Max von Orelli

Dienstag, 13. August 1918 – Ent-lassung aus dem italienischen Staatsgefängnis

Aus Neapel schrieb Fritz Wenner-Andrea an seine Ehefrau:

Liebe Maria,

Danke für Deine l. Zeilen, denen ich mit Freuden entnehme, dass es Euch im allgemeinen besser geht. Hier erleben wir einen Festtag. Orelli ist gestern abend in perfetto orario [?] und wohl und zufrieden angelangt. –

Ich gleibe heute u. morgen noch hier. Bitte sage es dem Gennaro [Angestellter], dass er mich erst morgen abholen soll. –

Heute abend essen wir bei Orellis. –

Ich habe sehr viel zu tun und schliesse mit tausend Grüssen an Alle

Dein Fritz

Hintergrund dieser Zeilen war die Freilassung von Max von Orelli (1874-1947) aus dem italienischen Staatsgefängnis. Er war Geschäftsführer der deutschstämmigen Firma Aselmeyer & Co. in Neapel in Neapel gewesen. Diese hatte im März 1916 mit den Textilfirmen der St.Galler Familien Schlaepfer, Wenner & Co. zu einer neuen Firma Corisal (Cotonifici riuniti di Salerno) fusioniert. Trotz Befolgung der hohen Auflagen der italienischen Behörden eröffneten letztere ein Untersuchungsverfahren gegen Orelli als Delegierten des Verwaltungsrates der Corisal und verhafteten ihn am 8. Mai 1918 auf offener Strasse vor der schweizerischen Gesandtschaft in Rom. Ein Militärrichter sprach ihn schliesslich wegen mangelnden Straftatbestandes («per inesistenza di reato») von der Anklage auf Hochverrat, worauf die Todesstrafe durch Erschiessen gestanden hätte, frei. In einem Privatdruck schilderte Orelli ein paar Jahre später seine Erlebnisse als privilegierter Häftling, aus denen hier auszugsweise zitiert wird:

In dem am Tiber, unterhalb des Giannicolo gelegenen Gefängnisses «Regina Coeli» angelangt, musste ich mich zuerst bis aufs Hemd ausziehen und mir eine genaue Durchsuchung gefallen lassen, die feststellen sollte, ob ich nichts bei mir trage, womit ich mein Leben oder das meiner Wärter gefährden oder abkürzen könnte. Wenige Tage vorher hatte sich ein berühmter Gefangener erhängt. Deshalb war die Untersuchung vorübergehend besonders streng. Die Schnüre aus meinen Schuhen wurden herausgezogen, alles was einem Band oder Schnalle an meiner Bekleidung ähnlich sah, entfernt. Hosenträger, Uhr, Kette, Messer, Bleistift, Papier, Brieftasche, Kravatte, alles wurde mir abgenommen und in einem Paket versiegelt. Sodann wurde ich in ein enormes Fremdenbuch eingetragen, wo ich auch die Namen meiner sämtlichen Vorfahren (mögen sie es mir verzeihen) anzugeben hatte, dann endlich wurde ich von meinerm Wärte durch lange, hallende Korridore nach dem dritten Flügel des Gebäudes geführt, wo ich in einer kleinen Zelle für «Passanten» eingeschlossen wurde. Das GEräusch des hinter mich sich drehenden Schlüssels im Schlosse brachte es mir zum erstenmal zum richtigen Bewusstsein, wo ich mich befand. Trotz dieses wenig angenehmen Gefühls nahm ich mir aber fest vor, mich durch alle diese Nebenerscheinungen und bevorstehenden Unannehmlichkeiten nicht einschüchtern zu lassen.

Es war völlig Nacht geworden. Ich entkleidete mich halb und legte mich auf die Pritsche, wo ich sofort fest einschlief. Ich musste einige Stunden geschlafen haben, als ich plötzlich durch ein blendendes Licht aufgeschreckt wurde. Ich brauchte einige Sekunden, um mich zu orientieren und um einen Gefängnisoffizier zu erkennen, der mich mit drohendem Blick anfuhr, ob ich denn icht wisse, wo ich meine Schuhe hinzustellen habe. Auf meine Versicherung, ich sei mit den Gebräuchen des Hauses nicht vertraut, fragte er, ob es denn das erste Mal sei, dass ich mich hier befände; und auf meine Bejahung schüttelte er ungläubig den Kopf. Es stellte sich heraus, dass er ei seiner nächtlichen Runde über meine Schuhe gestolpert war, die ich aus alter Gewohnheit wenigstens an die Türe gestellt hatte.

Am nächsten Morgen wurde mir ein ständiges Gemach angewiesen im ersten Stock des dritten Flügels Nr. 301.

Gegen Entrichtung von 70 Centesimi per Tag hatte man den Vorzug gegenüber den Verurteilten, dass die Zelle morgens und abends von Sträflingen gereinigt wurde. Im übrigen unterschied sie sich von denjenigen der Verbrecher nur darin, dass noch ein Tisch und ein Stuhl, sowie ein Nachttopf statt des sonst üblichen Gefässes (Calabrese), welches alle Zellen schmückt, hineingestellt wurden. Der Raum ist ungefähr 5 m lang und 2 1/2 m breit. Hoch oben befand sich ein vergittertes Fenster, durch welches ich einen bescheidenen Blick nach dem Himmel richten konnte. Die Bettstelle ist ein an der Wand befestigtes, aufklappbares starkes Eisengeflecht. Dieses wurde samt dem übrigen Mobiliar zur Feier meines Einzuges mit einer starken Stichflamme abgefahren, um das in den Verstecken hausende Ungeziefer möglichst zu vertilgen. Das Bettzeug bestand aus einer dünnen Strohmatratze und Kissen, zwei Leintüchern und einer Wolldecke. Auch erhielt ich zwei Handtücher, die öfters gewechselt wurden. Alle der Verwaltung gehörenden Stoffe waren von mehr oder weniger breiten, kaffeebraunen Streifen durchzogen, genau wie die Anzüge der Sträflinge.

Meine Freunde hatten dafür gesorgt, dass mir das Essen aus einer nahe gelegenen Trattoria täglich geschickt wurde. Auch eine Vergünstigung, die den noch nicht Abgeurteilten auf eigene Kosten gewährt wird. Da es aber nur einmal im Tage gebracht werden darf, und an der Türe einer genauen Untersuchung unterzogen wird, war es, bis es zu mir gelangte, immer kalt, was aber in dieser Jahreszeit nicht viel auf sich hatte. Nach und nach konnte ich einige Anschaffungen machen. Vorerst Löffel und Gabel aus Holz, da der vom Staat gelieferte Holzlöffel, den ich mir bei meinem Austritt in dankbarer Erinnerung angeeignet habe, in seiner rohen Schnitzarbeit seinem Zweck wenig entsprach. Sodann liess ich mir Handtücher und Hemden kaufen, denn die mir von zu Hause geschickten Bekleidungsstücke kamen erst mit grosser Verspätung an. Zeitungen durften keine gelesen werden, mit Ausnahme unpolitischer, illustrierter Blätter. Dagegen stand eine grosse Bibliothek zur Verfügung, und es durften auch broschierte Bücher von auswärts bezogen werden, nachdem sie die Zensur passiert hatten. Dieser waren selbstverständlich auch alle ein- und ausgehenden Briefe unterworfen. Und es dauerte volle drei Wochen, bis ich die ersten Nachrichten von meiner Familie erhielt. Alle Auslagen wurden in einer Art zinslosem Sparheft abgerechnet, in welchem das mir beim Eintritt abgenommene Geld als Kapital eingetragen war. Man verfügte also über keine Barmittel, konnte aber im Hause kleine Anschaffungen, wie Kerzen für Beleuchtung, Zigarren, Streichhölzer, Seife, usw. machen. Bei dieser Gelegenheit lernte ich die Zitrone als äusserst nützliche Frucht kennen, nicht nur zur Bereitung von Limonaden, sondern auch für Zahnpflege und Desinfektion. Denn nichts für diesen Zweck dienendes durfte ohne ärztliche Erlaubnis in die Zelle eingeführt werden.

Eine starke Hautschürfung zog ich mir zu, als ich bei meinen täglichen Turnübungen mit einer Faust versehentlich etwas zu heftig gegen die Wand boxte.

Mein tägliches Leben floss natürlich sehr gleichförmig dahin. Trotzdem ich nicht, wie meine verurteilten Hausgenossen, deren damals etwa 3000 mit mir das Gefängnis teilten, zu einer bestimmten Stunde angekleidet sein musste, erhob ich mich doch regelmässig mit dem ersten Glockenschlag, der gegen 6 Uhr morgens ertönte.

Die sich alle paar Stunden wiederholenden, verschiedenen Glockensignale waren überhaupt das einzige, was in Ermangelung einer Uhr eine Zeiteinteilung erlaubte; mit Ausnahme von dem Kanonenschuss, der um 12 Uhr mittags von dem Giannicolo täglich ertönte.

Ich begann mein Tagewerk mit Lektüre und etwas Turnübungen. Gegen 9 Uhr wurde mjir in einem Glas ein schwarzer Kaffee gereicht, nach 12 Uhr erhielt ich das Essen, wovon ich einen Teil für den Abend beiseite stellte. Ein- bis zweimal am Tag erschien ein Wärter, mit einem eisernen Stab sämtliche Fenstergitter abklopfte, um sich aus dem Klang zu vergewissern, dass sie noch intakt seien. Ein- bis zweimal wöchentlich hatte ich den Besuch des Barbiers, eines wegen einer Messeraffäre Verurteilten. Er kam immer in Begleitung eines Wärters und erzählte mir, das Rasiermesser in der Hand, seine Erlebnisse mit viel Drastik; dabei oft vom Wärter zur Ruhe verwiesen. Morgens um 8 Uhr und abends um 6 Uhr erschien ein Wärter in Begleitung eines Sträflings, der den Auftrag hatte, mein Zimmer zu reinigen. Diese dazu auserlesenen Sträflinge waren meist ganz junge, wegen militärischer Vergehen Verurteilte, die sich beim Aufräumen mit besonderer Liebe auf die bereitgelegten Zigarrenstummel stürzten. Gerne hätte ich ihnen manchmal von meinem nicht verzehrten Essen zugesteckt, aber das war streng verboten. Ihre Tätigkeit beschränkte sich darauf, den Boden aufzuwischen, für Leerung der Gefässe besorgt zu sein, frisches Wasser zu holen und das Bett zu machen. Letztere Arbeit wünschte ich sehr bald selber zu übernehmen, da ich gemerkt hatte, dass nach diesen Reinigungsbesuchen nicht selten eine Jagd auf Ungeziefer notwendig war, worin ich nach und nach eine gewisse Fertigkeit erwarb. Ich liess denn auch mein Bett immer heruntergeklappt, damit es nicht in Berührung mit der Wand komme. Im allgemeinen muss ich aber sagen, dass Gebäude und Zelle im Hinblick auf die darin verpflegte Gesellschaft reinlich zu nennen waren.

[… Informationen über eine im Innenhof des Gefängnisses erstellte Munitionsfabrik, in der Sträflinge arbeiteten]

Abends ging ich immer um 9 Uhr zu Bett, wo ich regelmässig die Töne vieler Glocken von nah und fern hörte, weil dann endlich der Lärm in der Fabrik verstummt war.

Während meines ganzen Aufenthaltes erfreute ich mich eines ausgezeichneten Appetits und Schlafes. Nur ganz wenige Male erinnere ich mich, im Halbschlaf das Geräusch der Runde, die allnöchtlich die Zellen betritt, gehört zu haben.

Das Personal des Gefängnisses, insbesondere der Oberaufseher meiner Abteilung, der Wärter meiner Etage, der Aufseher im Hof waren durchaus freundlich und rücksichtsvoll, da ich mich vom ersten Augenblick an den Anordnungen fügte. Auch der Direktor des Gefängnisses besuchte mich einige Male kurz, um sich zu erkundigen, ob ich Wünsche vorzubringen habe, was ich aber jederzeit verneinte. Während der kurzen Zeit der Zellenreinigung konnte ich meistens mit dem Aufseher plaudern. Allerdings nur über ganz nichtssagende Dinge, denn die Leute hielten sich streng an ihre Vorschrift, die ihnen verbot, Mitteilungen irgendwelcher Art an die Gefangenen gelangen zu lassen. Da ich weder durch Zeitungen noch durch Briefe, noch durch das Personal irgend etwas über die Weltereignisse erfahren konnte, wird man begreifen, dass ich nach meiner Befreiung viele Dinge vernahm, die mich in das grösste Erstaunen versetzten; denn gerade in diesen Monaten hatten sich gewaltige Veränderungen auf den verschiedenen Kriegsschauplätzen vollzogen.

Quellen: Staatsarchiv St.Gallen, W 054/128.1 (Korrespondenz Fritz und Maria Wenner-Andreae, 1918) und W 054/47.4 (Max von Orelli: Kriegserlebnisse 1918, Privatdruck, S. 19-26) sowie W 054/47.7.1 (Beitragsbild, Max von Orelli, ca.1930)

Ehepaar Wenner

Mittwoch, 24. Juli 1918 – Familienfestvorbereitungen

Silvia Wenner (1886-1968), die Schwester von Fritz Wenner-Andreae (vgl. den Beitrag vom 1. Mai 1918), hatte offenbar ihre Neffen gehütet. Sie erhielt am 24. Juli einen Brief ihrer ältesten Schwester Lily:

Erhalten i[n] Fratte

24. Juli 1918. – Sils-Maria.

Meine liebe Silvia, – Für Deinen so lieben Brief vom 27. Juni danke ich Dir sehr herzlich u. habe mich ganz besonders gefreut[,] wieder einmal direct von Dir zu hören. Dass Du eine so schwere Zeit als Vice-Mama mit den drei Bübchen erlebt hast[,] war mir sehr leid. Ich habe lebhaft mit Dir fühlen können, aber um so schöner wird es jetzt sein[,] sie so frisch & vergnügen herum springen zu sehen. Nun ist ja Valentin auch schon 1 Jahr alt. Wie die Zeit vergeht! Ich habe am 12ten ds. an ihn gedacht, denn das war doch sein Geburtstag, nicht? – Bei uns geht es, Gottlob [sic], gut. Wir sind bis jetzt von der s.g.  [sogenannten] spanischen Influenza verschont geblieben, denn wenn es auch nichts schlimmes ist, so ist es auch keine Annehmlichkeit. – Wir haben vor einigen Tagen eine Bombenhitze gehabt, s. d. man sich nur noch im Haus hinter geschlossenen Läden verkriechen konnte. – Letzten Samstag kam Anna wieder einmal für 14 Tage. Bis jetzt geht es unberufen leidlich, aber leider wird ja die Ruhe auch nicht lange dauern. – Gestern haben wir den 75. Geburtstag von Herrn v. G. gefeiert. Wir waren mittags zu Tisch drüben, & während dem Essen haben die drei Kinder, statt dem Toast sehr hübsche Verse aufgesagt, die Frau Max gedichtet hatte. Zuerst stand Max auf & sprach von der Vergangenheit, dann fiel ihm Rudi in’s Wort & wies auf die Gegenwart & er wurde wiederum von Marguerite abgelöst, welche die Wünsche für die Zukunft & das «Hoch» auf den Grossvater ausbrachte. Es war sehr nett! – Nun sind wir alle sehr in der Ueberlegung, wie & was man an der goldenen Hochzeit machen wird. Sie ist am 22. Sept., aber bei den jetzigen Verhältnissen muss man mit allem möglichst früh anfangen, denn es ist doch recht schwierig. Wahrscheinlich werden alle Kinder & Enkeln hier sein können für den Tag, & das ist natürlich das schönste, aber gerade darum giebt [sic] es so viel zu überlegen & einzurichten. Ich bin schon so voller Geheimnisse von allen Seiten, dass ich gar nicht mehr weiss, über was ich sprechen darf, u. über was nicht, & immer in Gefahr bin[,] mich zu verplappern. – Weisst Du noch, wie am Abend vor der silbernen Hochzeit der Eltern wir im Schulzimmer die Kränze wanden, & Fritz so viel Unsinn schwatzte, dass wir alle ganz schwach wurden? Wie weit scheint einem doch schon diese Zeit! Wenn Du einmal Bilder von den Zimmern zu Hause auf dem Lande hättest, wäre es mir eine grosse Freude[,] wenn Du sie mir schicken könntest! – Und nun hoffe ich, dass diese Zeilen Euch Alle [sic] wohl antreffen mögen, & dass auch die Berichte von Tante Jeanne leidlich lauten. Wie traurig muss ihr Zustand sein, & wie schwer für Onkel Robert[,] dass er nun auch dieses langsame Aufhören mit erleben muss! – Bitte, grüsse die lb. Eltern ganz besonders herzlich von mir & sage auch Fritz & Maria viel Liebes. Ich habe mich gereut zu hören[,] dass es Maria’s Mutter auch besser geht. – Meine Umgebung lässt vielmals grüssen. Dich selbst aber, mein Liebes Kleinsele, umarmt in treuer Liebe

Deine

Lily Wenner [1877-1959, Elisabeth Jeanne, genannt Lily, älteste Tochter von Friedrich und Emma Wenner-Freitag].

Im Beitragsbild sind Friedrich (1845-1931) und Emma (1852-1942) Wenner-Freitag zu sehen, die – wie im Brief erwähnt – am 22. September 1918 ihre goldene Hochzeit feiern konnten. Die undatierte Aufnahme entstand in der Stadtwohnung des Paars in der Via Medina in Neapel.

Quelle: Staatsarchiv St.Gallen, W 054/127.4.2 (Korrespondenz an Silvia Wenner, 1917-1921) und W 054/123.5c (Beitragsbild)

Socken für den Schützengraben

Mittwoch, 1. Mai 1918 – Socken für den Schützengraben

Soldaten in den Schützengräben litten oft an nassen Füssen, was zu Hautirritationen und Infektionen führen konnte. Die zum Wennerschen Firmenkomplex in Süditalien gehörenden Cotonifici Riuniti versuchten, mit ihren Produkten Abhilfe zu leisten.

Fritz Wenner war geschäftlich unterwegs und schrieb an seine Ehefrau auf dieser undatierten Ansichtskarte:

Liebe Maria

Wie ich vorausgesehen habe[,] wird die Sache hier noch einige Zeit länger dauern, als man ursprünglich glaubte, sodass ich vorläufig hier zurückgehalten bin. Was unsere Reise nach Mailand betrifft, so ist es[,] glaube ich[,] besser sie ohne weiteres um eine Woche zu verschieben. Das wird auch Dir besser passen, indem wir den fatalen 4. Mai in Fratte erledigen werden! – Ich würde Dir immerhin raten, wenn Du nach Mail. schreibst[,] das Datum unserer Reise nicht allzusehe zu präzisieren, denn nichts ist sicher auf dieser Welt! Ich hoffe Euch alle wohl und sende Euch Lieben allen meine herzlichsten Grüsse

Dein Fritz.

Seine Frau antwortete:

Fratte, den 1-5-18.

Mein lieber Fritz!

Vielen Dank für Deine l. Zeilen, die mir ja leider sagten[,] dass Du nicht kämest. So entschloss sich Silvia [Schwester von Fritz Wenner][,] wieder nach Neapel zurückzukehren. Sie hofft sehr[,] morgen reisen zu können[,] aber sie bittet keine banozzella [?] an die Bahn zu senden, da sie vielleicht noch im letzten Moment an reisen [am Reisen] verhindert werden könnte.

Hier geht es gut. Dimy [eigentlich Diethelm, Sohn von Fritz und Maria Wenner] ist auch wohler. De Nobili [Arzt] schrieb mir gestern u. verschrieb ihm Lacteol[.] Willst Du bitte noch eine Schachtel davon mitbringen? Ich lege die Ricetta v. D. N. bei. – Ich schrieb auch gleich einen Expressbrief nach Mailand u. teilte ihnen mit[,] uns erst nächste Woche zu erwarten.

Hoffentlich hast Du nicht zu viele tenature [?] u. kommen die Sachen bald ins Klappen.

Soll ich De Nobili für seinen Br. danken? oder [sic] erst abwarten[,] bis Dimy gesund sei, wie er prophezeite.

Eben brachte auch der Bauer die Spargeln u. Biscotto u danke ich Dir dafür auch für die anderen Biscotti[,] die Du sandtest.

Von Mailand habe ich gar keine Berichte mehr. Wahrscheinlich erwarteten sie uns täglich. Hoffentlich geht es der Mammina besser!!!

Wie leid tun mir die Berichte über Tante Jeanne. Bitte sage dem l. Mütterli[,] wie leid es mir tut.

Ich lasse das l. Mütterli herzl. von uns allen grüssen.

Dich küssen die Kinderlein u. Dein treues

Frauchen.

Weitere Beiträge zu Fritz und Maria Wenner-Andreae: 12. und 24. Januar 1916, 7. März 1917, 20. und 21. April 1917.

Quelle: Staatsarchiv St.Gallen, W 054/128.1 (Korrespondenz zwischen Maria und Fritz Wenner-Andreae, Karte und Brief vom 01.05.1918)

Desertierte Alpini

Samstag, 29. September 1917 – Bartgeschichte

Vier Monate Gefängnis für einen Bart. Vor einigen Monaten hat ein kriegsbegeisterter Tischlergeselle in Rom seinen [sic] Aerger über die Friedenspartei dadurch Luft gemacht, dass er dem sozialistischen Abgeordneten Maffi in der Strassenbahn den Bart abschnitt, weil seiner Meinung nach der Bart das beste Kennzeichen der pazifistischen Politiker in Italien war. Diese Angelegenheit hat vor dem Gerichtshof ihren Abschluss gefunden. Der Bartabschneider wurde zu vier Monaten Gefängnis, 300 Lire [italienische Währung] Strafe und Konfiskation der verbrecherischen Schere verurteilt, wobei man ihm die sonst in Italien bei nicht vorbestraften Leuten übliche Erleichterung des Strafaufschubs nicht gewährte. Der «Corriere della Sera» bemerkt zu dem Urteil: «Das heisst unserer Meinung nach den Respekt vor dem Gesicht eines Parlamentariers und den Preis der Barthaare allzu hoch setzen.[«]

Zum Beitragsbild: Die im Spätsommer 1915 in die Schweiz desertierten italienischen Gebirgsjäger (Alpini) waren vermutlich aus militärisch-sanitarischen Gründen bestens rasiert. Kriegsmüdigkeit und Friedenswillen war offenbar nicht vom Bart abhängig.

Nächster Beitrag: 1. Oktober 1917 (erscheint am 1. Oktober 2017)

Quellen: Staatsarchiv St.Gallen, P 913A (Text: Rorschacher Blätter zur Unterhaltung und Belehrung, Gratisbeilage zur Rorschacher Zeitung, Nr. 7, 1917, 29.09.1917) und W 132/1-010 (Erinnerungsalbum von Leutnant Kaspar Störi, Geb. Sch. Kp IV/8)

Alex Berner

Mittwoch, 22. August 1917 – Schweizerluft

Die verwitwete Adele Berner-Wenner war von Süditalien nach Zürich umgezogen, wo sie bei Verwandten Unterschlupf gefunden hatte. Sie schrieb ihrer Schwester:

[Randnotiz:] Erhalten i[n] Fratte

Zürich, Engl. Viertelstr. 52.

22. Aug. 1917.

Meine liebe Silvia,

Ich hoffe, dass Euch meine verschiedenen Karten richtig zugekommen sind, & danke Dir noch sehr herzlich für Deinen lb. Brief, den ich vor der Abreise noch bekam. – Ich habe die Zeit in Fratte sehr, sehr genossen & fand es herrlich wieder einmal länger da zu sein; die Schwierigkeiten im Haushalt tun mir nur leid[,] weil sie Euch so viel Mühe machen, & hauptsächlich weil sie Mama aufregen, aber sonst berühren sie mich nur ganz vorübergehend, & ich kann das übrige dabei immer gleichwo[hl geniessen.] – Die letzten Tage in meinem Hause waren dann furchtbar ermüdend & anstrengend bei der argen Hitze, & ich war wirklcih ziemlich kaput [sic]; in der Nacht konnte ich nur nch ganz wenig schlafen, teil wegen der Hitze & teils wegen allem was immer im Kopf herum ging. So fand ich den ersten Teil der Reise ganz ausruhend. Alex war aber die ganze Zeit über sehr ordentlich & anständig & half dem portier [sic] sogar meinen grossen Koffer hinunter tragen, weil niemand anders da war. – Bei Emil Berners war es sehr nett, Anna war zwar zu Bett, weil sie rheum. Schmerzen gehabt hatte, aber sie empfing uns sehr nett in ihrem Zimmer. Dann hatten wir einen guten Thee, & nachher liess uns Emil in einer schönen Remise-Vectaria [?] eine prachtvolle Fahrt machen. Schon 1 ½ St. vor Abfahrt des Zuges waren wir an der Bahn & bis wir unsern Proviant gekauft hatten konnte man einsteigen & wir hatten sehr gute Plätze in der I Classe über die Nacht. Alex war hoch erfreut. Am nächsten Tag ging alles nach Wunsch, zwar war ich höchst erstaunt, dass wir durchfahren sollten, aber mit etwas Eile ging alles ganz gut & wir waren gegen Mitternacht hier. Von 4 Uhr an aber mehr wie 7 Stdn. über den Gotthard zu brauchen ist ein wenig eine Geduldsprobe, & wir waren recht müde. Mama Berner hat es aber gut ertragen & sie sieht sehr gut aus. –

Es scheint mir nicht[,] dass ich wenige mehr als seine Woche von Euch fort bin, sondern schon eine lange Zeit. Hoffentlich geht es Euch allen gut & nimmt Gränni [Granny? Grossmutter] wieder ein wenig zu. Es war prachtvolles Wetter über den Gotthard, & die Luft so herrlich, ich musste besonders an Mama denken. Am Sonntag nachm. war es hier schwül, & am Abend kame in starkes & langes Gewitter. Onkel Victor war am Morgen hier bei den Cousinen, & am Montag nahm. kamen T. Marie & Mignon zum Thee. Sie sind diesen Sommer nicht fort gewesen. –

Man spricht ernstlich davon[,] dass die Schulkinder diesen Herbst entweder gar keine Ferien, oder nur einige Tage haben sollen, & dafür vom 13[.] Dec. bis Ende Januar die Schulen geschlossen bleiben sollen wegen dem grossen Mangel an Heizmaterial. Da müsste ich sehen wie sich das für Alex einrichten liesse, den das wären ja mehr wie 6 Wochen. – Gestern gegen Abend haben wir die Bicyclette ausgewählt, es war ein grosser Moment, & heute nach der Schule kam Alex sie abholen & machte dann seine erste Fahrt hier herauf um sie vorzuführen. Sie ist wirklich sehr schön. Natürlich mussten noch alle möglichen Bedingungen daran geknüpft werden; er darf am Morgen nicht damit in die Schule fahren, aber er hat sich arein gefunden. Bei Heftis ist man im allgemeinen mit Alex zufrieden, aber von verschiedener Seite höre ich dass er im Winter alles sehr waghhalsig betrieben habe, & so könnte ich ihn wo[h]l nicht wieder für längere Zeit allein in die Berge schicken, er ist dort zu sehr sich selbst überlassen. In den nächsten Wochen wird sich das alles noch zeigen, vor der gegebenen Zeit lässt sich nichts entscheiden. –

Ich habe hier noch nicht angefangen zu hetzen, & hoffe dass ich es dieses Jahr überhaupt vermeiden kann, wenn ich jeden Tag etwas absolviere. Aber weisst Du[,] aus den Stunden für Buchführung wird wieder nichts, den Tante F. Bärlocher ist nicht mehr in Zürich, & da müsste man schon gleich einen Kurs nehmen, & die dauern eben länger als ich Zeit habe. Ich werde suchen mir so viel wie möglich von den Cousinen practisch [sic] zeigen zu lassen. Es ist mir dies eine kl. Enttäuschung, denn ich wollte recht energisch dahinter.

Ihr werdet unterdessen auch die Todesanzeige von Herrn Jules Sulzberger bekommen haben; es ist ein Glück[,] dass er sterben konnte. –

Vielleicht morgen wollen wir Gretchen in Küsnacht besuchen, den sie geht bald nach Genf zurück. Wusstest Du dass Eboie [?] einige Jahre älter war als Harold? Die Cousinen sagen dass er eine solche Liebe & Achtung für Rosie hatte, dass sich dieselbe auf alle erstrecke, die den Familiennamen seiner Frau haben. Das freut einem [sic] doch. –

Das Wohnzimmer von den Cousinen ist sehr nett geworden & sie haben grosse Freude daran. Es ist wieder so nett & gemütlich bei ihnen, & es riecht so gut nach “Schweiz” in der Luft; es ist heute ein prächtiger Tag, & die Cousinen sind schon von 7-9 Uhr geritten. Es tut mir ganz leid, dass gerade ich diejenige bin, die hieher kommen musste, & würde mich freuen wenn ich & ihr oder Mama an meine Stelle tun könnte, obschon ich es selbst auch wirklich geniesse. –

Hoffentlich habt Ihr noch schöne Meerbäder. Hat wo[h]l Maria auch damit anfangen können? – Ich kann Dir nicht sagen wie dankbar ich war[,] dass meine ersten Ruhetage vorbei waren, wie ich nach Hause kam, & diesmal hat es sich wirklich herrlich getroffen. Es scheint mir[,] es wäre sonst einfach nicht gegangen. –

Und nun noch viele herzliche Grüsse von allen hier, an die Eltern & Dich & Euch alle, & besonders von mir. Dich liebes Kleinod [unlesbar] umarmt von Herzen, Deine Dich innig liebende

Adèle Berner.

Adele Berner logierte bei der Familie von Victor Wenner-Keibl (1857-1929), dem Stadtingenieur von Zürich. Unterlagen zu dieser Familie finden sich im Staatsarchiv St.Gallen unter: W 054/121

Nächster Beitrag: 23. August 1917 (erscheint am 23. August 2017)

 Quellen: W 054/127.4.2 (Briefe an Silvia Wenner) und W 054/125.11.2 (Beitragsbild: Alex Berner, 1916 und 1917)

Hochzeitsfoto

Samstag, 9. Juni 1917 – Frauen-brief

Adele Berner-Wenner (1878-1946) und Silvia Wenner (1886-1968) waren Schwestern aus der süditalienischen Textilindustriellenfamilie, zu der schon andere Beiträge erschienen sind (vgl. Beiträge vom 12. und 24. Januar 1916 sowie vom 2. Januar, 13., 20. und 21. April 1917).

Adele Berner-Wenner war seit 1912 verwitwet. Sie hatte für einen 1902 geborenen Sohn, Alex, zu sorgen. Silvia Wenner verheiratete sich erst 1925 mit dem Industriellen Hermann Ochsenbein.

[Randnotiz:] Erhalten i[n] Fratte

Neapel, 9. Juni 1917.

Meine liebe Silvia,

Vielen herzlichen Dank für Deinen lieben langen Brief, der mich so sehr interessiert hat.

Ich hatte mich so sehr gefragt, wie woh[l] der Sonntag ausgefallen sei, & wie es Dir dabei mit Deiner Sache ergangen sei. Zum Glück ist es noch so abgelaufen, aber Du wirst doch recht froh gewesen sein, als Du am Abend in’s Bett schlüpfen konntest.

Mir ist es in letzter Zeit auch manchmal so gegangen, besonders in der letzten Woche, in dieser ging alles leichter[,] weil ich meine S… nicht mehr hatte. –

Ich habe diese Woche Mama noch 2 mal recht gesehen, am Montag war ich allein für den Tag in Rio’alta, & am Donnerstag mit meiner Schwiegermama.

Adele Wenner als Witwe

Natürlich läuft immer eines in’s andere, man muss sich immer sputen & eilen, & freut sich jedes mal [sic] wenn man das verschwitzte Strassenkleid & die warmen Schuhe wieder ausziehen kann. – Man wollte für das C.M.-Fest eine pêche arrangieren, die ich hoffte Frau Ascarelli übergeben zu können, aber weil sie abwesend war[,] so musste ich mich selbst bequemen, und habe nun sehr schön zusammen bekommen, etwa 270 kl. Gegenstände. Gestern nachm. blieb ich zu Hause[,] um alles in Papier zu wickeln, & habe über 3 Stunden lang Packetchen gemacht. Es ist sehr angenehm[,] dass Bob noch da ist, er ist schon einmal mit einer Ladung auf den Vomero gefahren, & geht morgen früh noch einmal. –

Ich begreife[,] dass die ersten Tage in Fratte nicht angenehm für Dich waren, mit den jetzigen Dienstboten-Verhältnissen, wenn Dir alles ein wenig verlottert vorkam. Man muss sich halt unter den obwaltenden Umständen wirklich genügen lassen, & hoffen, dass alles bald möglichst wieder in Ordnung kommen möge, & dabei das geniessen, an dem man sich noch freuen kann.

Ich freue mich[,] dass Du im Lauf der nächsten Woche kommen willst, man hat sich immer alles mögliche zu erzählen. – Ich weiss nicht[,] ob ich Dir gesagt habe, dass Grita [?] schrieb, Dr. Mende habe in den Ferien einen Gichtanfall bekommen & sei noch nicht zurück. Soeben kommt ein Express Brief von Alex vom 7ten. nach welchem Dr. M. noch immer abwesend sei, & so muss ich mich wo[h]l auf eigene Faust entschliessen, denn Du könnest [?] ja ein Fenster von dem einen, & ein Fenster von dem anderen machen, aber ich denke[,] das ist doch wo[h]l ausgeschlossen. –

Vor 2 Tagen war die Spitzenfrau Doema [?] Maria bei mir, & brachte mir eine wundervolle Decke zum ansehen. Es ist ja nicht ganz die gewünschte seidene Decke, die wir für Mama wünschen, aber etwas so schönes & eigenartiges, dass ich ihr sagte, sie wolle smir nur lassen zum ansehen, was sie gerne tut bis Du sie sehen kannst. Es ist eine calabresische Decke, antik, aber in ganz gutem Zustand, in der Art wie Pauls in Bellevue im rosa Fremdenzimmer ihre Bettdecke haben, nur ist alles viel feiner & in Seide eingewoben, in eine feine rostgelbe (aber matt in [den] Farben) Leinwand wirklich etwas ganz schönes für wem es gefällt, & kostet L. 140.- was ich nicht viel finde für was es ist. – Dann hat sie mir zur Ansicht noch ein breites, prächtiges Stück Filet, für ein Möbel, oder Store passend, gelassen zu L. 50.- Also Du findest etwas zum ansehen, die Frau hat nämlich eine kl. Reise gemacht, aber sie sagt nicht wohin.

Emily schreibt mir[,] dass Lili Andreae morgen zu ihnen komme, & übernachte, da kommt sie wahrscheinlich am Dienstag nach Fratte. – Ich lege noch ein Briefchen an Marta bei, das Du ihr bitte geben willst. –

Grüsse mir die Eltern herzlich & sei selbst innig umarmt von Deiner Dich sehr herzlich liebenden

Adèle.

Hinweise: In den Briefen zwischen der verwitweten Adele Berner-Wenner und ihrer Schwester Silvia Wenner ist mehrfach die Rede von «der Sache». Gemeint ist damit die Menstruation. pêche ist wohl ein Gesellschaftsspiel, bei dem man mit Hilfe einer kleinen Fischerrute kleine Geschenke «fischen» konnte.

Nächster Beitrag: 11. Juni 1917 (erscheint am 11. Juni 1917)

Quellen: Staatsarchiv St.Gallen, W 054/127.4.2 (Briefe an Silvia Wenner) sowie W 054/125.10.1 (Beitragsbild: Hochzeitsfoto Adele und Hans Berner-Wenner, 1901) und W 054/125.9.4 (Foto Adele Berner-Wenner, vermutlich als Witwe, ca. 1910-1920)

Fritz und Maria Wenner

Samstag, 21. April 1917 – Ehekorrespondenz

Fritz Wenner-Andreae antwortet seiner schwangeren Ehefrau auf ihren Brief vom Vortag (s. Beitrag vom 20. April):

Fratte di Salerno, 21. April 1917.

Liebes Frauchen,

Heute sende ich Dir also, wie abgemacht, die Wäsche der Kleinen durch unsern Corriere und gleichzeitig diesen kurzen Samstagsgruss für Dich und die l. Bübchen. Ich werde viel an Euch denken, obschon mir die Zeit nicht lange werden wird, denn ich habe genug Stoff, um mich zu beschäftigten. Wenn nichts dazwischen kommt, so hoffe ich[,] am Mittwoch morgen nach Neapel zu reisen und wenn Du einverstanden bist, so siedeln wir am Donnerstag um 12 Uhr hierher über. Hoffentlich geht es bis dann Mama besser! Hier ist das Wetter seit gestern wieder sehr schön[,] aber recht frisch. – Hat der Maler die Bilder wohl gebracht? Man könnte sie vielleicht vorläufig in die Via Medina bringen und kann ich sie dann von dort gelegentlich einpacken u. hierher spedieren lassen, denn am Mittwoch werde ich keine Zeit dazu haben u. im Hôtel sind uns die Dinger dann im Weg. Meinst Du nicht?

Wegen der Bezahlung kann ich dann ein anderes mal [sic] mit dem Maler verhandeln. –

Hier im Haus ist, wie mir scheint, alles in Ordnung u. für Euern Empfang bereit. Die beiden Kisten Mellin’s Food sind angekommen u. in der Küche untergebracht.

Und nun sage ich Dir auf Wiedersehen, liebe Maria, am Mittwoch und sende Dir u. den beiden Kleinen einen festen Kuss. Bitte sage der l. Mama[,]  ich lasse ihr herzlich gute Besserung wünschen u. der Adèle u. dem Alex eine gute Reise. – Es grüsst Dich u. umarmt Dich von ganzem Herzen Dein Dich innig liebender Maritino

Fritz.

Mellin’s Food war ein spezielles Kleinkinder-Milch-Getreidepräparat, hergestellt in Boston USA, vermutlich ähnlich wie das Nestlé-Kindermehl aus Lausanne.

Nächster Beitrag: 23. April 1917 (erscheint am 23. April 2017)

Quelle: Staatsarchiv St.Gallen, W 054/128.1 (Text) und W 054/129.1.1 (Fritz und Maria Wenner-Andreae 1913 auf ihrer Hochzeitsreise in England)

Gaertnerhaus der Villa Wenner

Freitag, 20. April 1917 – Ehekorrespondenz: Der Gärtner soll Lauch pflanzen

Maria Wenner-Andreae schreibt an ihren Mann Fritz. Sie weilt zusammen mit ihren beiden Söhnen immer noch im Parker’s Hotel am Corso Vittorio Emanuele in Neapel.

Neapel, den 20-4-1917.

Mein lieber armer Strohwitwer!

Damit Du am Sonntag doch etwas v. Deiner kl. Frau habest, sende ich Dir diese Zeilen. Unsere Putzel [Kinder] sind munter u. wohl u. Deine Frau hat 9 Stunden geschlafen. Che pigrona!

Es scheint mir[,] ich habe Dich seit einer Woche nicht mehr gesehen, stattdessen ist es ja seit gestern. Ich habe dann doch noch Adèle u. Alex überredet[,] mit mir zu essen. Es war sehr nett[,] dass sie kamen u. es schmeckte ihnen sehr gut. Ich hatte noch Marrons glacés gekauft, die auch nicht verschmäht wurden. Sie blieben bis nach 9 Uhr u. gingen Heim [sic], da Adèle den ganzen Tag unterwegs gewesen war.

Eben telephonierte ich mit Silvia. Mama hatte gestern abend über 39 Grad u. heute morgen hat sie über 38 Grad [Fieber]. De Nobili sagt aber: non è allarmante! Im Gegenteil[,] die Schmerzen sind seit dem Fieber besser geworden. Hoffen wir von Herzen[,] es sei bald überwunden! Diesen Nachmittag will ich sie besuchen. Vorher kommt aber Silvia her, da Mama wünscht, dass sie u. ich einen Augenblick Schivens [?] besuchen, der alte Herr soll nicht gut dran sein.

Bitte grüsse mir alle Schlaepfers, besonders Tante Elise. Sage ihr, wenn ich ihr etwas besorgen u. mitbringen könnte, täte ich es gerne. Grüsse mir die Bienchen, ich denke mir[,] Du stattest ihnen ein  Besüchlein ab. Lass Dich nicht stechen! – – Wenn morgen der Maler kommt, dann, bitte ich ihn[,] sich am Mittwoch zu presentieren [sic], denn ich kann nicht mit ihm verhandeln.

Mille baci al Papà caro da Gianni e Dimy. Grüsse mir die Leute. Sage Pietro[,] er soll ein bis[s]chen Porro [Lauch] pflanzen u. ein schönes Feld für Fagioli [Bohnen] preparieren den Samen hätte ich.

Von ganzem, ganzem Herzen umarmt u. küsst Dich Deine Dich sehr lieb habende

Maria.

Quelle: Staatsarchiv St.Gallen, W 054/128.1 (Text) und W 054/73.8 (Bild, Gärtnerhaus der Villa Wenner in Fratte di Salerno, ca. 1885)

Couvert

Freitag, 13. April 1917 – Ehekorrespondenz zum weiteren

Maria Wenner-Andreae schreibt an ihren Mann Fritz. Sie weilt immer noch im Parker’s Hotel am Corso Vittorio Emanuele in Neapel. Honig ist in Italien ein rares Gut:

Freitag, den 13. April 1917

Mein lieber Schatzel! Entschuldige, dass ich mit Bleistift schreibe, aber ich sitze in der sonne u. tro[c]kne meine Haare. Ich benutze diesen ruhigen morgen [sic] dazu. hoffentlich bist Du gut gereist u. verlief der gestrige gästereiche Tag gut. Marietta wird es schon gut gemacht haben. Ich wünsche Dir einen möglichst guten Sonntag, mein Schatz! Siehst Du auch nach den Bienen? Denke Dir[,] in Mailand [wo Marias Eltern lebten] bezahlt man jetzt 6-7 Lire für ein Kg. Honig. Hätte man jetzt, dann könnte man feine Geschäfte machen. Die Eltern baten mich[,] ihnen hier welchen zu besorgen, aber ich fürchte[,] die Preise werden auch hoch sein. So werde ich ihnen schreiben[,] sie mögen sich gedulden, bis wir ihnen senden können. Meinst Du nicht auch? Sorge dafür[,] dass die Familien recht stark werden. Die Eltern lassen Dich vielmals grüssen. – Unseren Buben geht es prächtig, Gianni behauptet[,] Du müsstest morgen kommen. Er wird dann bitter enttäuscht sein. Poverino! Nächste Woche kann Frl. Brogh [?] doch kommen[,] die Photos zu machen. – Heute werden wir hoffentlich mit dem Maler fertig. Wenn nur auch das Bild von Gianni netter wäre!! Die Kinder spielen in der Rampa unten u. Dimy huscht als echte Gallina überall herum. – Es ist doch eine penitenza [Strafe] so in der Sonne zu sitzen[,] um die Haare zu trocknen. Dafür findest Du aber ein ganz sauberes Frauchen!!! Gestern spazierte ich zu Elsa, die sich wohl fühlt. Auch dem Baby geht es ausgezeichnet. Ich wohnte auch einer Mahlzeit bei. Alles geht gut[.] Ich bin gespannt zu hören[,] wann Marietta abreist. A propos[:] Das Dienstmädchen sagte mir[,] sie sei für diesen Dienstag entlassen. Wenn Du wirklich nicht vor Mittwoch kommen kannst, dann bitte schreibe mir[,] was ich ihr geben soll. Du kannst ja einfach die Summe hinschreiben, ohne etwas dazu, wenn Du mir eine Karte sendest. Bitte vergiss es nicht, da ich sonst in Schwulitäten [sic] gerate. Bitte grüsse mir alle Schlaepfers!

Die Kinder umarmen u. küssen ihren Papa caro! Ich habe Dich innig lieb u. küsse Dich tausendmal Deine treue Mogliettina Maria.

Gleichentags schreibt auch Fritz Wenner an seine Ehefrau:

Fratte, 13. April 1917.

Liebstes Frauchen!

Ich hofe, am Sonntag mit dem 10.40 Uhr Zug nach Neapel reisen zu können, wo ich um halb 1 Uhr eintreffen sollte. Ich werde in diesem Falle von der Bahn zuerst in die Via Medina fahren, um zu hören, ob Du zum Mittagessen dort bist; wenn nicht, so fahre ich weiter ins Hotel.  Ich überlasse es natürlich Dir[,] für den Nachmittag zu arrangi[e]ren, was Dich freut; die Pferde können hoffentlich wieder regelmässiger Dienst tun. –

Die Schwestern u. Alex haben es gut getroffen mit dem Wetter hier u. in Pompei; auch für mich war es nett[,] Besuch zu haben. – Marietta wird also morgen um 10 Uhr morgens abreisen. Willst Du bitte das Mama sagen, dass ich mir erlauben werde[,] über diese Zeit drüben zu essen; ich hoffe[,] es wird ihr nicht unangenehm sein. –

Ich freue mich[,] Euch bald wieder zu sehen u. zu hören, was der Maler noch geleistet hat. Mit tausend herzlichen Grüssen u. einem Kuss meinem lieben Kleeblatt verbleibe ich Dein Dich herzinnig liebender

Fritz.

Quelle: Staatsarchiv St.Gallen, W 054/128.1

 

Briefkopf Wenner

Mittwoch, 7. März 1917 – Ehekorrespondenz

Fritz Wenner schreibt an seine Ehefrau – Papiertaschentücher waren noch nicht erfunden:

Fratte [di Salerno, Süditalien, Wohnort von Fritz und Maria Wenner-Andreae], 7. März 1917.

Mein liebes Frauchen

Ich hoffe es geht Dir immer besser u. dass Du ordentliche Nächte habest; ebenso die Kleinen. Durch Max Salis hörte ich, dass Du am Montag bei seiner Frau warst, u. das ist mir ja ein gutes Zeichen. – Also ich denke[,] Euch morgen früh zu sehen; aber am Abend muss ich wieder zurückreisen, damit ich am Freitag tüchtig hier arbeiten kann; denn es giebt [sic] in diesen Tagen recht viel zu tun und mann wird so wie so während der Arbeit immer so häufig gestört, dass es nicht viel ausgiebt. – Die Wäsche schicke ich Dir durch unsern Kurier. Brot, Honig u. Mellins’s Food hoffe ich Dir selbst morgen zu bringen. – Ich wäre Dir dankbar, wenn Du mir gelegentlich ein Dutzend ganz einfacher Taschentücher (nicht zu gross u. mittelfein) besorgen könntest, denn ich bin sehr schlecht drank in diesem Artikel, natürlich ohne gestickten Namen, da es sonst zu lange gehen würde, denn ich möchte sie gerne bald haben. – Grüsse alle Lieben von mir tausend mal [sic], besonder die l. Bübchen u. sei Du selbst von ganzen Herzen umarmt von Deinem Dich innigst liebenden

Maritino.

In einem früheren Brief vom 26. Februar 1917 verabschiedete sich Fritz Wenner mit den Worten: Mille bacioni a tè[,] Gianni e Dimy [die Söhne Giovanni und Diethelm]! Es umarmt Dich in Eile[,] aber von ganzem Herzen Dein Fritz.

Maria Wenner-Andreae weilte zusammen mit ihren beiden ältesten Söhnen, Giovanni (genannt Gianni) und Diethelm (genannt Dimy/Dimi) im Parker Hotel in Neapel. Sie war in dieser Zeit zum dritten Mal schwanger. Valentin (genannt Pipo) Wenner kam im Sommer 1917 zur Welt.

Zu Fritz und Maria Wenner-Andreae vgl. auch die Beiträge vom 12. Januar 1916 und vom 24. Januar 1916.

Ein weiterer Beitrag zum Ehepaar, diesmal mit einem Brief von Maria Wenner-Andreae an ihren Ehemann wird am 13. April erscheinen.

Mellin’s Food war ein spezielles Kleinkinder-Milch-Getreidepräparat, hergestellt in Boston USA, vermutlich ähnlich wie das Nestlé-Kindermehl aus Lausanne.

Nächster Beitrag: 8. März 1917 (erscheint am 8. März 2017)

Quellen: Staatsarchiv St.Gallen, W 054/128.1