darüber. Ich habe doch ziemlich zu tun; aber es scheint mir, mit dem Herz gehe es besser, u. mit dem allgemeinen körperlichen Befinden. Ich habe mehr Frische und Beweglichkeit gewonnen. Mutter lasse ich vielmal grüssen. Sie soll nicht Angst haben; eine event. Operation lässt sich gut ohne Narkose machen. Wohin geht sie?

Hoffentlich habt Ihr bald wärmer. Also recht herzliche Grüsse u. vielen Dank von Deinem treuen

Franz.

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Quellen: Staatsarchiv St.Gallen, W 106 (Briefe an seine Ehefrau; Text)

Verkuendigung von Franz Beda Riklin

Dienstag, 24. April 1917 – Lawinengefahr und saubere Wäsche

Franz Beda Riklin sorgte sich um seine Ehefrau, die aus dem Tessin nach Zürich zurückreiste, und bestellte saubere Wäsche. Der Dienst ödete ihn an, er litt unter zu wenig geistiger Auseinandersetzung und Anregung:

Château d’Oex, 24. April 1917.

Liebste Frau!

Danke vielmal für Deine Briefe. Ich hofe, diese Zeilen teffen Dich gesund u. munter zuhause [sic] an. Ich habe etwas Angst wegen der Lawinengefahr auf der Reise. Ich lasse auch den Kindern recht herzlich für die Geburtstagswünsche danken. [Riklin hatte am 22. April Geburtstag gehabt.] Ich schicke heute die schmutzige Wäsche u. bin froh, recht bald saubere zu bekommen: Unterleibchen, 1 Nachthemd, Unterhosen, Manschetten u. Nastücher sind nötig.

Ich habe Mühe, mich geistig aufrecht zu erhalten. Das ganze Gschiss [sic], Pla[c]kereien u. Intrigen geben mehr Arbeit als die Sache wert ist. Verzeih[‹] mir drum [sic], wenn ich nicht immer geistreich bin. Das Wetter ist etwas besser, aber kalt ist es immer noch; es wird Zeit brauchen, bis es hier Frühling ist. Ich vermisse Dich auch sehr. Aber zur Eröffnung am 15. Mai werde ich kommen.

Maria Moltzer schreibt mir, dass sie das Bild bezahlt hat. Wo? Auf dem Postcheckkonto od. Kreditanstalt?

Ich schreibe Dir gleich wieder, wenn ich etwas mehr bei der Sache bin.

Tausend herzliche Grüsse von Deinem treuen

Franz

Offenbar hatte die Psychiaterin und Kollegin von Franz Beda Riklin, Maria Moltzer, das Bild «Verkündigung» von Franz Beda Riklin mit dem Titel «Verkündigung» gekauft (vgl. dazu Beitrag vom 11. April 1917). Eine Reproduktion des Gemäldes (vgl. Beitragsbild) findet sich unter: http://www.e-periodica.ch/digbib/view?var=true&pid=smh-002:2001:81::829#360. Zu Maria Moltzer vgl. http://www.psychoanalytikerinnen.de/niederlande_biografien.html#Moltzer

Zum Thema grosse Wäsche vgl. den Beitrag vom 2. April.

Nächster Beitrag: 27. April 1917 (erscheint am 27.  April 2017)

Quellen: Staatsarchiv St.Gallen, W 106 (Briefe an seine Ehefrau; Text), Beitragsbild: s. oben

Grand Hote. Briefkopf, Ausschnitt

Montag, 23. April 1917 – Erst ein Viertel der Dienstzeit um

Der Frühling liess in Château d’Oex noch immer auf sich warten, so schneefrei wie im Beitragsbild (Park des Grandhotel) war es noch lange nicht. Franz Beda Riklin schrieb an seine Ehefrau:

Château d’Oex, 23. April 1917.

Liebste Frau!

Ich weiss nicht, ob Dich dieser Brief noch in Orselina antrifft. Ich hatte heute den ganzen Tag viel Arbeit. Wetter kalt. Es ist hier noch immer Winter, u. windig. Nun ist doch bereits ein Viertel der Dienstzeit u. es ist natürlich mässig; ich mache meine Sache. Geistreich ist es nicht, und der eigene Geist kann nicht recht leben. Es fehlt natürlich auch an Menschen. Deine Blumen machen mir viel Freude; einige sind jetzt auch in meinem Bureau.

Vielleicht male ich ein bis[s]chen davon, denn die Farben sind anregend, besonders hier im Schnee. Aber es ist überall zu kalt zum Malen; Draussen, im Zimmer, im Bureau. Und alles stimmt nicht zum Geist der Kunst, besonders nicht das englische – u. Soldatenmilieu.

Ich schreibe Dir das nächstemal nach hause [sic]. Pass nur auf, dass auf der Gotthardroute keine Lawine kommt!

Mit tausend Grüssen und Küssen Dein treuer

Franz.

Nächster Beitrag: 24. April 1917 (erscheint am 24.  April 2017)

Quellen: Staatsarchiv St.Gallen, W 106 (Briefe an seine Ehefrau; Text und Beitragsbild aus Briefkopf des Grandhotels)

Fritz und Maria Wenner

Samstag, 21. April 1917 – Ehekorrespondenz

Fritz Wenner-Andreae antwortet seiner schwangeren Ehefrau auf ihren Brief vom Vortag (s. Beitrag vom 20. April):

Fratte di Salerno, 21. April 1917.

Liebes Frauchen,

Heute sende ich Dir also, wie abgemacht, die Wäsche der Kleinen durch unsern Corriere und gleichzeitig diesen kurzen Samstagsgruss für Dich und die l. Bübchen. Ich werde viel an Euch denken, obschon mir die Zeit nicht lange werden wird, denn ich habe genug Stoff, um mich zu beschäftigten. Wenn nichts dazwischen kommt, so hoffe ich[,] am Mittwoch morgen nach Neapel zu reisen und wenn Du einverstanden bist, so siedeln wir am Donnerstag um 12 Uhr hierher über. Hoffentlich geht es bis dann Mama besser! Hier ist das Wetter seit gestern wieder sehr schön[,] aber recht frisch. – Hat der Maler die Bilder wohl gebracht? Man könnte sie vielleicht vorläufig in die Via Medina bringen und kann ich sie dann von dort gelegentlich einpacken u. hierher spedieren lassen, denn am Mittwoch werde ich keine Zeit dazu haben u. im Hôtel sind uns die Dinger dann im Weg. Meinst Du nicht?

Wegen der Bezahlung kann ich dann ein anderes mal [sic] mit dem Maler verhandeln. –

Hier im Haus ist, wie mir scheint, alles in Ordnung u. für Euern Empfang bereit. Die beiden Kisten Mellin’s Food sind angekommen u. in der Küche untergebracht.

Und nun sage ich Dir auf Wiedersehen, liebe Maria, am Mittwoch und sende Dir u. den beiden Kleinen einen festen Kuss. Bitte sage der l. Mama[,]  ich lasse ihr herzlich gute Besserung wünschen u. der Adèle u. dem Alex eine gute Reise. – Es grüsst Dich u. umarmt Dich von ganzem Herzen Dein Dich innig liebender Maritino

Fritz.

Mellin’s Food war ein spezielles Kleinkinder-Milch-Getreidepräparat, hergestellt in Boston USA, vermutlich ähnlich wie das Nestlé-Kindermehl aus Lausanne.

Nächster Beitrag: 23. April 1917 (erscheint am 23. April 2017)

Quelle: Staatsarchiv St.Gallen, W 054/128.1 (Text) und W 054/129.1.1 (Fritz und Maria Wenner-Andreae 1913 auf ihrer Hochzeitsreise in England)

Gaertnerhaus der Villa Wenner

Freitag, 20. April 1917 – Ehekorrespondenz: Der Gärtner soll Lauch pflanzen

Maria Wenner-Andreae schreibt an ihren Mann Fritz. Sie weilt zusammen mit ihren beiden Söhnen immer noch im Parker’s Hotel am Corso Vittorio Emanuele in Neapel.

Neapel, den 20-4-1917.

Mein lieber armer Strohwitwer!

Damit Du am Sonntag doch etwas v. Deiner kl. Frau habest, sende ich Dir diese Zeilen. Unsere Putzel [Kinder] sind munter u. wohl u. Deine Frau hat 9 Stunden geschlafen. Che pigrona!

Es scheint mir[,] ich habe Dich seit einer Woche nicht mehr gesehen, stattdessen ist es ja seit gestern. Ich habe dann doch noch Adèle u. Alex überredet[,] mit mir zu essen. Es war sehr nett[,] dass sie kamen u. es schmeckte ihnen sehr gut. Ich hatte noch Marrons glacés gekauft, die auch nicht verschmäht wurden. Sie blieben bis nach 9 Uhr u. gingen Heim [sic], da Adèle den ganzen Tag unterwegs gewesen war.

Eben telephonierte ich mit Silvia. Mama hatte gestern abend über 39 Grad u. heute morgen hat sie über 38 Grad [Fieber]. De Nobili sagt aber: non è allarmante! Im Gegenteil[,] die Schmerzen sind seit dem Fieber besser geworden. Hoffen wir von Herzen[,] es sei bald überwunden! Diesen Nachmittag will ich sie besuchen. Vorher kommt aber Silvia her, da Mama wünscht, dass sie u. ich einen Augenblick Schivens [?] besuchen, der alte Herr soll nicht gut dran sein.

Bitte grüsse mir alle Schlaepfers, besonders Tante Elise. Sage ihr, wenn ich ihr etwas besorgen u. mitbringen könnte, täte ich es gerne. Grüsse mir die Bienchen, ich denke mir[,] Du stattest ihnen ein  Besüchlein ab. Lass Dich nicht stechen! – – Wenn morgen der Maler kommt, dann, bitte ich ihn[,] sich am Mittwoch zu presentieren [sic], denn ich kann nicht mit ihm verhandeln.

Mille baci al Papà caro da Gianni e Dimy. Grüsse mir die Leute. Sage Pietro[,] er soll ein bis[s]chen Porro [Lauch] pflanzen u. ein schönes Feld für Fagioli [Bohnen] preparieren den Samen hätte ich.

Von ganzem, ganzem Herzen umarmt u. küsst Dich Deine Dich sehr lieb habende

Maria.

Quelle: Staatsarchiv St.Gallen, W 054/128.1 (Text) und W 054/73.8 (Bild, Gärtnerhaus der Villa Wenner in Fratte di Salerno, ca. 1885)