Schälkur Bild

Mittwoch, 21. August 1918 – Sorgen einer Hausfrau

Das St.Galler Tagblatt publizierte an diesem Tag eine Zuschrift:

Stimmen aus dem Publikum.

(Ohne Verantwortung der Redaktion.)

Bessere Gaszuteilung.

Da gegenwärtig im Gemeinderat der Gaspreis verhandelt wird, wäre es meines Erachtens endlich einmal am Platze, ein anderes und gerechteres Zuteilungssystem einzuführen, z.B. per Kopf, wie bei den Lebensmitteln, dann würde es nicht vorkommen, dass Familien pro Monat nur 14-18 Kubikmeter zugeteilt erhalten, während sogenannte «bessere» Familien mit gleicher und noch kleinerer Kopfzahl 35-45 Kubikmeter bekommen. Eine dreiköpfige Familie braucht bei äusserster Sparsamkeit 25 Kubikmeter. Einsenderin dieser Zeilen möchte deshalb die zuständigen Behörden dringend bitten, dieser Angelegenheit, die eine ungleiche Verteilung und Härte in sich birgt, in angedeutetem Sinne näher zu treten.

Frau R.

Auf derselben Seite der Zeitung findet sich auch ein Kurzbericht aus dem Protokoll der Regierung, die sich ebenfalls mit Verteilungsfragen befasst hatte:

Kriegswirtschaftliche Massnahmen. In Ausführung eines Bundesratsbeschlusses vom 9. August betreffend den An- und Verkauf und die Abgabe von getragenen alten Schuhen, Kleidern und Wäschestücken und auf Grund einer Vorlage des Polizei- und Militärdepartements erlässt der Regierungsrat ein Kreisschreiben an die Gemeinderäte mit den erforderlichen weitern Anweisungen.

Salzpreis. Dem Grossen Rat wird im Hinblick auf die neuerdings eingetretene ganz erhebliche Steigerung der Gestehungskosten des Staates für die Erwerbung des nötigen Salzes die Revision und Aufhebung des Gesetzes vom 7. Januar 1918 betreffend den Salzpreis in dem Sinne beantragt, dass dem Regierungsrat die Ermächtigung, die Festsetzung des Preises sowohl für das Kochsalz wie für die andern Salzsorten unter Berücksichtigung der jeweiligen sachlichen, volkswirtschaftlichen und sozialen Gesichtspunkte vorzunehmen, übertragen werden soll.

Ob Frau R. angesichts ihrer hausfraulichen Sorgen für folgende Anzeige in der gleichen Ausgabe des Tagblatts empfänglich war, ist nicht zu erfahren:

Schälkur Anzeige

Quellen: Staatsarchiv St.Gallen, P 909 (St.Galler Tagblatt, 78. Jg., Nr. 195, 21.08.1918, S. 4 und S. 6, Anzeige)

Soldaten mit Gasmasken

Samstag, 20. April 1918 – Lage der Zivilbevölkerung und der Truppen im Aktivdienst

Hedwig Haller (1884-1963), aus deren Tagebuch das folgende Zitat stammt, wuchs am St.Galler Marktplatz auf. Dort betrieb ihr Vater eine Flaschnerei (Spenglerei). Die aus Württemberg stammende Familie war 1886 eingebürgert worden. Hedwig hatte den «Talhof» besucht und arbeitete als Telefonistin in der St.Galler Hauptpost.

20. April. Es wird immer schlimmer. Die Teuerung wächst zusehends. 1 Liter Milch kostet 40 cts. Die Kohlennot ist so gross, dass fast keine Bahnzüge mehr verkehren. Es ist nur ein Glück, dass es der bessern Jahreszeit entgegen geht & man bald nicht mehr heizen muss. Der Vater hat zwar schon vorgesorgt & hat buchene Scheiter gekauft, die er nach & nach versägen will. Der Meter kommt auf 40 frs.! Wer irgendwie kann, der pflanzt Gemüse & Kartoffeln. Der Staat verlangt, dass der Boden dazu verwendet wird & gibt die Steckkartoffeln gratis & den m2 Land zu nur 5 fr. zu pachten. –

Soldaten beim JassenWährend Schweizer Soldaten an ihren Posten an der Grenze höchstens einen «Gasmaskentürk» über sich ergehen lassen mussten, daneben Wartezeiten aber auch mit Jassen zubringen konnten, sah das Leben der kämpfenden Truppen im Ausland ganz anders aus:

Am 21. März hat die grosse Offensive begonnen im Westen, an der wieder unsäglich viel Blut vergossen wird. Louis [Verwandter von Hedwig Haller] schreibt: „Die Kämpfe mit den Engländern sind furchtbar hart. Wir kampieren immer im Freien, da die Gegend so verwüstet ist, wie glatt rasiert dem Boden gleich ist Alles.“ – Wenn nur einmal eine triftige Entscheidung käme, die all dem Elend endlich Halt gebieten würde. ! –

Zitate aus Hedwig Hallers Tagebuch sind bereits erschienen am: 11. Februar 1917, 23. Februar 1917 und 1. Oktober 1917

Quellen: Privatbesitz (Tagebuch Haller, Transkription und Hinweis zur Autorin: Markus Kaiser) sowie Staatsarchiv St.Gallen, W 132/2-337 und W 132/2-338 (Bilder aus dem Erinnerungsalbum des Geb. Sch. Bat. 8 im Aktivdienst an der Grenze bei Basel vom 18. März bis 2. Juni 1918)

Maiskolben

Mittwoch, 16. Januar 1918 – Ehemaligenbrief: Friedenshoffnungen

Brief eines Ehemaligen des Landerziehungsheims Hof Oberkirch in Kaltbrunn an seine frühere Ausbildungsstätte:

Neuenburg, den 16.I.1918.

An den Hof denke ich hin und wieder, und jedesmal, wenn auf irgend eine Art und Weise auf ihn die Rede kommt und sogar ein Zeichen, wie die Hofzeitung mir zukommt, so treten all die Erinnerungen frisch auf, eine nach der andern, und dann verliert man sich wieder einmal für einige Augenblicke ins Land der Träume. Ich bedaure auch sehr, nicht an den Alt-Höflertag haben kommen zu können, aber mit den heutigen Verbindungen und Kosten ist’s so eine Sache, von einem Samstag abend auf einen Sonntag abend von Neuenburg nach Kaltbrunn zu reisen.

Bei mir wird wahrscheinlich dieses Jahr der Militärdienst kommen, wenn nicht mit dem Frieden das Militär vollständig abgeschafft wird, was nicht unmöglich wäre. Viele reden hier von einem Frieden im Februar oder im März, aber ich kann für den Augenblick noch nicht dran glauben, obwohl niemand nichts sehnlicher sich wünschen mag, al eine Freiden, dass man wieder warm haben und sich quasi satt essen kann. Von diesen Sachen klingen uns die Ohren immer hier. Es ist ein Wimmern und Seufzen in Pensionsmütterchens Gesicht. Manchmal ist’s schwierig, richtig mit den Leuten auszukommen jetzt. Manchmal rumoren die jugendlichen Mägen bedenklich, die Platten sind manchmal gar mager belegt; das Fleisch ist oft stärker als der Geist. Dann gibt’s nachher eine kleine Diskussion auf französisch und man schickt sich wieder drein, l’estomac tranquillisé. – Auf dem Bureau habe ich’s sehr streng, von 8-12 und 1½-6. Dann noch 8 Stunden besondere Fächer in der Woche! Dann bin ich müde am Abend um 10 Uhr und freue mich auf meine Kiste.

Felix Stockar.

Felix Stockar, Jahrgang 1899, war von 1912 bis 1915 Schüler im Hof Oberkirch. Nach Schulaustritt machte er eine Fachausbildung für Seidenfabrikation in Frankreich, Italien und Zürich. Ab ca. 1924 war er im Rohseideneinkauf tätig und wohnte in Schanghai in China.

Quelle: Staatsarchiv St.Gallen, W 127 (Landerziehungsheim Hof Oberkirch, Kaltbrunn, Hof-Zeitung, Nr. 12, April 1918, Text; Hof-Zeitung, Nr. 13, Juli 1918, Linoleumschnitt von Paul Tobler, Beitragsbild; Hof-Zeitung, Nr. 40, Juni 1927, Hinweis auf Felix Stockar)

Kriegsbrot

Donnerstag, 25. Oktober 1917 – Ferienverlängerung wegen Kohlennot

Die Herbstferien in Hof Oberkirch waren um vier Tage verlängert worden – Kohleknappheit führte dazu, dass in diesem Winter die Schulzeit für viele Schülerinnen und Schüler kürzer, resp. die Ferienzeit länger ausfiel: Da, ein Schreiben vom Hof, Ferienverlängerung, 4 Tage, bis am 29. Oktober. Hurra!!! wer wol[l]te sich da nicht freuen?, heisst es in der Schulchronik.

Am 29. Oktober war die Gnadenfrist jedoch abgelaufen, die Schüler wurden in Kaltbrunn erwartet:

20. Oktober 17. Trotz des wiederholt reduzierten Fahrplans rücken die Meisten [sic] mit den 5 Uhrzügen ein. Nur Cathomas, [Carl] Bois de Chaisne [eigentlich Bois de Chesne], Brandenberger, Schoop und Grieder, der zugleich ausgetreten, waren wegen Krankheit verhindert. Auch Kaspar fehlte. Dagegen erschien Alfons Haase, der seinen Abschied vom Hof schon gefeiert mit 2 Brüdern Mario und Erwin Haase. Also mit 3 Haasen wurde der Hof beglückt. [Hinweis: Die Schüler hielten verschiedene Haustiere auf dem Hof, zeitweise sogar ein Reh.]

Niki ist der Abschied vom Mutti besonders schwer gefallen, denn er konnte sich der Tränen nicht enthalten. Viel freudiger rückte Hugo Raichle ein, den[n] er will mit siner Brille eindruckschinden [sic].

In der Versammlung berichtete Herr Tobler über die Einschränkung des Heizens. Denn es wurde dem Hof Kohle zugeteilt, mit welcher er den kommenden Winter durchschlagen muss. Die obersten 2 Stockwerke werden gar nicht geheizt. Ferner das Naturkunde-[,] Blaue- und Mathematikzimmer nicht. Schule wird im Zeichnungs-[,] Studien- und in den beiden Essälen gehalten. Nicht nur dies gab uns der noch immer tobende Krieg zu spüren, sondern 2 der Lehrer[,] Herr Schlegel [Lehrer für Mathematik, Feldmessen und Buchhaltung] und Herr Dr. Rebmann [Lehrer für Latein, Geschichte und Geografie] sind im Dienst.

Lehrer und Schüler des Landerziehungsheims gruben in dieser Zeit in der Umgebung des Hofs auch selber nach Kohle (Bericht dazu im Beitrag zum 4. März 1917). Die nachstehende Foto von Kurt Bäbler wurde in der Hof-Zeitung vom April 1919 mit der Legende Unsere Kohlengräber 1918/19 publiziert:

Kohlengraeber Oberkirch

Nächster Beitrag: 6. November 1917 (erscheint am 6. November 2017)

Quellen: Staatsarchiv St.Gallen, W 127 (Schulchronik 1915-1921; Beitragsbild in: Hof-Zeitung, Nr. 11, Dezember 1917, Linolschnitt mit dem Titel «Kriegsbrot» von Primarschüler Ulrich Schoop; Foto von Kurt Bäbler aus Album «Lehrer und Schüler auf dem Hof Oberkirch»)

Kartoffelersatz

Freitag, 5. Oktober 1917 – Erntefest in Hof Oberkirch

Die Chronik für das Landerziehungsheim Hof Oberkirch vermerkt für den 5. Oktober ein Erntefest. Die Schüler verbrachten den Tag mit einem Ausflug. Im Wald entspann sich eine Tannzapfenschlacht, und später spielte man Räuberlis. Einige suchten auch Pilze, welche die Köchin der Schule abends zubereitete. Sie war auch für die ausserhäusliche Verpflegung an diesem Tag verantwortlich, es gab eine kräftige Knorrsuppe, Käse, Brot und Äpfel. Auch Brombeeren fand man viele.

Vorangegangen waren diesem Erntefest strenge und andauernde Gartenarbeiten während des ganzen Sommers, zu denen man die Schüler angehalten hatte. Ende September konnte der Segen ausgegraben werden:

Das strenge Arbeiten im Grabacker brachte eine reichliche Ernte: Mehr als das Zwölffache der Saatkartoffeln wurde geerntet. Im Ganzen 50 q. [Zentner] Auch der Mais[,] Kabis und Kohl gedieh gut. Wohl den Hauptverdienst haben die Sechser [6. Klasse, entsprach in dieser Schule den Fünfzehnjährigen], die es nicht scheuten, alle Tage früher als die Andern aufzustehen[,] um im Garten zu arbeiten. Als die Verordnung kam, dass die Gemeinde Kaltbrunn die Äcker am Grabacker zur Anpflanzung von Getreide bis 1. Oktober haben müsse, gab’s richtiger Kriegsbetrieb. Die ganze Schule machte sich ans Ernten, und bald war alles eingeheimst.

Die Schüler selber waren nicht immer beglückt ob des täglichen Einsatzes im Garten, insbesondere das Düngen war unbeliebt, wie sie in ihren Aufsätzen festhielten:

Es läutet zur Gartenarbeit. Weil es heute Dienstag ist, muss ich wohl oder übel auch gehen. Aber es ist wenigstens schönes Wetter und ziemlich warm. Wenn ich dann noch eine anständige Arbeit bekomme, so ist es auszuhalten. Unter anständigen Arbeiten verstehe ich solche, die mir gut gefallen, z.B. Spaten, Obst ablesen, Bäume fällen oder gar bei den Nachbarn heuen. Letzteres hat noch eine besonders gute Seite. Man wird dabei herausgefüttert.

Zwischen den Häusern steht Herr Tobler [Direktor] und macht Antreten.

«Wer will nach Uznach?»

«Ich! ich!» rufen viele Stimmen, denn der Auserwählte kann im Vorbeigehen noch schnell zur «Tante» [im Einkaufslädeli]. Der Kriesi darf gehen; er hat ein Velo.

«Du, Kriesi, bing mit 10 Chocoladensäckli.»

«Und mir für einen 20er Zeltli.» Er wird ganz mit Aufträgen überhäuft.

Nun heisst’s «Spaten». Sofort melde ich mich, denn jetzt im Herbst ist das eine der schönsten Arbeiten. Im Frühling ist’s nicht so angenehm, besonders bei ganz trockenem oder regnerischem Wetter; dann gibt es so grosse Klötze.

Wie ich zum Holzschopf gehe, höre ich noch, wie Herr Tobler zu Nänny sagt: «Du kannst mit 2 Kleineren Birnen schütteln.» Natürlich, der bekommt immer die angenehmsten Arbeiten, wenn er nicht im Büro faulenzt. Hinter uns kommt der Kuhn und holt eine Hacke; er muss jäten. Ich wünsche ihm viel Vergnügen, denn das ist meiner Ansicht nach die langweiligste Arbeit. Nur das Himbeerenaufbinden kommt ihm gleich. Während wir arbeiten, kommt mit grossem Gepolter der Huber mit der «Güllkanone» angefahren. Er hat sich geopfert. Niemand ist besonderer Freund dieser Beschäftigung. Herr Mäder kommt mit den Achtern zum Aufräumen.

Schon nach einer halben Stunde sind wir mit dem uns aufgetragenen Stück fertig. Nun sollen wir in den Johannisbeeren spaten. Danke für Obst!

Diesen Sommer hatten wir auch am Morgen Gartenarbeit [anstelle des sonst praktizierten täglichen Frühturnens]. Das war einmal eine Abwechslung; aber schon nach kurzer Zeit hätte ich lieber wieder Turnen gehabt. Nur zum Beerenablesen war ich dabei; viele verschwanden aber in meinem Magen.

Ein anderer schrieb, wie er auch für seine Familie zu Hause Gemüse zog, eine Möglichkeit, welche die Landschule während der Kriegszeiten anbieten konnte: […] Am Allerliebsten arbeite ich aber doch in meinem eigenen Acker, wo ich jedes Pflänzchen kenne. Und dann das Ernten! Das ist besonders schön, das ist gar keine Arbeit mehr, nur noch Vergnügen. Mama findet zwar, sie habe noch nie so teures Gemüse gehabt; doch – das gehört schon nicht mehr hierher. Die Bemerkung zum teuren Gemüse hatte ihren Hintergrund wohl darin, dass der Erntesegen nach Hause geschickt werden musste, vermutlich per Bahn, wodurch Frachtspesen anfielen.

Einige suchten sich vor der Arbeit zu drücken und erfanden verschiedene Strategien: […] Da kommt der Marcel aus dem Haus und murmelt so schnell, dass man es kaum verstehen kann: «Herr Tobler ich abe eine böse Fuss, kann ich Studin macha?» […] Schnell will ich mich noch umziehen. Leider ist es schon zu spät; ich will es probieren und trete in meinen Schulkleidern an. Herr Tobler hats aber schon gesehen und ich muss mich – gern oder ungern – umkleiden. Droben auf der Terrasse steht Hermes um uns zu fuxen, denn er kann ja cheffreien Nachmittag machen. Andere machens viel schlauer; die kommen überhaupt nicht zum Antreten und wenn es Herr Tobler merkt, haben sie immer noch eine gute Ausrede. […] Für Unterhaltung während der Arbeit muss ich nicht sorgen, denn im Garten nebenan arbeitet oder besser faulenzt der C. und verführt einen solchen Lärm, wie sämtliche Wäscherinnen der ganzen Gegend. […] Langsam schleicht die Zeit vorbei und noch langsamer wird meine Arbeit fertig. Ich schleiche in meine Bude. Ich habe herausgefunden, dass es so am vorteilhaftesten ist.

Ein anderer Schüler beschrieb noch weitere Versuche, um die Arbeit herumzukommen: […] Dann hat der Eine wunde Zehen, der Andere einen geschwollenen Finger, dieser an 7 Orten Eissen [Furunkel, Eiteransammlung], oder Latein. Sch. muss um 3 Uhr in die Uebungsstunde und findet es deshalb kaum mehr nötig anzufangen. (Wir wissen aber, dass seine Stunde erst um 4 beginnt – er ist ein Drückeberger.) […]

Die Buben aus den jüngeren Klassen waren ebenfalls nicht immer motiviert und hatten ihre eigenen Strategien:

Am liebsten tu ich Laub oder sonst was zusammenrechen. Man muss dann nicht zuviel schaffen, da man sagen kann, dass der Wind das Laub immer wieder fortnimmt, oder neues Laub vom Baume falle. Dann kann man sich auch sehr gut drücken, indem man sagt, dass man auf den Abort oder einen andern Besen suchen müsse.

Jetzt wird die Arbeit verteilt. Ich durfte zum Apfellesen gehen. Wir sackten dann viele Aepfel ein. Uns wurden oft kleine Steine nachgeworfen, denn wir warfen den andern faule Aepfel an. Das war sehr lustig. Mancher sagt dann, er müsse auf den Abort. Er ging dann schauen[,] wie spät es ist. Das machte ich oft nach. Andere Knaben mussten dann üben. Sie gingen dann eine viertel Stunde vor der Zeit weg, es war ihnen nur deshalb pressant.

Wenn es mir langweilig wirt [sic]. Schaue ich[,] ob nicht ein Lehrer in der Nähe sei[,] wen[n] ich ni[e]mand sehe[,] gehe ich fort und schaue[,] war für Zeit es war[,] wen[n] es etwa halb vier Uhr war[,] dan[n] ging ich zu den Beerensammlern und half[,] bis es leutete [sic] udn füllte meinen Becher und ass es im geheimen. Manchmal ging ich in das Haus und las in einem Buch[,] bis es leutete[.] ich [sic] freute mich immer[,] wenn es Leutete [sic]. (Ohne Korrektur, von einem Kleinen.)

Der Direktor war sich dieser Verhaltensweisen wohl bewusst und beurteilte sie als Erzieher der Knaben folgendermassen: Dieses Grosse [sich der Zeitlage ohne viel Murren und Schimpfen anzupassen] möchten wir auch unsere Jugend spüren lassen. Den Gedanken hat sie, wenn gefragt, wohl erfasst, sie schafft auch willig mit. Dass sie aber dabei im Alltäglichen die sorglose Jugend bleibt, das ist ihr Vorrecht.

Dass Schüler derart frei, vertrauensvoll und offen beschrieben, wie sie versuchten, Anweisungen der Erwachsenen zu umgehen, zeugt vom speziellen Geist, der in diesen reformpädagogischen Landerziehungsheimen herrschte.

Nächster Beitrag: 6. Oktober 1917 (erscheint am 6. Oktober 2017)

Quellen: Staatsarchiv St.Gallen, W 127 (Hofchronik 1915-1921 sowie Bericht des Direktors zu «Die Gartenarbeit» und Aufsätze in: Hof-Zeitung, Nr. 11, Dezember 1917: Texte) und P 909 (St.Galler Tagblatt, 24.03.1917, Abendblatt)

Alex Berner

Mittwoch, 22. August 1917 – Schweizerluft

Die verwitwete Adele Berner-Wenner war von Süditalien nach Zürich umgezogen, wo sie bei Verwandten Unterschlupf gefunden hatte. Sie schrieb ihrer Schwester:

[Randnotiz:] Erhalten i[n] Fratte

Zürich, Engl. Viertelstr. 52.

22. Aug. 1917.

Meine liebe Silvia,

Ich hoffe, dass Euch meine verschiedenen Karten richtig zugekommen sind, & danke Dir noch sehr herzlich für Deinen lb. Brief, den ich vor der Abreise noch bekam. – Ich habe die Zeit in Fratte sehr, sehr genossen & fand es herrlich wieder einmal länger da zu sein; die Schwierigkeiten im Haushalt tun mir nur leid[,] weil sie Euch so viel Mühe machen, & hauptsächlich weil sie Mama aufregen, aber sonst berühren sie mich nur ganz vorübergehend, & ich kann das übrige dabei immer gleichwo[hl geniessen.] – Die letzten Tage in meinem Hause waren dann furchtbar ermüdend & anstrengend bei der argen Hitze, & ich war wirklcih ziemlich kaput [sic]; in der Nacht konnte ich nur nch ganz wenig schlafen, teil wegen der Hitze & teils wegen allem was immer im Kopf herum ging. So fand ich den ersten Teil der Reise ganz ausruhend. Alex war aber die ganze Zeit über sehr ordentlich & anständig & half dem portier [sic] sogar meinen grossen Koffer hinunter tragen, weil niemand anders da war. – Bei Emil Berners war es sehr nett, Anna war zwar zu Bett, weil sie rheum. Schmerzen gehabt hatte, aber sie empfing uns sehr nett in ihrem Zimmer. Dann hatten wir einen guten Thee, & nachher liess uns Emil in einer schönen Remise-Vectaria [?] eine prachtvolle Fahrt machen. Schon 1 ½ St. vor Abfahrt des Zuges waren wir an der Bahn & bis wir unsern Proviant gekauft hatten konnte man einsteigen & wir hatten sehr gute Plätze in der I Classe über die Nacht. Alex war hoch erfreut. Am nächsten Tag ging alles nach Wunsch, zwar war ich höchst erstaunt, dass wir durchfahren sollten, aber mit etwas Eile ging alles ganz gut & wir waren gegen Mitternacht hier. Von 4 Uhr an aber mehr wie 7 Stdn. über den Gotthard zu brauchen ist ein wenig eine Geduldsprobe, & wir waren recht müde. Mama Berner hat es aber gut ertragen & sie sieht sehr gut aus. –

Es scheint mir nicht[,] dass ich wenige mehr als seine Woche von Euch fort bin, sondern schon eine lange Zeit. Hoffentlich geht es Euch allen gut & nimmt Gränni [Granny? Grossmutter] wieder ein wenig zu. Es war prachtvolles Wetter über den Gotthard, & die Luft so herrlich, ich musste besonders an Mama denken. Am Sonntag nachm. war es hier schwül, & am Abend kame in starkes & langes Gewitter. Onkel Victor war am Morgen hier bei den Cousinen, & am Montag nahm. kamen T. Marie & Mignon zum Thee. Sie sind diesen Sommer nicht fort gewesen. –

Man spricht ernstlich davon[,] dass die Schulkinder diesen Herbst entweder gar keine Ferien, oder nur einige Tage haben sollen, & dafür vom 13[.] Dec. bis Ende Januar die Schulen geschlossen bleiben sollen wegen dem grossen Mangel an Heizmaterial. Da müsste ich sehen wie sich das für Alex einrichten liesse, den das wären ja mehr wie 6 Wochen. – Gestern gegen Abend haben wir die Bicyclette ausgewählt, es war ein grosser Moment, & heute nach der Schule kam Alex sie abholen & machte dann seine erste Fahrt hier herauf um sie vorzuführen. Sie ist wirklich sehr schön. Natürlich mussten noch alle möglichen Bedingungen daran geknüpft werden; er darf am Morgen nicht damit in die Schule fahren, aber er hat sich arein gefunden. Bei Heftis ist man im allgemeinen mit Alex zufrieden, aber von verschiedener Seite höre ich dass er im Winter alles sehr waghhalsig betrieben habe, & so könnte ich ihn wo[h]l nicht wieder für längere Zeit allein in die Berge schicken, er ist dort zu sehr sich selbst überlassen. In den nächsten Wochen wird sich das alles noch zeigen, vor der gegebenen Zeit lässt sich nichts entscheiden. –

Ich habe hier noch nicht angefangen zu hetzen, & hoffe dass ich es dieses Jahr überhaupt vermeiden kann, wenn ich jeden Tag etwas absolviere. Aber weisst Du[,] aus den Stunden für Buchführung wird wieder nichts, den Tante F. Bärlocher ist nicht mehr in Zürich, & da müsste man schon gleich einen Kurs nehmen, & die dauern eben länger als ich Zeit habe. Ich werde suchen mir so viel wie möglich von den Cousinen practisch [sic] zeigen zu lassen. Es ist mir dies eine kl. Enttäuschung, denn ich wollte recht energisch dahinter.

Ihr werdet unterdessen auch die Todesanzeige von Herrn Jules Sulzberger bekommen haben; es ist ein Glück[,] dass er sterben konnte. –

Vielleicht morgen wollen wir Gretchen in Küsnacht besuchen, den sie geht bald nach Genf zurück. Wusstest Du dass Eboie [?] einige Jahre älter war als Harold? Die Cousinen sagen dass er eine solche Liebe & Achtung für Rosie hatte, dass sich dieselbe auf alle erstrecke, die den Familiennamen seiner Frau haben. Das freut einem [sic] doch. –

Das Wohnzimmer von den Cousinen ist sehr nett geworden & sie haben grosse Freude daran. Es ist wieder so nett & gemütlich bei ihnen, & es riecht so gut nach “Schweiz” in der Luft; es ist heute ein prächtiger Tag, & die Cousinen sind schon von 7-9 Uhr geritten. Es tut mir ganz leid, dass gerade ich diejenige bin, die hieher kommen musste, & würde mich freuen wenn ich & ihr oder Mama an meine Stelle tun könnte, obschon ich es selbst auch wirklich geniesse. –

Hoffentlich habt Ihr noch schöne Meerbäder. Hat wo[h]l Maria auch damit anfangen können? – Ich kann Dir nicht sagen wie dankbar ich war[,] dass meine ersten Ruhetage vorbei waren, wie ich nach Hause kam, & diesmal hat es sich wirklich herrlich getroffen. Es scheint mir[,] es wäre sonst einfach nicht gegangen. –

Und nun noch viele herzliche Grüsse von allen hier, an die Eltern & Dich & Euch alle, & besonders von mir. Dich liebes Kleinod [unlesbar] umarmt von Herzen, Deine Dich innig liebende

Adèle Berner.

Adele Berner logierte bei der Familie von Victor Wenner-Keibl (1857-1929), dem Stadtingenieur von Zürich. Unterlagen zu dieser Familie finden sich im Staatsarchiv St.Gallen unter: W 054/121

Nächster Beitrag: 23. August 1917 (erscheint am 23. August 2017)

 Quellen: W 054/127.4.2 (Briefe an Silvia Wenner) und W 054/125.11.2 (Beitragsbild: Alex Berner, 1916 und 1917)

Torffabrik Oberriet

Samstag, 21. Juli 1917 – Vorschrif-ten für den Abbau von Torf

Ausbeutung von Torflagern und Handel mit Torf.

(Beschluss des Regierungsrates des Kantons St.Gallen.)

1. Für die Ausbeutung von Torflagern und den Handel mit Torf sind die Vorschriften des Bundesratsbeschlusses vom 24. Mai 1917 und die Verfügungen des Schweizerischen Departementes des Innern vom 25. Juni 1917 massgebend.

Soweit diese Erlasse auf kantonale Vorschriften abstellen, gelten folgende Bestimmungen:

2. Als kantonale Zentralstelle für die Torfvermittlung wird das Volkswirtschaftsdepartement bezeichnet und dieses zugleich ermächtigt, im Einvernehmen mit dem Schweizerischen Departement des Innern, bezw. der Schweizerischen Torfgenossenschaft, die weiteren zweckdienlichen Anordnungen zu treffen.

3. Für Torf werden folgende Höchstpreise festgesetzt, die durch die Produzenten oder Händler vom Verbraucher gefordert werden dürfen:

a) Handstichtorf:

leichte Ware Fr. 10.- per Ster
mittlere Ware « 12.- »       «
schwere Ware « 14.- »       «

b) Maschinentorf

ohne Zusatzmaterialien Fr. 50.- per Tonne
mit Zusatzmaterialien « 55.- »           «

Diese Preise verstehen sich für Torf ins Haus des Verbrauches geliefert, bes. direkter Zufuhr und bei andren Transporten für verladene Lieferung ab der nächstgelegenen Bahn- oder Schiffstation des Produzenten, bezw. des Versenders, und zwar für Ware, die nicht mehr als 35 Prozent Asche- und Wassergehalt hat.

Für geringere Ware und für spezielle Torfprodukte werden die Preise durch das Volkswirtschaftsdepartement von Fall zu Fall bestimmt.

4. Zuwiderhandlungen gegen die vorstehenden Vorschriften, die Ausführungsvorschriften oder Einzelverfügungen des Schweizerischen Departementes des Innern und des kantonalen Volkswirtschaftsdepartementes werden mit Busse bis zu 20,000 Franken oder mit Gefängnis bis auf drei Monate bestraft. Die beiden Strafen können verbunden werden. In besonderen Fällen kann ausserdem die Konfiskation der Waren verfügt werden.

Der erste Abschnitt des Bundesgesetzes vom 4. Juli1853 über das Bundesstrafrecht der schweizerischen Eidgenossenschaft findet Anwendung. Inbezug auf die Verfolgung und die Beurteilung der Uebertretungen findet – soweit nicht das eidgenössische, sondern das kantonale Verfahren eingeleitet wird – bis auf weiteres das Kreisschreiben des Regierungsrates betreffend Uebertragung von Kompetenzen der Militärgerichte an die bürgerlichen Gerichte vom 21. März 1916 sachgemässe Anwendung.

5. Dieser Beschluss tritt sofort in Kraft.

Im Kanton St.Gallen wurde vor allem im Rheintal und im Linthgebiet, aber auch in Teilen des Toggenburgs Torf abgebaut. Das Material diente zum Düngen, zum Isolieren, aber vor allem auch als Brennholzersatz zum Heizen. Hier ein Ausschnitt aus dem Riet bei Altstätten von ca. 1935 mit  Torfhochlagern (in den Hütten) und Niederlagern ohne Witterungsschutz:

Zur Geschichte des Torfabbaus in der Schweiz vgl. den Artikel im e-HLS: http://www.hls-dhs-dss.ch/textes/d/D7852.php

Nächster Beitrag: 23. Juli 1917 (erscheint am 23. Juli 2017)

Quellen: Staatsarchiv St.Gallen, W 248/82 (St.Galler Bauer, 4. Jahrgang, Heft 29, 21.07.1917, S. 498f. (Text) sowie ZMH 53/011b (Beitragsbild: Briefkopf von 1917) und W 217/08-02.03 (Foto: Karl Moser, Altstätten, ca. 1935)

Küche

Montag, 12. März 1917 – Rezepte für fleischlose Tage

Eine Arbeiterküche war sicher nicht derart assortiert und ausgerüstet wie diejenige auf dem Beitragsbild. Trotzdem war während der Kriegszeiten vermutlich auch in der einen oder anderen bürgerlichen Haushaltung des öftern ein fleischloser Tag angesagt.

Die Zentrale Frauenhilfe publizierte unter dem Titel Hauswirtschaftliche Mitteilungen in der sozialdemokratischen Tagespresse regelmässig Hinweise zur Haushaltführung in Kriegszeit:

Einfache Speisezettel für fleischlose Tage.

  1. Habermus (aus Flocken); Rüben und Kartoffeln in weisser Sauce.
  2. Minestra; Böhnli in weisser Sauce.
  3. Gerstensuppe m. Rüben u. Kabis; Kartoffelstock.
  4. Gemüsesuppe; Maccaroni oder Nudeln m. Käse.
  5. Brotsuppe; Kohl gefüllt mit Reis.
  6. Braune Kartoffelsuppe; Käseomeletten.
  7. Braune Mehlsuppe; Eierhaber (Kratzete); gekochte Aepfel.
  8. Geröstete Griessuppe; Eierdünkli mit Käse.
  9. Milchsuppe; Risotto mit Grünem (Petersilie, Rüben, Lauch).
  10. Kartoffelsuppe; Blumenkohl mit gerösteten Brotschnitten.
  11. Spätzlisuppe; Knöpfli und gedörrte Birnen.
  12. Rübensuppe; Nudeln überschmelzt; Apfelmus.
  13. Nudelsuppe; Apfelrösti.
  14. Maissuppe; Stockfisch mit Kartoffeln.

 Die Suppen in diesen Speisezetteln sollen dick gekocht, die Gemüse, die hineingehören, müssen klein geschnitten, aber nicht durchgestrichen [d.h. nicht durch ein Sieb gestrichen] werden, damit auch die Suppe nach Kautätigkeit verlangt. Wird zur Suppe Brot gegeben, so soll es nicht eingebrockt, sondern trocken gegessen werden, da dieses eine viel bessere Auflösung und Ausnützung zur Folge hat.

Nächster Beitrag: 15. März 1917 (erscheint am 15. März 2017)

Quellen: Staatsarchiv St.Gallen, P 908 (Die Volksstimme, Sozialdemokratisches Tagblatt für die Kantone St.Gallen, Appenzell, Graubünden und Glarus, 12.03.1917, Text) und ZMH 64/877.024.5 (Foto: Otto Rietmann, St.Gallen)

Schueler beim Holzen

Sonntag, 4. März 1917 – Immer noch kalter Winter

Beitragsbild: Schüler des Landerziehungsheims Hof Oberkirch beim Holzen.

Der Winter 1917 war sehr kalt und lang anhaltend. Architekt Thürlemann schrieb über die Witterung des 4. März 1917: […] überaus kalter, rauher Tag. Morgens hart gefroren; starker Reif; bis gegen Mittag dunkel & grau. Sehr scharfer, beissender Ostwind. Von Mittag an allmä[h]lig aufheiternd. Zeitweilig sonnig. Nachmittag ziemlich hell; jedoch kalt & unfreundlich. Nordwind. Abend schön. Sonnenuntergang farbenprächtig. Im Westen leichte Bewölkung. Nacht mond- & sternenhell. Sehr kalt; starker Frost. Reif.

Thürlemann schrieb jeden Tag über die Witterungsverhältnisse. Fast den ganzen Januar über war es so kalt gewesen, dass man zweimal pro Tag hatte einheizen müssen. Trotzdem war die Temperatur in seiner Wohnung keineswegs auf gemütliche, nicht einmal erträgliche Höhe gestiegen, wie er beispielsweise am 27. Januar 1917 festhielt: Wir hatten am Morgen in der Wohnstube 1°C. (: Nordwand:) – Tagsüber zeigte das Thermometer als höchste Temperatur 7°Cels. [ebenfalls in der Wohnstube].

Brennstoffmangel machte sich überall im Land bemerkbar (vgl. z.B. den Beitrag zum 11. Februar zur Kohlennot). Auch der Direktor des Landerziehungsheims Hof Oberkirch versuchte vorzusorgen. In seinem Jahresbericht vom April 1917 bis zum März 1918 schrieb er dazu: Eine weitere Kriegsmassnahme des abgelaufenen Jahres war der Betrieb eines eigenen Bergwerkes, wie der Chronist unsere Grube im alten Uznacher Kohlengebiet nennt. Auf gut Glück haben wir da am Hang beim Rutschwäldchen einige Aren buckeligen Moorboden gepachtet, für den Winter zum Ausbeuten von Schieferkohle, für den Sommer zum Bepflanzen mit Kartoffeln und Mais. Es muss noch Kohlenreste haben, sagte der Eigentümer des Bodens, aus der früheren Zeit her, wo Stollen an Stollen in den Berg hineinführte und hundert Jahre hindurch um kleinen Lohn Schieferkohlen gegraben wurden. Wir gingen als einige der ersten unter die neuen Kohlengräber. Wir gruben mit Pickel und Schaufel während einigen Wochen nach den braunen Schichten. Zweidrittel der Zeit fallen dabei auf Erdarbeiten, ein Drittel auf das Schroten, Herausschaffen und Wegführen. Und so bissen wir uns durch den Winter ohne Kohlenferien – zum Leidwesen unserer Jungen, die anfänglich lieber Kohlenferien als Kohlen gehabt hätten. Wir brauchten diese Schieferkohlen in der Zentralheizung mit einem Rest von Coks [sic], in den Oefen des alten Hauses mit Reiswellen und im Kochherd mit etwas Steinkohlen. Für einen grösseren Ausbeutungsbetrieb eignen sich die Lager nicht mehr. Fachleute sind an Ort und Stelle zu dieser Ansicht gelangt, ebenso spekulative Köpfe, die dabei entweder Geld gewonnen oder verloren haben.

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Quellen: Staatsarchiv St.Gallen, W 035a (Tagebuch Thürlemann) und W 127 (Hof Oberkirch, Jahresbericht in: Hof Zeitung, Nr. 12, April 1918, Beitragsbild: Fotosammlung)

Briefkopf, Ausschnitt, 1916

Sonntag, 11. Februar 1917 – Kohlennot

[…] die Kohlennot ist so gross, dass das Gaswerk allen Abonnenten den Gasverbrauch vorschreibt. Die Reduktion ist so beträchtlich, dass Alles wieder die alten Petrollampen hervorholt. – Eine Freude ists, dass auch die Wirtschaften früher schliessen müssen.

Hedwig Haller (1884-1963), aus deren Tagebuch das obige Zitat stammt, wuchs am St.Galler Marktplatz auf. Dort betrieb ihr Vater eine Flaschnerei (Spenglerei). Die aus Württemberg stammende Familie war 1886 eingebürgert worden. Hedwig hatte den «Talhof» besucht und arbeitete als Telefonistin in der St.Galler Hauptpost.

Der Beruf der Telefonistin, resp. der Telegraphistin, entwickelte sich ab 1870 zu einem reinen Frauenberuf. Es war eine der wenigen schicklichen Erwerbstätigkeiten, die Frauen zu dieser Zeit überhaupt ergreifen konnten. Verdienen konnte man damit allerdings nicht viel: Die Frauen wurden «als Hilfskräfte eingestellt und entlöhnt». In einer 1992 erschienenen Dissertation heisst es: «Trotz Anstrengungen der PTT seit 1986 wegen Personalmangels auch Männer als Telefonisten einzustellen, arbeiten heute erst sehr wenige Männer in diesem ‹Beruf mit Zukunft›.» (Zitate aus: Bühlmann, Yvonne und Zatti, Kathrin. «Sanft wie eine Taube, klug wie eine Schlange und verschwiegen wie ein Grab …». Frauen im schweizerischen Telegrafen- und Telefonwesen 1870-1914, Zürich 1992, S. 33)

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Quellen: Privatbesitz (Tagebuch Haller, Transkription und Hinweis zur Autorin: Markus Kaiser) und Staatsarchiv St.Gallen, ZMH 43/005a (Beitragsbild: Ausschnitt aus Briefkopf der Kohlenhandlung Josef Anton Ackermann aus Mels, 1913)