Huetten

Pfingstmontag, 28. Mai 1917 – Das St.Galler Bachstelzentrio (Teil 2)

Das Aufwachen in der Alphütte am andern Morgen war für die Naturfreunde auf Pfingsttour alles andere als gemütlich. Der Berichterstatter notierte: […] meine Zähne klapperten mit wahrer Virtuosität, hielt der Autor des Berichts fest. Hier die Fortsetzung seines Berichts (Teil 1 vgl. Beitrag vom 27. Mai):

Morgens halb 5 weckte mich ein Juchzer aus dem Halbschlummer, denn ich konnte vor Frieren kaum schlafen, u. meine Zähne klapperten mit wahrer Virtuosität. Die andern beiden schliefen noch ruhig, als ich Sie [sic] durch türaushängen [sic] wekte, dieselbe vor die Schwelle legte u. die Herrschaften einlud[,] auf die so geschaffene Terrasse hinauszutreten[,] um den herrlich anbrechenden Tag zu bewundern. Das Morgenessen wurde auf später verschoben[,] wenn die Sonne uns mit Ihren wärmenden Strahlen durchdringen würde[,] was jetzt noch nicht der Fall war[,] denn es war noch ziemlich kühl, also war man schnell Marschbereit [sic] u. weiter gings zur Obersee-Alp hinunter, doch kaum hatten wir etwa 100 Schritte gemacht, welch trauriger Anblick bot sich uns? wo [sic] ehemals schöner Hochwald gestanden hatte, ragten nur noch abgebrochene Strünke in die Luft u. die Stämme lagen in wilden [sic] Chaos durcheinander. Hier musste eine ungeheure Lawine oder ein Orkan gewütet haben. ca [sic] 5 hektaren [sic] gross war die verwüstete Fläche. Bald haben wir uns durchgearbeitet u. gelangten zur Oberseealp vor der Hütte tummelten sich einige Touristen, über magere Alpweide gings in Südlicher [sic] Richtung der Sulzalp zu. Vor der Alp Kreuzegg an einem muntern Bächlein wird gelagert[,] um den Kulinarischen [sic] Genüssen zu fröhnen [sic], kaum fertig mit Essen u. Waschen eröffnet unser Photo-Fritze eine Tannzapfenschlacht[,] in dessen Verlauf der Berichterstatter einen Volltreffer an den Kürbis erhielt, u Hans einen in den Kochenden [sic] Thee als Zuputz.

Nach ca ¾ Stdg. Rast gehts weiter mit erst mässiger[,] dann starker Steigung einem Bach entlang über den Sulzboden zur Sulz 1387 m hinauf [.] Hier beginnt der Schnee, er ist aber schön zu begehen[,] denn er trägt. Die Vegetation bleibt immer mehr zurük u. die Gegend nimmt hochalpinen Charakter an. So erreichten wir nach 2 Std. steigen [sic] die Alp Lachen 1500 m. Hier befionden sich 2 offene gute Hütten mit schönem Heulager, nur an Wasser fehlts, so löschen wir halt den Durst mit Schnee u. Citronen[,] welche letztere Menzer noch mit Zuker versüste [sic] u. nach kurzer Rast gings weiter der Passhöhe zu[,] welche wir nach schönem Steigen in 1 Std erreichten. Nun eröffnet sich uns eine neue Welt, vor uns das gewaltige Glärnisch-Massiv, rechts davon schaut die schöne Pyramide des bösen Faulen herfor [sic] als schöne Fortsetzung Pfannenstock, Silbern, Pragelpasshöhe u. Schwarzstock. Direkt zu unserer rechten [sic] erhebt sich der Rädertenstock in schönen Schichtenbildungen, dreht man sich um[,] so reiht sich Stock an Stock[,] worunter der Brünnelistock mit 2150 m als höchster regiert, als letzter ist noch die Scheye mit 2261 m zu bemerken. Soeben beginnt der Photograph seine Arbeit[,] um die Umgebung auf seine Platten zu fesseln, auch auf uns zwei arme Sünder hat er es abgesehen, wir hatten gerade ein schönes Rasenplätzchen ausgemacht[,] um auszuruhen, da ertönt sein Kommando: rückwärts, etwas links, noch etwas, halt; wir wollens uns wieder bequem machen, doch welche Gemeinheit! unser [sic] Kommandeur hatte uns in den grössten Dreck hinein dirigiert, wi’s [sic] beim Militär üblich ist, unser Protest fand jedoch taube Ohren u. da er unerbittlich blieb[,] so fügten wir uns drein u. legten uns hien [sic,] sonst wären die Berge im Hintergrund eifersüchtig geworden auf unsere Grösse u. da dacht ich[,] Bescheidenheit ist eine schöe Zier, wenns auch einen drekigen Hintern kostet.

Halb 2 Uhr began der Abstieg, bis zur Alp Ober Längenegg gings Pfadlos [sic] über ziemlich steile[,] aber üppige Alpweide hinunter, dann ca 10 Min das Tälchen hinaus in Westlicher [sic] Richtung, dann begann ein Weg[,] wie wir noch keinen unter den Füssen hatten u. yeder [sic] Beschreibung spottet, der berüchtigte Brühltobelweg [im Alpstein] ist ohne Übertreibung ein Spaziergang dagegen, so geröllbesät u. steil wie er war[,] musste man springen[,] ob man wollte oder nicht, ein Wunder[,] dass dabei keiner den Fuss verstaucht hat, Freund Menzer sprang mit wahrer Todesverachtung voraus u. erreichte dann auch als erster die Pragelstr. Endlich hat die hüpferei [sic] ein Ende u so sind wir die 1000 m in 50 Min hinuntergesprungen. Nach 10 Min war das Gasthaus Vorauen erreicht[,] wo wir bei einer Flasche Bier etwas verpusteten, dann gings im Stechschritt dem Klönthalersee entlang. Unterwegs überholte uns ein Bauernfuhrwerk[,] welches wir aber etliche Male wieder einholten. Yedesmal [sic] wenn wir wieder in der Nähe desselben waren[,] bekam das Pferd wieder ein Fitz [einen leichten Schlag], denn der Bauer wollte nicht[,] dass wir Ihn [sic] überholten. Da gabs für un sein[en] lustiger [sic] Zwischenfall, das Wägeli war bereits wieder eingeholt, als dasselbe sich plötzlich vorne rechts runter neigte u. die biedern Leutchen beinahe mit dem Strahsengraben [sic] Bekanntschaft gemacht hätten[,] denn das vordere rechte Rad war herausgefallen, der Schaden war aber schnell wieder gut gemacht u. weiter gings 4 ¼ Uhr kam Netstal in Sicht[,] ehe wir ins Dorf hineinmarschierten[,] schlugen wir uns seitwärts in die Büsche[,] um etwas Toilette zu Machen, uner Photograph folgte zwar nur murrend, denn Ihn [sic] plagte der Durst[,] uns zwar auch nicht minder[,] doch war die Sache bald in Ordnung, dann gings am berühmten Löntschenwerk vorbei ins Dorf hinein zum Bahnhof. Die 5/4 Std Aufenthalt wurd[en] zu einer Erfrischung benützt.

10 Min vor der Zeit kam ein Extrazug angefahren[,] wihr [sic] verstauten uns dort drin trotz dem Ruf der Schaffner: nicht einsteigen, dann gings fort hinaus aus dem schönen Linththal [sic]. In Ziegelbrüke hiess es ausstigen[,] der Zug fahre nicht über Uznach, wider [sic] mehr als 1 Std. Aufenthalt u. endlich konnten wir wider [sic] einsteigen u. kamen mit ziemlicher Verspätung in Uznach an[,] wo der Toggenburger Zug schon auf uns wartete. Glüklicherweise war dieser schon dermahsen überfüllt[,] dass wihr 2. Cl. fahren konnten [damals gab es noch 3 Klassen in den Zügen], wie fuhr sichs da schön auf den weichen Polstern. Freund Menzer u. der Berichterstatter waren denn auch bald eingeschlafen, wä[h]rend Hans noch seinen Ruksak nach etwas essbarem [sic] durchstöberte u. sich an den Überbleibseln gütlich tat. Da wurden wir plötzlich Morpheus Armen entrissen, St.Gallen war erreicht.

Froh über die prächtig verlaufene Pfingsttour trennten wir uns u. 2 Tage der Freiheit waren vorüber.

Berg frei!

Teilnehmer: H. Weber, Menzer

der Berichterstatter: O. Schlegel.

Obwohl im Bericht immer wieder davon die Rede ist, dass einer der Teilnehmer fotografierte, finden sich keine Bilder der Tour, und auch Zeichnungen oder Skizzen der Berichterstatter, wie sie in anderen Schilderungen zu finden sind (vgl. z.B. Beiträge zum 2. Juli 1916 und vom 6. August 1916), gibt es keine. Das Beitragsbild ist dem zweiten Band der Tourenberichte der St.Galler Naturfreunde entnommen, man findet es dort auf der Titelseite.

Nächster Beitrag: 31. Mai 1917 (erscheint am 31. Mai 2017)

Quellen: Staatsarchiv St.Gallen, W 285/2.06.1-1 (Tourenbericht, der besseren Lesbarkeit wegen durch Absätze gegliedert) und W 285/2.06.2-1 (2. Band der Tourenberichte)