Giovanni Wenner

Dienstag, 11. September 1917 – Verwitwete Frau sucht Bleibe

Adele Berner-Wenner berichtete ihrer Schwester aus Zürich:

[Randnotiz:] Erhalten – i[n] Fratte

Zürich

Dienstag, 11. Sept. 1917.

Meine liebe Silvia

Ich will Euch auch wieder einmal Nachricht von uns geben, & hoffe es gehe Euch allen immer gut. – Zuletzt schrieb ich Dir beigeschlossen, in einem Brief an Mama, & unterdessen habe ich Mama’s Brief vom 25. Aug. bekommen, für den ich ihr sehr danken lasse.

Von Clara hörte ich gestern[,] dass Lili nicht mehr bei Maria ist, da stelle ich mir vor[,] dass Du gewiss öfter in Anspruch genommen bist. Wie geht es wo[h]l den Kindern? Kann Gianni jetzt ein wenig mehr zu essen bekommen? Wie [sic] entwickelt sich Valentin? nimmt [sic] er immer schön zu? – Ich frage mich oft[,] ob Ihr noch immer so warmes Wetter habt. Nimmst Du noch immer Meerbäder, & tun sie Dir gut?

Meine Pläne sind sehr unbestimmt, dadurch das man noch nicht festgestellt hat ob, & wann die Herbstferien sein werden. Der letzte Vorschlag wäre[,] dass die Kinder vom 26. Oct. an, etwa 3 Wochen Ferien hätten & dann vom 20. Dec. an, bis Ende Januar. Man sucht nach dem besten Mittel[,] Kohlen zu sparen, aber es ist sehr schwierig, weil es für arme Kinder ein grosser Nachteil ist, in der kalten Jahreszeit so lange Ferien zu haben. Auf jeden Fall will ich jetzt etwa am 22ten. zu Paul’s nach Bellevue gehen, & wenn es dann eben so spat wird[,] dass Alex für die Ferien nicht mehr zu ihnen kann, so muss ich mir einen Ort ausdenken, wo wir diese Zeit verbringen können. Für den Winter ist es auch schwer[,] etwas einzurichten, heute morgen hatte ich die grosse Enttäuschung von Fr. Pfarrer Leckner [?] zu hören, dass sie wahrscheinlich keine Pensionäre werde nehmen können. Ich muss mich nun noch da hinein denken. –

Heute haben wir seit langer Zeit zum ersten mal [sic] schreckliches Regenwetter, nachdem wir wundervolle Tage gehabt haben. Ich habe [2 Wörter unlesbar], mit Commissionen viel zu tun, aber ich habe doch oft Zeit[,] mit den Cousinen zusammen, mit Buch oder Arbeit bis nach dem Thee auf der Terrasse oder im Garten zu sitzen, was herrlich ist; nur diese Woche kann ich am Nachm. fast nie zu Hause sein. Alex sehe ich sehr oft, eigentlich fast jeden Tag, & er ist überglücklich mit seinem Velo, nur hat es letzthin einen Fall gegeben, wobei er zu Glück besser davongekommen ist, als sein Schutzblech! – Am Sonntag durften wir zum ersten mal [sic] Lorly sehen, die eine sehr schwere Operation durchgemacht hat, es musste ganz radical gemacht werden, aber der Arzt versichert[,] dass sie nachher wieder ganz gesund sein werde. Nach den ersten schlimmen Tagen erholt sie sich auch merkwürdig rasch. –

Rose ist erst vorgestern von Zermatt heim gekommen, & ich habe sie noch nicht sehen können. Jean musste schon früher heim kommen für die Schule, & habe ich einmal mit ihm und Alex im Sonnenberg zu abend gegessen. Er hat sich verändert seit letztem Jahr, er ist so recht in den männlichen Backfischjahren, hoffentlich gewinnt er nachher wieder nach jeglicher Richtung. Er ist so complet vom Sportstaumel ergriffen, dass Alex dagegen gar nichts ist; leider ist er sehr klein geblieben, & mit den langen Hose & dem “langen” Haar fällt es noch mehr auf.

Mama Berner ist seit bald 2 Wochen bei Dr. Bircher installiert, wo es ihr sehr gut gefällt.

Beppina gefällt es aber bedeutend weniger & sie behauptet[,] sie sei ganz schwach auf den Beinen vom wenig essen; das Müsli [Birchermüesli] schmeckt ihr eben gar nicht.

Wie sind wo[h]l die Photos gelungen, die Du von Gianni & Alex beim sägen [sic] gemacht hast?

Habt Ihr etwas über Arnold’s Hochzeit gehört, & bleibt dass junge Paar wirklcih in der Villa Predengano [?]?

Nun lebe recht wohl, liebes Kleinsele, grüsse die Eltern & Geschwister sehr herzlich, & Dich selbst auch von mir & von den Cousinen. Es umarmt Dich mit einem innigen Kuss

Deine Dich herzlich liebende

Adèle

Die Brüder Gianni (Giovanni) und Valentin Wenner waren die Kinder von Fritz und Maria Wenner-Andreae (vgl. u.a. Beiträge vom 7. März, 13., 20. und 21. April 1917). Über die Ess- und Trinkgewohnheiten sowie über die Verdauungsbeschwerden der Kleinen wird berichtet im Beitrag vom 12. Januar 1916.

Giovanni Wenner-Legler (1914-2010) war der Chronist der süditalienischen Textilindustrie mit Schweizer Wurzeln. Ihm ist es im Wesentlichen zu verdanken, dass das umfangreiche Familienarchiv gesammelt und im Staatsarchiv St.Gallen gesichert werden konnte.

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 Quellen: W 054/127.4.2 (Briefe an Silvia Wenner) und W 054/74.41 (Beitragsbild: Giovanni Wenner auf Esel, ca. 1922)