Samstag, 28. Oktober 1916 – Die Schweizer Kantons- und Stadtchemiker diskutieren über Limonade

[…]

4. Der gegenwärtige Stand der Limonadendeklaration.

Ambühl: Nach Art. 141 und Art. 3 der Lebensmittelverordnung ist für Limonadengetränke, sofern sie einen Phantasienamen tragen, die Sachbezeichnung „Limonade“ auf der Etiquette unerlässlich; der Phantasienamen darf nicht in grösseren Buchstaben angebracht sein, als die Sachbezeichnung. Um dieser Bestimmung, gegen welche sich die Fabrikanten hartnäckig wehren, Nachachtung zu verschaffen, hat die kant. Sanitätsdirektion von St.Gallen das kantonale Laboratorium [unter der Leitung des Kantonschemikers Gottwald Ambühl] mit der Durchführung der genannten Artikel betraut in dem Sinne, dass es die Limonadenfabrikanten auf die gesetzlichen Vorschriften aufmerksam machen und nach Ablauf der gewährten Uebergangsfrist die Fehlbaren dem Gemeinderat anzeigen muss. Einsprachen gegen die vom Laboratorium geforderte Art der Etiquettierung der Limonadenflaschen sind an die Sanitätskommission zu richten; die Berufung an eine Oberexpertise ist der Sachlage nach nicht angängig.

[…]

Quellen: Staatsarchiv St.Gallen, A 500/1.1 (Verband der Kantonschemiker und Stadtchemiker der Schweiz, Auszug aus dem Protokoll der Sitzung vom 28. Oktober 1916 in Basel) und KA R.118-4, Brief vom 09.05.1918 (Unterschrift von Gottwald Ambühl, St.Galler Kantonschemiker von 1878-1923 auf einem Dokument von 1918)

 

Dienstag, 12. September 1916 – Dem Kartoffelmangel begegnet man mit Mais und Reis

Tagebucheintrag von Josef Scherrer-Brisig (1891-1965), Sekretär des Schweizerischen Christlichen Textilarbeiterverbands (1910-1916), später Kantonsrat und Nationalrat, Mitbegründer der Christlichsozialen Bewegung:

Lebensmittel-Kommission. Regierungsrätlich.

Anwesend: Regierungsrat Baumgartner, Ruckstuhl, Koch, Dr. Ambühl, Dr. Nägeli, Gabathuler, Engensperger, Scherrer

Zweck: Mittel und Wege zu finden zur Verhütung der Not, Verproviantierung des Volkes mit Lebensmitteln. Milchversorgung ist geregelt. Kartoffelversorgung, von der Bestandaufnahme wird vorläufig abgesehen. Sie ist aber der Zukunft noch vorbehalten. Es wird zu wenig Kartoffeln haben. Es sollen Ersatzmittel gesucht werden, vor allem Mais und Reis. Die Gemeinden sollten Mais und Reis sofort verschaffen und an die Bevölkerung abgeben. Denn Abgabe der Lebensmittel ohne unbemittelte Fleischspeise sollen nicht eine nicht mehr zu beschaffende Höhe erreichen. Dr. Engensberger bestätigt eigentlich meine Angaben. Dr. Nägeli will einen besseren Kontakt schaffen zwischen Produzenten und den Gemeinden. Fleisch, Speck amerikanischer 2.60 kg. nächsthin erhältlich. Die Massenspeisung wird erwogen. Schwierigkeiten bestehen.

Gabathuler

Resultat: 1. Besserer Kontakt zwischen Produzenten und Konsument unter Ausschaltung des Zwischenhandels. 2. Abgabe der Lebensmittel unter den Unkosten an die ärmere Bevölkerung, wobei der Kanton etwas leisten soll. Dr. Engensperger regt eine Bezugskarte für die Abgabe von Lebensmitteln an, die eine glatte Organisation ermöglicht.

Brennholz aus den Staatswaldungen. Gabathuler würde es übernehmen für die Gemeinden Mais etc. zu liefern. Dr. Ambühl will schärfere Massnahmen auf dem Kartoffelmarkte. Dr. Engensperger möchte den Gemeinden eine Provision geben, die Kartoffeln an konsumierende Gemeinden geben. Dr. Baumgartner bemerkt, dass Kartoffeln nur noch der Bund, die landwirtschaftlichen Genossenschaften, die Brennereien und jene, die bisher mit Kartoffeln Grosshandel getrieben haben. Die Behörden in Altstätten sollen verwarnt werden.

Die gestern abgegangene Eingabe an die Regierung des Kantons St. Gallen hat rasch gefruchtet, indem ich heute Morgen schon Bericht bekam an der von der Regierung eingesetzten Lebensmittelkommission als Mitglied aufzutreten. Es ist das doch auch wieder ein kleiner Erfolg unserer entschlossenen Arbeit. Würde nur allerorts stets flink gearbeitet, wir würden schon vorwärtskommen.

Bereits am 26. Februar war im St.Galler Bauer ein Artikel über Das Backen von Türkenbrot erschienen. Dieses wurde in Wartau, Werdenberg und im Sarganserland nach wie vor in den Privathaushalten hergestellt: Verwendet wird ein Gemisch von Maismehl und Vollmehl, z.B. im Mischungsverhältnis von gleichen Teilen beider Sorten oder 15 Pfund Weizenmehl und 9 Pfund Maismehl. Der selbst gebaute Mais gibt ein besseres Mehl, als der amerikanische Platamais. Von diesem wird das Brot kurz und brosmet bald. Je grösser der Anteil des Maismehles ist, um so weniger geht das Brot auf und um so mehr tritt der süssliche Geschmack des Maises hervor. Der hohe Maisgehalt macht das Brot auch feucht und „kurz“, aber nicht „spähnig“. Der Artikel beschrieb im Detail, wie der Teig für das Türkenbrot herzustellen, der Ofen einzuheizen und zu backen sei. Im Keller aufbewahrt, halte sich das Brot mindestens acht Tage lang gut, wobei es im Sommer weniger haltbar sei als im Winter.

Quellen: Staatsarchiv St.Gallen, W 108/1 (Tagebuch) und W 248/82 (St.Galler Bauer, 3. Jg., Heft 8, 26.02.1916, S. 115-117) sowie ZOF 003/2.12 (Maisfeld vor den Baracken der Häftlinge der Strafkolonie Salez, ca. 1921-1925)

Mittwoch, 16. August 1916 – Obsternte im Linthgebiet: wenig Birnen für die Kinder

Situationsbericht von der Linth, den 16. August.

Die seit vier Wochen anhaltend trockene, heisse Sommerwitterung mit nur geringen Niederschlägen war bis jetzt den Kulturen im allgemeinen günstig, manche derselben fangen nun aber an, unter der Trockenheit etwas zu leiden und wäre daher ein baldiger ausgiebiger Regen unsern Bauern nicht unerwünscht. Die nte geht dem Abschlusse entgegen; auch in den höhern Lagen ist das Emdgras grösstenteils eingesammelt unter den günstigen Verhältnissen. Die Qualität des Emdes hat namentlich an den sonnigen Halden durch das massenhafte Auftreten von Engerlingen stark gelitten. Die Durchschnittserträge des Emdes dürfen als mittelmässig bezeichnet werden. Der Stand der Alpenweiden ist gut, doch hat in den letzten Tagen an den sonnig gelegenen Weiden das Gras infolge der Trockenheit merklich abgenommen. Die Ernte der Frühkartoffeln ist vorbei; die Erträge befriedigten nicht überall, dagegen stellen die Spätkartoffeln eine gute Ernte in Aussicht. Durchwandert man die Baumreihen in Feld und Garten, so beobachtet man, dass die Obstbäume sich im allgemeinen ordentlich erholten von der ungünstigen Frühlingswitterung (Föhnwitterung), nur fällt stellenweise, namentlich bei den Birnbäumen, die ungewohnte Leere uns auf; da gibt’s im Herbst nicht so viel zu nagen und die Kinder haben auch nicht gar viel Ferienarbeit mit dem Einsammeln der runden, wohlschmeckenden Früchte. Nach allen eingegangenen Berichten zu schliessen, fällt die Obsternte geringer aus als im Vorsommer erwartet wurde. Die orkanartigen Gewitterstürme in der ersten Monatsdekade Julis haben leider gar viele junge Früchte samt den Aesten und Zweigen abgeworfen. Sodann macht man die Wahrnehmung, dass die Obsternte heuer sehr ungleich ausfällt. Mancher Landwirt hat eine ordentliche Ernte sowohl an Aepfeln wie an Birnen in Aussicht, während seine Nachbaren wieder mit sehr geringen Erträgen vorlieb nehmen müssen. Die vorhandenen Obstsorten, die Lage, Bodenbeschaffenheit und Pflege der Obstkulturen beeinflussten die diesjährigen Obsterträge auffallend stark. Uebrigens entwickeln sich die vorhandenen Früchte prächtig und es darf auch auf eine zeitige Obsternte gerechnet werden.

Quellen: Staatsarchiv St.Gallen, W 248/82 (St.Galler Bauer, 3. Jahrgang, Heft 34, 26.08.1916, S. 573-574) und ZOA 001/3.05 (Stilleben mit Obst, fotografiert vom Porträt- und Kirchenmaler Franz Vettiger aus Uznach als Vorlage für ein Bild)

Sonntag, 16. Juli 1916 – «Zu allen Zeiten erklingt das Preislied des Salates»

Die Sonntagsbeilage zum St.Galler Tagblatt für das Wochenende vom 15. und 16. Juli 1916 enthielt folgenden Text (der Lesbarkeit halber in ein paar zusätzliche Abschnitte gegliedert):

Geschichten vom Salat.

Der Salat, dieses so unscheinbare Gericht, ist von alters her der Liebling der Feinschmecker gewesen, die ihn in zahllosen Lobreden feierten. Haben doch schon die alten Philologen aus einer Stelle des Lucian den Schluss gezogen, dass die Götter Griechenlands ausser ihrem Nektar und Ambrosia noch Salat genossen, ja, dass Hebe darin gern des Guten zu viel tat; bei Plautus rechnet ein Kenner das «Kraut mit Essig und Salz» zu den «königlichen Speisen», während der Philosoph Aristoxenos von Cyrene alltäglich der Mutter Erde für den «grünen Kuchen» dankte, den sie ihm in ihrer Güte als höchsten Genuss spendet[e].

In der Renaissance fand der Dichter Molza keinen würdigeren Stoff für ein episches Gedicht als den Salat, als dessen Erfinder er Adam im Paradiese preist und von dem er sagt, Lorbeeren, Myrthen und alle anderen gefeierten «Gemüse» müssten ihren Ruhm an den Salat hingeben, der mehr Glück und Freude bereitete, als sie alle. Ganz besondere Kräfte freilich wies der sprichwörtlich gewordene «Salat des Papstes Sixtus V.» auf, den dieser einem armen Freund als Heilmittel sandte und der auf seinem Boden eine mit Zechinen gespickte Börse enthielt.

Zu allen Zeiten erklingt das Preislied des Salates. Da findet ein Philosoph in der Köstlichkeit dieser Speise den besten Beweis für die Notwendigkeit des vegetarischen Lebens, und Rousseau, der den Salat nur von den zarten Händen eines Mädchens zwischen 15 und 20 Jahren bereitet wissen wollte, sieht in seiner Vertilgung ein Hauptmittel gegen Grausamkeit und Blutgier. «Was gibt es Köstlicheres, als einen grünen, frischen und schmackhaften Salat,» [sic] ruft Don Quixote aus, als ihn Cervantes so weise Bemerkungen über die Kunst der Küche machen lässt.

Wie sehr sich bereits unsere Altvorderen mit dieser «Speise der Speisen» beschäftigten, geht aus den Angaben eines der ältesten Kochbücher hervor, dem des Marx Rumpolt vom Jahre 1501. 50 verschiedene Salate werden hier angegeben, neben den mannigfachen Arten des Lattich, der eigentlichen Salatpflanze, Gurken, Rapunzel, Endivien, Kresse, Sellerie, Spargel, Bohnen, Kartoffeln, rote Rüben, Sauerampfer usw.

Ein besonderer Salatverehrer, der Freiherr von Biedenfeld, hat in einem dicken Werk, so wie ein Kunstfreund den Katalog seiner Sammlung darbietet, die reiche Fülle von Pflanzen zusammengestellt, die die gütige Natur zur Bereitung der mannigfachsten Salate uns schenkt.

In Frankreich, dem klassischen Lande des Salates, wo es heisst, dass ein guter Franzose nur zwei Speisen nötig habe, Suppe und Salat, haben sich grosse Gelehrte über die beste Zubereitung dieses Nationalgerichtes den Kopf zerbrochen, und es kam zu einem edlen Wettstreit zwischen den beiden Chemikern Fourcroy und Chaptal, wer das beste Rezept angäbe. Chaptal siegte. Der gefeiertste Salatkünstler aber war der «grosse Gaudet», der den Kultus dieses Gerichtes während der französischen Revolution nach England brachte. Als blutarmer Emigrant flüchtete er nach London; der vornehme Aristokrat konnte nur eins: nach der damaligen französischen Mode den Salat aufs schmackhafteste und zierlichste zubereiten. Diese Kunst begeisterte die Briten so, dass sie ihn wie ein Wunder anstaunten. Im eigenen Wagen fuhr er von Diner zu Diner, erhielt für die Zubereitung einer einzigen Portion Salat zehn Guineen und war so beschäftigt, dass er sich alle Aufträge wenigstens eine Woche früher erbitten musste und auf diese Weise zum reichen Manne wurde.

Auch Deutschland hat damals seine «Salatkünstlerin» gehabt. Es war die schöne Madame Drake, die Wirtin des Hotels zur Stadt Rom, des besten Gasthofes in Berlin um 1790; jedes Tischgespräch an ihrer vielbesuchten Tafel verstummte und machte der Bewunderung Platz, wenn sie die langen weissen Handschuhe, in denen sie gegessen hatte, ablegte und mit deutschem Ernst bat, man möge sie nicht stören, denn solle der Salat glücken, dann müsse sie sich ganz ungeteilt seiner Bereitung widmen.

Der Baron Vaerst, ein Feinschmecker, dem wir eine lange gelehrte Abhandlung über den Salat verdanken, ist geneigt, in der Verbreitung und Verehrung dieser Speise bei einem Volke einen Massstab für seine Kultur zu suchen. Jene letzten Tiefen der «Salatkunst» freilich werden nur wenige erreichen, von denen Vaerst sagt: «Mit allem Geiste, den man haben mag, ist man ebenso wenig, wie mit aller Weisheit allein imstande, einen guten Salat zu bereiten; es gehören grundeigentümlich hierzu durchaus vier Menschen: ein Verschwender, der das Oel gibt und giesst, ein Geizhals für den Essig, ein Weiser zum Salz und ein Narr zum Wenden und Mengen der vier Elemente.»

C.W.K.

Quellen: Staatsarchiv St.Gallen, P 945 (St.Galler Blätter für Unterhaltung und Belehrung aus Kunst, Wissenschaft und Leben, Nr. 28, 1916, S. 219) und ZNA 09/0082 (Bild, Werner, Franz (Bearb.): Grabers Leitfaden der Tierkunde für die oberen Klassen der Realgymnasien, 8. Aufl., Wien/Leipzig 1919, S. 115)

Dienstag, 27. Juni 1916 – Gratulation zum 5. Hochzeitstag

Brief an das Ehepaar Gebhard (1870-1946) und Fanny Lutz-Giger (geboren 1876) von Theresia Messmer-Lutz (1872-1942):

St.Gallen, 27. Juni 1916.

Liebes 5jähriges Hochzeitspaar!

Herzlichen Glückwunsch zu den folgenden 4 ½ „Gsätzli“!

Lege Euch hiermit zeitgemäss ein „Pulverhorn“ bei; aber auch eine „Zither“ dazu; letztere zu mehrerem Gebrauch. In der „Ostschweiz“ erschien letzthin: „der alte Tiroler“ aus dies. Büchlein. Ist es nicht schön?

Mit herzlichem Gruss, in Erinnerung an den schönen Tag vor 5 Jahren

Diesem zu Ehren erlaube mir noch schnell auf dem Heimweg vom Köppel eine – Glace im Park. Würde sie noch lieber mit Euch gemeinsam d.h. jedem dann 1 Portion – einnehmen.

Nun ist Antoneli als Ersatz bei mir.

Adiö!

Das Hochzeitsessen vom 27. Juni 1911 entsprach dem in höheren bürgerlichen Kreisen vor dem Ersten Weltkrieg Üblichen.

Menu-Karte II

Quellen: Staatsarchiv St.Gallen, W 289/20-2 (Brief) und W 289/19-01.04 (Menukarte zum Hochzeitsessen 1911)

Samstag, 24. Juni 1916 – Lieber Most als teures und schlechtes Bier

Zur Zunahme des Mostkonsums.

Der Verband schweiz. Obsthandels- und Obstverwertungsfirmen hat bei 68 schweiz. Grossmostereien eine Erhebung über den Mostabsatz im Monat März 1916 durchgeführt. Dabei hat sich die gewiss interessante Tatsache ergeben, dass das während eines Monats abgesetzte Quantum Most nicht weniger als 30500 Hektoliter, d.h. 3,05 Millionen Liter betrug. Im gleichen Zeitraum des Vorjahres betrug der Absatz nur 9000 Hektoliter oder 0,9 Millionen Liter. Dieser mehr als dreimal grössere Absatz gegenüber dem Vorjahre hat im April und Mai nicht nur angehalten, sondern sich offenbar noch gesteigert. Zu dieser Erscheinung hat wohl das teurere und dabei schlechtere Bier nicht wenig beigetragen.

Die genannte Enquete hat aber noch ein weiteres bemerkenswertes Resultat zutage gefördert. Während im März 1915 von 608 Wirten 2271 Hektoliter Most bezogen wurden, machten im März 1916 nicht weniger als 2075 Wirte Bestellungen im Umfange von 7993 Hektolitern.

H.G.

Mosterei Schegg

Quellen: Staatsarchiv St.Gallen, W 248/82 (Rubrik „Kurze Mitteilungen“ in St.Galler Bauer, 3. Jahrgang, Heft 25, 24.06.1916, S. 417) sowie ZMH 40/017 und ZMH 10/001 (Briefköpfe)

Montag, 12. Juni 1916 – Familienleben eines Politikers

Tagebucheintrag von Josef Scherrer-Brisig (1891-1965), Sekretär des Schweizerischen Christlichen Textilarbeiterverbands (1910-1916), später Kantonsrat und Nationalrat, Mitbegründer der Christlichsozialen Bewegung:

Nachheiligtag. Wir gehen mit den beiden Kindern Gertrud und Fides zur Grossmutter und Tante nach Lüchingen im Rheintal. Das Wetter scheint am Morgen gut zu werden; doch am Abend regnet es wieder in Strömen. Doch war es ein Tag der Ausspannung von Last und Mühe des dornigen Alltags.

Die Familie Scherrer-Brisig wurde beim Verwandtenbesuch sicher gut bewirtet, möglicherweise auch mit einem kleinen Schnaps zum Sonntagskaffee. Ob es Produkte aus der Firma Schorta-Holenstein in Lüchingen waren, lässt sich natürlich nicht nachweisen. Die Firma vertrieb laut Briefkopf Bündner Enzian, Wachholder, Kirsch sowie sämtliche Spirituosen.

Porträt Scherrer

Quellen: Staatsarchiv St.Gallen, W 108/1 (Tagebuch) und ZMH 02/027 (Ausschnitt aus dem Briefkopf der Firma J. Schorta-Holenstein, Lüchingen-Altstätten)

 

Montag, 3. April 1916 – Ungarischer Sandzucker, Mastmehl, Vorbruchbutter und Waschbenzin: Höchstpreise für tägliche Bedarfsgüter

Das nachstehende Kreisschreiben stellt sämtliche zu diesem Datum gültigen Höchstverkaufspreise für Getreide, Milchprodukte, Zucker, Benzin und Leder zusammen. Die Übersicht macht deutlich, für welche Bedarfsgüter die Landesregierung im Rahmen der wirtschaftlichen Landesversorgung bis zu diesem Zeitpunkt eine Regelung für notwendig hielt. Die Bestimmungen sind eine Vorstufe zu den im Herbst 1917 eingeführten Rationierungsmassnahmen.

Kreisschreiben des Volkswirtschaftsdepartementes des Kts. St.Gallen an sämtliche Bezirksämter, Gemeindebehörden und Polizeiorgane desselben betreffend Waren-Höchstpreise.

Vom 3. April 1916.

Nachdem wir die Wahrnehmung machen mussten, dass die verschiedenen Bundesratsbeschlüsse betreffend Ansetzung von Höchstpreisen für Lebensmittel und andere Bedarfsartikel, die bisher erfolgt und sukzessive im kantonalen Amtsblatt publiziert worden sind, noch nicht die notwendige allgemeine Beachtung gefunden haben, bringen wir sie anmit zusammenfassend nochmals zur allgemeinen Kenntnis.

Ausser den bereits festgesetzten Höchstpreisen ist aber auch die eidgenössische Verordnung gegen die Verteuerung von Nahrungsmitteln und andern unentbehrlichen Bedarfsgegenständen vom 10. August 1914 (publiziert im kantonalen Amtsblatt 1914, II, Seite 215) zu beachten, wonach u.a. wegen Wuchers mit Gefängnis oder Busse bis zu Fr. 10,000.- zu bestrafen ist: „Wer für Nahrungsmittel oder andere unentbehrliche Bedarfsgegenstände Preise fordert, die gegenüber dem Ankaufspreis einen Gewinn ergeben würden, der den üblichen Geschäftsgewinn übersteigt“ usw.

Die heute in Kraft bestehenden speziellen Höchstpreise beziehen sich nun auf folgende Artikel:

I Getreide und Mahlprodukte.

a) Verfügung des schweizerischen Militärdepartementes vom 19. Februar 1916. (Amtsblatt 1916, I, S. 311.)

1. Seit 21. Februar 1916 haben folgende Verkaufspreise des eidgenössischen Oberkriegskommissariates Gültigkeit:

Weizen Fr. 43.-
Roggen 40.-
Hafer 37.-

für 100 kg netto, ohne Sack;

Futtermais, gelb 28.-
Essmais, rot 29.-
Futtergerste 37.-
Braugerste   42.-

für 100 kg mit oder ohne Sack, nach Wahl des Oberkriegskommissariates alles franko Bahnstation des Käufers, gegen Barzahlung

Vollmehl Fr. 43.-
Kleie (Krüsch) 40.-
Mastmehl (Ausmahleten) 37.-

für 100 kg netto, ohne Sack, ab Mühle gegen Barzahlung.

2. Vorstehend festgesetzte Höchstverkaufspreise für Vollmehl, Kleie und Mastmehl gelten sowohl für die Mahlprodukte aus Weizen als auch für diejenigen aus Spelzweizen (Dinkel, Korn), Roggen und Mischel.

3. Kleinverkäufer und Wiederverkäufer dürfen für Mahlprodukte (Vollmehl, Kleie und Mastmehl), bei Abgabe von Quantitäten unter 100 kg, einen angemessenen Preiszuschlag erheben.

b) Verfügung des schweizerischen Militärdepartementes vom 3. März 1916. (Amtsblatt 1916, I, S. 406.)

Für den Handel mit Reis gelten folgende Höchstpreise:

  1. Grosshandel. Die Lieferung von gutem Speisereis erfolgt nach den in Ziffer 1 der Verfügung genannten Bedingungen durch das Oberkriegskommissariat zum Preise von Fr. 60.- pro 100 kg brutto für netto. Müssen geringere Qualitäten abgegeben werden, so reduziert hierfür das Oberkriegskommissariat obigen Höchstpreis. Beim Weiterverkauf ganzer Wagenladungen durch den Handel ist ein Zuschlag von höchstens Fr. 50.- pro 10,000 kg gestattet.
  2. Migroshandel. (Lieferung sackweise in die Kleinverkaufsstellen.) Zu den Originalpreisen des Oberkriegskommissariates ist ein Zuschlag von Fr. 2.50 pro 100 kg gestattet. In diesem Zuschlag sind alle Spesen des Händlers für Zufuhr zu seinem Magazin, Magazinierung und Abfuhr der Ware auf die Abgangsstation oder zum Hause des Käufers bis zu einem Umkreis von 4 km inbegriffen. Frachtspesen oder besondere Spesen für die Zufuhr auf grössere Distanzen fallen zu Lasten des Käufers. Der Zuschlag von Fr. 2.50 versteht sich bei Barzahlung der Ware bei der Lieferung; er darf nicht um Beträge erhöht werden, die dem Käufer in Form von Skonto wieder zufliessen. Bei Zahlungsstundung ist die Verrechnung eines angemessenen Zinses gestattet. Der Zuschlag darf ferner nicht erhöht werden, auch wenn die Abgabe an Kleinverkaufsstellen in Quantitäten von unter 100 kg stattfindet.
  3. Kleinverkauf. (Kiloweise Abgabe.) Der Höchstverkaufspreis wird für gute Ware auf 80 Rappen pro Kilogramm festgesetzt; er ist für allfällige geringere Qualitäten entsprechend dem niedrigeren Einstandspreis zu reduzieren. Der Höchstpreis darf nicht um Beträge für zu gewährende Rabattsätze gesteigert werden.

II Milchprodukte.

Bundesratsbeschluss betreffend Verkauf von Butter und Käse vom 27. November 1915. (Amtsblatt 1915, II, S. 937 f.)

Höchstpreise für Butter.

1. Grosshandelspreise. Die Höchstpreise für Butter, die die Produzenten beim Verkauf im Grosshandel, franko Abgangsstation geliefert, für 1 kg fordern dürfen, sind folgende:

für Zentrifugen-, Rahm- oder Nidelbutter, I. Qualität Fr. 4.20
für Zentrifugen-, Rahm- oder Nidelbutter, II. Qualität 4.-
für Käserei-, bezw. Vorbruchbutter 3.80

Wiederverkäufer dürfen für Butter, die sie zu den obgenannten Preisen gekauft haben, darauf 10 Rappen für 1 kg zuschlagen.

Für das Formen der Butter und besondere Verpackung der einzelnen Stücke ist bis zu 1 kg ist [sic] für Produzenten und Händler ausserdem ein Preiszuschlag von 20 Rappen für 1 kg zulässig.

2. Kleinhandelspreise. Im Kleinhandel dürfen für 1 kg nicht höhere als die nachstehenden Preise gefordert werden:

  in Stücken von ¼ kg und mehr von Stock

Fr.

in Formen von mehr als 250-1000 gr

Fr.

in Formen von 50-250 gr

Fr.

Zentrifugen-, Rahm- oder Nidelbutter, I. Qualität 4.60 4.80 5.-
Zentrifugen-Molken-, Rahm- oder Nidelbutter, II. Qualität 4.40 4.60 4.80
Käserei, bezw. Vorbruchbutter 4.20 4.40 4.60

 Höchstpreise für Käse.

  a) bei Bezug von einzelnen ganzen Laiben (Abgabe an Wiederverkäufer und Konsumenten) b) Verkauf im Ausschnitt (Detail-Laden-Preise bei Bezügen von)
    4 kg und mehr weniger als 4 kg
Emmentaler-, Greyerzer- und Spalen-Schnittkäse, vollfett      
I. Qualität 2.25 2.60 2.80
II. Qualität 2.15 2.50 2.70
Halbfette Käse der obgenannten Sparten 1.90 2.10 2.20
¼ fette Rund-, bezw. Hartkäse 1.70 1.90 2.-
Handmagerkäse 1.40 1.70 1.80
Zentrifugenmagerkäse 1.10 1.40 1.50
Spalen-Reibkäse 2.70 3.10 3.30
Tilsiter, vollfett, laibweise 2.10 2.30 2.40
Tilsiter, halbfett, “ 1.80 2.- 2.10
Tilsiter, ¼ fett, “ 1.50 1.70 1.80

Die Preise sub a verstehen sich ab Lager, bezw. nächste Poststelle oder Eisenbahnstation des Lieferanten, bei Abnahme von wenigstens einem ganzen Laibe, gegen Barzahlung. Für besondere Verpackung, wo eine solche nötig ist, dürfen die Selbstkosten berechnet werden.

In den Verkaufsstellen ist jede vohandene Käsesorte mit einer Aufschrift zu versehen, auf welcher Sorte, Qualität und Preis für 1 kg genau anzugeben sind. Mangelhafte und unrichtige Bezeichnungen werden bestraft.

Die als Fettkäse verkaufte Ware muss wenigstens 40% Fett in der Trockenmasse enthalten, die halbfette wenigstens 20% und die ¼ fette mindestens 10%.

Für die Abgabe von Käse in ganzen Mulchen oder in Teilen von solchen gelten die Bestimmungen des Bundesratsbeschlusses betr. die Versorgung des Landes mit Milch und Milchprodukten vom 25. März 1916 (Amtsblatt 1916, I, Nr. 14).

Schabzieger (Kräuterkäse).

  1. Bei Abgabe an Wiederverkäufer Fr. 1.35 für 1 kg ab Lager, bezw. Poststelle oder Bahnstation des Lieferanten.
  2. Ladenpreise für Detailverkauf Fr. 1.70 für 1 kg.
  3. Hausierpreise. Für je 100 g 20 Rp.

III Höchstpreise für Zucker.

Bundesratsbeschluss vom 8. Februar 1916. (Amtsblatt 1916, I, S. 274 f.)

I. Grosshandel: Bei Lieferungen von mindestens 10,000 kg Zucker in einem Posten und von einer und derselben Sorte werden folgende Höchstpreise festgesetzt:

1. Ungarischer Sandzucker Fr. 71.- Für 100 kg brutto für netto (Kisten netto) franko schweizerische Bahnstation, ohne ausgesprochene Bergbahnen, gegen Barzahlung. Säcke und Kisten sind im Preise inbegriffen und dürfen nicht besonders verrechnet werden.
2. Raffinierter Kristallzucker u. Pilé 75.-
3. Zucker in Broden (Stockzucker) 78.-
4. Gros déchets 79.-
5. Grieszucker 79.-
6. Mehlzucker 80.-
7. Würfelzucker in Säcken 81.-
8. Würfelzucker in Paketen 83.-
9. Würfelzucker in Kisten 85.-

 II. Migroshandel (Lieferungen sack- oder kistenweise in Posten unter 10,000 kg).

In den für den Grosshandel festgesetzten Preisen ist ein Zuschlag von Fr. 2.00 per 100 kg gestattet. Hiebei gelten in analoger Weise die für den Migroshandel mit Reis aufgestellten Bestimmungen (siehe oben Ib, 2).

III. Kleinverkauf. Soweit die kantonalen Regierungen von dem in Art. 12 des vorgenannten Bundesratsbeschlusses niedergelegten Recht keinen Gebrauch machen, gelten folgende Höchstpreise:

    pro kg
1. Ungarischer Sandzucker Fr. 0.85
2. Raffinierter Kristallzucker u. Pilé 0.90
3a. Zucker in Broden, ganze Stöcke 0.92
b. Zucker in Broden, im Anbruch   0.95
4. Gros déchets 0.95
5. Grieszucker 0.95
6. Mehlzucker 0.96
7. Würfelzucker (Sackware) 0.98
8. Würfelzucker in Paketen 1.-
9a. Würfelzucker in ganzen Kisten 1.-
9b. Würfelzucker aus Kisten im Anbruch   1.05

 Die festgesetzten Höchstpreise sind absolute; sie dürfen nicht um Beträge für zu gewährende Rabattsätze erhöht werden.

In den Verkaufsstellen ist jede vorhandene Zuckersorte mit einer Aufschrift zu versehen, auf welcher Sorte, Qualität und Preise für 1 kg genau angegeben sind. Mangelhafte und unrichtige Bezeichnungen werden bestraft.

IV Höchstpreise für Petroleum.

(Verfügung des schweizerischen Volkswirtschaftsdepartementes vom 22. Februar 1916.) (Amtsblatt 1916, I, S. 405.)

Der Höchstpreis für Abgabe an die Konsumenten beträgt Fr. 45.70 per 100 kg oder 37 Rp. per Liter.

Falls Petroleum abgefüllt, in Kannen fanko Haus geliefert wird, darf ein weiterer Zuschlag von 1 Rp. per Liter zum Laden-Detailpreis gemacht werden. Für diese Lieferungen stellt sich also der Detailhöchstpreis auf Fr. 47.- per 100 kg oder 38 Rp. per Liter.

Hinsichtlich der Höchstzuschläge der Grossisten zum Abgabepreis der Warenabteilung des schweizerischen Volkswirtschaftsdepartementes bei Abgabe von ganzen Wagenladungen, sowie für die Verteilung durch die Tankwagen oder in Fässern vergleiche oberwähnte Verfügung (Amtsblatt 1916, I, S. 405).

V Höchstpreise für Benzin.

(Verfügung des schweizerischen Volkswirtschaftsdepartementes vom 11. März 1916.) (Amtsblatt 1916, I, S. 470.)

Höchstpreis für den Kleinverkauf in Quantitäten von 5 Litern und mehr

für Automobilbenzin zirka 700/730 Fr. 65.- per 100 Liter
Waschbenzin 740/760 58.- 100

 Für die Abgabe von Quantitäten unter 5 Liter bleibt der Preis frei. Der Kleinverkauf soll ausschliesslich in Litern erfolgen.

Hinsichtlich der Höchstzuschläge der Grossisten zu den Abgabepreisen der Warenabteilung des schweizerischen Volkswirtschaftsdepartementes bei Abgabe von ganzen Wagenladungen, sowie für die Verteilung in Fässern an Wiederverkäufer oder Selbstverbraucher vergleiche die oberwähnte Verfügung (Amtsblatt 1916, I, S. 470).

VI Höchstpreise für Leder.

Interessenten werden verwiesen auf die Verfügung des schweizerischen Volkswirtschaftsdepartementes betreffend die Lederversorgung vom 10. März 1916 (Amtsblatt, I, S. 467).

Den Gemeindebehörden wird empfohlen, dafür besorgt zu sein, dass vorstehendes Verzeichnis, wie auch gelegentlich nachfolgende sachbezügliche Publikationen in den für die betreffenden Produkte in Betracht fallenden Verkaufslokalen für das Publikum sichtbar angeschlagen werden.

Im übrigen wird ausdrücklich auf die die verzeichneten Höchstpreise begleitenden nähern Bestimmungen und Strafandrohungen in obzitierten Beschlüssen und Verfügungen hingewiesen und betont, dass das kantonale Amtsblatt, in dem sämtliche einschlägigen Erlasse zur Publikation gelangten, jedermann auf den Gemeinderatskanzleien zur Einsicht offen steht. Nach wie vor muss daher im Zuwiderhandlungsfalle die Einrede der Unkenntnis unnachsichtlich zurückgewiesen werden und die Missachtung der erwähnten Verordnungen strenge Ahndung finden.

St.Gallen, den 3. April 1916.

Für das Volkswirtschafts-Departement

des Kantons St.Gallen,

Der Regierungsrat:

Dr. G. Baumgartner.

Quellen: Staatsarchiv St.Gallen, KA R.102-1a-4 (Kreisschreiben des Volkswirtschaftsdepartements des Kantons St.Gallen) und ZMH 64/195 (Ausschnitt aus einem Briefkopf der Zuckerwarenfabrik Gebrüder Iselin in St.Gallen, 1917)

Donnerstag, 30. März 1916 – Die Not der Arbeiterschicht: «Wäre ich ein Mann und nicht eine Frau mit schwacher Kraft, […]»

Das Budget einer Wehrmannsfrau.

Die Frau eines Schweizer Wehrmanns schreibt unserm Berner Parteiblatt:

Ich möchte nachfolgende Rechnung zur Veröffentlichung übermitteln und dabei zugleich an irgendwelche bürgerliche Dame die Bitte richten, mir auseinanderzusetzen, wie ich mich in der heutigen Zeit mit meinen Kindern überhaupt noch über Wasser halten soll.

Mein Mann steht nun neun Monate an der Grenze. Ich bin lungenkrank und kann deshalb nicht an einen Erwerb denken, umso weniger, da ich noch zwei kleine Kinder habe. An Militärunterstützung werden mir Fr. 3.40 pro Tag ausbezahlt. Das macht im Monat 102 Franken.

Davon gehen ab:

für Miete                                          Fr. 37.-

für elektrisches Licht                      Fr. 1.90

für Gas (durchschnittlich)              Fr. 2.-

für Holz und Kohlen (bei grösster Sparsamkeit)                   Fr. 1.50

Total                                                 Fr. 44.90

Bleiben also im Monat für Nahrungsmittel Fr. 57.10. Das macht auf den Tag für drei Personen die grosse Summe von Fr. 1.92 oder pro Person 64,3 Rp. Auf den 1. Mai will aber unser Hausbesitzer mehr Mietzins haben. Die Bauern wollen noch mehr Geld für ihre Milch. Dann stellt sich meine Rechnung noch ungünstiger. Hin und wieder kommen sowieso noch Auslagen für Wolle dazu, denn mein Mann braucht im Militärdienst nicht wenig Socken. Auch die Wäsche zerreisst. Die Kinder müssen Schuhe und Strümpfe haben, von den Kleidern nicht zu reden. Die mache ich schon längst von alten, oft recht dünnen, abgelegten Kleidern meines Mannes und von mir. Mein Mann steht jetzt neun Monate an der Grenze, und bis er zurückkommt, wird es wohl ein Jahr sein. In dieser Zeit habe ich gespart, jeden Rappen zweimal umgedreht, bevor ich ihn ausgab, nur um keine Schulden machen zu müssen. Wenn ich daran denke, dass Tausende von Wehrmannsfrauen ähnlich oder gleich traurig dastehen, so frage ich mich: Können wir denn gar nichts tun, um unser Leben menschenwürdiger zu gestalten? Müssen wir nur hungern und zusehen, wie sich die reichen Leute satt essen, während unsere Männer und Väter an der Grenze stehen? Lohnt es sich denn überhaupt noch, eine solche „Heimat“ zu verteidigen? Wer solches erlebt hat wie ich, monatelang fast keinen Tag sich satt gegessen hat, nur, um nicht betteln oder stehlen gehen zu müssen und den Kindern genügend Brot geben zu können, weiss, dass es dringend notwendig wäre, im eigenen Lande aufzuräumen. Wäre ich ein Mann und nicht eine Frau mit schwacher Kraft, es wäre mir nicht zuviel, Tag für Tag das darbende, hungernde Arbeitervolk aufzuklären, ja direkt aufzuhetzen: Stellt den letzten Mann, schliesst eure Reihen, um gegen den Feind zu kämpfen, aber nicht gegen den äussern, das ist nicht der schlimmste.

Quellen: Staatsarchiv St.Gallen, P 908 (Volksstimme. Sozialdemokratisches Tagblatt für die Stadt St.Gallen und die Kantone St.Gallen, Appenzell und Thurgau, Nr. 76, 30. März 1916) und W 238/09.15-42 (Produktionsgebäude und Arbeiterwohnhäuser der Stickerei A. Gätzi in Engelburg bei St.Gallen)

Mittwoch, 23. Februar 1916 – Jost, der zuverlässige Schlachthausbursche

Zeugnis

Jost Etterlin von Muri stand bei Herrn E. Schläpfer-Siegfried im Dienste als Schlachthausbursche vom 10. Oktober 1910 – 30. November 1914 und bei uns vom 1. Dezember 1914 – 20. Dezember 1915.

Während dieser Zeit haben wir denselben als einen durchaus tüchtigen, fleissigen und zuverlässigen Burschen kennen gelernt, der die ihm übertragene Arbeit stets zu unserer vollsten Zufriedenheit erledigt hat. Wir können J. Etterlin jedermann bestens empfehlen.

Grossmetzgerei, Wurst & und Conservenfabrik A.G. i/Liq.

J. Brunner

St.Gallen, den 23. Februar 1916.

Quelle: Staatsarchiv St.Gallen, ZMH 64/057