Kirschen

Montag, 9. Juli 1917 – Kirschen-kuchen bei Thürlemann

Bei frühen Ansichtskarten sind die eigentlichen Bildmotive oft von stilisierten Dekorationselementen umgeben wie im vorliegenden Beispiel die Kirschen. Letztere passen gut zum heutigen Beitrag:

Johann Baptist Thürlemann verliess sich bei den alltäglichen Hausgeschäften ganz auf seine Haushälterin Caroline Wick. Trotzdem war er Manns genug,  sich während ihrer Abwesenheiten selbst zu versorgen. So kochte er sich beispielsweise am 6. Juni 1917 selber, weil Caroline an der Beerdigung ihres Göttis teilnahm: Mein Mittagessen bereitete ich mir selbst. (Haferflocken-Suppe & 2 Stieraugen [Spiegeleier].

Zuweilen ging er ihr bei Haushaltsarbeiten zur Hand, etwa beim Spannen der Wäscheleinen im Garten oder eben (in allerdings seltenen Fällen) auch in der Küche, wo er beim Backen half: Morgens war ich beim Tortenbacken behilflich ( : Zwetschgenkuchen : ). (Eintrag vom 15. Oktober 1914)

Ähnlich heisst es am Montag, dem 9. Juli 1917: Abends half ich meiner Haushälterin Caroline Wick bei der Bereitung einer Kirschentorte. In Ermangelung von Mandeln, die gegenwärtig rar sind, verwendeten wir Baumnüsse, die fein gewiegt wurden. Die Torte wurde zu Bäcker Graf zum Backen gebracht. Das Backwerk gab ziemlich viel Arbeit.

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Quelle: Staatsarchiv St.Gallen, Wy 035a (Tagebuch Thürlemann) und ZMA 18/01.13-10 (Ansichtskarte, ca. 1907)

Waesche in Garten aufgehaengt

Montag, 2. April 1917 – Grosse Wäsche und Frühjahrsputz

Waschmaschinen gehören heute zum Alltag, und auch Waschküchenpläne sind weniger strikt als noch vor einigen Jahrzehnten. Hausfrauen waschen also, wann sie es für nötig halten, und viel öfter als früher.

Vor hundert Jahren war nur alle paar Wochen oder sogar nur zweimal pro Jahr grosser Waschtag. Waschen war eine körperlich anstrengende, langwierige und mit viel Aufwand verbundene Tätigkeit, die sich über mehrere Tage hinzog, wie die untenstehenden Zitate aus Johann Baptist Thürlemanns Tagebuch zeigen.

Zeitgenössische Berichte beschreiben die einzelnen Vorgänge einer grossen Wäsche. Zunächst wurden die schmutzigen Kleidungsstücke nach Farbe und Stoffarten sortiert und über Nacht in (anfangs) lauwarmes, mit Soda versetztes Wasser eingelegt. Am andern Tag musste man Stück für Stück auf der rechten und der linken Seite gründlich einseifen. Die eingeseiften Wäscheteile wurden hernach in einem Dampfhafen in Waschpulver und Seife zwei Stunden lang gekocht, um den Schmutz zu lösen. Erst danach begann das eigentliche Reinigen: Über die angerichtete Wäsche wird kochendes Seifenwasser gegossen und darin [!] jedes Stück tüchtig gerieben, sei es mit der Hand, am Waschbrett oder mit der Maschine, bis keine Flecken mehr darin sind. Dann kommt noch ein Aufguss siedendes, reines Wasser darüber, das die Seife entfernen soll. Endlich wird die durchgeseifte Wäsche in den Brunnentrog gelegt und solange tüchtig gespült, bis das Wasser rein abläuft. Dann erst wird das Weisse nach Belieben gebläut, indem ein Stück nach dem andern durch kaltes, mit Waschblau gefärbtes Wasser gezogen wird.

Neben diesen Arbeitsschritten musste man dafür sorgen, dass das Feuer unter dem Dampfhafen nicht ausging und dass dauernd genügend kochendes Wasser vorhanden war.

Bevor man die Wäsche anschliessend zum Trocknen ins Freie aufhängen konnte (vgl. Beitragsbild), musste man sie erst auswringen. Bei grossen Stücken wie beispielsweise einem Leintuch waren dazu zwei Personen nötig.

Stundenlanges Einseifen, Reiben und Spülen der Wäsche in teils heissem, teils kaltem Wasser griff die Haut der Hände empfindlich an und machte sie rissig und rauh. Wer es sich leisten konnte, stellte eine Waschfrau an.

Im Hause Thürlemann in Oberbüren hatte Caroline die grosse Wäsche für den Zweipersonenhaushalt auf die Woche vor Ostern angesetzt und gleich noch mit dem Frühjahrsputz der Wohnung verbunden:

Montag, 2. April 1917: Meine Haushälterin Caroline Wick war den ganzen Tag angestrengt mit ihrer Frühlingswäsche beschäftigt.

Dienstag, 3. April 1917: Caroline war den ganzen Tag mit ihrer Wäsche beschäftigt. Abends putzte und scheuerte sie die Waschgeräthe [sic] & die Küche. –

Mittwoch, 4. April 1917: Caroline war heute mit ihrer Wäsche beschäftigt. – Schon um ½ 9 Uhr vormittags hieng [sic] sie dieselbe zum Trocknen in der Hauswiese auf, wozu ihr Carl’s Knecht, Niedermann die Seile gespannt hatte. Nachmittags von 1-4 Uhr war sie mit dem Scheuern und Putzen meines Schlafzimmers beschäftigt.

Hoher Donnerstag, den 5. April 1917: Caroline war den ganzen Tag mit Bügeln beschäftigt. Abends putzte und scheuerte sie das Nebenzimmer; ich hatte aus diesem Grunde um ½ 5 Uhr abends das südliche Vorfenster der Nebenstube entfernt. –

Waschmaedel

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Quellen: Staatsarchiv St.Gallen, Wy 035a (Tagebuch Thürlemann) sowie BTN 1/1.2-65 (Beitragsbild: Lichtensteig, ca. 1909) und P 909 (St.Galler Tagblatt, 03.03.1917, Morgenblatt, Anzeige für Teigseifen)

Hinweise zum Waschen aus: Langhans-Sulser, Emma: Erleben und Lernen. Ein Buch für unsere Mädchen, Bern 1911, S. 161-174 (Kapitel: Kleine Leute haben grosse Wäsche.)

Mittagsmenu bei Thuerlemann

Donnerstag, 22. Februar 1917 – Porträt einer Haushälterin

Caroline Wick war verwandt mit Architekt Johann Baptist Thürlemann und seine langjährige Haushälterin. Sie kommt im unvollständig erhaltenen Tagebuch recht häufig vor. Die Einträge beschreiben, welche Arbeiten in einem Haushalt zu erledigen waren, wieviel Mühe und Aufwand sie zu dieser Zeit kosteten und was man in der Freizeit machte:

Caroline kochte (den Einträgen nach zu schliessen sehr gut!). Caroline ging in die Kirche und besuchte Beerdigungen. Caroline putzte und scheuerte. Caroline hatte Wäsche. Caroline machte Besorgungen und Botengänge. Caroline arbeitete im Garten. Caroline räumte den Keller auf. Caroline nähte. Caroline pflückte (auch sonntags) pfundweise Himbeeren im Wald. Caroline besuchte Kranke im Dorf. Caroline hatte mindestens ein Bankkonto mit einer Einlage von 2000 Fr., was ihr jährlich 75 Fr. Zins einbrachte (laut Tagebucheintrag vom 11. Januar 1905). Caroline machte Heimarbeit. Caroline bügelte. Caroline verwaltete das ihr zur Verfügung gestellte Küchengeld. Caroline half den Nachbarn beim Heuen. Und ab und zu stritt sie sich auch mit der Nachbarin.

Im Tagebucheintrag vom 22. Januar 1917 ging es um ihre Kochkünste:

[…]

Gegen ¾ 12 Uhr erschien mein Bruder Ludwig zum Mittagessen.

Es wurde aufgetischt:

Griessuppe mit Bouillon;

Schweinsvoressen (vortrefflich) mit gestossenen Kartoffeln und Aepfelmus. Getränk: Wein.

Ich hatte durch Caroline vormittags im «Hirschen» ½ Liter Rothwein holen lassen & erhielt denselben gratis.

Das heutige Mittagessen war sehr gut.

Ludwig kehrte um ½ 2 Uhr in den «Hirschen zurück.»

[…]

Inserat SchuerzeEs ist nicht bekannt, wie genau Caroline sich für ihre Arbeit kleidete, praktisch wäre wohl so eine Träger-Blusen-schürze gewesen, wie sie hier von der Firma Julius Brand & Co. in St.Gallen als Teil der Frühjahrsmode 1917 angepriesen wurde.

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Quelle: Staatsarchiv St.Gallen, Wy 035a (Tagebuch Thürlemann) und P 909 (St.Galler Tagblatt, 16.02.1917, Abendblatt)

Anzeige für Konserverngläser

Mittwoch, 2. August 1916 – Haushaltsbudget einer grossen Mittelstandsfamilie

Wie man es auch machen kann.

Eine Haushaltungsrechnung einer Familie des sogenannten Mittelstandes zur Kriegszeit, nämlich vom Jahre 1915.

(Eingesandt.)

Im Morgenblatt der «Ostschweiz» vom 31. Juli 1916 ist eine Arbeit, «Eine Volksstimme zur heutigen Zeitlage» enthalten, die unbedingt etwas genauer betrachtet werden muss. Es geschieht dies im Interesse unserer gesamten Volkswohlfahrt und auch im Interesse einer christlichen Lebensauffassung, die allein zur Gesundung unserer heutigen Zeitverhältnisse die nötige Kraft in sich enthält. Damit ist durchaus nicht gesagt, dass nicht jede Arbeit des Lohnes wert sei, oder dass man dem Mitmenschen das Recht auf ein menschenwürdiges Dasein absprechen möchte. Doch darf nicht vergessen werden, dass wir heute in einer Weltfastenzeit, einer Zeit der Prüfung und der Besinnung stehen, in der aber die Grundlage zu einer höheren Lebensauffassung, zu einer wahren Wertung des Tatsächlichen gelegt werden muss, um so unser Geschlecht wieder zu heben. Grundfalsch ist wohl die Ansicht, dass das Glück des Menschen in der Erfüllung seiner Wünsche[,] und wären es auch nur angewöhnte Bequemlichkeiten und Gewohnheiten, liegt; sondern, das bekannte Wort des griechischen Weltweisen: «Wer am wenigsten bedarf, ist der Gottheit am nächsten», ist wohl heute noch wahr, so unzeitgemäss es auch klingen mag. Waren denn etwa unsere Väter weniger glücklich, als unser heutiges Geschlecht, das teilweise nur noch für Vergnügen und Genuss zu haben und zu begeistern ist? Unsere Kultur und unsere Ansprüche an das Leben sind im Laufe der letzten Jahrzehnte derart gestiegen, dass sie weder mit den zur Zeit vorhandenen Mitteln noch mit den zum Leben tatsächlich Notwendigen im richtigen Einklang stehen. Es ist nun wohl verfehlt, wenn wir eine Besserung der Verhältnisse nur in der Erhöhung der Einnahmen und nicht auch in der Beschränkung der Ausgaben, im Zurückschrauben der ungesunden Lebensansprüche erblicken. Wie das zu verstehen ist, soll folgende Haushaltungsrechnung aus den genauen Aufzeichnungen einer Beamtenfamilie mit sieben meist schulpflichtigen Kindern stammend, zeigen. Es ist nachfolgende Aufstellung keine graue Theorie, sondern erlebte und durchlebte Wirklichkeit. Um die beiden Jahresrechnungen leichter vergleichen zu können, folge ich dem Gange genannter Aufstellung. Also:

Haushaltungsrechnung einer neunköpfigen Familie im Kriegsjahr 1915. 

Wohnungsbedürfnisse:    
Wohnung, 5 Zimmer Fr. 850.-
Beleuchtung und Heizung « 305.20
Haus- und Küchengeräte « 76.62
Bekleidung und Wäsche:    
Eltern und Kinder inkl. Schuhe « 479.88
Steuern:    
Einkommen und Vermögen « 304.-
Zeitungen und Literatur « 25.-
Vereine: Sterbeverein, pol., Gesang- und Krankenpflege « 26.-
Versicherungen:    
Lebensversicherungen und Krankenverein « 230.-
Unüberschätzbare Ausgaben:    
Diverse Ausgaben und Geschenke, Vergnügen auch das Taschengeld des Vaters inbegriffen « 145.50
Lebensbedürfnisse im Haushalt selbst:    
Brot und Mehl « 396.24
Milch, Butter, Käse und Eier « 736.67
Spezereien und Teigwaren, Aepfel und Kartoffeln « 459.27
Fleisch, Geflügel und Fische « 90.15
Getränke und Spirituosen « 4.50
Betten und Wäsche, inkl. Wäscherin « 107.-
Arzt und Apotheke und Pflegekosten « 92.-
Jahresausgaben: Fr. 4377.38

 Auch diese Zahlen sprechen eine beredte Sprache. Nicht umsonst klagen wir eben über teure Zeiten, in denen besonders der Vater einer grossen Familie nicht auf Rosen gebettet ist. Aber, wenn wir die Zahl der Kinder in beiden Verhältnissen ins Auge fassen, so ist aus diesen Aufstellungen doch zweifellos ersichtlich, dass mit weiser Sparsamkeit und haushälterischem Sinn, allerdings gewiss nicht ohne materiellen Schaden diese Zeitschwierigkeiten überwunden werden können. Man darf eben nicht vergessen, dass mancher Mann des Mittelstandes kaum mit einem Einkommen von genannter Höhe von Fr. 2800 rechnen kann, und dass heute manche Betriebe und Geschäfte mit Defizit arbeiten. Wenn man nun in diesen schwierigen Zeiten auch auf Vergnügen im landläufigen Sinne verzichten oder auch Ferien im stillen häuslichen Kreise machen muss, so ist das noch lange kein Unglück. Ziehen wir in diesem Punkte wieder das herrliche Buch von Bischof Keppler «Mehr Freude» zu Rate und es blühen uns in der schlichten Einfachheit des häuslichen Lebens und auch in der wundervollen Natur unserer so herrlichen Gegend mit den schönen Spaziergängen, deren Ziel nicht immer eine Wirtschaft zu sein braucht, die reinsten und edelsten Freuden. Wir sind eben auch in dieser Hinsicht von den wahren Quellen und üppigen Tristen [sic] edelsten Frohsinns abgekommen, um unsern Drang nach Freude an trüben oder doch so spärlich fliessenden Wassern zu stillen. Ein Blick auf unsere halberwachsene Jugend genügt, um dies zu beweisen. Obige Zahlen dieser Aufstellung zeigen aber auch, dass es ein staatserhaltender Gedanke ist, wenn man mit allen Mitteln und Kräften dafür sorgt, dass heute mehr als in jeder andern Zeit, jeglicher Wucher auf dem Gebiete der Volksernährung wie auch auf wirtschaftlichem Gebiete, unmöglich gemacht wird. Wenn sich heute noch Arbeitgeber und Finanzinstitute auf Kosten des Mitelstandes und der Arbeiterschaft bereichern, ihre Reserven stärken und gegen unverschuldete Not keine Rücksicht kennen, dann richten sich diese Kreise selbst und die Nemesis wird, wie in allem was irdisch ist und auch die Geschichte beweist, nicht ausbleiben. Da gibt es für unsere Regierungen und Räte Volkskraft zu schützen und zwar mit allen gesetzlichen Mitteln und der Zeit entsprechenden Vollmachten.

Anzeige für Konservengläser

Das im Artikel erwähnte, am 31. Juli publizierte Haushaltsbudget betraf eine dreiköpfige Arbeiterfamilie (zwei Erwachsene, ein Kind). Diese Familie hatte ein Jahreseinkommen von Fr. 2800. Dem standen Ausgaben von Fr. 3223.40 gegenüber.

Aufgelistet sind im Artikel u.a. folgende Ausgaben: Pro Woche konsumierte diese kleine Familie 9 kg Brot, 14 l Milch, ½ Pfund Butter und Fett sowie am Samstag abend eine Flasche Bier. Dazu kam pro Monat ½ kg Kaffee. Der Jahresbedarf an Kartoffeln und Äpfeln ist mit je 200 kg ausgewiesen. Zum Thema Fleisch und Wurstwaren heisst es: Fleisch, Sonntag mittag Fr. 2.25, abends Rest vom Mittag und Zuschuss von 60 Rp., Montag fleischlos, Dienstag Fleisch Fr. 1.60, Mittwoch fleischlos, Donnerstag Fleisch Fr. 1.20, Freitag fleischlos, Samstag Wurstwaren Fr. 1.20, für Fleisch in der Woche Fr. 6.85 oder im Jahr Fr. 356.20.

Der Vater erhielt ein wöchentliches Taschengeld von Fr. 2.50: […] daraus hat er zu bestreiten zweimal Rasieren, Haarschneiden, Konsumation bei Versammlungen, Sitzungen, Zigarren, Tabak, ebenso inbegriffen sind in diesem Sackgeld allfällige Auslagen an Sonntagsspaziergängen mit Frau und Kind […].

Quellen: Staatsarchiv St.Gallen, P 907 (Die Ostschweiz, Nr. 178, 02.08.1916, Morgenblatt, Text) und P 913 (Rorschacher Zeitung, 22.07.1916, Nr. 169, Anzeige für Konservengläser)

Sonntag, 20. Februar 1916 – Marie schreibt ihrer Schwägerin Fanny aus Saint-Maurice

Die Adressatin des Briefes, Fanny Lutz-Giger (geboren 1876), war seit 1911 mit Gebhard Lutz (1870-1946) verheiratet. Die Briefschreiberin und Schwägerin, Marie Lutz (1885-1955), war offenbar aus dem Kloster Menzingen ausgetreten. Sie lebte danach zuerst bei den Familien ihrer Geschwister, wo sie sich mit Handarbeiten und Kinderhüten beschäftigte. Dem nachstehenden Brief nach zu schliessen, war sie im Winter 1916 in Stellung bei einem „Fräulein“ in Saint-Maurice. Später arbeitete sie als Lehrerin in Thal.

St.Maurice, 20. Februar 1916.

Liebe Fanny!

Zu Deinem baldigen Geburtsfeste wünsche ich Dir von ganzem Herzen Glück und Gottes Segen. Als meine liebe Mutter sel. diesen Geburtstag feierte, war ich noch ein gutes Weilchen hinter Gotterbarm.

Als ich gestern Abend vor dem Nachtessen noch auf der „Reise nach Jerusalem“ [Gesellschaftsspiel] war, kam ein Abgesandter von den Fleischtöpfen Ägyptens, eine im ménage beschäftigtes Mädchen mit dem „gediegenen Schweinefleisch“, wofür ich vielmals danke. Das Salsiz war so fein, dass ich es abends 9.30 noch verspeiste. Nur fand ich leider den Klupperlisack [Sack für Wäscheklammern] nicht. Hie u. da kann man ja die Rekreation nach dem Abendessen schon mit Schreiben zubringen, aber für gewöhnlich ist dies doch auch eine gute Gelegenheit zum Sprechen. Die letzte Woche verhinderte das schlechte Wetter auch öfters den gewohnten Spaziergang nach dem Mittagessen.

Dass Du die Zahnoperation so mutig bestanden [hast], erfuhr ich schon am andern Tage durch unsere getreue Berichterstatterin, der es aber scheints auch nicht gelingt, die Herren Gebrüder Lutz etwas zu magnetisieren. Mir ste[h]ts halt nicht an, denn Neutralität u. noch manch‘ anderes ist nicht meine starke Seite. Aber wenn ich Frau Seitz wäre, würde ich die messieurs ein wenig verklagen bei unsern gemeinsamen Eltern. – Dass Du den zärtlichen Papa auf der Bahn gern schon möchtest, begreife ich. Ich beobachtete ihn einmal, wie er von der lb. Kleinen Abschied nahm, als sie im Wägeli auf dem Strässchen war. Dabei paarte sich zur Zärtlichkeit auch noch Schläue, indem er noch einen Blick auf die Fenster des Hauses warf, ist halt auch ein Bruder vom „unvertrauten Gaul“. Wie lange letzterer in St. Maurice bleibt, weiss ich selber nicht. Meine Freundschaft mit dem Mond ist halt auch nicht umsonst, manchmal denke ich so u. dann wieder anders. Wegen der police ist das ewige Wechseln etwas langweilig & auch kostspielig. Auch ist ein Spatz in der Hand sicherer als so auf dem Dache. Auch kann ich mich nicht so gut umtun, obwohl die Briefe ja geschlossen kommen & gehen & die abgehenden kann ich selber einwerfen, wenn wir am Morgen in die Abtei gehen. In den Zeitungsabschnitten lese ich immer nur, dass cuisinière oder Leute, um ein ménage zu führen, gesucht sind. Im grossen ganzen bin ich auch gern hier; dass ich bei 8 Stunden Arbeit auch lieber etwas verdienen würde, ist ja klar, obwohl ich das Frl. von ihrem Standpunkte aus auch begreifen kann. Mein Nähen wiegt Kost & Logis nicht auf, obwohl es anfangs [in der Zwischenzeit] besser geht. Aber allein die Heizung kommt dem „oeuvre“ in einer Woche auf 14-15 frs. zu stehen. – Gewaschen wird recht schön hier, dabei geht es patriarchalisch langsam zu. Vor 3 Wochen gab man sie zum waschen & jetzt bin ich „fangs“ im Besitze der Taschentücher, Handtücher, Handschuhe, Strümpfe & etc. Eine der im „ménage“ beschäftigten Mädchen hatte eben auch etwa 12 Tage Influenza, also eine weniger & alle werden wohl denken: „Was lange währt, wird endlich gut.“ – Morgen geht Monseigneur Marietan für 15 Tage fort; eine Walliserin durfte auch 8 Tage nach Hause, weil die Brüder mobilisi[e]rt wurden. Darum hören wir gewiss so oft die feine Musik, welche gestern Abend den Bernermarsch spielte.

Herzlichsten Gruss an Alle & nochmals innigsten Segenswunsch zum 24. von Deiner treuen

Marie Lutz.

Quellen: Staatsarchiv St.Gallen, W 289/20-2 (Brief), W 289/23-01.20 (Bild von Marie Lutz als ca. vierjähriges Mädchen)

 

Sonntag, 16. Januar 1916 – Aus dem Leben einer unverheirateten Tante

Marie Lutz berichtete in einem Brief an ihre Schwägerin über ihr Tun und Treiben. Dem Brief nach zu schliessen war Marie Lutz aus dem Kloster Menzingen ausgetreten. Sie lebte danach bei den Familien ihrer Geschwister, wo sie sich mit Handarbeiten und Kinderhüten beschäftigte. Später arbeitete sie als Lehrerin in Thal.

Fanny Lutz-Giger, die Schwägerin der Briefschreiberin, war seit 1911 mit Gebhard Lutz (1870-1946) verheiratet.

Eine Nichte der beiden war offenbar zur Kur in Davos.

St.Gallen, 16. Januar 1916.

Liebe Fanny!

Soeben sind Paul, Ida und ich zurückgekehrt vom Bahnhof. Obwohl ich es Gebhard auch mündlich auftrug, Dir für Deinen lieben Brief zu danken, so will ich es doch auch noch auf diesem Wege tun.

Wir stummen Lutzen sind doch nicht ganz so kalt, können es aber nicht so gut sagen und mir fehlt manchmal auch das richtige Courage dazu. So wollte ich Dir zuletzt immer noch etwas sagen; die letzte Gelegenheit wäre noch in der Rheinecker-Kirche gewesen, doch ich muss einen unheimlich engen Hals haben, dass es nicht heraus wollte.

Nun möchte ich Dich bitten, die gute Erinnerung, die ich meinerseits ganz mitnehme, auch mir zu erhalten, trotzdem ich Dich durch meine Zerstreutheit und mein unfreundliches Benehmen oft erzürnt habe. Ich danke noch einmal für Alles und besonders auch für die freundliche Aufnahme, die ich nach meiner Fahnenflucht von Menzingen im Trüetterhof gefunden. „Vergelts Gott a da chlina Chinde.“

Familie von Gebhard und Fanny Lutz-Giger mit Hilfskräften bei der Weinlese in Thal, 1925
Familie von Gebhard und Fanny Lutz-Giger mit Hilfskräften bei der Weinlese in Thal, 1925

Am letzten Montag bin ich erst abends hier angelangt. Während ein Bahnbeamter in Rorschach stets rief: Goldach, N. St. Finden einsteigen II. Perron guckte ich ins Blaue & liess meinen Zug abdampfen.

Am Dienstag Nachmittag gingen wir zu Onkel Othmars. Nach Uzwil ging ich nicht, teils wegen dem Häckelspitz [sic] & weil Theres[1] fand, es passe nicht, wenn ich auch nicht mehr [nach] R’wil [Rapperswil] gehe. Am Freitag circa 4 Uhr wurde der Spitz dann auch wirklich fertig, worüber ich anfangs selbst sehr froh war & was ich gerne überall hin telephoniert hätte, wo Herr Spitz schon gesehen wurde. Am Samstag nach dem Kaffee kam mir plötzlich der Klupperlisack [Sack für Wäscheklammern] in den Sinn; darum ist jetzt die rote Garnitur noch so unvollständig.

Am Dienstag Abend waren Theres & Anton bei Herrn Ruckstuhls eingeladen. Ich schlief dann bei den Kindern[,] bis Theres kam. Paul merkte aber den Personenwechsel, als um ½ 2 Uhr die gut geschlafen habende Tante von der heimkehrenden Mama abgelöst wurde.

Am nächsten Dienstag kommt Tante Mathilde von Davos zurück; Theresli schrieb ganz vernünftig, dass sie sich drein schicken & dennoch kurgemäss leben werde. Im Notfall würde sie halt wieder „gock gock“ schreiben. Auf heute schrieb sie ein schönes Kärtchen mit der Anrede „allerliebstes Mütterlein.“ Gestern Vormittag war ich bei Jgfr. Mauchle, welche im Verlaufe der Woche auch 1mal hier war.

Nun Adieu mit vielen herzlichen Grüssen an Klein & Gross im Trüetterhof, besonders an Dich von Deiner dankbaren Marie Lutz. 

[1] Theresia Messmer-Lutz (1872-1942), Schwester von Marie Lutz.

Quellen: Staatsarchiv St.Gallen, W 289/20-2 (Text) sowie W 289/23-03.06 und W 289/23-01.17 (Bilder)