Donnerstag, 7. September 1916 – Anklage wegen Kreditschädigung im Falle einer Familienzeitschrift: Frauen als Zeuginnen vor Gericht

Das Bezirksgericht Rorschach war zur Beurteilung des vorliegenden Falles folgendermassen zusammengesetzt:

  • Albert Steiger, Malermeister von Rorschach (Vorsitz als Vizepräsident des Bezirksgerichts, in Abwesenheit von Eduard Löpfe, Kantonsrat, Rorschach)
  • Wilhelm Fisch, Kantonsrat, Grub
  • X. von Euw, Kantonsrat, Rorschach
  • Karl Hintermeister, alt Kantonsrat, Rorschach
  • Xaver Troxler, Gemeinderat, Rorschacherberg
  • Karl Rusch, Gemeinderat, Goldach
  • Ulrich Hofstetter, Kaufmann, Rorschach

Verhandelt wurde eine Klage auf Kreditschädigung. Beteiligt waren Vertreter zweier Familienzeitschriften, die ihre Blätter u.a. mit Hilfe einer an das Abonnement gekoppelten privaten Unfallversicherung anzupreisen versuchten. Auch andere Blätter als die in den Fall involvierten boten solche Versicherungen an, wie obiger Ausschnitt aus diesem Briefkopf von 1922 belegt:

Briefkopf

Das Bezirksgericht Rorschach hat in seiner Sitzung vom 7. September 1916, an welcher teilnahmen die Herren Vice-Gerichtspräsident Steiger, Bezirksrichter Fisch, von Euw, Hintermeister, Troxler; Ersatzrichter Rusch und Hofstetter; Gerichtsschreiber Metzger

In der Streitsache von

G. Meyer, Verleger des „Fürs Schweizerhaus“ Seefeldstr. 11 in Zürich 8

Kläger

vertr. durch Dr. E. Kaiser, Advokat, vom Adv.Bür. Dr. B. Heberlein in Rorschach,

gegen

Jakob Kuster, Reisender, Bogenstrasse 13 in Rorschach (bezw. jetzt in St.Gallen, Steingrüble 45), bürgerlich von Eschenbach (Kt. St.Gallen), geb. 12. Aug. 1861, verh;

Beklagten

vertr. durch Dr. J. Eisenring-Reutty, Advokat, Rorschach

betr. Kreditschädigung

In Fortsetzung der Verhandlung vom 6. April 1916 weiter

In Betracht gezogen:

1. Von den Zeugen, deren Einvernahme am 6. April 1916 beschlossen wurde, ist zunächst Frau Heller geb. Moser, welche von Buchen-Staad inzwischen nach Giubiasco (Kt. Tessin) übersiedelte, unterm 16. August 1916 durch die „Pretura die Billinzona“ auf dem requisitionswege [sic] als Zeugin einvernommen worden. Die deponi[e]rte dort wie folgt: „Ohne den Tag genau angeben zu können, erinnere ich mich, dass Herr J. Kuster, den ich persönlich kenne, mir zugesprochen hat, ich soll das Abonnement ‚Fürs Schweizerhaus‘ abgeben und dafür das ‚Nach Feierabend‘ abonni[e]ren. Als Grund gab er an, dass die Abonnenten des ersteren Blattes bei einer italienischen Gesellschaft versichert seien und diese bezahle, weil Italien im Kriegszustand sei, meine [sic, keine?] Unfaelle mehr. Auf diese Erklärung hin habe ich auch wirklich das Blatt ‚Nach Feierabend‘ abonni[e]rt.“

2. Heute werden nach Ermahnung zur Wahrheit und unter Hinweis auf die Folgen falschen Zeugnisses als Zeugen einvernommen:

2a) Frau Elisabeth Spörri geb. Wacker, von Schüpfen (Kt. Bern, wohnhaft in Steinach, geb. 1864 Januar 7; verh;)

Dieselbe sagt; Herr Kuster erschien bei mir und pries mir das Blatt „Nach Feierabend“ an. Ich erklärte, ich hätte das Blatt „Fürs Schweizerhaus“ und brauche deshalb das „Nach Feierabend“ nicht auch noch. Kuster sagte nun, ich solle das „Fürs Schweizerhaus“ doch abgeben; nachdem Italien im Kriege sei, zahle das „Fürs Schweizerhaus“ wahrscheinlich doch nicht mehr. Kuster wurde sehr aufdringlich. Er legte mir schliesslich etwas zum Unterzeichnen vor und [ich] bezahlte 30 cts. Ich erklärte aber, dass ich zuerst mit meinem Manne reden müssen [sic]. Der Mann wollte das neue Blatt aber nicht. Ich weiss bestimmt nicht mehr, wann das war; jedenfalls nach Kriegsausbruch und zwar im Anfange des europäischen Krieges; es mag fast 2 Jahre her sein. Ca. ¼ Jahr, vielleicht auch ein pa[a]r Monate nachher, erhielt Jemand, der vom Blatte „fürs Schweizerhaus“ zu mir kam, von mir über diese Sache Aufschluss. Ich wiederhole, dass ich die Zeit nicht mehr genau weiss; ich bin in dieser Beziehung vergesslich.

Vorgelesen und bestätigt: gez. Elisabetha Spörri-Wacker.

[2]b) Frau Luise Tobler geb. Bohner, von Thal (St.Gallen), wohnhaft in Speck-Staad, geb. 22. April 1870, verh;

diese sagt: Es kam einmal ein unbekannter Mann zu mir – es mag ein Jahr her sein – und offeri[e]rte mir – eine Zeitschrift; deren Namen weiss ich heute nicht mehr. Ich erklärte, wir hätten schon das Blatt „Fürs Schweizerhaus“. Der Mann erwiderte, dieses Blatt sei nichts mehr, seit der Krieg sei, zahle das Blatt nichts mehr. Ich wollte die Sache nicht recht glauben; denn wir waren mit dem Blatt zufrieden; als der Mann einen Unfall hatte, wurde er richtig bezahlt. Ich sprach darüber noch mit dem Manne, und wir gaben dann das Blatt b. 2-3 Wochen hatten wir es nicht mehr, bis ein Reisender des „Fürs Schweizerhaus“ kam und uns aufklärte. Ich kann nicht mehr sagen, ob dieser mir heute als Herr Kuster vorgestellte Herr der betr. Mann war. Das weiss ich sicher, dass der Mann das Blatt „Für Feierabend“ offeri[e]rt hatte.“

Vorgelesen und bestätigt: gez. Frau Tobler, Speck-Staad.

Nach Anhören der Beweiswürdigungsvorträge der Parteien zieht das Gericht weiter

In Erwägung:

1. Die Einrede der Verjährung, welche der Beklagte auf Grund der Zeugenvernehmungen heute erhebt, muss als unbegründet abgelehnt werden. Sowohl aus dem Zeugnisse der Frau Heller, als der Frau Spörri geht deutlich hervor, dass die Aeusserungen des Beklagten erst geschahen, nachdem Italien in den Krieg eintrat. Da dies bekanntlich Ende Mai 1915 stattfand, die gegenwärtige Klage aber beim Vermittleramt am 12. November 1915 eingeleitet wurde, kann auf Grund von Art. 111 StrG. Von einer Verjährung des Klagerechtes keine Rede sein. Frau Spörri sagt allerdings, es möge fast 2 Jahre her sein und ein pa[a]r Monate später habe sie einem Vertreter des „Fürs Schweizerhaus“ über die Sache Aufschluss gegeben. Die Zeugin sagt aber ausdrücklich, dass sie die Zeitangabe nicht genau machen könne. Nachdem die Zeugin aber – ohne dass ihr vorher in der Sache irgend etwas weiteres gesagt worden wäre, erklärte, „Kuster sagte nun, ich solle das ‚Fürs Schweizerhaus‘ doch abgeben; nachdem Italien nun im Kriege sei, zahle das ‚Fürs Schweizerhaus‘ wahrscheinlich doch nicht mehr“ so muss daraus doch folgern, dass der beklagte eben nach dem Eintritt Italiens in den Krieg zur Zeugin die in Rede stehenden Aeusserungen machte, also nach Ende Mai 1915. Auch der Umstand, dass der Kläger erst am 16. September 1915 an das Eidgen. Versicherungsamt betr. Aenderung der Angabe der Versicherung schrieb, mit der Begründung, dass gewissenlose Reisende der Konkurrenz die Leute aufhetzen, ist ein Indiz dafür, dass die betr. Vorfälle eben erst nach Ausbruch des italienischen Krieges gegenüber Oestreich stattfanden.

2. Nachdem durch die Zeugen Frau Heller und Frau Spörri der Tatbestand – wie eingeklagt – dargetan wurde, ist rechtlich gegenüber dem Beklagten das Vergehen der Kreditschädigung bezw. der Verleumdung im Sinne von Art. 106 Ziff. 1 StrG. gegeben. Es sei nach dieser Richtung auf das in Ziff. 3 der Erwägungen des Beweisentscheides vom 6. April 1916 Gesagt [sic] verwiesen.

Bei der Strafbemessung fällt mildernd in Betracht, dass strikte nur 2 Fälle nachgewiesen sind, wobei freilich auch nicht unbeachtete bleiben kann, dass – angesichts der durch die Zeugin Frau Spörri erwiesenen Aufdringlichkeit des Beklagten zu weiterer Verbreitung gelangen konnten, als eine nahe liegende erachtet werden muss. Immerhin ist davon auszugehen, dass dem Kläger aus den Handlungen des Beklagten Schaden nicht entstund [sic]. Es kommt denn auch im Ganzen der Verleumdung eine gravi[e]rende Bedeutung nicht zu.

Gestützt hierauf und in Anwendung von Art. 106 Ziff. 1, 109 und 35 StrG. wird daher

Zu Recht erkannt:

1. Der Beklagte ist der Kreditschädigung bezw[.] der Verleumdung schuldig erklärt und hiewegen zur Geldbusse von 30 frs [sic] verurteilt.

2. Die kreditschädigenden Aeusserungen bezw. die Verleumdung sind als gerichtlich aufgehoben erklärt.

3. Die Kosten, nämlich    

Gerichtsgebühr              frs     40. —                                     

dem Präsidium                       1.–                                     

der Kanzlei      Geb.                32.50.                                                            

                        Ausl.                7.50.                                     

dem Weibel                            1.50.                                     

zusammen                  frs     82.50.

bezahlt – mit Gutschrift der Einleimgebühr von 20 frs – der Beklagte.

4. Der Beklagte hat den Kläger mit 250 frs. ausserrechtlich zu entschädugen [sic].

V. R. W.

Im Namen des Bezirksgerichtes Rorschach

Der Präsident i.V.

Alb. Steiger [Unterschrift]

Quellen: Staatsarchiv St.Gallen, G 2.7.1-1916 (Urteil Bezirksgericht Rorschach) und ZMH 43/007 (Bild)

Samstag, 22. April 1916 – Der Schnee zertrümmert eine Gartenbank in der Sprach-heilschule

Tagebucheintrag von Emma Graf, Schülerin der Taubstummenanstalt St.Gallen (heutige Sprachheilschule St.Gallen), geboren 1900:

Am Montag war ein Herr von der Basler Volksversicherung da. Josephina Braun musste ein Schriftstück unterzeichnen. Die Mutter hat alle ihre Kinder versichert. Sie muss [für] jedes Kind jede Woche 50 Rp. Prämie in die Versicherung einbezahlen. Nach 15 Jahren bekommt jedes Kind 400 Franken. Wenn ein Kind vorher stirbt, bekommt die Mutter das Geld. Wenn die Mutter schon gestorben [ist], bekommen es die Erben.

Josephina Braun bekam am Dienstag eine Karte vom Expressgutbüreau, ein Korb sei für sie angekommen. Ein Knabe hat ihn abgeholt. Ich dachte, es sei ein leerer Waschkorb zum Einpacken von ihren Effekten. Heute über 8 Tage dampfen wir mit Sack u. Pack ab. Herr Bühr sagte zu Seppli, sie habe einen Korb bekommen. Diesen Ausdruck braucht man auch bildlich. Er sagte uns verschiedene Beispiele. Wenn man etwas anbiete u. man werde abgewiesen, so sage man, man habe einen Korb bekommen. Bei der Konfirmation schenkte Herr Bühr unseren Angehörigen den Wein ein. Elsis Schwester Anni wollte keinen Wein haben. Sie hat Herr[n] Bühr einen Korb gegeben.

Jetzt sind wir nicht mehr zu fünft in der Oberklasse, sondern zu siebent. Kurz vor unserem Austritt sind 2 neue Schüler noch eingetreten, ein gelbes Männchen u. ein gelbes Weibchen. Sie erzählen eifrig, was sie erlebt haben. Sie schnabulieren fleissig, was Rösli ihnen vorgesetzt hat. Es sind 2 Kanarienvögel. Sie sind kreuzfidel.

Diese Woche hat es ziemlich stark geschneit. Der Schnee rutschte auf dem Dach nach vorn. In der Nacht gefror er zu Eis. Am Morgen schien die Sonne einwenig. Die Schneemasse löste sich u. stürzte herab. Sie zertrümmerte eine Gartenbank. Wir können Gott danken, dass keine Person da unten stand. Sie wäre unfehlbar tot gewesen.

Frau Bühr kaufte für Seppli einen Hut. Herr Bühr sagte, wir sollen keinen grossen Wert auf das Äussere legen. Wir wollen aber auch nicht vernachlässigt aussehen.

Emma Graf schreibt nicht, womit die Kanarienvögel gefüttert wurden. Möglich wäre, dass man das Futter bei Emil Hausknecht besorgte.

Quellen: Staatsarchiv St.Gallen, W 206 (Tagebuch) und ZMH 64/400 (Briefkopf)