Naturfreunde

Sonntag, 9. Juni 1918 – Koch-touristen statt Hochtouristen: Dreigangmenu auf der Hundwilerhöhe

Noch ein Tourenbericht der Naturfreunde St.Gallen, diesmal mit falscher Datierung. Geht man davon aus, dass die Tour wie beschrieben am Sonntag stattfand, müsste sie auf den 9. Juni datiert sein, nicht auf den 7. Juni:

Bummel-Tour nach Hundwilerhöhe 7/6.1918

Um den Hochtouristen, al [?] pardon Kochtouristen Gelegenheit zu geben[,] sich wieder mal tüchtig in ihrem Fache zu produzieren[,] hatte sich eine kleine Schar entschliessen können, Sonntag den 7. Juni nach der Hundwilerhöhe zu pilgern. Ein schöner Tag soll uns beschieden sein. Dieser Gedanke entlockte uns gleich morgens in der Früh feine [?] Musik[,] ich glaube[,] sie wurde vom löblichen Präsidium der Hütten-Verwaltung Stadtmusik Lustmühle getauft; die es verstand, uns glückliche Menschenkinder mit letztem Humor auszuwappnen. Nun geh[‹]s im strammen Tempo den Ihnen [sic] allen gut bekannten Weg der Schwanenbrück entgegen, der hinauf führt in’s so ruhig & nett gelegene Dörfchen Stein. Wie so schmuck & einladende sind all die Häuschen der Dorfstrasse. Ist dies doch der grosse Stolz des Appenzeller-Völkleins; ein schmuckes Heim Ihr [sic] Eigen nennen zu dürfen.

Von hier wählten wir den Weg, der uns führen sollte nach Sonnenthal & dann hinauf in die Höhe. Da welch Überraschung wiederum Musik lässt sich hören, die Leute scheinen uns St.Galler wirklich gut gesinnt zu sein, dass Sie [sic] uns fortan mit Musik empfangen. Ein Blick nach dem «Ani» & der verrät wie so furchtbar gerne es jetzt einen feschen Walzer schwingen möchte. Als Neuling noch so furchtbar schüchtern, wagt es natürlich diesen Wunsch nicht zu aussern [äussern] & so muss Sie [sic] denn von niemand bedauert, schweren Herzens von Dannen [sic] ziehn? Daüfr ist Sie aber später reichlich entschädigt worden, denn eines unserer verehrten Mitglieder[,] der sich bei dieser Tour als Spinner entpuppt oder noch besser als Schwindler, pardon Buchdrucker ist er ja[,] der nimmt sich in recht liebenswürdiger Weise der Ani an.

Nach gut 2stündigem Marsche soll uns ein gutes Gabelfrühstück beschieden sein. Kuhwarme Milch ruft die Kleine. Nicht lange währt & eine Kanne Milch steht zur Verfügung. Herrschaft[,] wie das fein schmeckt! Dem Hans & Konsorten ist’s natürlich nicht so gut ergangen, sie mussten sich mit «Gäs[«]-Milch [Ziegenmilch] begnügen. Geschmeckt hat[‹]s Ihnen [sic] doch wie Sie behaupteten. Nun «möge man’s wieder verlide» heisst’s. Noch den einen letzten, aber grossen Stich & die Hundwilerhöhe ist erreicht. Nun haben wir unser schönes Alpstein [sic] vor uns in all seiner Pracht. Wenn auch die Aussicht nicht so war wie auch schon[,] so hat der Anblick desselben den Zweck nicht verfehlt, schöne Erinnerungen wachzurufen. Pläne werden geschmiedet, so wunderschöne[,] wie manch einer wird wohl in Erfüllung geh[e]n.

in herrliches Plätzchen wird nun ausgesucht, das uns ermöglicht, während Stunden eines richtigen[,] wie der Italiener sagt: [«]Dolce far niente» zu erfreu[e]n[;] unter einer wunderschönen Tanne wird Zuflucht genommen. Schnell die Schuhe & Strümpfe ausgezogen & der Spitzbueb[,] von gewisser Person so tituliert[,] präsentiert sich in seiner ganzen Grösse. Wie anfangs richtig bemerkt[,] hatten wir heute in Augenschein genommen[,] uns nicht in Hochtouristik zu üben[,] sondern in was viel Praktischerem[.] «Kochtouristen»[,] diesen 2 Worten wollten wir heute mal alle Ehre machen & so müssen denn die verehrten Zuhörer mir wohl gestatten, dass ich jenes Mittagsmahl[,] fabriziert von einigen strammen Junggesellen St.Gallen’s ein bis[s]chen kritisiere. Elf Uhr ist’s[,] Freund Weber und Geuggis wissen nichts gescheiteres [sic] zu tun als schon jetzt Vorbereitungen für d’table D’haute [eigentlich «table d’hôte», hier vielleicht gemeint: «Tafel auf der Höhe»] zu treffen, damit sie ja sicher bis 3 Uhr fertig werden. «Eh, Herdöpfel-Rösti soll’s z’erst geh»[,] ruft der Eine. Richtig[,] Sie [sic] gehn [sic] mit Ernst hinter ihr Tagwerk. Sie verstehn’s nicht schlecht, dass muss man gestehtn & können in dieser Hinsicht der jungen Damen-Welt nur bestens als praktischer Ratgeber empfohlen werden. Nicht lange währt, die Kartoffeln sind zum Rösten bereit. Nun kann’s los gehn [sic] bemerkte eine Stimme, nicht so viel Zwiebeln[,] schreit eine Andere, zu viel Salz[,] ergänzt die Dritte. Kommandieren können die Drei[,] s’ist ne wahre Freud[,] wird sich geäussert. Der Hans[,] der denkt[,] wer zuletzt lacht, lacht am besten. Es ist auch richtig so gekommen, den[n] eine Herdöpfel-Rösti[«] haben sie aufgetischt, eine feinere hätt man sich nicht wünschen können. Da haben die drei Mädels hübsch artig geschwiegen & mit Erlaubnis beim Verzehren derselben tatkräftig unterstützt. Nun folgt jene berühmte Suppe[,] bei der die Gemütlichkeit den Höhe-Punkt erreichte. Die Zubereitung derselben hat einem jeden ein Lächeln entlockt, unvergesslich bleibt jener Anblick, wie gefühlvoll unser Koch es verstand[,] seine Wurst im Kochtopf verschwinden zu lassen. Na Prost[,] diese Brühe[,] guten Appetit dazu[,] wird gerufen! Wer nun geglaubt[,] dass diese misslungen, der hattë[ sich geirrt. Fein ist sie gewesen & hat dem Koch alle Ehre gemacht[.] Schwarzer Kaffee & Kuchen bilden den Schluss unseres Mittagsmahl[s]; dass [sic] uns mords Spass [sic] bereitete.

Unserer [sic] Führer oder Beschützer[,] wie man sie nennen will[,] sollen sich dermassen am Essen gütlich getan haben, dass Sie [sic] sich genötigt sehn[,] sich mit Bock-Springen zu betätigen. Unserer Bummel-Tour gemäss beginnt nun ein so recht gemütliches Lagerleben. Welch herrlich, freies Gefühl beschleicht da den Wanderer hier oben. Weg von dem Hasten des täglichen Lebens, Ruhe & Frieden während Stunden geniessen zu können[,] das ist ja[,] was uns so mächtig hinaus zieht, hinaus in’s Freie, in Gottes schöne Natur. Wer seine richtige Freude daran empfindet[,] der muss auch gestehn; dass trotz den bitter bösen Zeiten[,] in der [sic] wir uns befinden[,] wir uns doch glückliche Menschen schätzen können; denn unser Heimatland unser einzig schönes Schwyzerlandli [sic] ist doch bis heute unversehrt geblieben. Dankbar gedenken dessen in erster Linie die, deren grösste Freude es ist[,] all ihre freien Stunden dazu zu benützen, um die reichen Schätze an Schönheit[,] deren unsere Heimat so viel besitzt[,] zu suchen und zu geniessen.

Diese schönen Ruhestunden entrin[n]en meistens nur allzu schnell & so ist es auch heute wieder der Fall.  5 Uhr ist’s & es soll Abmarsch erfolgen. «Euser Mutz»[,] der diesen Tag unserm Kreise geopfert, gedenkt von Hier nach der Hütte zu geh[e]n[,] um Dort [sic] von den grandiosen Belästigungen der Bremen [Bremsen, blutsaugende Insekten], die ihm so manch netten Kraftausdruck entlockt[,] sich zu erholen. Von unserm heutigen Idyll wird Abschied genommen, wo wir uns während nicht weniger den 7 Std[.] aufhielten. Heimwärts zieht die fröhliche Schar, wo wir glücklich & wohlbehalten um 8½ Uhr anlangten.

Berg frei

R. Braunschweig

Quelle: Staatsarchiv St.Gallen, W 285/2.06.1-2 (Naturfreunde St.Gallen, Tourenberichte 02.07.1916-12.04.1920, Text und Beitragsbild; zusätzliche Absätze der leichteren Lesbarkeit wegen eingefügt)

Naturfreunde

Sonntag, 2. Juni 1918 – Der sor-genbeladene Proletarier geniesst prächtige Fernsichten

Die Naturfreunde (und -freundinnen!) St.Gallen gingen wieder einmal auf Tour (vgl. frühere Beiträge zum 02.07.1916, 23.07.1916, 06.08.1916 und zum 27./28.05.1917). Hatte man in den Jahren zuvor anspruchsvolle Bergwanderungen im Alpstein und im Glarnerland unternommen, wanderte man nun auf bescheideneren Höhen kilometerweise und dadurch nicht weniger anstrengend durch das Appenzeller Vorderland.

St.Anton-Gebhardshöhe-Walzenhausen

Motto: Hinaus aus dem Hause, der Tag ist schön, / Hinaus auf die lieblichen, sonnigen Höhn! / Den Rucksack zur Stelle, den Bergstock zur Hand. / O herrliches Leben auf Bergeshöh’n, / Da wohnt der Friede, da ist es schön.

Was gibt es wohl Schöneres, als ein bis[s]chen Wandern im heimatlichen Hügelland, dazu noch im Frühling? Das ist ein Genuss, den sich auch der sorgenbeladene Proletarier leisten kann, denn noch sind Wanderlust und Lebensfreude nicht rationiert. Schon die blosse Aussicht der Teilnahme an einer Wanderfahrt lässt uns frohgestimmt sein und hebt uns hinaus über all den Alltagskram. – Die Sorgen hübsch zu Hause lassend, zieht man an einem milden Lenzmorgen hinaus in die blühende Natur. Mit oder ohne Ränzel und Wanderstab, Brot-, Fett-, Käse- und Landkarte in der Brusttasche wohl verwahrt, geht[‹]s früh morgens dem Appenzellerländli zu.

So war es auch am ersten Juni-Sonntag des vierten Kriegsjahres, als sich um halb 6 Uhr ein Häuflein wanderfroher Naturfreunde beim «Mühleck» [in St.Gallen-St.Georgen] zusammenfand. Das Wetter sah zwar nicht gerade einladend aus, graue Wolken zogen von einem leichten Nordost getrieben, am Himmel dahin. Unsere neun Touristen schienen jedoch in den Wettergott ein grosses Vertrauen zu haben, nur wenige hatten sich in vorsorglicher Weise die Pelerine umgeschnallt. Unter allerlei anregenden Gesprächen, Rede und Gegenrede tauschend, ging man munter durchs Philosophental und am Wenigerweier vorbei nach Vögelinsegg. In Speicher gab die Dorfmusik just ein Morgenkonzert; während wir ihren klangvollen Weisen lauschten, schlossen sich uns noch zwei Nachzügler an. Ohne Aufenthalt passierte [man] Trogen und nach kaum drei Stunden war das so hübsch gelegene Wald erreicht. Im Hof «Waldebene» ob dem Dorf war der Bauer gerade am Melken, bereitwillig überliess er den Hungernden von der köstlichen Milch. Allgemein wurde der Inhalt des Rucksackes einer Inspektion unterzogen und ein besonders Freigebiger regalierte [beschenkte] die Wandergenossinnen mit feiner Konfitüre.

Eine umfassende Rundsicht entzückt hier das Auge; vom waldumsäumten Kaien und heimeligen Rehetobel schweift der Blick bis weit ins Oberthurgau hinaus; Heiligkreuz, Rotmonten und der Tannenberg grüssen aus der Tiefe heraus. Im Westen liegen hinter den eben durchwanderten Orten die Erhebungen des Appenzeller Hinterlandes mit Sitz, Hundwilerhöhe und Kronberg. Die bewaldete Kuppe des Gäbris beschliesst die Rundsicht, links davon hängen die Regenwolken sehr tief. Vom Alpstein, der sich von hier aus prächtig ausnehmen dürfte, ist nichts zu sehen. Der kalte Wind vermochte unsere gute Stimmung nicht zu beeinflussen, mahnte aber doch zum Aufbruch[,] und über Bühl und «Tanne» pilgerte die Gesellschaft gemächlich nach St.Anton.

Bei der «Tanne» öffnet sich der Blick nach Osten, grüne Wiesen, waldreiche Hügel und freundliche «Heimeli» [kleine Heimstätten] bieten für das Auge angenehme Ruhepunkte. Um halb 10 Uhr kam die Gruppe auf St.Anton an. Rechts die ehrwürdige Kapelle, links ein behäbiges Gasthaus, dehnt sich unvermittelt das mittlere Rheintal mit dem staatlichen Flecken Altstätten unter uns aus. Wir sind auf dem östlichen Ausläufer des Alpsteins; gegen das Rheintal fallen die Hänge ziemlich steil ab, hin und wieder treten die nackten Nagelfluhfelsen zutage, während von Nordosten her das Gelände eine Hochebene bildet und gegen Wald und Kaien hin allmählich sich senkt. Um mit beschaulicher Ruhe die Aussicht geniessen und den Znüni einnehmen zu können, einigte man sich auf einen kleinen Halt; die einen wollten sich in der Wirtschaft gütlich tun, während die andern in der Nähe mitten auf einem Fussweg es sich bequem machten. Eine holde Fee im blauen Kleide verteilte brotkartenfreie Süssigkeiten, und fand damit allgemeines Lob. Die Fama will wissen, , es seien nun auf einmal drei Paare gewesen und der siebente im Bunde habe, in seiner Zurücksetzung, die Pfeife in Brand gesteckt und sich damit hinter seinen umfangreichen Rucksack verkrochen. Mehr kann ich nicht verraten!

Weil die Herbeischaffung der notwendigsten Lebensmittel heute die grösste Sorge ist, freute es uns besonders, zu sehen, wie in der weiten Rheinebene alles Land in sorgfältiger Weise bebaut wird. Von oben betrachtet, nehmen sich die ausgedehnten felder hinter Rebstein-Marbach und Altstätten wie ein einziger wohlgepflegter Garten aus. Das dunkle Grün der Mais- und Getreidepflanzungen wechselt mit den hellgelben, schon «geheuten» Wiesen, nebenan lassen sich «Schöchli» [Gras- oder Heuhaufen] und langgezogene Kartoffeläcker unterscheiden. Die rotbraunen Hausdächer verschwinden beinahe in dem sattgrünen Blätterdach der unzählichen Obstbäume. Möge die Mhüe der Landwirte durch einene reichen Ertrag belohnt werden, es kommt auch uns Städtern zugute, denn die Zufuhren an Nahrungsmitteln aus dem Auslande waren noch nie so unsicher wie gerade jetzt.

Bald nach 10 Uhr ward Oberegg erreicht, auf angenehmen Fusswegen durch Wiesen und Wald. Man muss es den Appenzellern lassen, sie verstehen es, ihren Ortschaften ein heimeliges, sauberes Aussehen zu geben. Von der Höhe schon bewunderten wir die reizvolle, geschützte Lage dieses Dorfes mit seinen vielen neuen Ziegeldächern. Die kleinen Häuschen inmitten hübscher Gärten machen einen wohnlichen Eindruck; hier stört kein lärmendes Getriebe die idyllische Ruhe. Die uns zur Verfügung stehende Zeit gestattete leider keinen Aufenthalt, es wurde direkt nach Blatten marschiert und durch dunkeln, geheimnisvoll träumenden Tannenwald nach Gerschwendi. Von allen Höhen zwischen Wald und Walzenhausen gefiel dem Berichterstatter diese am besten, die Rundsicht ist selten schön. Die Naturfreunde sind an diesem Punkt viel zu schnell vorbeigegangen, ein kurzer Halt hätte sich wohl gelohnt, die Ruhebänke am Waldessaum haben ja förmlich zum Verweilen eingeladen. Denn inzwischen hatte das Wetter mehr und mehr gebessert, lachender Sonnenschein begleitete die Wandernden.

Wieder trennte man sich in zwei Gruppen, die erstere fühlte sich durch die stolz im Winde flatternde weiss-rote Fahne unwillkürlich nach dem Restaurant Gebhardshöhe (892 Meter über Meer) hingezogen, die zweite zog eine Rast weiter unten am Waldrand vor, um in der eigenen Küche ein frugales Mahl zu bereiten. Auf der Terrasse der Sommerwirthschaft bietet sich eine prächtige Fernsicht: Von Fähnern und Hohen Kasten nach links folgen die bekannen Gipfel Falknis, Drei Schwestern, Scesaplana [Schesaplana], Zimbaspitze, Hoher Freschen, Staufen und weiterhin die Allgäuer Alpen. Unten die Ortschaften Dornbirn, Hohenems, Götzis und Rankweil. Im Vordergrund die ausgedehnte, vom Silberband des Rheins durchzogene Ebene, wo wir Lustenau, Heerbrugg, Diepoldsau, Schmitter, Altstätten, Oberriet usw. erkennen. Schnurgerade weisse Landstrassen verbinden die Dörfer untereinander und bringen wohltuende Abwechslung in das Landschaftsbild. Im Norden liegt der Bodensee vor dem Beschauer ausgebreitet. Von Bregenz schweift der Blick weit hinaus in schwäbische Gaue, um über das Schweizerufer nach Westen sich zu wenden, wo der Horizont durch waldige Höhen und einzelne Bauernhöfe abgeschlossen wird. Durch den Genuss einer solch weiten Rundschau wird die Anstrengung einiger Marschstunden reichlich aufgewogen. Aber auch für des Leibes Wohl ist gesorgt: wir wurden zu billigem Preise gut bedient, was hier ehrend erwähnt werden soll.

Beim Abstieg nach Walzenhausen ist leicht zu erkennen, dass hier ein rühriger Verkehrsverein an der Arbeit ist, die zahlreichen Waldwege und bequemen Ruhebänke sind gut unterhalten, die Wegweiser orientieren den Spaziergänger vortrefflich. Wo man sich auch befinden mag, überall gibt es herrliche Ausblicke. Am Hotel Rosenberg und prächtig gelegenen Friedhof vorbei sind wir bald auf dem Dorfplatz angelangt; nach einigem Zögern entschied sich die Gruppe dahin, bei der Strassenabzweigung nach Thal-Wolfhalden die Ankunft der zurückgebliebenen «Selbstversorger» abzuwarten. – Diese hatten beim Abkochen ein kleines Intermezzo. Freund Meyer offerierte von seiner Erbssuppe auch unserem jüngsten Mitglied Frl. Steinmann. Dabei ergoss sich das köstliche Eigenprodukt über ihr blaues Kleid. Dieses wurde kurz entschlossen an einem nahen Brunnen gewaschen[,] und bald waren alle Spuren des Missgeschickes verschwunden. Andere «Köche» befassten sich damit, die vom Baume fallenden Maikäfer vom Suppentopf fernzuhalten; sie wollten von dieser Würze, die eine Spassvogel ihnen zugedacht, absolut nichts wissen. Ueberhaupt ging es bei dieser Mahlzeit lustig und hoch her, von einer Einschränkung der Lebenshaltung war nichts zu bemerken!

In welchem Teil von Walzenhausen man sich auch aufhalten mag, überall überrascht das ausgedehnte Panorama. Der Bodensee aber wird – im Gegensatz zu früheren Zeiten – von keinem Schiffe belebt. Der einst rege Verkehr der Seeanwohner hat unter dem Einfluss des Krieges fast gänzlich aufgehört. –

Um 4 Uhr wurde der Weg nach Rorschach eingeschlagen. Bald ging es durch das windgeschützte, durch seinen Obstreichtum berühmte Dorf Thal. Am Buchberg rechts, mit seinem vielbesuchten Ausflugspunkt «Steinerner Tisch» am östlichen Ende, gedeiht der von Kennern gerühmte «Buchberger». Aber auch hier mussten die Rebberge zu einem schönen Teil dem heute so notwendigen und wohl nicht minder lohnenden Gemüsebau weichen. Beim Buchsteig, wo die Naturfreunde schon oft, das letzte Mal vor vier Wochen, bei ihrem altgewohnten Bluestbummel [sic] über den Fünfländerblick, Halt machten, gab[‹]s auch diesmal eine Rast. Der Rucksack wurde seines letzten Inhaltes beraubt und dann durch das idyllische Dörfchen Buchen und an der Kuranstalt Risegg vorbei dem See zu gepilgert. Der Weg ist heute von vielen Ausflüglern belebt, nicht minder die Hauptstrasse von Staad nach Rorschach, wo die zahlreichen Radler dem Spaziergänger den Staub um die Nase wirbeln. Zwei besonders Neugierige nahmen die im Entstehen begriffene moderne Seeparkanlage in Augenschein, welche wohl nicht wenige zur Hebung des Besuches unserer st.gallischen Hafenstadt beitragen wird. Schliesslich landeten die Naturfreunde alle wohlbehalten in der Volksküche zu Rorschach. Für das letzte Stück bis nach St.Gallen benützte ein Teil die Bahn, während die ganz Unentwegten auch diese Strecke noch unter die Füsse nahmen.

Wenn die zurückgelegte Tour auch ziemlich anstrengend war, hat sie dessenungeachtet durch ihre Abwechslung die Teilnehmer voll befriedigt. Ein schöner, genussreicher Tag liegt hinter uns, nach welchem man mit neuem Mute die Berufsarbeit wieder aufnimmt. Mögen den Naturfreunden noch viele ähnliche Sonnentage beschieden sein!

Berg frei!

Joh. Geuggis, Berichterstatter.

Quelle: Staatsarchiv St.Gallen, W 285/2.06.1-2 (Naturfreunde St.Gallen, Tourenberichte 02.07.1916-12.04.1920, Text und Beitragsbild; zusätzliche Absätze der leichteren Lesbarkeit wegen eingefügt)

Sonntag, 23. Juli 1916 – Nieder mit dem Militarismus

Aus dem Tourenbuch der Jugendsektion des Touristenvereins Naturfreunde St.Gallen (TNV):

Sonntag, den 23. Juli 1916 wurden nach grösster Mühe endlich 10 Mitglieder zusammengebracht. Sammlung war auf ½ 8 Uhr morgens angelegt. Nach langem Zaudern, wer wohl das Kochgeschirr zuerst tragen müsse, gelang man endlich zum Abmarsch. Auf dem Bahnhof angelangt, wurde man von den Arbonern begrüsst, welche soeben vom Zuge kamen. Jeder kaufte sich noch etwas „Krämeligs“. Dann ging’s an’s Einsteigen. Im Bahnwagen ging es verflixt gemütlich zu. Die Handorgel, Dryangel und Trommeln wurden sofort in Funktion gesetzt und bald hatte man auch schon Maulaffen feil. Es war ein Glück, dass der Zug bald aus der Halle dampfte. Abwechselnd wurde gesungen. Ein kleines Geräusch wurde im Wagen verführt, das ziemlich an Grampol grenzte und doch war es halt durchaus kreuzfidel. Nur zu geschwind schrie der Zugführer: „Gossau“. Auf der Strasse wurde sofort aufgestellt[,] und in strengster Ordnung ging es durch Gossau und auf der Niederwielerstrasse [sic] weiter. Voran schritten die Tambouren, dann das Banner der Sekt. Arbon. Wichtig stolzierte dann die Sektion St.Gallen daher, dann reihten sich die Arboner, welche 29 an der Zahl beisammen hatten. Es dauerte nun nicht lange fort, als der Eine oder andere einen grässlichen Hunger oder Durst oder beides zusammen verspürte. Man sah es daher für genötigt[,] einen Halt zu machen. Nachdem der grösste Kohldampf gestillt und auch eine derbe Zahl Nussgipfel verschlungen waren, zog man weiter, bei Niederwil vorbei, bis zum nächsten Wegweiser, dort wollte der Eine nach links der Andere nach rechts und der Letzte gar nicht mehr weiter. Nach langen Unterredungen gelang man doch zum Entschluss, nach links zu gehen. Der Uzwilerfritze hingegen brummte immer noch etwas zu hinterst, von „einer simpeleinfältigen Abkürzung, Pappenheimer etc. etc.[“] Er trug nämlich einen Wäschekorb am Stock, worauf gemalt war: „Sozialisten auf der Reise“. Er sah überhaupt aus, wie ein richtiger Kunde [Landstreicher]. In der rechten Rocktasche schimmerte noch etwas von einer Bierflasche „Pardon“ Syroupflasche [Sirupflasche] hervor, was seinem Ae[u]ssern einen richtigen Aufputz gab. Bereits hatten wir die Kollone [sic] wieder in Reih und Glied eingestellt, als man plötzlich eine Ration rote Zipfelmützen am Strassenhorizonte auftauchen sah. Es waren einige Uzwilergenossen, die uns entgegeneilten. Im Nu waren sie bei uns und nach kurzem Händeschütteln und Servusrufen ging es weiter, bei Oberbüren vorbei nach Niederuzwil. Die Sonne schien schon lange ganz tüchtig heiss und hie und da meinte einer „Viel Afrika“. Endlich gelangten wir auf den Rastplatz. Sofort wurde eine kräftige Suppe gebraut[,] die schon um ½ 1 Uhr schnabuliert werden konnte. Es schmeckte herrlich. Auch Gen. Knecht, der mit dem Zug gekommen war, erwischte noch einen Löffel voll. Nachdem ein Kessel Tee auf’s Feuer gesetzt wurde, ging’s an’s Gesichter verewigen. Nachher wurde zum Umzug aufgestellt. Der Umzug dauerte über eine Stunde. Daran beteiligten sich die Sekt. Arbon, Uzwil, St.Gallen, Frauenfeld, Wil, Rapperswil & Winterthur. Nachher referierte Gen. Mimicola [?] im „Schweizerhof“ über Militarismus. Um 5 Uhr war das Referat beendigt und der Tee mundete jetzt auch ganz vortrefflich. Doch bald wurde zur Heimkehr gemahnt. Die Arboner kehrten per Bahn heimwärts. Einige Uzwiler begleiteten uns noch ein Stück Weges. Beim Botsberg gab es einen Ansturm auf einen prächtigen Rosenstock. Ein Radfahrer, der sich ungemein hervor tun wollte, verlor dabei einen Sack Stachelbeeren und fuhr wie ein rasender [sic] davon, als man ihm nach rief. Das war für ein Festessen, die Beeren wurden sofort verteilt. Unser Fritze war wieder das gemütlichste Huhn, er kaufte für uns ein mächtiges Zapfenbrot und verteilte es dann am Bahnhof redlich unter uns. Wie gafften nicht die Neugierigen, wie wir das trockene Brot vertillgten [sic]. Der Zug[,] in den wir in Gossau hätten einsteigen sollen, sauste jetzt an uns vorüber. Das war das Zeichen zum Weitermarsch. Unter fortwährendem Gesange ging es bei Oberglatt vorbei nach Gossau, wo wir dann noch einen kurzen Galopp machen mussten, denn eben fuhr der Zug im Bahnhof ein. Noch rechtzeitig erhaschten wir den Zug, was für uns ein grosses Glück war. Im Bahnwagen ging’s noch recht gemütlich zu und her, bis wir in St.Gallen einfuhren. Sofortige Verabschiedung. Ankunft auf dem Bahnhof St.Gallen ½ 10 Uhr.

Willi Hofer

Die Naturfreunde gehörten der Abstinenzbewegung an, sie tranken keinen Alkohol, deshalb der Hinweis auf die Sirupflasche.

Quellen: Staatsarchiv St.Gallen, W 285/2.11.1-1 (Tourenbuch) und W 285/2.11.1-1-2.39 (Naturfreunde verschiedener Sektionen mit einem Banner «Nieder mit dem Militarismus» am Umzug in Niederuzwil)

Samstag, 8. Juli 1916 – Der Arbeitersekretär in den Ferien (Teil 5): Wanderung bei schönem Wetter

Alp im St.Gallerland, ungefähr zur Zeit des Ersten Weltkriegs, wie sie in der Innerschweiz wohl ähnlich aussah, wo Josef Scherrer sich in Flüeli zusammen mit einem Kollegen noch immer in den Ferien befand.

Der Morgen ist heiter. Wir gehen (Bruggmann und ich) auf eine nahe liegende

Alp, wo wir eine wunderbare Aussicht auf die herrliche Landschaft haben.

In einer Alphütte gibt es frische, köstliche Milch.

Der Nachmittag führt die ganze Gesellschaft wiederum nach dem schönen

St.Niklausen.

Quellen: Staatsarchiv St.Gallen, W 108/1 (Tagebuch) und W 238/08.07-01 (Foto A. Lichtensteiger, Dietfurt)

Donnerstag, 6. Juli 1916 – Der Arbeitersekretär in den Ferien (Teil 3): „Der Regen hat aufgehört!“

Tagebucheintrag von Josef Scherrer-Brisig (1891-1965), Sekretär des Schweizerischen Christlichen Textilarbeiterverbands (1910-1916), später Kantonsrat und Nationalrat, Mitbegründer der Christlichsozialen Bewegung.

Scherrer befand sich immer noch in Flüeli in der Innerschweiz, wo er zusammen mit einem Kollegen einige Tage Ferien verbrachte.

Der Regen hat aufgehört! Wie lange wohl. Man muss immer vom Wetter schreiben. Die Nebel schleichen in schweren hellen Mahden den Bergen entlang. Doch in der Ferne gegen den Brünig blinkt ein kleines Stück blauer Himmel. Man sollte es fotografieren. Der Tag wird wirklich wunderbar. Wir gehen dann auch trotz dem nassen Grund und Boden auf die Tour. Am schönen frischen Morgen geht es in den Ranft, wo die Klause des heiligen Bruder Klaus steht. Zwei Kapellen sind im Ranft, die eine, wo Bruder Klausens Zelle steht, die andere, wo ihm die Mutter Gottes erschienen ist. Es ist eine friedliche Einsamkeit drunten im Ranft.

ErdbeereErdbeeren, Bild aus dem Viertklasslesebuch der Primarschulen des Kantons St.Gallen, herausgegeben vom Erziehungsrat 1916

Wir ziehen dann der Melchaa nach gegen das Melchtal. Wir sehen die Erdbeeren gemäht. Ein Bauer hatte die Erdbeeren weggemäht, wir konnten sie in den Mahden zusammen nehmen. Schliesslich steige ich und Kollege Bruggmann hinauf zur Kapelle des Einsiedler Ulrich, der dem Rate des Bruder Klaus folgend unter einem grossen Stein wohnte. Es ist dann von Ulrich wahrscheinlich die Kapelle, die sich neben dem Stein erhebt, geweiht worden. Von dieser einsamen Kapelle geht es weiter aufwärts nach St.Niklausen. In der Höhe, am steilen Waldesrand erhebt sich von Waldesdunkel ein nettes Kirchlein ab, St.Niklausen. Die Kirche ist interessant durch ihre Deckenmalerei, wo nebst verschiedenen Episoden aus der heiligen Schrift zahlreiche Heilige die Kirchendecke zieren. Die Rückkehr erfolgt über den Ranft in unser Flüeli. Die Schuhe und die Hosen sind zwar nass, aber es war doch ein herrlicher

Morgenspaziergang. Nur eines fehlte, mein treues liebes Weibchen! Am Nachmittag gehen wir im Verein mit Vater Anathasius von Sarnen, Ingenieur Becker wiederum nach St. Niklausen. In der dortigen Kaplaneiwirtschaft wird tüchtig gevespert und ein guter Käse mag einen guten Stradella und Bari aushalten. Die Kaplanei wird von dem dortigen Kaplan bewirtschaftet. Kaplan Bucher ist seit 42 Jahren auf der Kaplanei, ein solider und ganz seriöser Wirt. Da gibt es keinen Schnaps und keinen Senf. Wer etwa schon zu viel hat, der bekommt nichts mehr. Der gute alte Herr wird seiner Originalität wegen oft gefragt. – Der Tag lohnte sich und ich wünsche nur[,] meine Gattin auch bald hier zu haben, denn geteilte Freude ist doppelte Freude.

Quellen: Staatsarchiv St.Gallen, W 108/1 (Tagebuch) sowie W 238/08.02-19 (Auszug aus Ansichtskarte, um 1910; typische Wanderausrüstung zur Zeit des Ersten Weltkriegs mit Rucksack, Stock, Feldflasche, Nagelschuhen und Feldstecher) und ZNA 01/0205 (Lesebuch für das vierte Schuljahr der Primarschulen des Kantons St.Gallen, hg. vom Erziehungsrat, St.Gallen 1916, S. 10)

 

Dienstag, 4. Juli 1916 – Der Arbeitersekretär in den Ferien (Teil 1): „Es regnet wieder in Strömen!“

Tagebucheintrag von Josef Scherrer-Brisig (1891-1965), Sekretär des Schweizerischen Christlichen Textilarbeiterverbands (1910-1916), später Kantonsrat und Nationalrat, Mitbegründer der Christlichsozialen Bewegung.

Josef Scherrer befand sich im Berner Oberland. Im Anschluss an eine Konferenz mit dem Bundesrat in Bern betreffend die Einrichtung eines Notstandsfonds übernachtete er im Hotel Weisses Kreuz in Interlaken. Von dort aus startete er zu einer Art Ferienreise nach Hause in die Ostschweiz. Die Tagebucheinträge der Ferientage sind deutlich länger als die sonstigen Kurzzusammenfassungen von Ereignissen im Leben von Josef Scherrer. Offenbar hat er mehr Zeit zum Schreiben:

Ich habe nicht besonders gut geschlafen, war vor 4 Uhr schon wieder wach. Aber es scheint ein schöner Tag zu werden. Wenigstens ist ein prachtvoller Morgen heraufgezogen. Es wäre das nun eigentlich der erste Tag meiner Ferien. Meinen Gruss sende ich im Geiste meiner herzensguten Gattin und meinen lieben Kinderchen! Möge Gott sie heute und allezeit behüten. In Wittenbach, dem trauten Orte, wo ich aufgewachsen bin, findet heute das Kirchenfest, Fest des heiligen Ulrich statt. Es werden jetzt, da ich dies schreibe, morgens 6 Uhr die Mörser donnern und den Friedenstag verkünden. Unter dem Schutze des heiligen Ulrich bin ich 20 Jahre gestanden und vielleicht verdanke ich ihm, was ich jetzt bin.

Ich hoffe nur, das schöne Wetter möchte jetzt recht lange anhalten. Denn ich sollte meine Gesundheit wieder etwas reparieren. Die Arbeit als Sekretär der Arbeiterorganisationen, Redaktor und schliesslich auch als Tablater Amtsvormund sind auf die Dauer etwas aufreibend und tut eine Abwechslung gut. Sie ist nun trotz des Krieges einfach notwendig geworden, sonst hätte ich natürlich heute nicht Ferien gemacht.

Von Interlaken geht es nun auf den Brienzersee in 1½ stündiger Fahrt nach Brienz. Am Eingang des Brienzersees ist nun eine staatliche Brücke montiert, die der neuen Brienzerseebahn zudient. Die Anlage scheint fast fertig erstellt zu sein. Es geht an den Giessbachfällen vorbei nach Brienz, das so ideal schön am Fusse des Brienzer Rothorns [liegt]. Von Brienz geht es mit der Bahn nach Meiringen. Auch dieser hübsche Ort des Oberlandes scheint ganz auf die Fremdenindustrie eingestellt zu sein. Nur ist auch hier, wie in Interlaken Saison [unlesbares Wort]. Einzig hin und wieder begegnet man einem französischen Internierten. Ich sehe in Brienz und Meiringen Offiziere, unter ihnen muss ein höherer Offizier gewesen sein, er trug am Käppi 4 weisse Streifen. Da ich nicht Militär bin, konnte ich den Grad nicht entziffern. Ein Offizier, der früher wohl ein schneidiger Mann war, hinkte traurig davon! Das ist das Schicksal von Menschen, wie es jetzt in Millionen vorkommt. Ach wie traurig! Und doch ist noch kein Ende dieses schauderhaften Krieges abzusehen.

In Meiringen muss man die weltberühmte Aareschlucht ansehen. Ich wurde zwar erst im Zuge darauf aufmerksam. Doch erinnere ich mich, dass wir in einem schweizerischen Reisespiel zuweilen nach der Brienzerseefahrt nach Meiringen kommen. Dort erfolgte der obligate Besuch der Aareschlucht. Man hat eine Extrabahn nach der Aareschlucht gebaut, die aber jetzt stillgelegt ist. Vor dem Eingang in die Aareschlucht muss ich mich wieder ärgern. Es wird wieder ein Franken Eintritt verlangt. Diese Naturschönheiten sind doch für alle da, wie kann man dann überall Eintritt verlangen. Gewiss wären da verschiedenste Bauten notwendig. Aber das sollte durch die Hotels etc. aufgebracht werden, die ja doch in normalen Zeiten davon den Gewinn hätten. Tausende und Tausende fallen so in diese Kasse. Der arme Teufel, wenn er überhaupt einmal dazukommt, muss damit überall noch Eintritt bezahlen, wenn er etwas sieht. Da schliesst man Naturwunder einfach ab und verlangt Eintritt. Nun die Aareschlucht selbst, die vielleicht 20 Minuten lang ist, ist in der Tat eine Sehenswürdigkeit. Unter Tosen und Krachen stürmt die wilde Aare durch die Felsenkluft, die sich zeitweise fast ganz schliesst. Die eingebauten Stiegen verschandeln zwar die Schlucht. Ich ging dann bald am Schlusse der Schlucht durch eine Felsenschlucht hinauf und ging dann über den Berg nach Meiringen zurück. Da wäre nun in der Regel ein Weg, auf dem man nicht bezahlen müsste! Wahrscheinlich sind aber in der Hochsaison noch spezielle Kontrolleure da!

Um 2.05 verliess ich das hübsche gefällige Meiringen mit der Brünigbahn. Die Bahn, die eigentlich eine Bergbahn ist, erhebt sich mit ziemlicher Steigerung 400 Meter über Meiringen bis zur Station Brünig. Man geniesst da eine wunderbare Aussicht auf das Aaretal, den Brienzersee und die Berner Alpen. Auf dem Wege studiere ich, wo ich nun aussteigen soll. In Lungern oder Sachseln? Wir fahren nun durch das Obwaldner Ländlein nach Sachseln. Ich habe mich nun entschlossen[,] nach dem Flüeli zu gehen. Das Ländlein ist wirklich schön und der Ort, wo einst Niklaus von der Flüh sein heiligmässiges Leben geführt hat, ist mir doch noch besonders heilig. Nächstes Jahr wird ja in der ganzen Schweiz das 500jährige Jubiläum gefeiert werden. Es wurde mir nun im Gasthaus zum Flüeli auch eröffnet, dass Freund Josef Bruggmann, der morgen eintreffen wird, und ich im Bruder Klausen Haus unsere Zimmer erhalten werden. Von Sachseln zum Flüeli hat man eine Stunde zu rechnen. Bei drückender Hitze steige ich den Weg mit meinem Köfferchen hinan. Es ist so schwül, dass ich froh bin, endlich das Ziel erreicht zu haben. Ich glaube, das Gasthaus zum Flüeli scheint recht zu sein. Die Leute sind freundlich und froh, wenn bei dieser Zeit Gäste kommen. – Zum Überfluss werde ich noch zu einem Jass eingeladen und schliesse damit das wenig grosszügige Tagewerk des 4. Juli.

Noch sende ich im Geiste meinen Lieben die herzlichsten Küsse und segne sie, die durch das Band der Liebe und des Blutes mit mir verbunden sind. Beschütze sie Gott der Allmächtige. – Es regnet wieder in Strömen! –

Quellen: Staatsarchiv St.Gallen, W 108/1 (Tagebuch) und W 108/3.1 (Porträt, vermutlich von Louis Baumgartner, ca. 1919)

Sonntag, 2. Juli 1916 – Umwelt-schutz? Naturfreunde vergraben Konservendosen und füttern Fische im See mit Nudeln

„Berg frei“ ist der traditionelle Gruss der Naturfreunde, die ihre Wurzeln in der Arbeiterbewegung haben. Im Gegensatz dazu steht „Berg heil“ der bürgerlich orientierten Alpenvereine. 1912 entstand am Säntis die erste Naturfreundehütte der Schweiz.

Tourenbericht vom 2. Juli 1916. „Säntis-Altmann“.

I. Grau der Himmel schon seit Wochen, Sonne kennt man fast nicht mehr, // Ständig kommen angekrochen, düstre Wolken regenschwer. // Ein’ge wetterfeste Knaben, trotzdem sich entschlossen haben, // Die Berge zu ersteigen, um Petrus mal zu zeigen; // Dass er trotz Regen und Hagelschauern, // Uns nicht die Laune kann versauern.

II. Per Dampfross sie nach Urnäsch ziehn, // Im Abendglanz die Berg‘ erglühn. // Und Kessler voran, macht Riesenschritte, // Am Rossfall vorbei, jetzt hat man die Mitte // Von Urnäsch bis Krätzerli erreicht, // Wie wird uns das Herze so leicht.

III. Im Krätzerli gabs feinen Fladen, // Auch Milch und Wein kann man da haben, // Nachdem wir den Magen Tribut gebracht, // Haben vom Himmel die Sterne gelacht.

IV. Und weiter zieht es uns mächtig, auf Schwägalp, wie prächtig, V/ om Säntis treu bewacht, in milder Sternennacht, // Fanden wir unsere Hütte wieder, // Wo wir geruht die müden Glieder.

V. Früh morgens eh die Hähne krähn, // Und alles noch in süsser Ruh, // Giebts kein lang Besinnen mehr, // Freund Schweizer ruft uns zu, // Auf auf Kamerade, heraus aus dem Heu, // Das Frühstück verzehrt, den Rucksack herbei, // Und schon in kurzer Zeit, war alles marschbereit. // Er zählt die Häupter seiner Lieben, // Und sie[he], statt sechse warens sieben.

VI. D’rauf ganz bedächtig, im Morgenrot prächtig, // Geht es bergan, zur „Tierwies“ dann. // Dort gabs einen Schnaps, und weiter gabs, // Zu bewundern die herrliche Alpenwelt, // Ein armer Tropf dem das nicht gefällt.

VII. Der Säntis-Gipfel war bald erklommen, // Von der Sonne soeben wach geküsst. // Die Aussicht war herrlich u. wenig verschwommen, // Ihr stolzen Berge seid uns gegrüsst.

VIII. Was kann man doch alles hier oben erleben, D// a sahen wir ein Dämchen soeben, // Mit Lackstiefelchen angetan ganz fein, // Für ein Schuhgeschäft Reclame laufen, // Mögt alle ihr eure Bergschuh dort kaufen.

IX. An stolze Felswand, am Liesengrad [Lisengrat], // Ein Plätzchen wir fanden, das gefallen uns hat, // Und aus des Rucksacks tiefsten Gründen, // Kamen die schönsten Sachen ans Licht, // Um gleich im Magen zu verschwinden, // Dem Wettergott gefiel das nicht. // ER gab uns seinen Morgensegen // Vom Weg mit auf den Liesengrad, // Aus Himmels-Schläusen [sic] strömt der Regen, // Uns wenig, das genieren tat.

X. Über Fels und Stein, // Immer hoch das Bein, // Sind wir geklettert. // In kühnem Schwung den Schnee hinab, // Und immer weiter, bergauf, bergab.

XI. Sei uns gegrüsst, stolzer Altmann, // Auch Du musst heute noch glauben dran, // „Es wird uns schon gelingen, // Auch Dich noch zu bezwingen. // Von der Stirne heiss, rinnen muss der Schweiss, // Soll das Werk den Meister loben; // In kurzer Zeit schon sind wir oben.

XII. Der Himmel hat sich aufgehellt, // Ringsum, so schön, mit Worten nicht zu sagen, // Erstrahlen Firn u. Gletscherwelt, // Bis wo die Gipfel in den Himmel ragen. // Ja, die Natur so göttlich schön, // So einzig wahr und rein. // Warum kann denn die Menschheit nicht // In Frieden einig sein?

XIII. Der Säntis zieht inzwischen, die Nebelhaube an, // Nun heisst es abwärts wieder, hübsch langsam, Mann für Mann. // Am Ostgrad [Ostgrat] vorbei, im Schaffhauser Kamin, // Über Schründe u. Spalten mit frohem Sinn. // Freund Minder hat sich ein Liedchen gepfiffen, // Vor lauter Freude, wir haben’s begriffen. // Zu Tal manch helle Jodler schallen, // Die von den Bergen wiederhallen.

XIV. Am End‘ vom Kamin, im Schnee ein Rutsch, // Auf einmal war Freund Pickert futsch. // Mit Beinen und Armen, dass Gott erbarmen // Fährt er in der Luft herum, Ach das war auch gar zu dumm. // Vom Kessler die Hose aus gutem Loden, hat schwer gelitten an ihrem Boden, // Darauf folgt Minder im lockigen Haar, die Schneebrillen raus, sonst lauft ihr Gefahr.

XV. Wer wagt es, Rittersmann oder Knapp // Zu rutschen das lange Schneefeld hinab? // Schweizer als erster saust schon hinunter, // Und wieder folgt einer frisch und munter, // Bis alle wir unten gelandet sind // Auch Masel die Sprache wiederfindt. // „Schneidig“ sagt er „watt?“ // „Donnerwetter abjerutscht“ // Minder darob lacht und hat // Sich die Brille abgeputzt.

Bergwanderer

Die Gruppe nach der Rutschpartie am unteren Ende des sogenannten Schaffhauser Kamins (Foto im Tourenbuch).

XVI. Am Fählensee in friedlichem Vereine, Männlein u. Weiblein, Arme u. Beine // Von sich gestreckt in süsser Ruh, // Und vom Himmel die Sonne lacht dazu. // Gengis [?] nebst Damen, im schönen Rahmen // Begrüssten wir da, so wunderbar. // „Berg frei“ erschallt es aus aller Munde, // Miteinander verbrachte man eine Stunde. // Die Loreley macht Toilett, als käm sie grad erst aus dem Bett, // Sie wäscht sich mit dem Kamme, u. kämmt sich mit dem Schwamme, // Und Max singt ein Lied dabei, von wunderbarer Melodei.

XVII. Darauf sind sie hinweg marschiert, u. haben uns unten avisiert, // Im Weissbad treffen wir uns wieder, inzwischen lebt wohl Touristenbrüder // Wir aber sind noch liegen geblieben, und haben uns dazu entschieden // Noch einmal abzukochen zünftig, ich glaube das war sehr vernünftig. // Da hört man es brodeln, bei Minder giebts [sic] Nudeln, // Zwar versalzen sie sind, aber dafür nicht lind. // Max trinkt, ach herje, „Halleluja-Tee“ // Und Pickert behauptet steif u. fest, Hafersuppe sei das Best. // Was steht bei Schweizer auf dem Küchenzettel heut? // Darüber schweigt des Sängers Höflichkeit, // Und Kessler meint, weil die Sonne scheint, // Braucht keinen Sprit man zu verbrennen, // Ich will ein praktisches Mittel euch nennen. // Mit dem Bauch in die Sonne legt er sich drauf, // Und wärmt sich das Morgenessen auf.

XVIII. Dann nach beendigtem Schmause haben, // Wir leere Conservenbüchsen vergraben. // Mit den Nudeln die Fische im See wir beglücken, // Mögen sie sich daran erquicken. // Dankbaren Herzens haben wir dann, ein Opferfeuer gezündet an, // Und schafften somit zu gleicher Zeit, // Alle Papierresten auf die Seit. // Schnell noch dem Kessler die Hose geflickt, // Nachher haben auch wir uns gedrückt. // Sind dann den Stiefel hinab getrollt, // Die Beine haben nicht recht mehr gewollt. // Auf einmal sah man, es war zum lachen [sic], // Freund Willy `nen schwungvollen Salto machen. // Die Feldflasch in schönem Bogen, ist zu Tal geflogen. // Max hat sie schnell noch aufgefangen // Und somit war alles gut gegangen; // Denn die Fische umfing mit ihrer Hülle // Kühlen See in grosser Fülle, // Der soll uns noch laben, wenn Durst wir haben; // Denn der Weg bis ins Weissbad ist noch lang, // Da lernt man schätzen solch edlen Trank.

XIX. Auf Platten, am Weg, steht ein Häuschen gebaut, // Von schattigen Bäumen gar lieblich belaubt. // Da tät’s uns gefallen, da zieht es uns hin, // Doch fort muss der Wandrer, muss heimwärts ziehn.

XX. Im Restaurant zum Weissbad, da kehrten durstig ein, // Die fröhlichen Gesellen, und fanden bei Saft und Wein // Die Staubern-Kraxler wieder, drum liessen sie sich nieder, // Verzehrten, was Gutes die Wirtin bot, // Saft, Bier und Wein, auch Wurst und Brot.

XXI. Bis Appenzell das kurze Stück, // Legt man noch recht gemütlich zurück, // Mit fröhlichem Gesang, und Schnörregiege [Mundharmonika] Klang. // Zum Schluss noch ein schönes Regenbad // Uns sauber abgewaschen hat.

XXII. Leider müssen wir heimwärts gehen, // Ihr Berge lebt wohl, auf Wiedersehn, // Mit Dankbarkeit im Herzen, und Frieden in der Brust, // Was die Natur uns bot, wir sind es uns bewusst. // Am Himmel zucken Blitze, und ferner Donner kracht, // Ade ihr Berggenossen, für heute

„Gute Nacht“

W. Pickert[,] 2. Juli 1916.

Quellen: Staatsarchiv St.Gallen, W 285/2.06.1-1 (Touristenverein Naturfreunde St.Gallen (TNV), Sektion St.Gallen, Tourenbericht) und W 285/2.06.1-2 (Bilder)

Freitag, 28. April 1916 – Adiö, liebe Anstalt!

Tagebucheintrag von Emma Graf, Schülerin der Taubstummenanstalt St.Gallen (heutige Sprachheilschule St.Gallen), geboren 1900:

Vom Letzispaziergang.

Am Mittwoch Nachmittag machten wir Oberklässlerinnen mit Hrn. u. Frau Bühr u. mit Trudi und Hans den Letzispaziergang. Unser Ziel war Romanshorn. Am Morgen war es neblig. Am Mittag wurde der Nebel von der Sonne verjagt. Um 310 Uhr fuhren wir ab. Als der Zug in Roggwil hielt, begrüssten wir den Bodensee.

Wir ergötzten uns an den Frühlingsblumen u. schönen Bäumen. Später trafen wir einen ehemaligen Zögling, Frl. Bertha Hess, in Neukirch-Egnach. Sie kam auch mit uns. Auf dem Bahnhof in Romanshorn begegneten wir Frau Keller, Marthas Mutter. Sie begleitete uns auf den Friedhof u. zeigte uns das Grab von unserer verstorbenen Mitschülerin, Martha Keller. Sie hat einen sehr schönen Grabstein bekommen. Daran steht ein Mädchen weinend u. ein Sträusschen Blumen in der Hand. Der Spruch heisst: Nicht verloren, nur vorangegangen. Im Beet hat es schöne Blumen. Nachher gingen wir an das Grab von Marthas Schwester Lina. Es hat einen fast gleichen Stein. Beide Gräber gefielen uns sehr gut. Hierauf besuchten wir die protestantische Kirche. Diese ist sehr schön gebaut. Unterwegs sahen wir eine Kaffeehalle. Wir gingen hinein. Wir wurden von Frau Keller u. Frl. Hess eingeladen. Wir genossen Kakao u. Krämli. Es mundete uns. Als wir fertig waren, schauten wir das schöne Städ[t]chen an. Hierauf statten wir noch der katholischen Kirche einen Besuch ab. Wir kamen an den See. Wir sahen die Luftschiffhalle bei Friedrichshafen. Wir gingen über die Brücke der Badanstalt u. wieder zurück. Wir kamen zur Insel. Das ist ein schöner Aussichtspunkt. Die Aussicht war nicht ganz hell. Wir kehrten dann wieder um u. bummelten am Ufer entlang u. kamen zum Hafen. Es hat dort viele Kieshaufen. Einige Personen beschäftigten sich mit Fischfangen. Um halb 7 Uhr mussten wir auf den Bahnhof gehen. Wir fuhren mit dem Schnellzug heim. Wir nahmen noch von Fr. Keller u. Frl. Hess Abschied u. dankten ihnen füre [für] ihre Freundlichkeit. Der Letzispaziergang war ein schöner Abschluss unserer Schulzeit. 

Freitag 28. April 1916

Heute sind wir zum letztenmal in die Schule gegangen. Meine Schulzeit ist zu Ende. Ich bin froh, dass ich so manches lernen durfte. Ich will der Anstalt dafür dankbar sein, indem ich mir Mühe gebe, ein tüchtiger, guter Mensch zu sein.

Adiö, liebe Anstalt! Auf Wiedersehen!

Reigen

Quellen: Staatsarchiv St.Gallen, W 206 (Tagebuch) sowie A 451/4.2.2-1 (Mädchengruppe mit Efeukränzen) und BTN 1/1.1-042 (Bodensee-Toggenburgbahn: Stationsgebäude Roggwil-Berg, ca. 1910). 1909 feierte die damalige Taubstummenschule Jubiläum. An der Feier führten Schülerinnen einen Reigen auf. Eines der jüngeren Mädchen in der Mädchengruppe könnte Emma Graf, die Tagebuchschreiberin, sein.

Sonntag, 2. April 1916 – Schnee-ballkrieg und Hüttenwitze: Der SAC auf Clubtour

Das wunderbare klare und sonnige Wetter der letzten Märztage zog die meisten Skifreunde nochmals hinauf in die Schneegefilde, um dem scheidenden Winter den Abschiedsgruss zu bringen. Vielen Dank darf der strenge Herr dieses Jahr von uns nicht erwarten, für sein launisches Wesen u. […] […], aber ein gutes Ende nimmt allen Groll hinweg.

So fanden sich für die beschlossene Clubtour am Samstag abend 7 S.A.Cler und ein Gast im Zug 5.17 auf der Fahrt nach Buchs ein, trotzdem im Laufe des Tages der so hochgepriesene Pizol schon ein gutes Dutzend Clubfreunde weggelacht hat. Die schon so oft befahrene Strecke durch das Rheintal bot uns heute ein schönes Bild, der Frühling ist hier schon eingezogen, die Matten haben ihr Winterkleid abgestreift[,] und auf dem jungen saftigen Grün tummelt sich schon Jungvieh, während die Schneedecke vielerorts noch bis zur Talsohle reicht.

Gleich nach Ankunft um 8 Uhr in Buchs gings nach Einkauf einiger Notwendigkeiten für Bretter u. Magen, den bekannten Buchserberg hinauf. Der leichte Aufstieg auf der breiten und gutunterhaltenen Strasse, welche durch den hochgewachsenen Buchenwald mit wenig Steigung schlängelnd sich hinaufzieht, macht unsere Last von Sack und Hölzer[n, Skis] auf dem Rücken erträglich. Es ist eine Lust[,] in der lauen Vorfrühlingsnacht mit den [sic] funkelnden Sternenhimmel zu wandeln und zu atmen, um allen [sic] Werktagssorgen los zu werden.

Scharfe Augen nehmen schon erste Schneespuren gewahr, wenn auch nur einzelne Flecken an schattigen Halden, so rücken wir doch langsam den heutigen Ziele, dem vorbestellten Nachtquartier zu. Nach zweistündigem Marsche stehen wir um 10 Uhr vor dem hell beleuchtetem [sic] Sommerfrische Waldrand, ein kleines Oberländerhaus östlich vom Kurhaus gelegen. Der Besitzer[,] unser Gastwirt[,] ist über unsere Ankunft nicht wenig erstaunt, da er angeblich durch ein Missverständniss [sic] glaubte, wir treffen heute nicht mehr ein, sind auch alle Vorbereitungen[,] die zu unserem leiblichen Wohl hätten gemacht werden sollen[,] unterblieben. Zum grössten Bedauern Aller musste nun der Heisshunger vom Vorrat aus dem Rucksack gestillt werden, da ausser Brot und einigen Käseresten unser Gastgeber nur noch Thee [sic] u. Alkoholfreie Getränke auffinden konnte.

Gemütlich wurde es im warmen Stübli doch, wenn auch der gute Wein, der vermutlich vom Wirt heimlich[,] wie einer unserer Vertrauten meinte[,] [unlesbar] gehalten wird, unser[e] Kehlen nicht benetzen durfte, wurde ein Liedchen ums andere gesungen und die allerneusten Hüttenwitze vom Stapel gelassen. Erst gegen 12 Uhr brach man allmählich zum aufsuchen [sic] des Nachtlagers auf. Die Betten fanden allgemein Gefallen, nur das Meinige hatte einen Kapitalfehler, das ich allerdings als letzter in Besitz nahm.

Seine Maximalnutzlänge betrug 1735, während meine Grösse im Dienstbüchlein mit 181m eingetragen steht. Aus der misslichen Situation half mir mein kürzerer Schlaf- und Sangesbruder. Habe nochmals besten Dank, Du hast mich vor den schrecklichsten Träumen bewahrt.

Ein sonnenstrahlender Morgen begrüsste um 6 Uhr das Doppelquartett zur Tagwache. Alle frohen Mutes ziehen wir, vorerst die Hölzer noch auf dem Rücken, da die letzten sonnigen Tage den Schnee schon weit hinauf vertrieben haben[,] den Waldweg hinaus, bis zum Waldrand. Erst auf 1200m werden die Ski auf steinhartem Schnee angeschnallt, die winterliche Bekleidung bei der schon am morgen früh herrschenden Wärme entledigt und im Bummeltempo geht’s ohne die kleinsten Skispuren zu hinterlassen, über die ausgedehnten Alpen von Untersäss bis zu den obersten Hütten der Malbunalp. Bei kurzer Rast mit Schneeballkrieg daselbst, geniessen wir den werdenden Tag. Der schöne Ausguck über die Waldwipfel in’s Tal hinunter, das verklärte Visavis, das Massiv der drei Schwestern in frischem Morgenglanze fesselt alle. Um die Fernsicht noch besser zu geniessen[,] traversieren wir noch einige Halden. Höher u. höher steigen die einzelnen Gruppen. Gegen 10 Uhr lagern alle im Kreise auf dem ausgesuchten Sattelpunkt Sisitzgrat [Sisizgrat] am Fusse vom Margelkopf u. Glanaköpfe [Glannachopf]. Ein guter Znüni stärkt uns auf den letzten Teil des Aufstiegs. Wir haben unser Ziel[,] den zuckerigen blendend weissen Kegel, die Rosswies mit dem ganzen Aufgangstrace direkt vor Augen und manchem, dem das wunderbare Znüniplätzli allzugut gefallen wollte, musste zur Einsicht kommen, dort oben ist es noch schöner. Im Hui hangen schon 7 Mann an verharschter Halde[,] und im vorsichtigen Tempo wird die kurze Abfahrt genommen. Ein Teilnehmer zieht es vor[,] als Wache vom Siestaplätzli zurückzubleiben, auf letzterem auch wir Säcke und überflüssige Kleider abgelegt hatten. Nach 5/4stündigem Aufstieg in geschlossener Gruppe, gelangen wir in kleinen Serpentinen auf Rosswiesgipfel 2335m 12½ Uhr an; Ueberrascht [sic] von der aussergewöhnlichen Rundsicht.

Immer u. immer wird man vom erhabenen Gefühl überwältigt, am hohen Ziel scheinbar alles zu seinen Füssen zu haben, um die Königin des Welttalls [sic] über sich auf das bare Haupt strahlen zu lassen.

Keine Worte sind beim ersten Anblick zu finden, drum geniesst jeder für sich mit erhobenem Herzen allein. Allmählich wird orientiert, die nächste Umgebung genau betrachtet, nach Osten den verwitterten Faulfirst mit seinen scharfen Schattenkantenen [sic] in den Schneemulden, nach Südosten ziehen die verzackten Gräte mit den Gärtliköpfen, hinter diesem, die höchste Spitze der umliegenden Gipfel der Alvier, welcher heute auch Sonntagsbesuch hat. Hinter diesen Kulissen die herrlichen, unzähligen Spitzen mit den bekannten Massiven der Bünder u. Vorarlberge. Nach Süden ein senkrechter Absturz von beinah 600 m auf die schön gebettete Sen[n]isalp, drüben über dem Seeztal das günstige Skigebiet von Flumserberg u. Spitzmeilengebiet. Links davon der vielbesuchte Pizol, wo unsere Clubfreunde auch all das Schöne geniessen. Die Fernsicht ist so klar, dass wir von blossem Auge Spuren über den Gletscher wahrnehmen können. Hinter u. nebeneinander türmen sich all die Bekannten auf, Sardona, Segnes[,] Ringelspitze, Vorab[,] Tödi u. viele andere.

Der westliche Abschluss bildet der wilde Gamsberg, nördlich erhebt sich majestätisch unser Säntis hinter ihm das Flachland u. der Bodensee im leichten Dunstschleier verhüllt. Der Abschied von all diesen Schönheiten wird nach Möglichkeit hinausgeschoben, trotzdem die günstige Abfahrt mit dem erweichten Schnee genussversprechend wird. Einige Volkslieder und Jodler ertönen noch in die vollständige Windstille hinaus. Als die letzten Töne „Ihr Berge lebt wohl“ als Abschiedsgruss von All geschautem verklungen sind, fährt bereits der Erste mit kühnen Schwüngen den Kegel hinunter. Alle folgen miteinander nach, bewegtes Leben setzt am Hange ein, hat’s doch jeden im ersten steilen Teil, nach gewohnter Art hingelegt. Eine rasende Abfahrt wäre doch etwas verwegen gewesen, da die Beschaffenheit des Schnees nicht ungünstig, aber doch ungleich war. So wendete jeder seine bewährte Technik an, und nur zu bald sind alle in der Mulde vor der Gegensteigung zum Ruheplätzli. Es war eine schöne Abfahrt. Ein Blick rückwärts zeigt unsere Spuren, durch diese wird das flächige Gelände interessanter. Der zu traversierende steile Hang wird genau vertikal von der Mittagssonne beschienen, so dass der kurze Aufstieg die einzige Strapaze des ganzen Tages wurde. Oben finden wir den Wachposten auf seinem Platz. Mit Hochgenuss hat er die Abfahrt verfolgt und während unserer Abwesenheit den fast schneefreien Margelkopf bestiegen. Es folgt ein Lagerleben nach alter Art, die raffiniertesten Leckerbissen werden da gekostet, trotz aller Einschränkungen durch den gewaltigen Krieg, dessen Stimme durch fernes dumpfes Dröhnen grosser Geschütze, bis an unser Ohr hier oben in den freien Bergen rühren mag. Auch unsere Unterhaltung lenkte auf kurze Zeit auf das gewaltige Völkerringen ein, aber den Schuldigen allen Unheils konnten wir auch nicht ermitteln.

Um ½4 Uhr wurde zur Thalfahrt [sic] aufgebrochen. Bei der ersten Abfahrt vom Sattel hat unser Wachtoffizier durch einen Sturz eine leichte Verstreckung sich zugezogen, konnte aber nach kurzer Zeit, nun auch etwas sachte, die Weiterfahrt mitmachen. Auf dem leicht erweichten Schnee laufen die Hölzer rasend, oft des Guten zu viel. Schattenhalb blieb der Schnee hart, was die Abfahrt etwas beeinflusste. Eine Skispitze hat trotz guter Führung halbwegs ihren Anforderungen nicht mehr Stand gehalten, ist aber von unserem Tourenchef in meisterhafter Weise rasch repariert worden. Nur allzubald ist [es] mit der schönen Abfahrt zu Ende. Wir stehen mit unseren Hölzern plötzlich auf dem trockenen Rasen, über diesen wir mit schwerfälligem Skitritt spazieren, um den letzten Teil der Abfahrt durch den Wald zum Kurhaus noch auszunützen. Ungern werden die Hölzer wieder auf die Schultern genommen und im Tempo geht’s unter Ausnützung aller Abkürzungen die Halden u[nd] Hohlwege hinunter in den Buchenwald[,] dessen Kühle sehr wohltuend auf den erhitzen Köpfen wirkte. In Buchs reichte die Zeit noch für eine kleine Stärkung. Der 6 Uhr Zug von Sargans brachte einen ganz besetzten Wagen sonn[en]verbrannten [sic] Gesichter, meistens Clubfreunde von der Heimfahrt vom Pizol. Ein jeder von uns fand auch noch ein Plätzli im gleichen Wagen, in welchem nun ausschliesslich junge Männer mit hohen gleichen [sic] Sinn für die schöne Bergeswelt beisammen sind und das gesonnte Herz im schönen Liede jubeln lassen. Für uns alle war der heutige Tag ein hoher Feiertag, als schöner Abschluss der Winterwanderungen auf Skiern. Im Besonderen möchte ich unser heutiges Ziel, die Rosswies[,] ein höchst günstiger Skiberg, leicht bis zum Gipfel mit dem Hölzern erreichar, mit Rund- u. Fernsicht wie uns kein Appenzeller u. anderer St.Gallerberg mehr bieten kann, nur bestens für die nächsten Winter empfehlen. Eventl. Unterhandlungen unserer Sektion mit dem Kurhaus- u. Pensionsbesitzer auf dem Buchserberg würde vielleicht zu einem Abschluss betr. Schlafgelegenheit zur Winterszeit auf ca 1000 m Höhe führen, was die Tour sehr erleichtern würde.

Ein letzter Gruss u. Händedruck am Bahnhof[,] und einzelne Gruppen ziehen noch zu einem Trunk, oder direkt an ihren heimischen Herd, Alle voller Bewusstsein[,] den Schatz[,] den sie von den Bergen mitgebracht[,] im Herzen tragen, hilft wieder über manchen Stein im Alltag hinweg und zehren heute noch von dem unerfasslichen Kleinod.

St.Gallen im Mai 1916                Fritz Küpfer.

Quelle: Staatsarchiv St.Gallen, Wy 023 (SAC St.Gallen; Bericht über die Clubtour auf Rosswies am 1. und 2. April (Text), Titelblatt des Tourenberichts mit einer Zeichnung von Fritz Küpfer (Bild))

 

 

Donnerstag, 17. Februar 1916 – Schutz vor Naturgefahren kostet

Schreiben des Oberförsters betreffend Schutzwaldausscheidungen:

St.Gallen, den 17. Februar 1916.

An das Volkswirtschaftsdepartement des Kantons St.Gallen.

Bekanntlich ist das schweizerische Departement des Innern der Ansicht, das st.gallische Forstgesetz [sic, Forstgesetz] gestatte nicht, alle Waldungen als Schutzwald zu erklären. Der schweizerische Oberforstinspektor hat sich sodann dahin ausgesprochen, dass dem Wortlaut des Gesetzes Genüge geleistet werde, wenn eine Ausscheidung derart erfolge, dass nur ein kleineres Gebiet als Nichtschutzwald bestehen bleibe. Dieser Anregung zufolge wird nun eine Ausscheidung in der Weise vorgeschlagen, dass aller Wald im Kanton als Schutzwald bezeichnet werden soll mit Ausnahme des bisherigen Nichtschutzwaldes westlich der Strasse Schmerikon-Uznaberg-Bürg-Diemberg. Die Beibehaltung dieser bisherigen Grenze hat den Vorteil für den Staat, dass im Seebezirk nicht Mehrkosten für die Beförsterung erwachsen. Wollte eine Ausdehnung des Schutzwaldgebietes im Seebezirk angestrengt werden, so würde die Strasse Wurmsbach-Wagen-Curtenberg und die Linie Ober-Tegernau-Gemeindegrenze Jona-Eschenbach bis zur Kantonsgrenze die beste Abscheidung bilden. Diese Erweiterung des Schutzwaldgebietes hätte zur Folge, dass die Beförsterungskosten für den Privatwald, also zu Lasten des Staates, um ca. Fr. 400.- jährlich höher zu stehen kämen, als sie gegenwärtig sind. Da dem Bezirksförster triftige Gründe, die eine Aenderung der bestehenden Ausscheidung als notwendig erscheinen lassen, nicht bekannt sind, kann im südwestlichen Kantonsteil der gegenwärtige Bestand der Schutzwaldausscheidung belassen werden.

Um jedoch für den nördlichen Kantonsteil, für welchen die Schutzwalderklärung als dringend bezeichnet worden ist, zum Ziele zu gelangen, wird hiemit beantragt, dem schweizerischen Departement des Innern das Gesuch einzureichen, daselbst den bisherigen Nichtschutzwald als Schutzwald zu erklären.

Anschliessend wird beantragt, dem Gesuche der katholischen Administration, mit dem Kloster Notkersegg, und demjenigen des Klosters Wurmsbach, um die Bewilligung eigener Forstrevierbildung zu entsprechen.

Hochachtend!

Der Oberförster: [ohne Unterschrift]

Quellen: Staatsarchiv St.Gallen, KA R.164-1-11 (Text) und ZOF 002/02.06 (Bild aus der Bildersammlung der Psychiatrischen Klinik St.Pirminsberg bei Pfäfers, um 1912)