Johann Coaz

Sonntag, 18. August 1918 – Promi-nentes Grippeopfer

Am 18. August verstarb hochbetagt der Forstingenieur und Alpinist Johann Wilhelm Fortunat Coaz-Lütscher (31.05.1822-18.08.1918). Coaz hatte als kantonaler Oberforstinspektor eine Zeit lang in St.Gallen gelebt und sich u.a. im Stadtturnverein engagiert. Im Archiv des SAC St.Gallen findet sich in der sog. «Ahnengalerie» eine Porträtfoto von ihm (vgl. Beitragsbild).

Todesanzeige Coaz

Am 21. August veröffentlichte das Tagblatt einen ausführlichen Nachruf auf Coaz:

Zum Andenken an Dr. h.c. Johann Coaz.

Im Patriarchenalter von über 96 Jahren ist Dr. h.c. Joh. Coaz, der hochverdiente Förderer der schweizerischen, der Forstwirtschaft überhaupt, von dieser Erde geschieden.

Johann Coaz war Bürger von Scanfs [S-chanf] im Engadin. 1843 schloss er al 21jähriger sesine forstlich-akademischen Studien in Deutschland ab und kehrte dann in seine Heimat zurück. Dazumal arbeiteten Ingieure des eidgenössischen topographischen Bureaus auch in den Bündnerberger an der Triangulation und topographischen Aufnahme des Kantons Graubünden. An der Spitze des Bureaus, das sich heute zur Abteilung Landestopopgraphie des schweizerischen Militärdepartements entwickelt hat und 100 Beamte zählt, stand Generalquartiermeister Oberst Dufour, der spätere General unserer Armee. Coaz wurde mit den Ingenieuren bekannt, und 1844 trat er in das topographische Bureau ein und erwarb sich schon in jungen ahren nicht geringe Verdienste am Zustandekommen des grossen topographischen Atlasses der Schweiz. Vo nihm stammen die Blätter Bernina, Davos, Tarasp, St.Moritz, Scaletta, Bevers [Bever], Chamuera und Scanfs [S-chanf] der Dufourkarte. Seine Tätigkeit brachte ihn mit dem Alpinismus aufs engste zusammen, und seit jener Zeit stand Coaz bis zu seinem Tode als einer der ersten Führer an der Spitze des schweizerischen Alpinismus, er, der Bezwinger der Bernina und damit der Mann, der sein Engadin in Konkurrenz mit dem Wallis und Berner Oberland treten liess. Sein Name wird in der Geschichte der Erschliessung unserer alpen einen bleibenden ehrenvollen Platz behalten.

Nach der Beendigung der topographischen Arbeiten wurde Coaz Forstinspektor des Kantons Graubünden; dieses Amt versah er von 1851-1874. Dann trag er in den Dienst des Kantons St.Gallen und bekleidete hier den Posten des Oberförsters; er lebte sich in St.Gallen gut ein, und immer wieder ist er gerne in unsere Stadt zurückgekehrt, wo er einen grossen Bekanntenkreis hatte.

Der Bundesrat berief den vortrefflichen Forstmann bald nach Bern und übertrug diesem das eidgenössische Oberforstinspektorat; diese Stelle versah er bis zum Jahre 1914, in welchem Jahre er nach ausserordentlichen Arbeitsleistungen im Dienste des Vaterlandes in den Ruhestand trat. Er zog sich nach Chur zurück und hat dort seinen Lebensabend verbracht. Welche Wegstrecke liegt zwischen seinem ersten Wirken in Amt und Würde und der Heimkehr aus der Bundesstadt in die rätische Hauptstadt! Welche Summe von Arbeit und wieviele glänzende Erfolge aus der Tatkraft des willensstarken Mannes, der nicht nachgibt, wenn er etwas als gut erkannt hat!

Coaz ordnete das schweizerische Forstwesen, schuf dem Bund die Oberaufsicht über die Forstpolizei; aus dieser heraus wurden besonders dem Alpengebiet die segensreichen Hilfeleistungen des Staates an Lawinen- und Wildbachverbauungen, Korrektionen, Bannwalderrichtungen, Alpverbesserungen usw. In all diesen Werken leben sein Geist und sein Weitblick, lebt der Name Coaz weiter. Neben der amtlichen Tätigkeit fand er immer noch Zeit, sich der Fach- und der alpinen Literatur zu widmen. Er war der Herausgeber des Schweizerischen Baumalbums, von dem bisheute bereits vier Bände erschienen sind; in den Jahrbüchern des S.A.C. finden wir zahlreiche Abhandlungen aus seiner Feder. Der lebhaft geschriebene und empfindende Rückblick «Aus dem Leben eines schweizerischen Topographen von 1844-1851» dürfe wohl die letzte grössere Arbeit des nunmehr Verstorbenen sein. Sie ist enthalten im 52. Jahrgang des S.A.C.-Jahrbuches. Aus ihr werden wir unseren Lesern demnächst einige Reminiszenzen zur Kenntnis bringen.

Hier mag auch noch erwähnt werden,, dass Coaz, ein grosser Freund unseres Wildparkes, die Initiative für die Wiedereinbürgerung des Steinwildes in unseren Alpen ergriffen hat. Er beförderte durch Beibringung von Bundessubventionen die Aussetzung von Tieren aus dem Wildpark St.Gallen ins Gebiet der Grauen Hörner und in das des Piz d’Aela ob Bergün. Hundert Jahre alt wollte Coaz werden: bis in die letzten Tage seines Lebens war er aussergewöhnlich rüstig; seine 96. Jahre waren ihm noch nicht zur Last geworden. Berg und Wald hatten ihm eine eiserne Gesundheit geschenkt und seinen Geist hell und klar gemacht, gleich dem Hohlicht über den Gräten der Bündnerberge. Plötzlich aber hat ihn der Tod leise berührt und hinübergenommen in das stille Land der Abgeschiedenen. St.

Vgl. auch den Beitrag im Historischen Lexikon der Schweiz: http://www.hls-dhs-dss.ch/textes/d/D28802.php

Quellen: Staatsarchiv St.Gallen, P 909 (St.Galler Tagblatt, 78. Jg., N.r 195, Morgenblatt, 21.08.1918, S. 4, Todesanzeige und Abendblatt, 21.08.1918, S. 1, Nachruf) sowie W 312/11.1-01.93 (SAC St.Gallen, Ahnen-Galerie, Auszug aus Porträt von Johann Coaz)

Kronbergtour, Spiel

Sonntag, 23. Juni 1918 – Damen-tour auf den Kronberg

Der Schweizer Alpenclub SAC war lange Zeit eine reine Männerangelegenheit. Seit 1918 gab es zwar den Schweizerischen Frauenalpenclub, eine Fusion der beiden Gruppierungen fand jedoch erst 1980 nach intensiven Diskussionen statt. (vgl. u.a. http://www.hls-dhs-dss.ch/textes/d/D16457.php)

 

 

 

 

 

 

 

 

Der SAC St.Gallen führte für die Ehefrauen und Töchter der Clubmitglieder unter dem Titel «Damentour» jährlich eine leichtere Bergtour durch. Am Sonntag, 9.  Juni 1918, war man gemeinsam auf den Kronberg gewandert. Am Mittag hatte die Gruppe auf offenem Feuer gekocht (der den Männern aus dem Militär bekannte «eidgenössische Spatz»), danach getanzt und musiziert.

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

Das Staatsarchiv St.Gallen ist momentan dabei, das Archiv des SAC St.Gallen aufzuarbeiten. Dabei sind auch Glasdiapositive zum Vorschein gekommen, welche die Tour dokumentieren. Im Gegensatz zu den digitalen Bildern von heute, die auf Knopfdruck sichtbar sind, mussten Negative früher erst entwickelt werden. Deshalb wird dieser Beitrag erst vierzehn Tage nach dem eigentlichen Ereignisdatum publiziert.

 

 

 

 

 

 

 

Quelle: Staatsarchiv St.Gallen, W 312/11.2.22.013 bis W 312/11.2.22.029 (Bestand SAC St.Gallen, Bilder der Damentour auf den Kronberg)

 

 

 

Huetten

Pfingstmontag, 28. Mai 1917 – Das St.Galler Bachstelzentrio (Teil 2)

Das Aufwachen in der Alphütte am andern Morgen war für die Naturfreunde auf Pfingsttour alles andere als gemütlich. Der Berichterstatter notierte: […] meine Zähne klapperten mit wahrer Virtuosität, hielt der Autor des Berichts fest. Hier die Fortsetzung seines Berichts (Teil 1 vgl. Beitrag vom 27. Mai):

Morgens halb 5 weckte mich ein Juchzer aus dem Halbschlummer, denn ich konnte vor Frieren kaum schlafen, u. meine Zähne klapperten mit wahrer Virtuosität. Die andern beiden schliefen noch ruhig, als ich Sie [sic] durch türaushängen [sic] wekte, dieselbe vor die Schwelle legte u. die Herrschaften einlud[,] auf die so geschaffene Terrasse hinauszutreten[,] um den herrlich anbrechenden Tag zu bewundern. Das Morgenessen wurde auf später verschoben[,] wenn die Sonne uns mit Ihren wärmenden Strahlen durchdringen würde[,] was jetzt noch nicht der Fall war[,] denn es war noch ziemlich kühl, also war man schnell Marschbereit [sic] u. weiter gings zur Obersee-Alp hinunter, doch kaum hatten wir etwa 100 Schritte gemacht, welch trauriger Anblick bot sich uns? wo [sic] ehemals schöner Hochwald gestanden hatte, ragten nur noch abgebrochene Strünke in die Luft u. die Stämme lagen in wilden [sic] Chaos durcheinander. Hier musste eine ungeheure Lawine oder ein Orkan gewütet haben. ca [sic] 5 hektaren [sic] gross war die verwüstete Fläche. Bald haben wir uns durchgearbeitet u. gelangten zur Oberseealp vor der Hütte tummelten sich einige Touristen, über magere Alpweide gings in Südlicher [sic] Richtung der Sulzalp zu. Vor der Alp Kreuzegg an einem muntern Bächlein wird gelagert[,] um den Kulinarischen [sic] Genüssen zu fröhnen [sic], kaum fertig mit Essen u. Waschen eröffnet unser Photo-Fritze eine Tannzapfenschlacht[,] in dessen Verlauf der Berichterstatter einen Volltreffer an den Kürbis erhielt, u Hans einen in den Kochenden [sic] Thee als Zuputz.

Nach ca ¾ Stdg. Rast gehts weiter mit erst mässiger[,] dann starker Steigung einem Bach entlang über den Sulzboden zur Sulz 1387 m hinauf [.] Hier beginnt der Schnee, er ist aber schön zu begehen[,] denn er trägt. Die Vegetation bleibt immer mehr zurük u. die Gegend nimmt hochalpinen Charakter an. So erreichten wir nach 2 Std. steigen [sic] die Alp Lachen 1500 m. Hier befionden sich 2 offene gute Hütten mit schönem Heulager, nur an Wasser fehlts, so löschen wir halt den Durst mit Schnee u. Citronen[,] welche letztere Menzer noch mit Zuker versüste [sic] u. nach kurzer Rast gings weiter der Passhöhe zu[,] welche wir nach schönem Steigen in 1 Std erreichten. Nun eröffnet sich uns eine neue Welt, vor uns das gewaltige Glärnisch-Massiv, rechts davon schaut die schöne Pyramide des bösen Faulen herfor [sic] als schöne Fortsetzung Pfannenstock, Silbern, Pragelpasshöhe u. Schwarzstock. Direkt zu unserer rechten [sic] erhebt sich der Rädertenstock in schönen Schichtenbildungen, dreht man sich um[,] so reiht sich Stock an Stock[,] worunter der Brünnelistock mit 2150 m als höchster regiert, als letzter ist noch die Scheye mit 2261 m zu bemerken. Soeben beginnt der Photograph seine Arbeit[,] um die Umgebung auf seine Platten zu fesseln, auch auf uns zwei arme Sünder hat er es abgesehen, wir hatten gerade ein schönes Rasenplätzchen ausgemacht[,] um auszuruhen, da ertönt sein Kommando: rückwärts, etwas links, noch etwas, halt; wir wollens uns wieder bequem machen, doch welche Gemeinheit! unser [sic] Kommandeur hatte uns in den grössten Dreck hinein dirigiert, wi’s [sic] beim Militär üblich ist, unser Protest fand jedoch taube Ohren u. da er unerbittlich blieb[,] so fügten wir uns drein u. legten uns hien [sic,] sonst wären die Berge im Hintergrund eifersüchtig geworden auf unsere Grösse u. da dacht ich[,] Bescheidenheit ist eine schöe Zier, wenns auch einen drekigen Hintern kostet.

Halb 2 Uhr began der Abstieg, bis zur Alp Ober Längenegg gings Pfadlos [sic] über ziemlich steile[,] aber üppige Alpweide hinunter, dann ca 10 Min das Tälchen hinaus in Westlicher [sic] Richtung, dann begann ein Weg[,] wie wir noch keinen unter den Füssen hatten u. yeder [sic] Beschreibung spottet, der berüchtigte Brühltobelweg [im Alpstein] ist ohne Übertreibung ein Spaziergang dagegen, so geröllbesät u. steil wie er war[,] musste man springen[,] ob man wollte oder nicht, ein Wunder[,] dass dabei keiner den Fuss verstaucht hat, Freund Menzer sprang mit wahrer Todesverachtung voraus u. erreichte dann auch als erster die Pragelstr. Endlich hat die hüpferei [sic] ein Ende u so sind wir die 1000 m in 50 Min hinuntergesprungen. Nach 10 Min war das Gasthaus Vorauen erreicht[,] wo wir bei einer Flasche Bier etwas verpusteten, dann gings im Stechschritt dem Klönthalersee entlang. Unterwegs überholte uns ein Bauernfuhrwerk[,] welches wir aber etliche Male wieder einholten. Yedesmal [sic] wenn wir wieder in der Nähe desselben waren[,] bekam das Pferd wieder ein Fitz [einen leichten Schlag], denn der Bauer wollte nicht[,] dass wir Ihn [sic] überholten. Da gabs für un sein[en] lustiger [sic] Zwischenfall, das Wägeli war bereits wieder eingeholt, als dasselbe sich plötzlich vorne rechts runter neigte u. die biedern Leutchen beinahe mit dem Strahsengraben [sic] Bekanntschaft gemacht hätten[,] denn das vordere rechte Rad war herausgefallen, der Schaden war aber schnell wieder gut gemacht u. weiter gings 4 ¼ Uhr kam Netstal in Sicht[,] ehe wir ins Dorf hineinmarschierten[,] schlugen wir uns seitwärts in die Büsche[,] um etwas Toilette zu Machen, uner Photograph folgte zwar nur murrend, denn Ihn [sic] plagte der Durst[,] uns zwar auch nicht minder[,] doch war die Sache bald in Ordnung, dann gings am berühmten Löntschenwerk vorbei ins Dorf hinein zum Bahnhof. Die 5/4 Std Aufenthalt wurd[en] zu einer Erfrischung benützt.

10 Min vor der Zeit kam ein Extrazug angefahren[,] wihr [sic] verstauten uns dort drin trotz dem Ruf der Schaffner: nicht einsteigen, dann gings fort hinaus aus dem schönen Linththal [sic]. In Ziegelbrüke hiess es ausstigen[,] der Zug fahre nicht über Uznach, wider [sic] mehr als 1 Std. Aufenthalt u. endlich konnten wir wider [sic] einsteigen u. kamen mit ziemlicher Verspätung in Uznach an[,] wo der Toggenburger Zug schon auf uns wartete. Glüklicherweise war dieser schon dermahsen überfüllt[,] dass wihr 2. Cl. fahren konnten [damals gab es noch 3 Klassen in den Zügen], wie fuhr sichs da schön auf den weichen Polstern. Freund Menzer u. der Berichterstatter waren denn auch bald eingeschlafen, wä[h]rend Hans noch seinen Ruksak nach etwas essbarem [sic] durchstöberte u. sich an den Überbleibseln gütlich tat. Da wurden wir plötzlich Morpheus Armen entrissen, St.Gallen war erreicht.

Froh über die prächtig verlaufene Pfingsttour trennten wir uns u. 2 Tage der Freiheit waren vorüber.

Berg frei!

Teilnehmer: H. Weber, Menzer

der Berichterstatter: O. Schlegel.

Obwohl im Bericht immer wieder davon die Rede ist, dass einer der Teilnehmer fotografierte, finden sich keine Bilder der Tour, und auch Zeichnungen oder Skizzen der Berichterstatter, wie sie in anderen Schilderungen zu finden sind (vgl. z.B. Beiträge zum 2. Juli 1916 und vom 6. August 1916), gibt es keine. Das Beitragsbild ist dem zweiten Band der Tourenberichte der St.Galler Naturfreunde entnommen, man findet es dort auf der Titelseite.

Nächster Beitrag: 31. Mai 1917 (erscheint am 31. Mai 2017)

Quellen: Staatsarchiv St.Gallen, W 285/2.06.1-1 (Tourenbericht, der besseren Lesbarkeit wegen durch Absätze gegliedert) und W 285/2.06.2-1 (2. Band der Tourenberichte)

Berg frei

Pfingstsonntag, 27. Mai 1917 -Das St.Galler Bachstelzentrio (Teil 1)

Die St.Galler Naturfreunde begaben sich auf Pfingsttour. Der Autor des Tourenberichts, O. Schlegel (vgl. Unterschrift im Beitragsbild), pflegte eine eigenwillige Orthographie, weitgehend ohne Interpunktion. Er kannte offenbar das “ck” nicht, “Strasse” heisst “Strahse”, und “wir” schrieb er (fast) konsequent als “wihr”:

Tourenbericht 27./28. Mai 1917 Thalwilerhütte Klönthal

Ein prächtiger Pfingstsonntag-Morgen hatte uns aus den Federn gelokt, um die abgemachte Tour im Tubsthal [?] zur Thalwilerhütte anzutreten. Um 6 Uhr 50 dampfte unser Zug ab u. langte nach kurzer[,] aber schöner Fahrt mit einiger Verspätung um 8 ¼ Uhr in Uznach an. Hier luden wihr [sic] unser Kreuz in Form des schwerbepakten Ruksakes auf den Bukel u. schoben los. Vom Bahnhof gings Westlich [sic] ca 500 m der Bahnlinie entlang zum Bahnübergang, aber kaum über der Brücke gerieten wihr schon auf Abwege[,] aber unverdrossen gings in Südl. [sic] Richtung weiter durch hohes Riedgras einem Lebhang entlang. Nach ca 10 Min[.] gelangten wihr auf die Strahse [sic,] die nach Tuggen führt, kurz vor diesem Dorfe stand ein Mann auf einsamer Feldwache auf unsere Frage? ob er Durst habe[,] gab er keine Antwort[,] denn nun en[t]pup[p]te er sich als Vogelscheuche. 9 Uhr durchwanderten wihr das Dörfchen[,] um am Ausgang Desselben [,] die herrlich entwikelte Sumpfflora zu bewundern. In Schübelbach angelangt, wurde beschlossen[,] Siebnen rechts liegen zu lassen[,] um den Weg abzukürzen, etwaigen Nachfolgern möchte ich davon abraten, denn, dann wäre uns viel Mühe u. mehr als 1 Std Zeitverlust erspart geblieben[,] nun item wihr gingen weiter u. wären beinahe auf den Schübelbacher Friedhof geraten, wonach jedoch keinen von uns gelüstete[,] also zurück auf die Strahse eine kurze Streke verfolgten wihr dieselbe, dann kamen wir auf den richtigen Weg u. nun giengs bergan. Nachdem ca ½ Wegstunde zurükgelegt war, erinnerte uns Freund Weber daran, dass der Magen seit Samstag Abend keine schwere Arbeit me[h]r zu verrichten hatte. Ein Blik auf die Uhr zeigte schon 10 Uhr, ein schattiges Plätzchen nahm uns auf u. rasch wurde abgekocht[,] dann giengs weiter mit schöner Steigung. An einer Wegkreuzung wurde halt [sic] gemacht u. unser Photograph trat in Aktion[,] dabei konnte er erfahren, wie rasch der Mensch sinken kann[,] denn er stand rükwärtsschreitend plötzlich in einem tiefen Graben u. starrte uns verwundert an, indess [sic] wir laut auflachen mussten über die komische Situation[.] Da stieg er rasch aus dem Loch heraus, knipste ab u. pakte dann brummend zusammen[,] worauf wihr den Weg wieder unter die Füsse nahmen.

Am Eingang ins Wäggithal begrüsste uns als erster der grosse Anberg 1648 m, ca 1 Std gehts auf schöner Strahse vorwärts[,] dann folgt schlechter Fahrweg auf[,] auf welchem wihr uns im Gatter auf und zumachen üben können, denn bereits alle 100 m war ein solcher[,] obwohl noch kein Vieh weidete. So führte uns der Weg durch schönen Wald u. über saftige Weiden zum Trebsenbach in einsamer Waldschlucht. Ein Blik auf die Karte zeigte uns, dass das Ramseli [?] dicht an letztgenantem [sic] liege u. wihr beschlossen[,] das Bachbett als Führer zu nehmen. Mittlerweile war’s 2 ½ [?] Uhr geworden u. wihr hatten gerechnet[,] bis 3 Uhr in der Hütte zu sein, also gieng die Hüpferei von Stein zu Stein los zum Glück war wenig Wasser[,] sonst hätte sich die Sache schon schwieriger gestaltet, aber komisch müsste es auf einen Zuschauer gewirkt haben[,] wie das St.Galler Bachstelzentrio im Bach herumhüpfte, wihr sahen dabei allerdings auch manches schöne[,] was uns auf dem richtigen Weg entgangen wäre. Bald gings über mächtige Felsblöke[,] bald über stellen [sic,] die ein rasches vorwärtskommen [sic] unmöglichten [sic]. Endlich kamen wir nach 1 ½ Stdg. Kletterei auf den Weg[,] wonach in wenigen Min. die Hütte im Ramseli erreicht wurde.

Die Hütte ist sehr schön gelegen u. in gutem Zustand[,] nur schien Sie mir etwas zu klein für einen grössern Andrang[,] wie das heute auch der Fall war[.] Sie bietet für höchstens 25 Personen Unterkunft, allerdings steht in der Nähe auch noch ein Stall zur verfügung [sic]. Eine schöne Umgebung ladet zu Exkursionen ein, zum Beispiel: Bokmattisattel [Bockmattlipass] zum Bokmattli 1993 m oder Scheinberg [?] evt. auch Brünnelistock, oder auf den zerrissenen Köpfenstok 1893 m[,] ferner ein schöner Spaziergang im hint. Wäggithal.

Nachdem wir für unser leibliches Wohl gesorgt hatten[,] verewigten wir [sic!] uns im dortigen Hüttenbuch, bezahlten die Tagesgebühr 20 Rp. u. zogen weiter, da wir uns Hier nicht recht heimisch fühlten u. die Uhr erst die 6. Abendstunde anzeigte, beschlossen wir, den schönen Abend zum Aufstieg zu benützen u. mit ! Berg frei!; wurde von den Anwesenden Abschied genommen[,] dann führt uns der Weg ca 200 m den Felsenbach hinauf[,] um dann rechts abzubiegen, so schreiten wir einen Waldweg bergan (der übrigens sehr schlecht markiert ist) zu Punkt 1443 m. Von Hier windet sich der Weg in kurzen Serpentinen mit Starker [sic] Steigung zum Bokmattlisattel hinauf, dampfend langen wir oben an[,] da wird erst der Rok u die Zipfelmütze angezogen[,] denn Hier oben ziehts ordentlich[,] sind wir doch schon 1840 m hoch. Die Mühe des 2 Stdg. Auf- Aufstiegs [sic] wurde aber glänzend belohnt durch eine wunderschöne Aussicht. Vom fernen Säntisgebiet schweift unser Blik über das Zürcher-Oberland zu den Schwyzer-Glarner- u. St.Galleralpen, wie gebannt standen wir da u. konnten den Blik kaum abwenden von der scheidenden Sonne[,] welche die umliegenden Berge in allen Farben erscheinen liess.

Doch nun müssen wir uns sputen, sonst werden wir von der Nacht überrascht[,] ehe unser heutiges Ziel, die Ahornen Alp erreicht ist[,] wozu wir noch 435 m abzusteigen haben. Nach kurzer Anstrengung wird der höchste Punkt der Konnes [?] 1900 [m] erreicht[,] welchen wir dann in Nordöstlicher Richtung ca 300 m verfolgen, um dann den Abstieg über einen gefährlich steilen Rasenhang hinunter anzutreten, den Weg wähnten wihr ein Stük weiter unten zu sehen, die Dämmerung hatte uns aber schwer getäuscht[,] wie wir später sahen, dazu bekam es unser Photograph Menzer noch mit einem Schwindelanfall zu tun[,] wodurch das Tempo verlangsamt werden musste.

Ohne weitern Zwischenfall erreichten wir [sic] in Guloir [Couloir] auf Punkt 1681 m. Hans stieg als 1. hinunter[,] um zu sehen[,] ob sich unten keine Wand befinde, denn von oben konnte man nichts me[h]r sehen[,] da inzwischen die Nacht völlig hereingebrochen war, zum Glük kam gerade der Mond heraufgekrochen. Bald signalisierte Hans: nachkommen keine Wand da! Nun began eine höchst interessante Kletterei, Petrus muss wahrscheinlich gegrinst haben wie er uns zugeschaut hat u. uns für Mondsüchtig [sic] gehalten, glüklich gelangten wir ans untere Ende des Guloirs[,] wo sich noch Schnee vorfand[,] was von uns Mondscheinkraxlern freudig begrüsst wurde, denn nun konnten wir doch noch ein Stük abfahren[,] die Freude war jedoch nur solang wie das Schneefeld u. das war kurz, nun folgte flacheres Terrain u. bald war die Thalsole [sic] erreicht. Hier wurden die Laternen in Funktion gesetzt[,] um die Hütten der Ahornen Alp zu suchen[,] denn der Mond war wieder verschwunden hinter den Bergen. Bald stiessen wir auf die Hütten[,] die 1. zwei waren nicht verschlossen[,] dafür tönte uns der nicht gerade freundliche Ruf: besetzt; entgegen, nach verschiedenen weitern erfolglosen Versuchen[,] eine gute Unterkunft zu finden[,] gelangten wir zur letzten Hütte. In einem kleinen Anbäuli [Anbau] derselben befand sich noch etwas Heu[,] aber gerade noch soviel[,] dass man die härte [sic] des Bodens spüren konnte. Doch wir schikten uns ins Unfermeidliche [sic,] denn wir waren zu müde[,] um weiter zu gehen. Vom Bokmattli bis hinunter brauchten wir 3 Std[.,] was bei Tag 1 ½ Std in Anspruch nähme [sic]. Dank unsrer Müdigkeit schlieffen [sic] wir bald ein[,] nachdem wir es uns so bequem als es die Umstände zuliessen gemacht hatten. Nur unser Photograph war noch um sei[n]e Füsse besorgt[,] die er Mangels an Heu in den Ruksak stekte u. oben zuband[,] um dann sanft ins Land der Träume hinüber zu schlummern.

Nächster Beitrag: 28. Mai 1917 (erscheint am 28. Mai 2017)

Quellen: Staatsarchiv St.Gallen, W 285/2.06.1-1 (Tourenbericht)

SAC Briefkopf

Donnerstag, 1. Februar 1917 – Reklamationen wegen Champagner-Stübli

Im Vorstandsprotokoll des SAC St.Gallen steht zu lesen:

Über den am 1. Febr. 1917 in der Tonhalle stattgehalten[en] [sic] sind uns von verschiedenen Seiten Klagen eingegangen; erstens wegen der Aufstellung von nicht bestelltem Tischwein; zweitens war der Saal zu wenig geheizt & drittens missfiel speziell die Errichtung einer Champagnerlaube mit dito-Damen. Herr Brand erläutert seine mit dem Tonhalle-Wirt getroffenen Abmachungen; aus denen geht hervor, dass wegen des Tischweines die Abmachung bestand, je eine halbe Flasche pro Couvert [pro Gedeck] aufzustellen, wobei aber nicht gemeint war, dass die Restauration die Weine vorher nach der Karte auswählen lasse, um dann ausserdem noch Tischwein mit Extraberechnung aufstellen zu sollen. Wegen des Champagner-Stüblis hat Herr Brand nichts abgemacht. Ferner sind in der Rechnung des Restaurateurs einige Punkte, die Anstoss erregen. Er errechnet 168 Bankette,während unsere Kontrolle 157 angibt. Die Rechnung ist aber schon bezahlt & es lässt sich daher nichts anderes mehr machen. Nach ausgiebiger Erörterung beschliesst man, in einem Brief dem Tonhalle-Restaurateur unsern Standpunkt klar zu legen; er habe uns überfordert [sic] & wir überlassen es ihm, die Sache so weit als möglich zu verbessern.

Der Familienabend wurde im Tagblatt inseriert. Aus der Anzeige ist ersichtlich, welches Programm geboten wurde:

Familienabend SAC

Nächster Beitrag: 4. Februar 1917 (erscheint am 4. Februar 2017)

Quellen: Staatsarchiv St.Gallen, Wy 023 (Protokoll des Vorstands vom 14.02.1917) und P 909 (St.Galler Tagblatt, 29.01.1917, Abendblatt)

Sonntag, 13. August 1916 – Gastfreundschaft im Säntis-Observatorium

Dr. Henry von Sury verdankt die Gastfreundschaft im Säntis-Observatorium:

Hier Oben [sic], im Observatorium, dem

Kleinen Felsennest, fand ich schon 2 mal

bei Sturm u. Nebel so liebevolle

Aufnahme u. gute Verpflegung, dass

mir dies[es] Haus für immer als Säntis[-]

„Sanatorium“ in Erinnerung bleiben

wird. Wie angenehm verging im

kleinen Stübchen die Zeit! Den lieben

Gastgebern Herrn u. Frau Bommer meinen

herzlichsten Dank.

5. Januar u. 13/14 August 1916

Dr. Henry v. Sury

Das Observatorium auf dem Säntisgipfel war 1887 errichtet worden.

Quelle: Staatsarchiv St.Gallen, Wy 023 (Text von 1916 und Foto mit eingezeichneten Bergsteigern von 1918 aus dem sogenannten Fremdenbuch für das Observatorium Säntis)

Sonntag, 6. August 1916 – Ein Loch im Hosenboden, aber Edelweiss von der Kraialp

Tourenbericht 5./6. August 1916. Wildhauser Schafberg.

Teilnehmer: Tourenchef Herr O. Schweizer, Herren Mantel, Haab, Felber, Velly[,] Siebert.

Heute ist Wandertag, // Heut sind wir frei. // Wir hab’n uns sechs Tag geplagt  // Nun ist’s vorbei. // Drum woll’n wir wandern heut // Über Tal und Höhn // Dass sich das Herz erfreut // An den Bergeshöhn!

Durch die abendliche Dämmerung führte uns der Zug Haag-Gams zu. Wir sind glücklich wie die Kinder, gilt es doch dem Wildhauser Schafberg aufs Haupt zu steigen und dazu das schöne Wetter. Nach einer Rast[,] wo wir uns stärkten, gings unter Stern’übersätem Himmel nach Wildhaus. Ach wie tat uns diese abendliche Kühle so wohl! Bevor wir die staubige Landstrasse verliessen[,] machten wir einen kurzen Halt. Dann gings durch ein stockfinsteres Tobel, über Stock und Stein, wo es manche unfreiwillige Niederlassung gab.

Wer liegt dort an dem Boden, so lang wie er gebor’n. // Ich glaub es ist Freund Max’l den haben wir verlor’n. // Die Beine nach dem Himmel streckt er voll Seelenruh‘ // Und einige kräftige Flüche, die singt er sich dazu. // Ich bin doch nicht besoffen, will auch kein Flieger sein, // Dass ich mit solcher Grazie flieg in dies Loch hinein. // Doch halt, ich will nicht schimpfen und will zufrieden sein, // Denn jetzt fällt mir gerade ein schönes Sprichwort ein: // „Wenn Herz und Aug‘ sich laben, // Muss der Hintere auch was haben.“

Auch unsere Kollegin hat sich wollen das Laufen versüssen, // Und fing an aus Versehen den Boden zu küssen. // Sie glaubte wohl einen Jüngling in den Armen zu haben, // Doch ach, die Knie[,] die mussten die Sühne tragen. // Verschiedene Stückchen Haut sind dabei ab Handen gekommen, // Doch hat’s ihr den Humor deshalb noch nicht genommen.

Von der Teselalp ging es auf gut angelegtem Weg nach dem Schafboden, wo wir den Tag abwarteten. Trotz der frühen Morgenstunde wurden wir vom Senn freundlich aufgenommen und zum Bleiben aufgefordert, was wir gerne annahmen, denn zum draussen sitzen war es empfindlich kühl. Nun gings ans Kochen.

Da gabs verschiedenes[:] Suppe und Thee [sic], // Milch auch und Cacao wie im Wiener-Cafe // Der Senn unterm Dach da ob’n schaut voll Sehnsucht herab // Was doch so ein Stadtmagen nicht alles verdauen mag. // Er raucht sich ne Pfeife an und denkt sich dann still // Hier Magen hast auch was, was ein Stadtmagen nicht will.

Noch ehe das Morgenessen recht vertilgt, welchem wir tüchtig zusprachen, fing es an zu dämmern und wir rüsteten uns zum Aufbruch, was freilich etwas mühsam ging, denn der Schlaf zeigte sich, doch der verflog bald wieder. War das ein Erstehe [sic]; um uns tiefe Stille nur hie und da unterbrochen von dem friedlichen Geläute der Herdenglocken und über uns diesen wolkenlos blauen Himmel. Wir sind noch keine Stunde gestiegen als die Sonne die weissen Häupter der Bergriesen rosa färbte; wir konnten uns kaum trennen von diesen [sic] Bilde. Zuerst gings über Matten, die mit Felsbordchen [-bördchen] abwechselten, bis wir zu Schnee kamen. Jetzt heisst’s aufpassen, denn er ist hart gefroren. Anfangs gings ganz gut, bis wir zum obersten grossen Schneefeld kamen.

Hier glitschte nun Freund Felber mit einem Fusse aus, // Und rutschte immer weiter, ich glaub, er rutscht nach Haus. // Und unten angekommen oh Graus, oh welcher Schreck, // Es riss ihm aus Versehen, den Hosenboden weg. // Als er sich dann betastet die Hose zwanzigmal // Sagt er dann ganz bedächtig „es ischt bim eid“ [Es ist beim Eid] fatal // So komm jetzt Freu[n]der’l wir haben keine Zeit // Wenn dich auch die Sonne heut von der andern Seit‘ bescheint. // Er denkt sich dann im Stillen als er so vorwärts geht // S’ist hässlich eingerichtet, dass bei den Rosen gleich die Dorne steht.

Da die Schneeverhältnisse ungünstig waren, konnten wir den Weg durchs Kamin nicht benützen, dafür aber gings in schöner Kletterei auf den Gipfel wo wir um ½8 heur [sic] landeten. War das eine Pracht, der ganze Alpstein lag vor uns, doch wir wandten uns schnell den überzuckerten Bergriesen zu. Von den Österreichischen bis weit in die Berneralpen lag jeder Gipfel in solcher Klarheit vor uns wie man sie selten zu sehen bekommt.

O Höhenluft O Gipfelzauber wie seid ihr eng vereint. // Wenn Euch in früher Morgenstund die Sonnen‘ so schön bescheint // Dann jauchzt das Herz voll selger Wonne // Erwärmet von der Morgensonne!

Dort hinauf ins Reich der 4 Tausender ist unser sehnsüchtiges Verlangen. Wir konnten uns kaum trennen von diesem Bilde. Doch der Magen ruft, und will auch zu seinem Rechte kommen.

Wurst, Käse, Butterbrot und Musik dazu // Eine Cigarette noch und dann ein bis[s]chen Ruh! // So Freund Felber nun heran, Ruft unser kleines Bäschen. // Jetzt fangen wir zu flicken an // An deinen Sonntagshöschen! // Bedächtig legt er sich dann hin, wie wenn er sich genierte // Mit Schere, Nadel und mit Zwirn // Üsers Bäsli operierte.

Gruppe 

Dritte von rechts ist vermutlich Nelly Siebert, das „Bäschen“ oder „Bäsli“ im Bericht, welches dem Kameraden die Hose flickte und möglicherweise die Illustrationen (s. unten und im Titel) im Tourenbuch zeichnete. Dass sie für die Wandertouren praktische Hosen trug, war zur damaligen Zeit sehr aussergewöhnlich. Wenn sich Frauen überhaupt auf solche Unternehmungen einliessen, trugen sie in aller Regel Röcke. (Foto: O. Schweizer)

Lieber Felber nimm dich in acht, // Sonst deine Haut mit der Nadel Bekanntschaft macht. // Mit weiss und schwarzem Faden ist nun die Hose geflickt // Mit einem schweren Seufzer er sich bedächtig bückt. // Jetz[t] kann ich wieder klettern in aller Seelenruh, // In meinen Sonntagshosen ist das Loch jetzt wieder zu.

Nuns gabs noch eine photographische Aufnahme von unserm Freunde Schweizer. Das waren schöne schnellzerfliessende Stunden, die Gipfelrast auf dem Schafberg, so allein, wo es auf dem Säntis und Altmann von Menschen wimmelte wie auf einem Ameisenhaufen. Nur zu schnell mahnte unser Führer zum Aufbruch, wollten wir doch noch nach der Krajalp um nach Edelweiss zu sehen es fiel zwar etwas mager aus, doch es bleibt immer ein Andenken an die unvergessliche Tour. Nach dem die Blumen verpackt gings im Schnellschritt nach der Teselalp wo wir zu Mittag assen.

Im Essen ist Freund Mantel, // der beste Hochtourist, // Auf seiner Mittagstafel, man stehts [sic] was Feines isst. // Braten, Nudeln, Suppe, alles gibt es da, // Zuletzt noch kalte Erdbeer’n, der hat Geschmack, ja, ja. // Au üsers Bäsli hät säb g’merkt, si macht si i sini Nöchi // „I bi bim Klettere din Gschpane gsi, Drum will en au bim Esse si.“

Vor lauter Essen ist Freund Mantel ich glaub im Hirn defekt // Weil er in seiner Aufregung, die Uhr in Brunnen steckt. // Da gabs ein Schimpfen und ein Schelten, obwohl er selber schuld // Die Uhr ihm jetzt die Sonne trocknet, sie zeigt ihm seine Huld.

Nach 1½ stündiger Rast gings den gleichen Weg zurück nach Wildhaus und Haag-Gams.

Dass Haab ganz gerne Tango tanzt, das habe ich gewusst // Dass er es auch auf Eiern kann, das war mir unbewusst. // Er tänzelte die Landstrass‘ hin, als wie ein zahmer Hahn, // Doch ach, auch unser Felber fing, gar bald zu tanzen an. // Auch Mantel hat an einem Bein, ‘ne Blase ziemlich gross, // Doch s’Eiertanzen hat bim aid [beim Eid] er doch no lang nit los!

Karl Mantel                                                                                    Nelly Siebert.

Berg frei!

Quellen: Staatsarchiv St.Gallen, W 285/2.06.1-1 (Touristenverein Naturfreunde St.Gallen (TNV), Sektion St.Gallen, Tourenbericht) und W 285/2.06.1-2 (Gruppenbild)

Sonntag, 2. Juli 1916 – Umwelt-schutz? Naturfreunde vergraben Konservendosen und füttern Fische im See mit Nudeln

„Berg frei“ ist der traditionelle Gruss der Naturfreunde, die ihre Wurzeln in der Arbeiterbewegung haben. Im Gegensatz dazu steht „Berg heil“ der bürgerlich orientierten Alpenvereine. 1912 entstand am Säntis die erste Naturfreundehütte der Schweiz.

Tourenbericht vom 2. Juli 1916. „Säntis-Altmann“.

I. Grau der Himmel schon seit Wochen, Sonne kennt man fast nicht mehr, // Ständig kommen angekrochen, düstre Wolken regenschwer. // Ein’ge wetterfeste Knaben, trotzdem sich entschlossen haben, // Die Berge zu ersteigen, um Petrus mal zu zeigen; // Dass er trotz Regen und Hagelschauern, // Uns nicht die Laune kann versauern.

II. Per Dampfross sie nach Urnäsch ziehn, // Im Abendglanz die Berg‘ erglühn. // Und Kessler voran, macht Riesenschritte, // Am Rossfall vorbei, jetzt hat man die Mitte // Von Urnäsch bis Krätzerli erreicht, // Wie wird uns das Herze so leicht.

III. Im Krätzerli gabs feinen Fladen, // Auch Milch und Wein kann man da haben, // Nachdem wir den Magen Tribut gebracht, // Haben vom Himmel die Sterne gelacht.

IV. Und weiter zieht es uns mächtig, auf Schwägalp, wie prächtig, V/ om Säntis treu bewacht, in milder Sternennacht, // Fanden wir unsere Hütte wieder, // Wo wir geruht die müden Glieder.

V. Früh morgens eh die Hähne krähn, // Und alles noch in süsser Ruh, // Giebts kein lang Besinnen mehr, // Freund Schweizer ruft uns zu, // Auf auf Kamerade, heraus aus dem Heu, // Das Frühstück verzehrt, den Rucksack herbei, // Und schon in kurzer Zeit, war alles marschbereit. // Er zählt die Häupter seiner Lieben, // Und sie[he], statt sechse warens sieben.

VI. D’rauf ganz bedächtig, im Morgenrot prächtig, // Geht es bergan, zur „Tierwies“ dann. // Dort gabs einen Schnaps, und weiter gabs, // Zu bewundern die herrliche Alpenwelt, // Ein armer Tropf dem das nicht gefällt.

VII. Der Säntis-Gipfel war bald erklommen, // Von der Sonne soeben wach geküsst. // Die Aussicht war herrlich u. wenig verschwommen, // Ihr stolzen Berge seid uns gegrüsst.

VIII. Was kann man doch alles hier oben erleben, D// a sahen wir ein Dämchen soeben, // Mit Lackstiefelchen angetan ganz fein, // Für ein Schuhgeschäft Reclame laufen, // Mögt alle ihr eure Bergschuh dort kaufen.

IX. An stolze Felswand, am Liesengrad [Lisengrat], // Ein Plätzchen wir fanden, das gefallen uns hat, // Und aus des Rucksacks tiefsten Gründen, // Kamen die schönsten Sachen ans Licht, // Um gleich im Magen zu verschwinden, // Dem Wettergott gefiel das nicht. // ER gab uns seinen Morgensegen // Vom Weg mit auf den Liesengrad, // Aus Himmels-Schläusen [sic] strömt der Regen, // Uns wenig, das genieren tat.

X. Über Fels und Stein, // Immer hoch das Bein, // Sind wir geklettert. // In kühnem Schwung den Schnee hinab, // Und immer weiter, bergauf, bergab.

XI. Sei uns gegrüsst, stolzer Altmann, // Auch Du musst heute noch glauben dran, // „Es wird uns schon gelingen, // Auch Dich noch zu bezwingen. // Von der Stirne heiss, rinnen muss der Schweiss, // Soll das Werk den Meister loben; // In kurzer Zeit schon sind wir oben.

XII. Der Himmel hat sich aufgehellt, // Ringsum, so schön, mit Worten nicht zu sagen, // Erstrahlen Firn u. Gletscherwelt, // Bis wo die Gipfel in den Himmel ragen. // Ja, die Natur so göttlich schön, // So einzig wahr und rein. // Warum kann denn die Menschheit nicht // In Frieden einig sein?

XIII. Der Säntis zieht inzwischen, die Nebelhaube an, // Nun heisst es abwärts wieder, hübsch langsam, Mann für Mann. // Am Ostgrad [Ostgrat] vorbei, im Schaffhauser Kamin, // Über Schründe u. Spalten mit frohem Sinn. // Freund Minder hat sich ein Liedchen gepfiffen, // Vor lauter Freude, wir haben’s begriffen. // Zu Tal manch helle Jodler schallen, // Die von den Bergen wiederhallen.

XIV. Am End‘ vom Kamin, im Schnee ein Rutsch, // Auf einmal war Freund Pickert futsch. // Mit Beinen und Armen, dass Gott erbarmen // Fährt er in der Luft herum, Ach das war auch gar zu dumm. // Vom Kessler die Hose aus gutem Loden, hat schwer gelitten an ihrem Boden, // Darauf folgt Minder im lockigen Haar, die Schneebrillen raus, sonst lauft ihr Gefahr.

XV. Wer wagt es, Rittersmann oder Knapp // Zu rutschen das lange Schneefeld hinab? // Schweizer als erster saust schon hinunter, // Und wieder folgt einer frisch und munter, // Bis alle wir unten gelandet sind // Auch Masel die Sprache wiederfindt. // „Schneidig“ sagt er „watt?“ // „Donnerwetter abjerutscht“ // Minder darob lacht und hat // Sich die Brille abgeputzt.

Bergwanderer

Die Gruppe nach der Rutschpartie am unteren Ende des sogenannten Schaffhauser Kamins (Foto im Tourenbuch).

XVI. Am Fählensee in friedlichem Vereine, Männlein u. Weiblein, Arme u. Beine // Von sich gestreckt in süsser Ruh, // Und vom Himmel die Sonne lacht dazu. // Gengis [?] nebst Damen, im schönen Rahmen // Begrüssten wir da, so wunderbar. // „Berg frei“ erschallt es aus aller Munde, // Miteinander verbrachte man eine Stunde. // Die Loreley macht Toilett, als käm sie grad erst aus dem Bett, // Sie wäscht sich mit dem Kamme, u. kämmt sich mit dem Schwamme, // Und Max singt ein Lied dabei, von wunderbarer Melodei.

XVII. Darauf sind sie hinweg marschiert, u. haben uns unten avisiert, // Im Weissbad treffen wir uns wieder, inzwischen lebt wohl Touristenbrüder // Wir aber sind noch liegen geblieben, und haben uns dazu entschieden // Noch einmal abzukochen zünftig, ich glaube das war sehr vernünftig. // Da hört man es brodeln, bei Minder giebts [sic] Nudeln, // Zwar versalzen sie sind, aber dafür nicht lind. // Max trinkt, ach herje, „Halleluja-Tee“ // Und Pickert behauptet steif u. fest, Hafersuppe sei das Best. // Was steht bei Schweizer auf dem Küchenzettel heut? // Darüber schweigt des Sängers Höflichkeit, // Und Kessler meint, weil die Sonne scheint, // Braucht keinen Sprit man zu verbrennen, // Ich will ein praktisches Mittel euch nennen. // Mit dem Bauch in die Sonne legt er sich drauf, // Und wärmt sich das Morgenessen auf.

XVIII. Dann nach beendigtem Schmause haben, // Wir leere Conservenbüchsen vergraben. // Mit den Nudeln die Fische im See wir beglücken, // Mögen sie sich daran erquicken. // Dankbaren Herzens haben wir dann, ein Opferfeuer gezündet an, // Und schafften somit zu gleicher Zeit, // Alle Papierresten auf die Seit. // Schnell noch dem Kessler die Hose geflickt, // Nachher haben auch wir uns gedrückt. // Sind dann den Stiefel hinab getrollt, // Die Beine haben nicht recht mehr gewollt. // Auf einmal sah man, es war zum lachen [sic], // Freund Willy `nen schwungvollen Salto machen. // Die Feldflasch in schönem Bogen, ist zu Tal geflogen. // Max hat sie schnell noch aufgefangen // Und somit war alles gut gegangen; // Denn die Fische umfing mit ihrer Hülle // Kühlen See in grosser Fülle, // Der soll uns noch laben, wenn Durst wir haben; // Denn der Weg bis ins Weissbad ist noch lang, // Da lernt man schätzen solch edlen Trank.

XIX. Auf Platten, am Weg, steht ein Häuschen gebaut, // Von schattigen Bäumen gar lieblich belaubt. // Da tät’s uns gefallen, da zieht es uns hin, // Doch fort muss der Wandrer, muss heimwärts ziehn.

XX. Im Restaurant zum Weissbad, da kehrten durstig ein, // Die fröhlichen Gesellen, und fanden bei Saft und Wein // Die Staubern-Kraxler wieder, drum liessen sie sich nieder, // Verzehrten, was Gutes die Wirtin bot, // Saft, Bier und Wein, auch Wurst und Brot.

XXI. Bis Appenzell das kurze Stück, // Legt man noch recht gemütlich zurück, // Mit fröhlichem Gesang, und Schnörregiege [Mundharmonika] Klang. // Zum Schluss noch ein schönes Regenbad // Uns sauber abgewaschen hat.

XXII. Leider müssen wir heimwärts gehen, // Ihr Berge lebt wohl, auf Wiedersehn, // Mit Dankbarkeit im Herzen, und Frieden in der Brust, // Was die Natur uns bot, wir sind es uns bewusst. // Am Himmel zucken Blitze, und ferner Donner kracht, // Ade ihr Berggenossen, für heute

„Gute Nacht“

W. Pickert[,] 2. Juli 1916.

Quellen: Staatsarchiv St.Gallen, W 285/2.06.1-1 (Touristenverein Naturfreunde St.Gallen (TNV), Sektion St.Gallen, Tourenbericht) und W 285/2.06.1-2 (Bilder)

Sonntag, 7. Mai 1916 – Damentour auf den Kaien, beobachtet von der Obertschuggerei Rehetobel unter Leitung von deren Polizeioberjehu

Tourenberichte wurden jeweils an den Clubabenden vorgelesen. Die Berichterstatter gaben sich deshalb Mühe, keine trockene Schilderung der Ereignisse abzuliefern. Die Rapporte enthielten häufig auch spezifische Hinweise, die nur Insidern oder Dabeigewesenen erklärlich waren.

Die im Bericht erwähnten „Tageszeitungen“ sind frei erfunden.

Der SAC war bis zum Zusammenschluss mit dem 1918 gegründeten Schweizerischen Frauenalpenclub eine reine Männervereinigung. Für Ehefrauen und Kinder führte der SAC St.Gallen aber ab und zu sogenannte Damentouren durch.

Tourenbericht von der Damentour, 7. Mai 1916.

Obschon das Wetter während längerer Zeit unsicher und trübe gewesen war, kamen am 7. Mai doch eine stattliche Anzahl Mittglieder [sic] der Sektion St.Gallen S.A.C. überein[,] die diesjährige Damentour zu veranstalten. So kam es, dass männiglich mit Kind und Kegel angeschwirrt kam, zum frohen Gang auf den Kaien. Da der Küchentrain, notabene ohne Langohren, aber doch mit genügend faulen Vertretern der Klasse[,] die man im gewöhnlichen Leben oft ganz fälschlicherweise als Esel taxiert. – Da diese fliegende Kolonne also schon mit schönem Vorsprung unterwegs war, konnte es unserm Untersuchungsrichter niemand übel nehmen, dass er in beständiger Sorge schwebte, die Köche könnten beim Probieren etwas zu tief in den Topf langen.

Aus manchen Zeitungen haben wir Ausschnitte genommen, die wir hier wiedergeben, da sie treffend den ZU- [sic] und Hergang dieser denkwürdigen Tour wiedergeben. —

St.Galler Morgenblatt:

Sonntag[,] den 7. Mai, 9h.M. – Heute morgen wurden die Bürger unserer Stadt durch ein grässliches Getrampel aus dem Schlaf geweckt. Ein paar waghalsige Strassenkehrer, unter Mithülfe [sic] einiger Betrunkener habe die Kühnheit gehabt, den schrecklichen Aufzug aus nächster Nähe zu betrachten. Sie berichten alle übereinstimmend von vielen grossen Männern, die um eine rote Fahne geschart waren und mit grob genagelten Füssen in sonderbarem Takt durchs Städtlein zogen. Anarchistische Umtriebe hegten sie ganz sicher, denn jefer [jeder] trug eine schwere Bombe auf dem Rücken. Was sie vorhatten[,] vermochten unsere Gewährsmänner nicht zu ermitteln, denn sie suchten sich bei der Polizei in Sicherheit zu bringen, und diese erklärte jede Verfolgung als aussichtslos, da sie nur gegen harmloses Gesindel ausziehe und nicht gegen anarchistische Dunkelmänner. —

Krontaleranzeiger, 3. Blatt.

Sonntag, den 7. Mai, 1916, 10h.M. – Eine sonderbare Gesellschaft versammelte sich heute morgen in der Hauptstrasse unserer Stadt. Es waren lauter struppige Männer[,] deren jeder irgend ein Anhängsel mitschleppte. Einer brachte im Rucksack eine dürre Salami[,] wieder einer führte an der Hand seine noch dünnere Ehehälfte. Da wog einer prüfend seinen Hackenstock [sic] in der nervigen Faust, hier stopfte ein zweiter andachtsvoll seine Riesenpfeife und ein dritter gar zerrte beiderseits einige kleinere Kinder nach sich. Um halb 9.h. waren schon ca. 30-40 Männlein und Weiblein beisammen, und kurze Zeit später setzte sich der Haufe in Bewegung Richtung Rehetobel.

Rehtobelcourier [sic], 5. Abendblatt.

Rehtobel, den 7. Mai 1916. — Der Förster von Rehtobel bemerkte heute eine rote Fahne auf dem Kai[e]n. Da ging er hinauf und sah ein eigentümliches Bild. Eine grössere Gesellschaft war offenbar von heisshungerigen Gelüsten befallen worden, denn es brodelte gar lieblich in den Kesseln[,] und die ohnehin schon viel zu kleinen Wurstzipfel verschmorrten [sic] unter den Händen der Köche zu unansehnlichen Stumpen. Aber es wurde dennoch tapfer eingehauen.

Der Kellner, ein kleiner dicker Pfiffikus, war rastlos tätig. Der hüpfte von einem zum andern[,] und der Förster behauptet[,] man hätte ihn oft gesehen[,] wie er auf dem Bauche rollend vom Kessel zur durstigen Frau Nägeli hingeglitten wäre.

Eine richtiggehende Landsgemeinde, mit reger Beteiligung wählte zum Vergnügungsleiter den rundlichen Fettklumpen mit der Feuerwehrbinde am Bauch. Ein alter Lästerer behauptete zwar, dass ein alter Nabelbruch die Binde erfordert hätte.

Auf Ersuchen der Polizei der Stadt ordnete die Obertschuggerei von Rehtobel die Ueberwachung der eigenartigen Gesellschaft. Der Schuster in seiner Eigenschaft als Polizeioberjehu ging sogleich mit drei Detektiven ab. Sie hatten sich mit Musikinstrumenten ausgerüstet[,] um zugleich durch Tanzmusik eine bescheidene Entschädigung zu verdienen. Leider vermochten die Herren aber nicht anzukommen, da schon eine Mundharmonika und einige beneidenswert gute Lungen pfiffen.

Die Gesellschaft übte fleissig das klassische Tauziehen[,] und ein schwarzer Tschinggenkopf soll dabei geplatzt sein. Auch Tanz und Scherz schien der Gesellschaft gut zu liegen, wenigstens lag bald alles in rührender Eintracht im Gras[,] und ein paar besonders Verwegene versuchten sich im Schnarchen.

Da der Absatz des Gesellschaftstiegers [sic] nun hielt[,] tanzte dieser schnell einen amerikanischen Soloschauertanz[,] ehe ihn der Schuster verhaftete. Aber die Polizei musste abziehen, denn gegen einen Untersuchungsrichter vermag selbst der Gewaltige Rehtobler polizeichef [sic] nicht aufzukommen.

Dann ging die ganze Bande weg samt Geschirr. Die Verfolgung durch die Polizei war erfolglos, da die Musikinstrumente hinderlich waren. —

Der Bote von Trogen.

Trogen, 8. IIIII.1916. — Die gestern von überal[l] her gemeldete Zigeunerbande ist gestern Abend auch hier durchgekommen. Aus dem Kastenloch herausstolpernd, überfiehlen [sic] sie eine Wir[t]schaft und beschlagnahmten den ganzen ersten Stock. Bis spät hörte man das Singen und Schreien der Bande[,] so dass der Nachtwächter nicht schlaffen [sic] konnte. —-

So die Presse. Die Nachrichten der Zeitungsmenschen sind so zuverlässig, dass wir von weiteren Schilderungen absehen wollen.

Für konforme Abschrift

W. H. Geheber [?]

S.A.C.

Verpflegung auf der Damentour

Quellen: Staatsarchiv St.Gallen, Wy 023 (SAC St.Gallen: Tourenberichte, Text und Bilder aus Album Sektionstouren im Bilde, ca. 1863-1930)

Sonntag, 2. April 1916 – Schnee-ballkrieg und Hüttenwitze: Der SAC auf Clubtour

Das wunderbare klare und sonnige Wetter der letzten Märztage zog die meisten Skifreunde nochmals hinauf in die Schneegefilde, um dem scheidenden Winter den Abschiedsgruss zu bringen. Vielen Dank darf der strenge Herr dieses Jahr von uns nicht erwarten, für sein launisches Wesen u. […] […], aber ein gutes Ende nimmt allen Groll hinweg.

So fanden sich für die beschlossene Clubtour am Samstag abend 7 S.A.Cler und ein Gast im Zug 5.17 auf der Fahrt nach Buchs ein, trotzdem im Laufe des Tages der so hochgepriesene Pizol schon ein gutes Dutzend Clubfreunde weggelacht hat. Die schon so oft befahrene Strecke durch das Rheintal bot uns heute ein schönes Bild, der Frühling ist hier schon eingezogen, die Matten haben ihr Winterkleid abgestreift[,] und auf dem jungen saftigen Grün tummelt sich schon Jungvieh, während die Schneedecke vielerorts noch bis zur Talsohle reicht.

Gleich nach Ankunft um 8 Uhr in Buchs gings nach Einkauf einiger Notwendigkeiten für Bretter u. Magen, den bekannten Buchserberg hinauf. Der leichte Aufstieg auf der breiten und gutunterhaltenen Strasse, welche durch den hochgewachsenen Buchenwald mit wenig Steigung schlängelnd sich hinaufzieht, macht unsere Last von Sack und Hölzer[n, Skis] auf dem Rücken erträglich. Es ist eine Lust[,] in der lauen Vorfrühlingsnacht mit den [sic] funkelnden Sternenhimmel zu wandeln und zu atmen, um allen [sic] Werktagssorgen los zu werden.

Scharfe Augen nehmen schon erste Schneespuren gewahr, wenn auch nur einzelne Flecken an schattigen Halden, so rücken wir doch langsam den heutigen Ziele, dem vorbestellten Nachtquartier zu. Nach zweistündigem Marsche stehen wir um 10 Uhr vor dem hell beleuchtetem [sic] Sommerfrische Waldrand, ein kleines Oberländerhaus östlich vom Kurhaus gelegen. Der Besitzer[,] unser Gastwirt[,] ist über unsere Ankunft nicht wenig erstaunt, da er angeblich durch ein Missverständniss [sic] glaubte, wir treffen heute nicht mehr ein, sind auch alle Vorbereitungen[,] die zu unserem leiblichen Wohl hätten gemacht werden sollen[,] unterblieben. Zum grössten Bedauern Aller musste nun der Heisshunger vom Vorrat aus dem Rucksack gestillt werden, da ausser Brot und einigen Käseresten unser Gastgeber nur noch Thee [sic] u. Alkoholfreie Getränke auffinden konnte.

Gemütlich wurde es im warmen Stübli doch, wenn auch der gute Wein, der vermutlich vom Wirt heimlich[,] wie einer unserer Vertrauten meinte[,] [unlesbar] gehalten wird, unser[e] Kehlen nicht benetzen durfte, wurde ein Liedchen ums andere gesungen und die allerneusten Hüttenwitze vom Stapel gelassen. Erst gegen 12 Uhr brach man allmählich zum aufsuchen [sic] des Nachtlagers auf. Die Betten fanden allgemein Gefallen, nur das Meinige hatte einen Kapitalfehler, das ich allerdings als letzter in Besitz nahm.

Seine Maximalnutzlänge betrug 1735, während meine Grösse im Dienstbüchlein mit 181m eingetragen steht. Aus der misslichen Situation half mir mein kürzerer Schlaf- und Sangesbruder. Habe nochmals besten Dank, Du hast mich vor den schrecklichsten Träumen bewahrt.

Ein sonnenstrahlender Morgen begrüsste um 6 Uhr das Doppelquartett zur Tagwache. Alle frohen Mutes ziehen wir, vorerst die Hölzer noch auf dem Rücken, da die letzten sonnigen Tage den Schnee schon weit hinauf vertrieben haben[,] den Waldweg hinaus, bis zum Waldrand. Erst auf 1200m werden die Ski auf steinhartem Schnee angeschnallt, die winterliche Bekleidung bei der schon am morgen früh herrschenden Wärme entledigt und im Bummeltempo geht’s ohne die kleinsten Skispuren zu hinterlassen, über die ausgedehnten Alpen von Untersäss bis zu den obersten Hütten der Malbunalp. Bei kurzer Rast mit Schneeballkrieg daselbst, geniessen wir den werdenden Tag. Der schöne Ausguck über die Waldwipfel in’s Tal hinunter, das verklärte Visavis, das Massiv der drei Schwestern in frischem Morgenglanze fesselt alle. Um die Fernsicht noch besser zu geniessen[,] traversieren wir noch einige Halden. Höher u. höher steigen die einzelnen Gruppen. Gegen 10 Uhr lagern alle im Kreise auf dem ausgesuchten Sattelpunkt Sisitzgrat [Sisizgrat] am Fusse vom Margelkopf u. Glanaköpfe [Glannachopf]. Ein guter Znüni stärkt uns auf den letzten Teil des Aufstiegs. Wir haben unser Ziel[,] den zuckerigen blendend weissen Kegel, die Rosswies mit dem ganzen Aufgangstrace direkt vor Augen und manchem, dem das wunderbare Znüniplätzli allzugut gefallen wollte, musste zur Einsicht kommen, dort oben ist es noch schöner. Im Hui hangen schon 7 Mann an verharschter Halde[,] und im vorsichtigen Tempo wird die kurze Abfahrt genommen. Ein Teilnehmer zieht es vor[,] als Wache vom Siestaplätzli zurückzubleiben, auf letzterem auch wir Säcke und überflüssige Kleider abgelegt hatten. Nach 5/4stündigem Aufstieg in geschlossener Gruppe, gelangen wir in kleinen Serpentinen auf Rosswiesgipfel 2335m 12½ Uhr an; Ueberrascht [sic] von der aussergewöhnlichen Rundsicht.

Immer u. immer wird man vom erhabenen Gefühl überwältigt, am hohen Ziel scheinbar alles zu seinen Füssen zu haben, um die Königin des Welttalls [sic] über sich auf das bare Haupt strahlen zu lassen.

Keine Worte sind beim ersten Anblick zu finden, drum geniesst jeder für sich mit erhobenem Herzen allein. Allmählich wird orientiert, die nächste Umgebung genau betrachtet, nach Osten den verwitterten Faulfirst mit seinen scharfen Schattenkantenen [sic] in den Schneemulden, nach Südosten ziehen die verzackten Gräte mit den Gärtliköpfen, hinter diesem, die höchste Spitze der umliegenden Gipfel der Alvier, welcher heute auch Sonntagsbesuch hat. Hinter diesen Kulissen die herrlichen, unzähligen Spitzen mit den bekannten Massiven der Bünder u. Vorarlberge. Nach Süden ein senkrechter Absturz von beinah 600 m auf die schön gebettete Sen[n]isalp, drüben über dem Seeztal das günstige Skigebiet von Flumserberg u. Spitzmeilengebiet. Links davon der vielbesuchte Pizol, wo unsere Clubfreunde auch all das Schöne geniessen. Die Fernsicht ist so klar, dass wir von blossem Auge Spuren über den Gletscher wahrnehmen können. Hinter u. nebeneinander türmen sich all die Bekannten auf, Sardona, Segnes[,] Ringelspitze, Vorab[,] Tödi u. viele andere.

Der westliche Abschluss bildet der wilde Gamsberg, nördlich erhebt sich majestätisch unser Säntis hinter ihm das Flachland u. der Bodensee im leichten Dunstschleier verhüllt. Der Abschied von all diesen Schönheiten wird nach Möglichkeit hinausgeschoben, trotzdem die günstige Abfahrt mit dem erweichten Schnee genussversprechend wird. Einige Volkslieder und Jodler ertönen noch in die vollständige Windstille hinaus. Als die letzten Töne „Ihr Berge lebt wohl“ als Abschiedsgruss von All geschautem verklungen sind, fährt bereits der Erste mit kühnen Schwüngen den Kegel hinunter. Alle folgen miteinander nach, bewegtes Leben setzt am Hange ein, hat’s doch jeden im ersten steilen Teil, nach gewohnter Art hingelegt. Eine rasende Abfahrt wäre doch etwas verwegen gewesen, da die Beschaffenheit des Schnees nicht ungünstig, aber doch ungleich war. So wendete jeder seine bewährte Technik an, und nur zu bald sind alle in der Mulde vor der Gegensteigung zum Ruheplätzli. Es war eine schöne Abfahrt. Ein Blick rückwärts zeigt unsere Spuren, durch diese wird das flächige Gelände interessanter. Der zu traversierende steile Hang wird genau vertikal von der Mittagssonne beschienen, so dass der kurze Aufstieg die einzige Strapaze des ganzen Tages wurde. Oben finden wir den Wachposten auf seinem Platz. Mit Hochgenuss hat er die Abfahrt verfolgt und während unserer Abwesenheit den fast schneefreien Margelkopf bestiegen. Es folgt ein Lagerleben nach alter Art, die raffiniertesten Leckerbissen werden da gekostet, trotz aller Einschränkungen durch den gewaltigen Krieg, dessen Stimme durch fernes dumpfes Dröhnen grosser Geschütze, bis an unser Ohr hier oben in den freien Bergen rühren mag. Auch unsere Unterhaltung lenkte auf kurze Zeit auf das gewaltige Völkerringen ein, aber den Schuldigen allen Unheils konnten wir auch nicht ermitteln.

Um ½4 Uhr wurde zur Thalfahrt [sic] aufgebrochen. Bei der ersten Abfahrt vom Sattel hat unser Wachtoffizier durch einen Sturz eine leichte Verstreckung sich zugezogen, konnte aber nach kurzer Zeit, nun auch etwas sachte, die Weiterfahrt mitmachen. Auf dem leicht erweichten Schnee laufen die Hölzer rasend, oft des Guten zu viel. Schattenhalb blieb der Schnee hart, was die Abfahrt etwas beeinflusste. Eine Skispitze hat trotz guter Führung halbwegs ihren Anforderungen nicht mehr Stand gehalten, ist aber von unserem Tourenchef in meisterhafter Weise rasch repariert worden. Nur allzubald ist [es] mit der schönen Abfahrt zu Ende. Wir stehen mit unseren Hölzern plötzlich auf dem trockenen Rasen, über diesen wir mit schwerfälligem Skitritt spazieren, um den letzten Teil der Abfahrt durch den Wald zum Kurhaus noch auszunützen. Ungern werden die Hölzer wieder auf die Schultern genommen und im Tempo geht’s unter Ausnützung aller Abkürzungen die Halden u[nd] Hohlwege hinunter in den Buchenwald[,] dessen Kühle sehr wohltuend auf den erhitzen Köpfen wirkte. In Buchs reichte die Zeit noch für eine kleine Stärkung. Der 6 Uhr Zug von Sargans brachte einen ganz besetzten Wagen sonn[en]verbrannten [sic] Gesichter, meistens Clubfreunde von der Heimfahrt vom Pizol. Ein jeder von uns fand auch noch ein Plätzli im gleichen Wagen, in welchem nun ausschliesslich junge Männer mit hohen gleichen [sic] Sinn für die schöne Bergeswelt beisammen sind und das gesonnte Herz im schönen Liede jubeln lassen. Für uns alle war der heutige Tag ein hoher Feiertag, als schöner Abschluss der Winterwanderungen auf Skiern. Im Besonderen möchte ich unser heutiges Ziel, die Rosswies[,] ein höchst günstiger Skiberg, leicht bis zum Gipfel mit dem Hölzern erreichar, mit Rund- u. Fernsicht wie uns kein Appenzeller u. anderer St.Gallerberg mehr bieten kann, nur bestens für die nächsten Winter empfehlen. Eventl. Unterhandlungen unserer Sektion mit dem Kurhaus- u. Pensionsbesitzer auf dem Buchserberg würde vielleicht zu einem Abschluss betr. Schlafgelegenheit zur Winterszeit auf ca 1000 m Höhe führen, was die Tour sehr erleichtern würde.

Ein letzter Gruss u. Händedruck am Bahnhof[,] und einzelne Gruppen ziehen noch zu einem Trunk, oder direkt an ihren heimischen Herd, Alle voller Bewusstsein[,] den Schatz[,] den sie von den Bergen mitgebracht[,] im Herzen tragen, hilft wieder über manchen Stein im Alltag hinweg und zehren heute noch von dem unerfasslichen Kleinod.

St.Gallen im Mai 1916                Fritz Küpfer.

Quelle: Staatsarchiv St.Gallen, Wy 023 (SAC St.Gallen; Bericht über die Clubtour auf Rosswies am 1. und 2. April (Text), Titelblatt des Tourenberichts mit einer Zeichnung von Fritz Küpfer (Bild))