Hof Oberkirch

Mittwoch, 20. Februar 1917 – Wie schön ist doch die Schweiz

Hof Oberkirch: Das Alte Haus, Reproduktion nach einer farbigen Zeichnung von A. Blöchlinger

Brief eines Ehemaligen des Landerziehungsheims Hof Oberkirch, Kaltbrunn, an seine Ausbildungsstätte:

Wien, 20. Februar 1918

Die schönsten Erinnerungen an die Schweiz sind die an meine Reisen, die ich vom Hofe aus in dieses herrliche Land machte: zuerst die Herbstreise an den Bodensee und auf den Hohentwil [Hohentwiel], dann die Frühlingsreise mit Herrn Schlegel an den Genfersee und schliesslich die Bernerreise zur Landesausstellung. Wie schon ist doch die Schweiz immer und überall, am Bodensee ebenso wie am Genfersee! Ueberhaupt die Seen, die schönen Schweizerseen! Am liebsten ist mir immer der kleine Walensee gewesen.

Aber auch am Hofe war es schön. Lustig und fröhlich ging es immer dort zu. Freilich im anfang konnte ich nur mit Mühe den eigentümlichen Schweizer-Dialekt verstehen, aber das dauerte nicht lange, da verstand ich «Schwizerdütsch» ganz gut. Im Anfange hiess ich «der Oestricher», später nannte man mich mit meinen beiden Zimmerkameraden «die drei verrückten Karls». Auf der Terrasse führten wir damals noch wilde Fussballschlachten, wo uns allerdings infolge unseres Eifers bald 4 schöne Gummibälle in den Garten fielen, wo sie Herr Tobler [Direktor des Internats] konfiszierte. Hoffentlich bekomme ich sie wieder, wenn ich auf den Hof komme.

Gerne erinnere ich mich noch unserer Karnevalsunterhaltung, bei der ich aus Türlers Vorrat meine erste Zigarre, zu meinem Erstaunen ohne die prophezeiten fürchterlichen Folgen, rauchte.

Türler war übrigens auch unser Tischoberster und hatte u.a. auch die Pflicht, die süsse Speise auszuteilen, was aber nicht immer genau mit den anwesenden Personen ausging. Der Ueberschuss verfiel zumeist seiner unersättlichen Esslust, indem er meinte, er als Bauer müsse für drei schaffen und daher auch für drei essen.

Noch viele andere Sachen wüsste ich, aber ich will sie lieber für den Althöflertag nach dem Kriege aufheben, wenn wir armen Ausländer auch wieder in die Schweiz dürfen. Sie können mir glauben, dass ich diesen Tag sehnlichst herbeiwünsche.

Mit besten Grüssen Ihr

Karl Scheibe.

Karl Scheibe, Jahrgang 1899, war von 1913 bis 1914 im Hof Oberkirch. Er war zunächst Mitarbeiter und nach dem Tod seines Vaters Leiter der elterlichen Grossbuchbinderei in Wien.

Oskar Türler, Jahrgang 1898, war von 1912 bis 1915 Schüler im Landerziehungsheim. Nach Schulaustritt machte er eine Weiterbildung in einer landwirtschaftlichen Schule, war Knecht und Gehilfe in verschiedenen landwirtschaftlichen Betrieben, in denen Getreide- und Weinbau, Viehzucht und Milchwirtschaft betrieben wurde. Später lebte er zusammen mit seiner Familie als selbstständiger Bauer in Ebersol (Im Moos, Gemeinde Mogelsberg).

Quelle: Staatsarchiv St.Gallen W 127 (Landerziehungsheim Hof Oberkirch, Hof-Zeitung, Nr. 12, April 1918, Text und Beitragsbild; Nr. 40, Juni 1927, Hinweise zu Karl Scheibe und Karl Türler)

Berchtoldstag

Sonntag, 30. Dezember 1917 – Volkskundliches

Die Rorschacher Blätter berichteten in ihrer letzten Ausgabe zum Jahr 1917 in der Rubrik Aus aller Welt:

Bechtelistag. Seit alter Zeit wurden in der Bodenseegegend am Schlusse oder bei Beginn des Jahres von jungen Leuten und Handwerksburschen Umzüge gehalten und von Haus zu Haus Gaben geheischt, was man bechteln oder berchteln nannte. «Bechten» wurde in der Folge gleichbedeutend mit betteln. Der Tag, wo diese Umzüge gehalten wurden, war im Mittelalter der 6. Januar (Dreikönigstag), im Elsass der 30. Dezember, in andern Gegenden der 2. Januar und hiess Berchtentag und die vorangehende Nacht Berchtennacht. Im Kanton Thurgau erhielt sich noch lange der Brauch, am Bechtelistag Kinder, Verwandte und gute Bekannte in gleicher Weise zu beschenken wir anderwärts am St.Nikolaustag oder an Weihnachten.

Vgl. dazu auch den Beitrag im Schweizerischen Idiotikon: https://www.idiotikon.ch/index.php?option=com_content&view=article&id=133&Itemid=223

Dieselbe Ausgabe der Rorschacher Blätter enthielt auch eine Lustige Ecke, in der neben Scherzen über Appenzeller dieser, möglicherweise zeitbedingt sehr aktuelle Witz zu lesen war:

Kritik. Gast: «Tragen Sie beides zurück, Käthe; im Kaffee ist zu viel Gerste und im Bier zu wenig!»

Nächster Beitrag: 31. Dezember 1917 (erscheint am: 31. Dezember 2017)

Quelle: Staatsarchiv St.Gallen, P 913A (Rorschacher Blätter, Nr. 12, 1917)

Samstag, 27. Oktober 1917 – Studentenleben: Türkische Wasserpfeifen, Latein und Griechisch

Walter Muschg-Zollikofer (1898-1965), später Professor für deutsche Sprache und Literatur an der Universität Basel, schrieb an seinen Schulkollegen Ernst Kind. Kind weilte in der Rekrutenschule, Muschg studierte an der Universität Zürich:

Zollikon, 27.X.17.

Mein Lieber!

Gerne will ich Dir in Beantwortung deines bestens verdankten Briefes einiges von meiner neuen, mehr oder weniger segensreichen Zeit schreiben. Und da ich aus Erfahrung weiss, dass für Soldaten, und speziell für Rekruten immer eine angenehme Abwechslung bedeutet, so habe ich, wie Du siehst, grosses Format gewählt und will sehen, ob ich die vier Folioseiten voll bringe.

Ich habe nach dem gegenwärtigen Stande meines Stundenplans 21 Stunden. Vielleicht ist das etwas viel im ersten Semester, aber einerseits sind dabei verschiedene, die nur als Luxusartikel betrachtet werden können, andrerseits aber ist ein solcher Betrieb «dort oben», dass es einem gar nicht wohl ist, wenn man zu Hause sitzt – besonders, wenn man nichts tut! Dass man daneben mit Vergnügen in allen Fakultäten gratis herum-«schindet», wirst Du auch bald konstatieren; immerhin: Mathematik habe ich bis jetzt in jedem ihrer vielerlei Gewändlein mit Verachtung gestraft.

Zunächst der Angelpunkt dieser wirren [?] Bewegung: Herr [Professor Albert] Bachmann [1863-1934]. Dass da mit blossem Riechen nichts zu machen ist, habe ich allerdings sofort gemerkt und mich sogar gezwungen gesehen, den ersten Band der dreibändigen «deutschen Grammatik» von Wilmans (12 Fr.- pfui Teufel) käuflich an mich zu bringen – hättest Du mir das je zugetraut? Aber es heisst eben: Vogel friss oder stirb – entweder mit Kopfsprung hinein oder dann lieber gar nichts! Immerhin: So schauderhaft, wie uns Spatz das Zeug ausgemalt hat, ists [sic] entschieden nicht und der Grund ist gegeben in meiner ersten diesbezüglichen Grunderkenntnis: Wir Literaten haben vor allen andern, auch den ältesten Semestern, einen ganz unabschätzbaren Vorsprung voraus mit unserem Latein und Griechisch. Die können fast alle gar nichts!

Bis jetzt habe ich für ca. 60 Franken Bücher gekauft: Direkt notwendige und indirekt notwendige.

Sodann [Professor] Adolf Frey [1855-1920]: Der Herr ist etwas senil, hat eine starke Dosis des bekannten Philologen-Grössenwahns und bildet sich überdies viel auf seine Dichterglorie ein. Aber es fällt ja immer etwas ab; wenn einer einmal etwa 10 Stunden auf Jean Paul herumreitet, kommt jeder bis zu einem gewissen Grad zu einem Urteil, wenn er auch nur ein Minimum des betreffenden Autoren gelesen hat. Da man zudem weitaus am meisten in den Seminarien lernt, beteilige ich mich in zweien, natürlich als stiller Teilhaber (höchstens Diskussion!) Frey behandelt das Goethe-Buch von Gundolf und Ermatinger den Grünen Heinrich (beide Fassungen), wobei sicher in beiden Fällen eine sehr respektable Stoffkenntnis resultiert.

Was übrigens die persönliche Vorstellerei betrifft, so war ich lange im Ungewissen; vorgestern aber hat mir Markus sehr geraten, das nicht zu tun, man mache sich nur lächerlich (In Deinem Fall wars [sic] natürlich etwas anderes!). Übrigens kann man ja beim Testieren noch einige Worte fallen lassen.

[Professor Emil] Ermatinger [1873-1953] sucht hauptsächlich durch äussere Erscheinung, unerträgliches Gesten- und Mi[e]nenspiel und sehr affektierte Aussprache Eindruck zu machen – aber eben, es ist für uns doch neu (nämlich der Stoff, nicht das andere!). In seinem «Deutschen Naturalismus» liest er gegenwärtig dessen Vorläufer: Ebner-Eschenbach, Wildenbruch und Konsorten.

Weiterhin gehe ich zu Eugen Müllers Schwiegervater, dem Landesmuseumsdirektor Jehrman [?], der «Höfisches Leben im Mittelalter» bringt und Projektionen versprochen hat. Zuerst aber will ich diese sehen, denn für das was er bis jetzt «bot», reuen mich entschieden 2 mal 6 Franken! Fast am meisten Freude, weil greifbaren Nutzen bringend, macht mir Donatis italienischer – kreuzfideler! – Anfängerkurs; sehr schön ist auch Zemp mit seinem zweistündigen Lichtbildervortrag über die Niederländer. Einen ebensolchen liest er über den italienischen Barock, den ich aber leider nicht besuchen kann.

Ad. Frey liest neben seinem vierstündigen Kolleg über die Romantiker unter anderm noch eines über «Aufgaben der Lit.-Geschichte»; wo es hinaus will, weiss ich noch nicht rechz. Es beruht durchaus auf Praxis; das letzte Mal beantwortete er zum Beispiel die Frage: «Wie hat man zu verfahren bei der wissenschaftlichen Gesamtausgabe der Werke z.B. eines Dichters?» Man kann sichs [sic] ja immerhin gefallen lassen.

Im übrigen ist zu sagen: Alle die, welche sich auf die Universität an sich gefreut haben, sind enttäuscht (z.B. alle Chemiker (Jenny!) und Mediziner!); wenn man abe reinmal einen gewissen festen Standpunkt hat und isch in den neuen Betrieb eingelebt hat, so bekommt man einen unheimliche Freude! Man ist eben frei! Dieser gemütliche Seelenzustand äussert sich spontan in unsern Zusammenkünften: Das letzte Mal rauchten unser fünf aus ein und derselben (Friedens-!)Pfeife und haben nach diesem Genuss beschlossen, für di egnaze Bande eine türkische Wasserpfeife mit möglichst viel Schläuchen anzuschaffen als Symbol unser[er] Zusammengehörigkeit!!

Im weitern und letzten wünsche ich Dir eine möglichst dicke Haut für alle «gemeinen Subjekte» und gute Verdauung obiger Kriegsmahlzeit!

Mit kameradschaftl. Gruss Dein

W. Muschg.

Zu Walter Muschg vgl. den Eintrag im Historischen Lexikon der Schweiz: http://www.hls-dhs-dss.ch/textes/d/D6446.php

Zu den genannten Professoren finden sich ebenfalls Artikel im HLS:

http://www.hls-dhs-dss.ch/textes/d/D11483.php (Albert Bachmann)

http://www.hls-dhs-dss.ch/textes/d/D11796.php (Adolf Frey)

http://www.hls-dhs-dss.ch/textes/d/D11774.php (Emil Ermatinger)

Nächster Beitrag: 29. Oktober 1917 (erscheint am 29. Oktober 2017)

Quelle: Staatsarchiv St.Gallen, W 073/5 (Korrespondenz Ernst Kind)

 

Soldat bei Rast

Pfingstsamstag, 26. Mai 1917 – Nochmals Soldatensprache

Gleich in mehreren Publikationen wurden 1917 Forschungen zur Soldatensprache veröffentlicht. Der Artikel in den Rorschacher Blättern vom Mai 1917 bestätigt zusammenfassend einiges, was in früheren Beiträgen des Blogs (vgl. die Beiträge vom 8., 9. und 27. Februar, sowie vom 2. März 1917) schon genannt wurde, gibt aber zum einen oder anderen Thema weitere Beispiele. Der Autor ist in der Quelle nicht angegeben:

Soldatensprache.

Hat schon die gewohnte Friedenszeit bei unseren Soldaten manche Erfindertalente inbezug [sic] auf neue sprachliche Ausdrücke zutage gefördert, so ist die lange Zeit der Mobilisation in dieser Beziehung noch weit produktiver gewesen. Die Soldaten führen eine kräftige Sprache; es sind nicht Ausdrücke für ein Mädchenpensionat, die hier ihren Ursprung haben; aber auch unter den derben Ausdrücken finden sich nicht wenige, denen man das Kompliment nicht versagen kann, dass sei gesundem, träfen Humor ihre Herkunft verdanken.

Schon die Begrüssung der Herren Offiziere bei der Mobilisation ist günstig: «Lueg, da chömet üseri Fuehrmanne [Fuhrmänner]»; «pass uf, der Vater pfurret deher», so wird der Hauptmann der Kompagnie begrüsst. Der «Rodel» oder das «Zivilstandsregister» wird verlesen, wenn die Mannschaftsregister kontrolliert werden. Sind viele neue, junge Offiziere da, dann heisst[‹]s: «Es send nebe wieder mengs neui Lehrbuebe do». Dann geht[‹]s an die Inspektion: «Uslege – Ordnung mache»; «s’Husrötli [Hausrat] usschtelle»; «de Husierchaschte [Hausierkasten] zwäg mache»; «de Raritätechaschte» oder «s’Chuchichästli [Küchenkästchen] uftue».

Zahlreich sind die Benennungen für die einzelnen Teile der Ausrüstung. Die Schuhe werden tituliert: «Gondeli» [kleine Gondel], «d’Ledischiff» [flaches Transportschiff für grosse Lasten], «d’Finke» [Hausschuhe] oder «Bundesfinke», auch «Weidling» oder «Pontons». Die Uniform heisst «‹Gwändli», «Kluft», «s’Kostüm» oder gar, wenn sie nicht mehr in den Salon hineinpasst, «de Saufetze». Für die Hose fällt etwa der Ausdruck «de Gasfänger» ab, wogegen dem Waffenrock eine Reihe Titulaturen zugedacht sind: «Bundestschoppe», «Chute» [Kutte], «Frack», «Gstältli». Die graue Ueberbluse, die anfangs der Mobilitationszeit eine kurze Existenz feierte, war nicht besonders beliebt: «Chochischoss» [Küchenschürze], «Staublompe», «Schnoderlompe» [Taschentuch], «Ströflighemp» [Sträflingshemd], «Konditertschoppe» [Konditorjacke] usw. Nicht wenige Bezeichnungen hat das Käppi gefunden: «Goggs», «Schlachthuet», «Kriegszilaster», «Fürwehrhuet», «Glüeofe» [Glühofen], «Verschlussgöfferli», «Oelhafe». Der Leibgurt oder Ceintüron ist der «Hungerbarometer», «Magebremse», «Schwimmgurt», «Hungerrieme». Neben den schon genannten Bezeichnungen für den Tornister finden sich: «Komode», «Schwitzchaschte», «Affechaschte», «Verdrusschaschte», «Pomadechischte», «Horöldrucke», «d’Schwiegermuetter», «d’Frau», «Bundeströckli». Wenn der Brotsack nichts mehr enthält, muss er sich «Verdrusspüntel» schimpfen lassen, sonst ist er allenfalls der «Magentröster».

Auch das Gewehr wird verschieden tituliert, je nach Stimmung: «Schüssbengel», «Klöpfschit», «Charst», «Sprötzgüggeli» oder einfach «Prügel», «Chlobe», «schwär Chog». Auch die anhänglichen Patronen heissen nach einem Marsch einfach «d’Chöge», «Bleizäpfe», «Bohne»; im Schiessstand erfreuen sie sich höherer Gunst: «Chügeli», «Magrönli», «Böhnli», «Bäbeli». Die Patronenschachtel wird bezeichnet als «Stompechischte», «Molichaschte», «Mistschachtle», «Komödli».

Das Seitengewehr oder Bajonett heisst unseres Wissens in der halben Welt «Chäsmesser» [Käsemesser], «Chrutmesser», «Zahnstocher», «Schwert» oder «Spiess». Weniger nobel kommt das Sackmesser weg: «Chlobe», «Hegel», «Spatzspiess» sind nicht die ehrenvollsten Bezeichnungen. In einzelnen Kompagnien, wo wegen des Fehlens des Taschenmessers einzelne Bestrafungen vorkamen, erhielt es einfach den Namen «Arrestgötti». – Als vereinzelten Ausdruck für die Wadenbinden soll das Wort «Kuraschibinde» vorkommen, weil ein Spassvogel in einer Kompagnie bei der Gewohnheit seines Offiziers, vor den Uebungen  die Wadenbinden anzuziehen, den Witz machte, er müsse «de Kuraschi zsammebinde» [von «Courage» für Mut]. – Zur Ausrüstung gehören auch die «Grabsteine», d.h. die Identitätstäfelchen. Nicht sehr appetitlich für die Feldflasche ist der Ausdruck «Schmierölchante».

Da die Lebensmittelversorgung beim Militär keine geringe Rolle spielt, so ist nicht zu verwundern, dass auch hier die Phantasie nicht übel ins Kraut geschossen ist. Der Morgenkaffee ist die «Bundesbrüh», «Abwäschwasser», «Seifewasser», «Grampolwasser». Kein Kompliment für die Küchenmannschaft ist es, wenn die Mannschaft nur noch den Ausdruck «Gülle» übrig hat. «Negerschweiss» ist eine Bezeichnung, die offenbar aus der Studentensprache zum Militär hinübergerutscht ist. Für Suppe ist der Ausdruck «Schnalle» ziemlich üblich und zwar in Kombinationen, zum Beispiel «Sauschnalle» oder «Dreckschnalle», sonst auch «Harzwasser», «Magenwasser». Zwieback heisst «Bundesziegel»; Brot: «Wegge», «Bundesgugelhopf», «Arbeitergugelhopf», [«]Magetrost», auch «Gemseier» soll bei den Gebirgstruppen vorkommen. Die Kartoffeln sind «Soldateneier», «Handlangerpflume»; die Makkaroni werden zu «Zementröhre» oder «Kanoneröhre» vergrössert; die Nudeln erhalten den Beinamen «Treubruchnudle». Der Spatz [Suppenfleisch] erhält, wenn er zu zähe ist, den Uebernahmen [sic] «Sohlleder», «Negergummi» «Kautschukbletz.» Ist er auch gar zu klein, so ist er «Photographiespatz» und noch kleiner, so sinkt er zur «Zahnplombe» herab.

Wenn auch der Tee sehr beliebt ist, so muss er sich doch die Titulatur «Abstinenten-Gülle» gefallen lassen oder «Temperenzler Wasser», auch «Magengift». Dem Schnaps ist man scharf auf den Leib gegangen; aber er fristet sein Dasein immer noch als «Sirup», «Heilsarmeewasser», «Heidelbeeriwasser», «Bundesträne», «Wichwasser» [Weihwasser], «Arrestante-Balsam», «Milch», «Augetrost».

Eine nicht geringe Rolle spielt auch der Taback [sic] und was drum und dran hängt. Alles Rauchbare wird kurzweg bezeichnet als «Back», «Chrut», «Nussbomblätter» [Nussbaumblätter], «Buchelaub» [Buchenlaub], «Knaster». Die Pfeife heisst «Lüller», «Heizofen», «Sudtopf», «Hirnitröchner» [Hirntrockner], «Nasewärmer», «Schmorhafe». Die Stumpen sind zu «Italiener-Havanna» avanciert. «Sargnägel» und «Friedhofspargle» für Brissago [Gemeinde im Kanton Tessin, in der zu dieser Zeit eine für die Schweiz bedeutende Tabakindustrie beheimatet war] sind auch im Zivilleben gebräuchlich. Rauchen bezeichnen die Soldaten als «näble» [nebeln], «dämpfe», «Flüge vertriebe» [Fliegen vertreiben], «peste» usw.

Auch die verschiedenen Körperteile sind der allgemeinen Freude an witzigen Bezeichnungen nicht entronnen. Die Nase ist das «Schmeckschit», «Gasmesser», «Rüebli» [Karotte], «Böggehöhli» [Höhle für Nasenpopel], und dementsprechend lauten auch die Bezeichnungen für das Taschentuch. Der Kopf ist der «Verstandchaschte», «Käppihogge», «Kürbse» [Kürbis], der Mund heisst «Brotklappe», [«]Suppeloch», «Fuetterspalt». Der allzeit aufnahmebereite Magen heisst «Heutrog», «Verdauigschratte», «Kottletfriedhof». Die Beine sind die «Stelzen», «Spazierhölzer», «Telephonstangen», «Rheumatismusstengel», die einem nach einem strengen Marsch beinahe «abfallen». Und wenn einer nach einem strengen Marsche wegen den Fussblattern sorgsam auftritt, wird er noch gefragt, ob er ein «Blatteremuseum» gegründet habe.

Nicht nur in einzelnen Ausdrücken, sondern auch in ganzen Redewendungen zeigt sich die schöpferische Sprachentätigkeit des Soldaten. Doch wechseln diese sehr stark von Truppenkörper zu Truppenkörper. Ziemlich allgemein ist der Ausdruck «sich dünn machen» für verschwinden. Viel verwendet wird auch die Wendung «i Sache», z.B. «Wie hämmers i Sache Urlaub». Doch können sich solche Bezeichnungen nicht länger halten, da sie zu stark an ihren Ursprung erinnern.

Quelle: Staatsarchiv St.Gallen, P 913A (Rorschacher Blätter zur Unterhaltung und Belehrung, Gratisbeilage zur «Rorschacher Zeitung», 1917, Nr. 5, S. 35, Erscheinungsdatum: 26.05.1917) und W 207 (Album «Aus den Kriegszeiten»; Beitragsbild: Soldat J. Schmuki bei einer Rast im Val Blenio, undatiert)

Soldaten und Alkohol

Freitag, 2. März 1917 – Soldatensprache: Genussmittel

Rasch lebte sich der Tee ein; dass er “Abstinenten-Gülle”, “Temperänzler-Wasser” heisst, hat mich nie aufgeregt; wohl aber weiss ich, dass auch der hinterste Soldat schon seine Zunge ellenlang nach einem Schluck “Magengift” gestreckt hat. Auf Vorposten und strengen Märschen verlangt heute der Soldat Tee. Die einstigen Schnapsereien und zeitweiligen Saufereien, Sie gestatten, dass ich die Dinge bei ihren wahren Namen nenne, sind glücklicherweise in den Aktivdiensten, soweit ich beobachten konnte, stark zurückgetreten. Es sind aber immer wieder Augenblicke und Zustände, wo der einzelne sich der einstigen Wiederholungskurs-Ereignisse erinnert und wieder in die alten Laster zurückfällt. Es war schon in jenen Zeiten verpönt, die Dinge bei ihren Namen zu nennen: Schnapsgeruch! Wie da die Worteerfindung blüht. Ich hege starke Zweifel, ob die Erfinder seinerzeit in der Schule so schlagfertig gewesen sind: Milch, Augentrost, Borax, Thurwi, Toggenburger, Gix sind harmlose Synonyme dafür; der Aktivdienst und die schärfere Kontrolle durch die Soldaten selbst, ich möchte dies bemerkt haben, waren Grund zu einigen drolligen, neuen Bemerkungen: Sirup steht zwar in geringem Ansehen, da er aber in der Feldflasche mitgetragen werden durfte, so war er doch gut genug, dass er seinen guten Namen dem bösen Schnaps lehnen musste; ebenso ging’s dem schwarzen Kaffee, dem Tee; dem Schnäpsler bedeutet das eben Schnaps. Heidelbeeri-Wasser, Helvetia-Träne, Wichwasser, geweihtes Wasser, Lieblieb, Plauderi-Wasser, Schrägmarsch, Arrestanten-Balsam, Vipere-Wasser, Vipere-Kognak, Ehre-Wi. Heilsarmee-Tränen gebärden sich so harmlos, dass es auch dem schärfsten Alkoholgegner kaum auffällt, was damit eigentlich gemeint ist. Der neben der Kolonne daherschreitende Offizier wird schwerlich verstehen, was die Soldaten verhandeln, und das ist oft ein Hauptzweck auf der Suche nach blumenreichen Ausdrücken mit möglichst harmlosem Gepräge. Die Schnapsflasche heisst: Wäntele [Wanzen], Wehrmannskalender; ein findiger Kerl, der nicht davon lassen konnte, hat sich einen Wehrmannskalender so zurecht geschnitten, dass er den “Fesselballon” regelrecht umhüllte, und da der Wehrmannskalender dienstlich empfohlen wird, so ist ja die Geschichte insoweit auch in der Ordnung. Weniger appetitlich sind dann das Brunzgütterli [kleine Flasche zum Wasserlassen] oder Schmierölkäntli.

Heimlich trinken heisst: Eins drücken, Gamelledeckel schwengge, weil dies oft der Grund ist, sich zu drücken; de Kiesel wäsche, schmore, jodle, bätte.

Wein und Bier haben viel weniger Bezeichnungen, da sie nach 5 Uhr abends zu den allgemein genossenen Getränken gehören und daher ein aussergewöhnlicher Genuss weniger scharfe Ahndung erfährt, wenn das Mass nicht gar zu voll ist. Forellewi, Krinauer, Laufenburger sind Nachbildungen, die ja im gewöhnlichen Sprachgebrauch häufig vorkommen.

Most

Reichlicher finden wir besondere Ausdrücke beim Rauchen: Es gibt verschwindend wenige Soldaten, die nicht zum Rauchen ihre Zuflucht nehmen, sei es auch nur, um die quälende Langeweile damit zu vertreiben oder um einen Aerger zu verbrennen. Für Tabak wird einmal kurzweg “Back” gesagt; daneben aber hörte ich die Ausdrücke: Chrut, Nussbaumblätter, Buchelaub, Knaster; die Pfeife ist ein Lüller, Heizofen, Sudtopf, Güllefass, Nasenwärmer, Hirnitröchner [Gehirntrockner]; Schmorhafen und Sudtopf waren bei uns die üblichen Benennungen. Die häufig gerauchten Stümpen, natürlich stets von bester Beschaffenheit, nannten die Räuchler: Sprenzel, Italiener-Havanna, Nasenwärmer, Glimmstengel; Sargnägel für Brissago gebrauchen wir ja auch ausserdienstlich. Die sehr stark gebrauchten Zigaretten scheinen wenig Angriffspunkte zu Andersbenennungen zu bieten. Es ist mir kein Name besonders aufgefallen. Näble, stinke, Flüge vertribe [Flinegen vertreibe], lülle, peste, dämpfe lauten die verschiedenen Zeitwörter [Verben], wofür wir einfach “rauchen” sagen.

Bevor ich übergehe zum Dienstbetriebe, möchte ich noch einige bunte Namen für die Körperteile nennen. Verstandeschaste, Kürbse, Räbe, Käppihogge heisst der Kopf; Frässlade, Brotklappe, Suppeloch, Brottrülli, Vaterunserloch, Schnorre, was sonst Mund genannt wird. Wer seine Zähne in der Militär-Zahnklinik machen liess, hat eine “Bundesschnorre”.

Für Nase vernahm ich folgende Namen: Chlobe, Gasmesser, Schmeckschitt, Bögehöhli [Popelhöhle], Zinge, Rüebli [Karotte]. Taschentuch heisst dann: Bögecharte [Popelkarte], Bögealbum [Popelalbum]; es dient zur Reinigung und zum Abputzen des Suppen- oder Fidelirechens, des Bögegstells, der Bürschte. Beim Bartchratzer wird dann aber doch der “Schnauz” in Ordnung gebracht.

Drollige Benennungen bekommt der immer aufnahmebereite Soldatenbauch: Ranze, Fressack, Heutrog, Verdauigschratte, Kotlettfriedhof.

Die Beine werden zu Stelzen, Haxen, Spazierhölzern, Telephonstangen, Rheumatismusstengeln; nach strengem Marsche “fallen” sie einem fast ab. Tatzen sind sonst Füsse. Wenn einer eine Menge Blattern sich angelaufen hat, wird er spottweise gefragt: Hescht e Bloteremuseum gründet? Hescht Eier under de Füss? Wer vor lauter Blattern von einem Fuss auf den andern hüpft und möglichst schonend nachtippelt, vernimmt den Zuruf: Warum tanzischt so ume? Was häsch Gfreuts? Die Antwort ist meist – sehr deutlich.

Nächster Beitrag: 4. März 1917 (erscheint am 4. März 2017)

Quelle: Staatsarchiv St.Gallen, P 945 (St.Galler-Blätter für Unterhaltung und Belehrung aus Kunst, Wissenschaft und Leben, Illustrierte Sonntagsbeilage zum St.Galler Tagblatt, N. 9, 1917) und W 132/2 (Bilder: Geb Sch Bat 8 (Gebirgs Schützen Bataillon 8) im Aktivdienst 1914-1918)

Verpflegung

Dienstag, 27. Februar 1917 – Soldatensprache: Verpflegung

Beitragsbild: Füs Bat 79 (Füsilier Bataillon 79) im Winterdienst im Oberengadin, 1915/16, Feldküche auf Schlitten

Der Vortrag von Heinrich Zogg zur Soldatensprache erschien in mehreren Folgen (vgl. Beiträge vom 8. und vom 9. Februar). Nachdem es zunächst um die Ausrüstung des Soldaten gegangen war, widmete sich der Autor der Verpflegung:

Die Neuschöpfungen erhalten dort, wo es sich um die Ernährung handelt, eigenartiges Gepräge. Wenn die Liebe des Mannes durch den Magen geht, so ist auch die Dienstfreudigkeit stark abhängig von der Verpflegung; hängt doch vom guten oder “schlimmen” Essen weit mehr ab, als auf den ersten Blick erscheint. Ich hörte wenig klagen, und das gesunde Aussehen würde die Kläger Lügen strafen, trotzdem sind aber die Ausdrücke oft reichlich grob beschaffen.

Der Kaffee am Morgen heisst: Bundesbrüh, Gluriwasser, Grampolwasser, Abwäschwasser, Schweisssockebrüh, Nagelbrüh, wenn von “Gülle” gesprochen wird, schlägt die Stimmung schon gereiztere Formen an [sic]. Geringer Gunst erfreute sich früher der Kakao: Abwäschwasser, Seifewasser, Ziegelwäschete, Negerschweiss zeugen dafür; als Abwechslung ist er trotz alledem hochwillkommen.

Des denkbar besten Rufes erfreut sich mit Recht unser vorzügliches Brot; seine Güte wird kaum angefochten; über Form und Grösse sind die Meinungen verschieden: Wegge, Bundesgugelhopf, Arbeitergugelhopf, Magetrost, Soldatewohl, Bundesziegel, -tirggel, Zahplombe; jeder Ausdruck verrät “wohlgesinnte Vertilger”. Auf Vorposten im Hochgebirge entstand das Wort “Gemseeier”. Die Suppe, nebst dem Brot das begehrteste und beste Nahrungsmittel, tauften die Leute sehr abweichend. Süppli, sagt der Hungrige; Schnalle ist gang und gäb, ohne die geringste Nebenabsicht. Dräckschnalle, Sauschnalle schimpfen die Nimmersatten. Harzwasser und Magenwasser stamen aus der Zeit des Pionierdienstes. Für Handlangerpflume, Soldateeier, Hännevogeleier sagen wir sonst Erdäpfel, noch öfter “Hörpfel” [Kartoffel]. Nudeln und Makkaroni sollen nach Bächtold [Schweizer Sprachforscher, s. Hinweis] als Kanone- und Zementröhre, als Treubruchnudle bezeichnet werden. Bei uns war die Esserei stets so rege, dass ich keine besondern Benennungen erlauschen konnte. Die Einbildungskraft des Soldaten hat sich von jeher mit dem Spatz befasst. Es heisst nicht “Fleisch fassen”, sondern “Spatzen fassen”. Hartes, zähes Fleisch heisst Negergummi, Sohlleder, Kautschukplätz; en Hüspatz ist von einem Ross [Pferd]. Sind die Stücke gar zu klein, ist’s en Photographiespatz, en Ibildigsspatz [Einbildungsspatz], e Zahplombe, weil damit gerade ein hohler Zahn gefüllt werden kann. Um anzudeuten, wie klein die Spatzen geraten sind, sagt wohl einer zum andern: “Pass uf, heb de Spatz, i muess schnufe”; wer zwei “wegdrückt”, wird gefragt: Was, witt zur Kavallerie? Hesch d’Sohle durglaufe? Witt en Regemantel mache? Hesch im Sinn, de Füchse zlegge (ködern)? usw.

Eine eigenartige Verkleinerung enthält auch der Ausdruck: Hüt hemmer e Photographie vonere Ahnig (Ahnung!) zfresse = kleiner, dünner Käse. Der Lichtbildnerei sind auch die “Schattebilder” entlehnt, womit dünne Kässchnitten gemeint sind. In das gleiche Stoffgebiet gehören: Kommandokäs, Arrestantenfänger, Magenärger. 1914 und auch später war es aus an und für sich selbstverständlichen Gründen verboten, die Zwischenverpflegung, wozu eben meist der Käse dient, ohne besondern Befehl einzunehmen. Gab’s dann unvermutet “Käseinspektion”, so wurde rasch Güterteilung vorgenommen, oder wenn dies nicht mehr möglich oder ratsam erschien, musste halt ein Bundes-Freitag mit in Kauf genommen werden.

Hinweis: Mit “Bächtold” ist vermutlich Hanns Bächtold-Stäubli (1886-1941) gemeint, der 1916 ein Bändchen mit dem Titel “Volkskundliche Mitteilungen aus dem Schweizerischen Soldatenleben” publiziert hatte.

Nächster Beitrag: 2. März 1917 (erscheint am 2. März 2017)

Quelle: Staatsarchiv St.Gallen, P 945 (St.Galler-Blätter für Unterhaltung und Belehrung aus Kunst, Wissenschaft und Leben, Illustrierte Sonntagsbeilage zum St.Galler Tagblatt, N. 9, 1917) und W 131/3.33 (Beitragsbild, Legende s. oben) sowie W 132/2 (Bild: Geb Sch Bat 8 (Gebirgs Schützen Bataillon 8) im Aktivdienst 1914-1918)

 

Soldaten mit Gewehr

Freitag, 9. Februar 1917 – Soldatensprache: Ausrüstung (Teil 2)

Auszug aus einem Vortrag von Heinrich Zogg, gehalten in der Gesellschaft für deutsche Sprache, St.Gallen. Nach einer Einleitung (s. Beitrag vom 8. Februar) geht es in diesem ersten Artikel vor allem um die Ausrüstung eines Soldaten:

Das Gewehr lockt förmlich zur Taufe mit allerlei Gradmessern der Stimmung: Schüssbängel, Schrotguge, Kläpfschitt, Füsibängel, Charst, Sprützgügeli verraten die Stimmung auf leichtem Marsche, vor dem Exerzieren, auf Einzelgängen, auf Posten, beim Beobachtungsgang im Gelände, wo zwischen Waffe und Mann eine fast herzliche Freundschaft besteht, die durch nichts getrübt wird. “Chlobe”, “Galgecharst”, “Prügel”, “schwäre Chog” deuten an, dass Drill oder tüchtiger Marsch “vorbei” sind.

Sehr gemischt sind die Gefühle und Ausdrücke gegenüber der Patrone. Im Stande und während der Schiessübungen erfreut sie sich grosser Gunst; da heisst sie: Chügeli, Bäbeli, Böhnli, Magrönli, und mancher schaut sie zärtlicher an als daheim seine Frau. Hat man sie aber den ganzen langen Dienst mit 120 andern auf dem Buckel herumgetragen dann klingt es unmanierlicher und wegwerfend: Bohne, Magrune, Soldatenbedrücker, Bleizäpfe oder einfach “Chöge”.

Die neue Patronenschachtel aber heisst: Stümpechischtli [Zigarrenkiste], Komödli, Molidruge (Malschachtel), Bibelchästli, Testamentsgöfferli [Testamentsköfferchen]; nach beschwerlichem Marsche aber “Mistschachtle”. Wie unhöflich!

Das Seitengewehr, das Bajonett, heisst Käsmesser, obwohl es eine Kunst wäre, damit Käse schneiden zu wollen. Seitdem aber die Soldaten nur noch “Photographien” fassen, wovon später die Rede ist, stirbt der Name vermutlich aus. Gertel, Chrutmesser (wohl in seliger Erinnerung an das Postenleben an der Baslergrenze, wo tatsächlich “Chrut” gestochen worden ist), Zahnstocher, Spiess, Chrottestecher, Schwert, lauten andere Namen. “Tschinggegertel” wurde es benannt, nachdem wir auch an der Südgrenze standen. [Hinweis: Als “Tschingge” bezeichnete man in der Schweiz über Jahrzehnte hinweg italienische Einwanderer.]

Das Sackmesser ist rundweg “de Chlobe” (recht breites, langes o), de Hegel, de Spatzespiess, Brotschär. In Andeer gab’s oft scharfe Messerinspektion und nicht so selten Aufenthalt in der Augenklinik, das Messer wurde darum von einigen “Arrestgötti” genannt. Damit will ich von der Ausrüstung übergehen zur Verpflegung, nur das Wort “Kuraschibinde” soll noch erwähnt werden. Ein “Herr” hatte nämlich die Gewohnheit, vor jeder Uebung die Wadenbinden anzuziehen, wir nahmen an, damit er besser springen konnte. Ein Spassvogel aber sagte: “Er muss de Kuraschi [von “le courage” für französisch “der Mut”] zsämmebinde.”

Nächster Beitrag: 11. Februar 1917 (erscheint am 11. Februar 2017)

Quelle: Staatsarchiv St.Gallen, P 945 (St.Galler-Blätter für Unterhaltung und Belehrung aus Kunst, Wissenschaft und Leben, Illustrierte Sonntagsbeilage zum St.Galler Tagblatt, N. 6, 1917) und ZOA 001/8.002 (Beitragsbild: Soldaten mit geschultertem Gewehr, zwischen 1914 und 1917)

Truppeninspektion

Donnerstag, 8. Februar 1917 – Soldatensprache: Ausrüstung (Teil 1)

Beitragsbild: Inspektion von St.Galler Truppen im Beisein von Generalstabschef Oberstkorpskommandant Theophil Sprecher von Bernegg, zwischen 1914 und 1917

Auszug aus einem Vortrag von Heinrich Zogg, gehalten in der Gesellschaft für deutsche Sprache, St.Gallen. Nach einer Einleitung geht es in diesem ersten Artikel vor allem um die Ausrüstung eines Soldaten:

[…]

Wer über Soldatensprache schreibt, muss beim Leser zu voraus um Entschuldigung und Nachsicht bitten, denn fein-anständig sind viele der Ausdrücke gerade nicht, scheint doch mit dem Anziehen der Uniform auch ein neuer, viel schwererer Sprachgeist mitangezogen zu werden. Wir dürfen nicht vergessen, dass das Kriegshandwerk kaum jemals veredelnd auf Wort und Satz eingewirkt hat, wohl aber eine arge Verrohung des Ausdrucks förderte. Der Soldat verlangt nicht nur für seinen Magen kräftige Kost; mit dem Dienstantritt muss auch alles andere sich an die neuen Verhältnisse anpassen, also auch die Sprache. Es ist im Dienste nicht gestattet, immer so zu reden, wie man denkt; ist aber der “Kropf” zu voll, dann hören wir eben die für den Fernstehenden so eigenartig klingenden Ausdrücke und Wendungen, die oft blitzartig auftauchen, Beifall finden oder auch ebenso rasch wieder verschwinden. Häufig sind sie nur einer kleinen Gruppe bekannt, schon im Zug und in der Kompagnie bürgern sie sich schwerer ein; je eigenartiger, bodenständiger, unverfälschter sie klingen, je witziger und treffender sie sind, um so eher bleiben sie erhalten.

[…]

Der Soldat hat “Gondeli”, “Dampfschiffer”, “Ledischiff”, “Finken” an den Füssen; Bundesfinken, auch wohl Bundesschlitten, Weidlig oder Pontons heissen die unbezahlten, vom Bunde gelieferten Schuhe.

Die Uniform trägt die verschiedensten Namen; s’Häsli, Gwändli, Kluft, ‘s blau (grau) Tuch-Kostüm; gegen das Dienstende hin “Saufetze”.

Die Hose scheint dem Witze wenig Anhaltspunkte zu geben; ich hörte nur den Ausdruck “Gasfänger”. Zahlreicher bedacht wird aber der Waffenrock: Chute, Frack, Tschöpli, Zwangsjacke, Gstältli, Bundesjacke. Die 1914 verwendete Ueberbluse, die heute Futterdienste versieht, war als “Schnuderlumpe”, Chutte, Kuchischoss [Küchenschürze], Staublumpen, Vächschicklergwändli, Ströflingshemp, Kundittörtschope [Konditorjoppe] stets ein Opfer des Soldatenspottes. Recht verschieden und teils sehr treffend benennt der Soldat das Käppi: Kriegshut, Kriegszylinder, Schlachtehut, -zylinder, Kriegshube [Kriegshaube], Helm, Fürwehrhut [Feuerwehrhut], Sturmhube, Hunghafe [Honighafen], Nagelchischtli, Verdrusschaschte, Verschlussgöfferli [Verschlussköfferlein]; “Goggs” sagt schon der “Lehrbueb”, der Rekrut. “Glühofe” [Glühofen], “schwere Chaib“, “heisse Chog” hört man nach der fünften Marschstunde oder am Montagmorgen, wo mit schlecht verhaltener Schadenfreude der Kamerad den “Oelhafen” lüftet und nachschaut, ob der Boden noch nicht “angebrannt” sei. Böse Zungen wollen bemerkt haben, dass am Montag “Käppi abnehmen gestattet”, am häufigsten befohlen werde!

Der Leibgurt heisst natürlich Ceinture, Ceinturon, unter uns aber sprechen wir von: Hungerrieme, Schwimmgurt, Magebremse, Henkerrieme; “Hungerbarameter istelle” bedeutet, “den Riemen enger ziehen”. Völkerkundliche Kenntnisse verrät der Mann, wenn er von einem “Hottentottengurt” spricht

Ueberreichlich mit Namen bedacht wird der Tornister, und je nach Lage und Zeit sind sie verschieden. Während der Auslegeordnung sind: Köfferli, Bundesdrückli, Husiererchaschte [Hausiererkasten], Oergeli, Chuchikästli (in Moantlinger [Montlinger] Dialekt), Möbelwage, Vergissmeinnicht, d’Frau, d’Schwiegermuetter gebräuchlich. Verdrusschchaschte, Horöldrugge [Haarölkiste], Affechaschte, Pomadechischte, Komode, Räff, Schwitzchaschte beweisen schon den ersten Grad der “Verwendung”: leichter Marsch und “anzüglich” werden auf den Schultern. Dann werden die Namen mit jedem Stundenhalt zärtlicher und deutlicher: So Chaibli, do lischt, so du Anhänglige, leg di, und dann wird er mit Schwung unter die Gewehrpyramiden befördert: Dä huera Sack, dä choge Püntel, dä verdammt Ranze, du schwäre Siech sind zwar gar urchige Ausdrücke, aber man sagt ja erst nach der siebten Marschstunde so, und dann hört der Soldat bekanntlich nur noch gut, wenn “Stundenhalt” oder “Wasserlassen” befohlen wird. “Soldatetod” sagten wir in der Schlussstunde oder wenn der “Essigfuhrme” das Bataillon führte. Ich wollte an diesem Beispiel zeigen, wie anpassungsfähig die Soldatensprache ist.

Habersack, Verdrusspüntel (weil er oft nicht mehr enthält), Magetröster sind Benennungen des Brotsackes. Er leidet an “chronischer Auszehrung”, ist schwindsüchtig und von “ewiger Mägeri” befallen, und dann scheint es noch eine besondere Freude zu sein, “nach dem Befinden” des Kranken zu fragen, bei jedem Halt wird er zudem gründlich untersucht.

[…]

Vgl. auch: https://idiotikon.ch/wortgeschichten1/267-erster-weltkrieg

Nächster Beitrag: 9. Februar 1917 (erscheint am 9. Februar 2017)

Quelle: Staatsarchiv St.Gallen, P 945 (St.Galler-Blätter für Unterhaltung und Belehrung aus Kunst, Wissenschaft und Leben, Illustrierte Sonntagsbeilage zum St.Galler Tagblatt, N. 6, 1917) und ZOA 001/8.064 (Beitragsbild, Legende s. oben)

Sonntag, 4. Juni 1916 – Pfingstbeitrag und Geschichte zu Rüthi, einem Dorf an der rätoromanischen Sprachgrenze

Die St.Galler Blätter publizierten in ihrer Ausgabe zum Pfingstwochenende ganz verschiedenartige Texte. Darunter findet sich ein sehr ernsthafter, der Bezug nahm auf die Weltlage:

Pfingsten 1916.

Von Paul Luther.

Pfingstglocken läuten über das weite Land. Ich lausche ihrem Klang, still, ernst, bis in die Tiefe der Seele durchbebt. Ich kann den Gedanken nicht wehren, die rückwärts fliegen voll Sehnsucht und Weh, rückwärts in die goldenen Tage der Pfingsten, die einst in unendlicher Schönheit über uns alle ihre Gluten gossen.

Einst – und jetzt! Jetzt tut mir die Sonne weh – ich muss an tausend Gräber denken, über die sie geht, Gräber, in denen schlafen, die einst wie ich geliebt und geschwärmt, wie ich am lieblichen Feste der Pfingsten selig gewesen. Jetzt haben die Glocken so schweren Klang, so voll heisser Angst, so voll herzbrechenden Leids, so voll tiefer Qual.

Dennoch – die Glocken hallen weiter, über Trauer und Weh, über Sehnsucht und Herzeleid, hallen weiter ernst, feierlich, hehr, als wollten sie der Sehnsucht Schrei und des Herzens Qual übertönen, dass alles untergehe im Leben, das nie stille steht, das nimmer aufhört, das immer wieder aufwärtsbricht aus dunklen Tiefen. Ich lausche still ihrem Klang –und leise hebt sich die Decke von meinen Augen, leise weht wieder Friede über meine Seele. Uralt heiliger Glaube steht wieder in meiner Seele auf: der Geist lebt in uns allen und unsere Burg ist Gott! Lebensfülle, die in mir ist, die aus dem grossen Lebensstrom stammt, die reckt sich auf gerade in eiserner Zeit, die schreitet in den neuen Tag, mag er auch durch starrende Lanzen und blanke Schwerter gehen. Gewiss kein Pfingsten in Frühlingstraum und Seligkeit – aber ob nicht anderer Traum auch schön ist, der in unserer Seele glüht? Der Traum vom Land, in dem ein stolzes Geschlecht wohnt, das den Geit der Torheit, der Kleinheit, der Erbärmlichkeit überwand, das den Heiligen und Herrlichen zujauchzt, die es von Höhe zu Höhe führen, die es aufwärts reissen aus Kleinmut und Enge zu weltfroher, glaubensstarker Schaffensfreude?

Pfingstglocken, läutet übers Land und kündigt den neuen Tag, dessen Morgenrot leise glüht, den Tag des Geistes, den Tag der Bruderliebe, den Tag der Kraft! Lass fahren dahin, was einst das Fest goldig verschönt hat, herbe Zeit ist – aber aus dem tiefen Acker, den die Not gepflügt, wachsen Menschen, die dennoch das Leben in ihren Dienst zwingen, die mit ihren Augen hinter all dem Sturm, der sie umtost, doch still leuchtende Sterne schauen, die sie segnen.

In der gleichen Ausgabe der St.Galler Blätter wurde aber auch die Geschichte von Rüti, verfasst vom Volkskundler Oswald Gächter, publiziert. Gächter hatte diesen Text, in dem es vorrangig um die Siedlungsgeschichte des Dorfes am Rand der rätoromanischen Sprachgrenze ging, ursprünglich als Vortrag in einer Veranstaltung des Historischen Vereins des Kantons St.Gallen vom 19. April 1916 vorgelesen. In seinen Ausführungen erklärte er die Herkunft bestimmter, noch gebräuchlicher Mundartausdrücke:

[…]

Muggatenna, ital. Mughetto = Maiblume (Primula elatior Jacq.)

Föla, rätorom. Feile = beim Buttersieden zurückbleibende Hefe,

Lätsch “ latsch = Schlinge,

Zappie, “ zappa = Werkzeug zum Fortrutschen der Rundhölzer,

Zenggara, rom. tschuncar = entzweischneiden; kl. Teil der Heubühne,

Lumela, ital. lama = Messerklinge,

Lei, rom. altfranz. lei, loi = Art und Weise ([„]es het kei Lei!“)

Pippa, lomb. pipa = Fasshahn,

Guntebiss, churwelsch cugnada = eiserner Keil mit Ring zum Holzziehen,

Zigg, obereng. un zic = etwas, ein wenig (Beigeschmack)

Brend, rätorom. marenda = Vespressen,

Plumpe = grosse, genietete Schelle, scheint nur rätisch zu sein, nebst zahlreichen andern, verbreiteteren. […]

Gächter versuchte durch sprachwissenschaftliche Herleitung auch Flurnamen zu erklären:

[…]

Amatschils = am Matschels (Berg).

Buolt, rom. [romanisch] boval, bual = Herstatzung. Vgl. Bovel.

Broata, “ prada = Wiese

Bützel, “ puteus = Brunnen, Pfütze.

Dezzen, “ dazi = Zoll, der mit der uralten Grenze im Begriffe verbd.

Fora = Wasserloch; urkundlich stets die Fora. Vgl. Plofora = Felsloch.

Grofefeld, rätorom. grava = Sandboden, Geschiebe.

Gruppa, “ groppa = hinterer Teil eines Pferderückens.

Hoggaberg, “ croch = der Hacken, auf Zickzackwegen erreichbar.

Iselisteg, rätorom. Isla = Au.

Kamor, ursprünglich Cá mayor und Cá minor, hiess bis 1890 auf den Blättern des Siegfriedatlasses Tristenkopf.

Kasten, mittellat. Costa = Egg, im Tyrol und Tessin häufig.

Matschels = Berg.

Mola, rätorom. Mulin = Mühle ( oder mola = Schleifstein).

Planggi, Planggner, rätorom. Plaunca = felsige Halde, steil.

Plona, Plöli, von planum = Ebene.

Plosaberg, eng. Blais = i. G. zu Plangg sanft ansteigende Grashalde.

Platta = Platte, ebene Fläche.

Durch seine Forschungen kam Gächter zum Schluss:

Die angeführten Ortsnamen deuten auf Neubesiedelung durch die Römer hin. Landstriche, welche noch Wildnis und jedenfalls ganz mit Wald bedeckt waren, wurden ausgerodet, urbarisiert, und auf diese Zeit kann man schliesslich den Ortsnamen Rüti auf runcus = Reute sogar zurückführen, wenn man will. Auffallen aber muss, dass mit dem Ausläufer des Kobelsteins = Hirschensprung abwärts die romanischen Ortsnamen eigentlich aufhören, während sie aufwärts zahlreicher werden und jenseits des Rheins häufig sind.

Von Norden her kam damals schon der „Unterluft“ wie heute; aber auch ein neuer, deutscher Volksstamm, dessen Blutes wir sind, stiess vom Bodensee und Oesterreich her zu uns.

[…]

Quellen: Staatsarchiv St.Gallen, P 945 (St.Galler Blätter für Unterhaltung und Belehrung aus Kunst, Wissenschaft und Leben, Jg. 1916, S. 179 und S. 183) und W 238/04.01-03 (Bild, Verlag: H. Dinkelacker, Altstätten)

Knaben im Tannenwald

Ostermontag, 24. April 1916 – Eiersuchen im Tannenwald

Ostermentig im Tannewald.

E st.gallertütsches Gschichtli.

Es ist en prächtige Ostermentig gsi, en sonnige, warme Früheligstag, wie ma ‘ne sich nöd schöner wünsche chönnt. So klar und blau hät de Himmel uf d’Erde abeglueget und die goldige Strahle vo der Ostersonne hand Berg und Tal festlech belüchtet. Wer hett’ do möge i dr Stobe bliba? Nei, Gross und Chli send scharewis uszuoge, om sich z’freue dosse i der schöne, grüene Natur, die noch ‘m lange Wenterschlof wieder zo neuem Lebe erwachet isch. Onder dene viele Spaziergänger, die strossuf wandered, der Höchi zue, ischt au d’Tante Lina g’si mit dem Maxli a der Hand; de hät gstrahlet vor Vergnüege, wil d’Tante grad vorig zo em gseit hät: „Mer gond jetz mitenand i de säb gross Wald, dört will i der denn a paar Ostereier vrstecke [sic], die tarscht du sueche.” Da isch natürlich a herrliche Usicht gsi för das Börschtli und er isch drom so wacker davo gmarschiert, om doch recht bald zo dem erwartete Glöck z’cho.

Witer obe am Weg stond zwor die Beide a Wili still, als wörid sie öppert erwarte; und richtig – a Hustör got uf und zwei muntri Buebe springid döther; henedri chont a jungi Frau, d’Muettr vo dene Beide, uf d’Tante Lina zue und begrüesst sie freudig, denn das ischt ehrni gueti Fröndin gsi. „Lueg Max,” seit d’Tante, „de do heist Hans und de säb Heinrich; das send zwei netti Kamerade för di; aber gelt, die send halt grösser als du und gond scho i die recht Schuel.” Das hät üserm Büebli mordsmässig imponiert; mit grossen Auge stunet er die Schuelerbuebe a; die aber nemid ‘n uf jeder Site bi der Hand und send gär so frei und fröndlech mit ehm, dass er bald i ehrner Mitti loschtig davogompet und sini Tante im Stich lot. Dere fehlts aber au nöd a Onderhaltig.

So sind Gross und Chli fröhlech witerzoge. I gueter Gsellschaft chonnt ma gli wit; bereits send die Lütli am Ziel vo de hütige Reis und üseri Buebe begrüessid mit Jubel de Tannewald, wo jetzt de Hauptspass, ‘s Eiersueche, sött agoh. Aber halt! D’Ostereier send vorläufig no wohl versorget i Tantes grosser Täsche; drom wörd der Juged befole: „Stillg’stande! Und kan tarf sich vom Fleck rüehre, bis ma Eu rüeft.”

Druf send die beide Fraue no tüfer in Wald ine und hand ifrig gsuecht, wo’s irged a versteckts Plätzli gha hät im Gstrüpp oder e Vertüfig am Bode zwöschet de Bommworzle. Do isch schnell e Osterei inegleit worde, denn no a Blättli oder Zwigli drof, dass die schöne, bunte Farbe nöd scho vo witem ‘s Versteck verrothid. Denn d’Buebe muend scho e chli lang zsueche ha. ‘m Jüngste muess ma d’Sach frili scho liechter irichte. Onder de säbe grosse Tanne hät d’Tante Lina e Plätzli entdeckt, wo de Bode a bitzli usghöhlt isch und i die Tole baut sie e Neschtli us Tannezwigli, fuetterets mit Moos us und leit blaui, roti ond gäli Eier dri; i d’Mitti aber hät sie a zierlechs Osterhäsli gschtellt; das gsieht so allerliebtscht us, das sie si selber dröber freut.

Jetz rüeft’s lut dor de schtill Wald: „Choo!” Und das Buebevolch störzt döther wie de Blitz; bald verrot’t ‘n Freudeschrei vom Maxli, dass ‘r ‘s Neschtli gfonde hei; ganz entzückt chnület er davor; am beste gfallt ‘m ‘s Osterhäsli; er muess ‘s i d’Hand neh und gnauer bitrachte; Vor luter Liebi hät er’s verschtohle a betzeli abgschlecket, wil ‘s o gär so appetitlich schmeckt. Die andere Buebe rennid he und her mit rote Backe, springi om all Bömm omma, luegid ‘s eintmol uf de Bode, ‘s andermol ufwärts i ‘d Höchi, fendid aber nünt. D’ Tante muess jedesmol verschtole lache, wenn sie so nöch am richtige Oertli vorbi schüssid. „Warm![“] rüeft sie; und wenn d’Buebe wieder witer davo wegglaufe send, rüeft sie „kalt!” De Heiri meint: „Aber Tante Lina, du häsch es richtig agschtellt mit ‘m Verstecke; helf mer doch au a chli sueche!” Die aber sait ganz rüebig: „Suech no witer; wer suecht, der fendet.”

Neun Enkelkinder Wenner an Ostern 1912Nicht nur im Tannenwald, sondern auch in gutbürgerlichen Gärten suchten Kinder Ostereier, so wie hier die Enkelkinder von Julius und Julie Wenner-Mauke an Ostern 1912

Endlech rüeft de Aeltist: „Ha! Juhu! i han aas!” Und de Hans dröber abe: „I au!” Noch eme Wili chont de Heinrich ganz stolz und zeigt i sim Chäppli vier wundrschöni Eier, währed sin Brüeder no ifrig am Sueche isch; drei hät er efange vrwötscht; aber wo ischt denn s’viert? D’Muetter und d’Tante muend jetz helfe sueche; die werdid scho no wösse, so ‘s verborge isch. So macht sich den alles uf d’Suechi. Aber ach, das Ei ischt und blibt verschwunde. D’Muetter tröschtet ‘n, das sei noch lang ka Uglöck; sie well den scho daför sorge, dass de Hans nöd zchorz chäm.

Vo dem lange Ommestoffle im Wald send alli die Lütli doch e chli müed worde, au im Buuch hät ‘s agfange chnorre; denn d’Vesperzit ischt bereits do gsi. Ganz i der Nächi ischt e Bänkli för üseri Gsellschaft, ma muess zwor eng zsemmerocke, damet alli Platz hand. Jedes nehnt eins vo sine Eier und tötschlet mit sim Nochber loschtig drof los. Was isch das för e Freud, wenn ma cha ‘m andere Ei Spitz oder Gupf ischlage, bis alles kaput ischt und das appetitlech wiss Ei us dr Schale usegügslet.

Die fröndlech Tante Lina nemmt ehrni Täsche wieder zor Hand und zücht e paar prächtige Ostermorre [speziell zu Ostern hergestelltes Hefeteiggebäck, auch Ostermurre] före ond verteilt’s. O! wie schmeckt das Obedbrot so herrlech im grü[e]ne Wald! Wie jetz alli gnueg gesse hand, sait an vo de Buebe: „So, jetz tuent mer üs verstecke, und d’Muetter und d’Tante muend üs cho go sueche.” Im Hui send die Buebe uf und davo gsi; aber wie sie si au zsemme duckid, amene so a chline Plätzli chönid sie unmöglech verschlüfe, wie en Ei; drom chommid sie alli wieder glöcklech zom Vorschi und kan got im Wald vrlore. Nochher word Fangis gmacht; s’Vergnüege von dene Lütli stigt alliwil höcher, währeddem d’Sonne scho am Abegoh ischt und die letschte Strahle de Wald vergoldid. „s’isch Zit zom Hamgoh,” seit d’Muetter, „dass mer vor’m Dunkelwerde i d’Stadt chömid.”

So nehmid denn alli Abschid vom Wald; üsern Hans lueged no amal wehmütig zrock; wie reut eh[n] doch das Eili, wo dihene blibt im sichere Versteck. Bald send die Buebe om de Strosserank verschwunda, doch ehre fröhlechs Lache hört ma no vo Witem. Ueseri zwei Fröndinne wanderid Arm i Arm gmüetlech vorwärts; sie freuid sich öber dä glunge Nomittag und Eini seit zor Andere: „Das chönnt ma wieder so mache, wie herrlech wär’s im Sommer en ganze Tag zuezbringe im chüele, schattige Tannewald.” Denn chömid sie uf ehrni Jugedzit zrede, die sie mitenand verlebt hand i der schöne, alt-ehrwürdige Stadt Basel, und manchi fröhlechi Erinnerig wörd wieder wach. Aber halt, was ist das? A jämmerlichs Gschrei! Sie luegid erschrocke enander a, was häts geeh? D’Muetter denkt im Schtille: Jetzt isch gwöss an vo mine Buebe öber de Hag g’chletteret und hät d’Sonntigshose verschrenzt, der Tante Lina aber isch es himmelangst gsi wegem Maxli, der vielicht bös gfalle sei und e Büla übercho hei.

Wie jetz die Beide nöcher chomid, seched sie, dass es nöd so gföhrlech isch. Heil und unversehrt isch das Buebetrüppli uf de Stross gstande; doch de Hans hät erbärmli gschluchzet, währed sini Hand krampfhaft ‘s Osterei ghebet hät. „Was blägescht den au e so?” hät d’Tante gfrogt und mit brieggeliger Schtimm verzellt er si Ugfell: „Denk no – i han – vorig in Sack glanget – und do – isch gad no – das einzig Ei drenn gsi – ‘s ander isch mer gwöss usetrolet, wo mer so starch de Berg abgehaglet send.” „Aber nei, Hans, du bist jo hüt ‘s reinst Pechvögeli; erst fendst vo vier Eier numme drei, ‘n derno verlierscht no ains drvo, du bischt mer en haitre Borscht.” De Hansli hät no a paar Träne abegschlockt, denn zücht e Lächle öber si verbriegget Gsicht und uf eimol rüeft er triumphierend: „Jetz weiss i was! I will das Ei grad au no ufässe, den chann i’s nümme meh verlüre.” Und’s hät ehm guet gschmeckt, den isch übers Börtschtli seelevergnüegt hamtrottet; zwor mit leerem Säckli und leere Händ, aber voll Freud öber dä herrlech Ostermentig.

Wie Vieli gohts im Lebe ganz ähnlech wie dem Hans; sie send uszoge, om ehre Glöck z’sueche, hand aber nöd alles gfonde, was sie ghofft und erwartet hand; nöd selte chömmid denn no allerlei Missgschick dezue, so das ma zum Teil wieder verlürt, was ma gwonne hät. Das tuet wohl recht weh. Aber söll ma drom verbitteret werde und, mit Gott ond alle Mensche verzörnt, sini Weg goh und die benide, wo ‘s witer brocht hand? Ach nei; uf die Art macht ma si’s Lebe gad no schwerer; wend mer nöd lieber dankbar gnüsse, was üs Guets no blebe ischt? Mer dörfid dem himmlische Vater getrost vertraue, dass er üs zor rechte Stond alliwil wieder schenke cha, was üs nötig ischt au i der böse, schwere Zit, die jetz öber so Vieli chonnt. Wenn ma glernt hät mit Wenigem sich begnüege und si zfreue öber a jede sonnige Tag, der üs gschenkt isch, denn darf ma au erfahre, dass’s Lebe no viel Guets för üs i Bereitschaft hät; au wenn ma a irdischem Hab und Gut nöd schwer zträge hät.

Alli die aber, dene s’Glöck vomene selber in Schoss gfalle ischt, so dass sie mit Richtümere schwer belade dor’s Lebe gönd, die hand jetz e ganz bsonders gueti Glegeheit, en Teil vo ehrner Last loszwerde. Wie riesegross sind überall Not und Elend! Wie Vieli züchid mit leerem Sack und leere Hände ehren Weg, wil de Verdienst ehne manglet und sie muend voll Angst und Sorge der Zuekunft entgegegoh. Isch es nöd schö, wenn me do eim a chli onder d’Arme grifa, dem Andere verschtohligs öppis i d’Hand drocke cha, dass er wieder getroster sin Weg wanderet? So im Schtille manchem wohltue, macht nöd no Geldtäsche a chli minder schwer; nei, es macht au’s Herz froh und liecht und bringt för d’Zuekunft meh Gwönnst und Sege als die küenste Spekulatione; es heisst nöd vergäbis: „Einen fröhlichen Geber hat Gott lieb.”

L.M.

Quellen: Staatsarchiv St.Gallen, P 945, St.Galler Blätter für Unterhaltung und Belehrung aus Kunst, Wissenschaft und Leben (Text), W 238/07.01-20 (Beitragsbild) und W 054/82.30 (Bild: Enkelkinder Wenner)