Verkuendigung von Franz Beda Riklin

Dienstag, 24. April 1917 – Lawinengefahr und saubere Wäsche

Franz Beda Riklin sorgte sich um seine Ehefrau, die aus dem Tessin nach Zürich zurückreiste, und bestellte saubere Wäsche. Der Dienst ödete ihn an, er litt unter zu wenig geistiger Auseinandersetzung und Anregung:

Château d’Oex, 24. April 1917.

Liebste Frau!

Danke vielmal für Deine Briefe. Ich hofe, diese Zeilen teffen Dich gesund u. munter zuhause [sic] an. Ich habe etwas Angst wegen der Lawinengefahr auf der Reise. Ich lasse auch den Kindern recht herzlich für die Geburtstagswünsche danken. [Riklin hatte am 22. April Geburtstag gehabt.] Ich schicke heute die schmutzige Wäsche u. bin froh, recht bald saubere zu bekommen: Unterleibchen, 1 Nachthemd, Unterhosen, Manschetten u. Nastücher sind nötig.

Ich habe Mühe, mich geistig aufrecht zu erhalten. Das ganze Gschiss [sic], Pla[c]kereien u. Intrigen geben mehr Arbeit als die Sache wert ist. Verzeih[‹] mir drum [sic], wenn ich nicht immer geistreich bin. Das Wetter ist etwas besser, aber kalt ist es immer noch; es wird Zeit brauchen, bis es hier Frühling ist. Ich vermisse Dich auch sehr. Aber zur Eröffnung am 15. Mai werde ich kommen.

Maria Moltzer schreibt mir, dass sie das Bild bezahlt hat. Wo? Auf dem Postcheckkonto od. Kreditanstalt?

Ich schreibe Dir gleich wieder, wenn ich etwas mehr bei der Sache bin.

Tausend herzliche Grüsse von Deinem treuen

Franz

Offenbar hatte die Psychiaterin und Kollegin von Franz Beda Riklin, Maria Moltzer, das Bild «Verkündigung» von Franz Beda Riklin mit dem Titel «Verkündigung» gekauft (vgl. dazu Beitrag vom 11. April 1917). Eine Reproduktion des Gemäldes (vgl. Beitragsbild) findet sich unter: http://www.e-periodica.ch/digbib/view?var=true&pid=smh-002:2001:81::829#360. Zu Maria Moltzer vgl. http://www.psychoanalytikerinnen.de/niederlande_biografien.html#Moltzer

Zum Thema grosse Wäsche vgl. den Beitrag vom 2. April.

Nächster Beitrag: 27. April 1917 (erscheint am 27.  April 2017)

Quellen: Staatsarchiv St.Gallen, W 106 (Briefe an seine Ehefrau; Text), Beitragsbild: s. oben

Grand Hote. Briefkopf, Ausschnitt

Montag, 23. April 1917 – Erst ein Viertel der Dienstzeit um

Der Frühling liess in Château d’Oex noch immer auf sich warten, so schneefrei wie im Beitragsbild (Park des Grandhotel) war es noch lange nicht. Franz Beda Riklin schrieb an seine Ehefrau:

Château d’Oex, 23. April 1917.

Liebste Frau!

Ich weiss nicht, ob Dich dieser Brief noch in Orselina antrifft. Ich hatte heute den ganzen Tag viel Arbeit. Wetter kalt. Es ist hier noch immer Winter, u. windig. Nun ist doch bereits ein Viertel der Dienstzeit u. es ist natürlich mässig; ich mache meine Sache. Geistreich ist es nicht, und der eigene Geist kann nicht recht leben. Es fehlt natürlich auch an Menschen. Deine Blumen machen mir viel Freude; einige sind jetzt auch in meinem Bureau.

Vielleicht male ich ein bis[s]chen davon, denn die Farben sind anregend, besonders hier im Schnee. Aber es ist überall zu kalt zum Malen; Draussen, im Zimmer, im Bureau. Und alles stimmt nicht zum Geist der Kunst, besonders nicht das englische – u. Soldatenmilieu.

Ich schreibe Dir das nächstemal nach hause [sic]. Pass nur auf, dass auf der Gotthardroute keine Lawine kommt!

Mit tausend Grüssen und Küssen Dein treuer

Franz.

Nächster Beitrag: 24. April 1917 (erscheint am 24.  April 2017)

Quellen: Staatsarchiv St.Gallen, W 106 (Briefe an seine Ehefrau; Text und Beitragsbild aus Briefkopf des Grandhotels)

Briefkopf Interniertenlager

Donnerstag, 19. April 1917 – Dienstbotenfrage

Diesmal schrieb Franz Beda Riklin auf offiziellem Briefpapier der Internierten-Lager:

Liebster Schatz!

Ich danke Dir aufs allerbeste [sic] für Deine letzten Briefe. Es macht nichts, wenn die beiden Mägde fortgehen, falls Frl. Kärcher [?] bleibt. Man muss sie halt anfragen. Anna hat Marie jedenfalls aufgestiftet, u. es wird sowieso nicht mehr gehen. Auf wann haben sie gekündigt? Bist Du dann zuhause? Sie werden noch dies u. das kaputmachen [sic] u. Frl. Kärcher ärgern. Ich glaube auch, dass Du es hier, etwas später, gut haben wirst u. freue mich sehr darauf. Hier ist halt immer noch regelrechter Winter mit frischem Schnee. Sonst geht es mir gut, abgesehen von der Eintönigkeit. Mit den (reichen!) Engländern im Hôtel komme ich gut aus. Z. Zeit sind lauter sehr anständige Leute dort. Sage mir noch, wann Du kommst, damit ich es vorbereiten kann. Man könnte event. noch sehen, ob wir in irgend ein Châlet ziehen könnten. Aber sonst ist man im Gd. Hôtel in jeder Beziehung ausgezeichnet aufgehoben; nur hie u. da ist gegenwärtig etwas wenig geheizt.

Gestern machte ich zum erstenmal eine Pastellskizze von der Kirche hier. Morgen früh fahre ich nach Olten zu einer Konferenz mit dem Armeearzt. Ich freue mich, wenn Du kommst; es ist sonst natürlich niemand hier, mit dem man sich nur annähernd auf dem Niveau besprechen kann, das wir gewohnt sind. Etwas merkwürdig wird Dir die vollständige Ententophilie [?] vorkommen.

Nimm herzliche Grüsse u. Küsse von Deinem Franz.

Vgl. auch die Beiträge vom 11. April und vom 17. April.

Nächster Beitrag: 20. April 1917 (erscheint am 20. April 2017)

Quellen: Staatsarchiv St.Gallen, W 106 (Briefe von Franz Beda Riklin an seine Ehefrau, 1917; Texte und Beitragsbild)

Grand Hotel Briefkopf, Auszug

Dienstag, 17. April 1917 – Immer noch Winter in Château d’Oex

Der Psychiater Franz Beda Riklin weilte immer noch in Château d’Oex und leitete ein Interniertenlager mit kriegsversehrten Angehörigen der britischen Armee (vgl. Beitrag vom 11. April). An seine Frau schrieb er:

Château d’Oex, 17. April 1917.

Liebster Schatz!

Ich danke vielmal für Deinen letzten Brief. Über das Wetter musst Du Dich nicht mehr beklagen als wir hier. Meistens schneit es [Mitte April!], zB. heute ohne Unterbruch. Ich mach mir übrigns nicht allzuviel daraus, denn ich bin ja beschäftigt. Am meisten mss ich diese Arbeit mit der einer Anstaltsdirektion vergleichen. Die Sprachveränderung ist ganz günstig; doch wäre ein italienischer Aufenthalt nützlicher u. für uns beide angenehmer. Ja, wir müssen sehen, dass wir noch einmal einen Aufenthalt für uns haben. Es ist natürlich auch für mich relativ fade. Ich freue mich nur, noch ein Stück Frühling in dieser Gegend  zu sehen u. [unlesbar] dann auch einmal an den Genfersee hinunter. DAnn aber Schluss mit diesem Dienst. Nächsten Freitag fahre ich nach Olten zu einer Conferenz. Ich bin dort von Mittag-Nachmittag, fahre abends zurück bis nach Gstaad. In Olten; Hotel Schweizerhof.

Wie geht es wohl zuhause? Ich habe ein paar «Briefe» von den beiden Grossen u. schicke ihnen ab u. zu eine Karte.

Dem Herz geht es ziemlich gut, zuerst musste ich mich ans Steigen gewöhnen u. die Höhe. Aber ich komme jetzt ziemlich viel an die Luft. Zeitweise beschäftigen mich die Träume; auch habe ich e. Roman von Anatole France gelesen; weniger gut als die anderen.

Viele herzl. Grüsse u. Küsse

v. D. [von Deinem] Franz

Anatole France war ein französischer Schriftsteller. Er erhielt 1921 den Friedensnobelpreis (vgl. z.B. https://de.wikipedia.org/wiki/Anatole_France)

Nächster Beitrag: 19. April 1917 (erscheint am 19. April 2017)

Quellen: Staatsarchiv St.Gallen, W 106 (Briefe von Franz Beda Riklin an seine Ehefrau, 1917; Texte und Beitragsbild: Auszug aus einem Briefkopf des Grand Hôtels, in dem Riklin logierte)

Briefpapier Grand Hotel

Mittwoch, 11. April 1917 – Interniertenlager in Château d’Oex

Der Psychiater Franz Beda Riklin leistete in den Waadtländer Alpen Dienst. Er leitete in Château-d’Oex ein Interniertenlager u.a. für englische Offiziere und hatte sich im Grand Hotel einquartiert, was er sich eigentlich nicht leisten konnte (s. weiter unten).

Während des Ersten Weltkriegs beherbergte die Schweiz über 12’000 Kriegsverletzte aller Parteien in verschiedenen Luftkurorten der deutschen und der welschen Schweiz.

Über seinen Einsatz schrieb Riklin in einem Brief vom 8. April 1917: Mein Vorgänger ist ein Arzt von hier, der genug hat, aber mir noch in Musse alles zeigen kann. […] Was schert mich im Grunde dieser Betrieb. Ich bin eine Art Anstaltsdirektor od. dgl., u. offenbar auch eine Art Diplomat. Ich fange erst morgen um 9 Uhr an zu arbeiten und bin im übrigen vollständig Einzelwesen [?].

Manchmal dauerte die Tätigkeit bis abends spät, wie er zwei Tage später schrieb: Es war schlimm, gestern nochmals bis fast Mitternacht aufbleiben zu müssen; aber es kam von Vevey der noch höhere Offizier, ein Major de la Harpe, der mich sehen wollte. Ich habe hier eine eigentümliche Stellung, die ich zuerst noch erfühlen muss; jedenfalls ist es für mich persönlich mehr eine diplomatische u. administrative Stellung; rein ärztlich habe ich nichts zu tun. Es muss mehr jemand da sein, der zur Sache sieht und eine Instanz ist. […] Ich werde hier isoli[e]rt bleiben müssen, denn die Engländer sind hier Internierte u. Klatschbasen u dgl., u. da muss ich würdevolle Distanz behalten. Also muss ich mehr in die Ferne denken. Ich rede dann zum mindesten den bessern englischen Akzent als die Herren hier, was auch die engl. Offiziere angenehm bemerkten.

Am 11. April schrieb Riklin gleich zwei Briefe an seine Ehefrau, hier der eine:

Chateau d’Oex, 11. April 1917.

Liebster Schatz!

Heute regnets wieder u. ist kalt. Gestern war ich zu Inspektion in Rougemont. das ist ein  noch unverdorbenes Dorf, mit einem [unlesbar] u. hübschem Schlössli u. Kirche. Ich lasse mir von den behandelnden Ärzten alle Leute vorzeigen u. sehe die verschiedenen Kriegsfolgen, zunächst am Leib: Glasaugen, amputi[e]rte Beine, Lähmungen, grosse Narben, das ganze Heer der Krüppel. Zweitens allerhand interne Übel. Drittens sieht man ziemlich viel Alkoholismus. Die alten Kastenoffiziere sind durchschnittlich widriger u. ungebildeter als die der sog. neuen Armee. Aber man fragt sich doch, in was für eine Welt von Geistiger [sic] Armutei [sic] man hineingeraten ist. Anderseits hat man durch die Leute den Kontakt mit allerhand Ereignissen: Fliegerkämpfen, [Wortanfang gestrichen] und bekannten Daten der Kriegsgeschichte. Es sind auch Gurk[h]as hier mit ihrem religiösen E[th]os [?] u. Begräbniszeremoniell, Kanadier, Australier, Irländer u.s.f.

Ich habe heute Fr. 50.- auf den Postcheckkonto einbezahlt, vorläufig der Betrag, den ich mitgenommen hatte.

Es gibt Tage, wo ich doch ziemlich viel zu tun habe; ich bin den Anstalts- & Familienpflegebetrieb doch nicht mehr so gewohnt.

Ich will heute noch den Kindern schreiben.

Nimm für den Moment mit diesem Vorlieb [sic], da man zum Essen klingelt, u. ich bin ausserordentlich begierig, was in Morcote ist, u. was mein lieber Schatz dort erlebt.

Mit den herzlichsten Grüssen

Dein treuer

Franz

Der andere Brief des Tages lautete so:

Ch. d’Oex, 11. April 1917.

Liebster Schatz!

Heute vormittag kam Dein erster Brief mit all den guten Nachrichten. Jetzt fährst Du gerade nach Morcote, bist schon bald in Lugano u. hast schönes Reisewetter. Vorläufig ist es hier nicht uninteressant, man sieht in einem Menge neue Verhältnisse hinein. Natürlich wiegt das Administrative vor. Aber es ist auch lustig, zu sehen[,] wie alles auf Englisch aussieht. Ich habe mir eben eine englische Ordonnanz geben lassen; es sieht besser aus, u. ich erfahre auch, wie der Soldat u. Mann aus dem Volk dort denkt. Gestern habe ich etwas billigere Pensionen angesehen, 6-7 frs.; die Zimmer sind recht; aber die Eigentümer sehen nach meinen Begriffen etwas grusig [schweizerdeutsch für unappetitlich] aus u. das Mobiliar auch ein wenig, sodass ich fast stutzig geworden bin. Ich sehe mir jetzt noch eine an.

Mein ganzer Sold beträgt sogar frs. 21.50 cts pro Tag.

Also die «Verkündigung» [Titel eines von Riklin gemalten, verkauften Bildes] ist verreist. Von hier aus empfinde ich merkwürdig wenig dazu, obwohl ich weiss, dass viel Kühnheit u. Wagen im Bilde ist.

Gestern kam mir der Gedanke wieder, ganz impressionistisch – od. expressionistisch über innere u. äussere Eindrücke hier zu schreiben. Das gäbe noch ein wenig Geld u. wäre eine Verarbeitung von dem, was ich doch aufnehmen muss. Der Gegensatz zwischen Muss und dem freien Annehmen der Eindrücke würde gemildert. Material wäre reichlich da, wenn man aus allem etwas formen könnte.

Malen kann ich noch nicht. Das Wetter war zu schlecht u. das Zimmer im Hotel nur abends etwas geheizt. Heute ists [sic] schön, aber wir machen eine Inspektionsreise.

Herzliche Grüse von Deinem treuen

Franz.

Zu Franz Beda Riklin vgl. auch die Beiträge vom 20. und vom 26. Juli 1916.

Zu den Internierungen in der Schweiz vgl. http://www.hls-dhs-dss.ch/textes/d/D8704.php

Nächster Beitrag: 13. April 1917 (erscheint am 13. April 2017)

Quellen: Staatsarchiv St.Gallen, W 106 (Briefe von Franz Beda Riklin an seine Ehefrau, 1917; Texte und Beitragsbild)

Montag, 26. März 1917 – Kriegsgefangenenpost

Auch 1917 erhielt Joseph Fischer Post von kriegsgefangenen Kollegen (?) aus England (vgl. die Beiträge vom 7. Januar, 26. August und 24. Oktober 1916). Willy Güllberg, interniert in Lofthouse Park, hatte ihm am 26. März 1917 folgendes nach St.Gallen geschrieben:

Lofthouse Park, Wakefield, York. Engl. 26/III. i7. Dear Fisher, I hope your first letter was not the last one from you. Else needn’t write such big letters as she ist not yet in good health. You can save her the trouble by simply mentioning her little affaires in your own letters and by telling me how many Frs are left with Mr. Birkenmeyer and with the Bankverein for me and her; and what she had paid off for me; that’s all, anything else hardly interes to me [sic], as I am studying rather much. It seems that old Probst has paid Else what he owed me but [«I» gestrichen] she didn’t tell me how many Francs she got from him! She ought to write you twice a week (a simple postcard, it is nonsense writing me on the stationery of Papa’s firm. pure [sic] waste nowadays. Enclosed letters are not desirable, send them separately. Wi [?] 2490 Willy Gullberg [sic].

Auf der anderen Seite der Postkarte ist als Absender angegeben: Willy Güllberg 2490 Lofthouse Park Wakefield. York Eng. 

Quelle: Staatsarchiv St.Gallen, W 207, Album „Aus den Kriegszeiten“ (Brief eines Kriegsgefangenen aus England an Joseph Otto Ferdinand Fischer (1892-1967) in St.Gallen)

Anzeige für Brautleute

Montag, 19. März 1917 – Einschränkungen in der Lebenshaltung

Auf der Frontseite des Morgenblattes titelte das St.Galler Tagblatt in dicken Lettern zwei Zeilen mit den neusten Kriegsnachrichten:

Abdankungs-Manifest des Zaren. Proklamation des Grossfürsten Michael.

Demission des Kabinetts Briand. Rückzug der Deutschen im Westen.

Die sozialdemokratische Volksstimme unter der Redaktion von Valentin Keel (1874-1945), später Regierungsrat des Kantons St.Gallen, hatte die Abdankung des Zaren bereits zwei Tage vorher, am Samstag, den 17. März, gemeldet. Der Haupttitel lautete dort: Revolution in Russland.

Auf der zweiten Seite der Montagsausgabe des Tagblattes findet sich unter Lokales folgender Bericht, der Auswirkungen des Kriegsgeschehens auf das Leben in der Schweiz aufzeigte. So gab es u.a. ein Verbot, an Dienstagen und Freitagen Fleisch zu essen:

Einschränkung in der Lebenshaltung.

Auf die den verschiedenen Seiten gestellte Anfrage, ob nicht nächsten Dienstag[,] den 20. März, also am Wiedereinrückungstage der 6. Division, in den Wirtschaften die Abgabe von Würsten an Soldaten ausnahmsweise gestattet werden könnte, ist mitzuteilen, dass solche Ausnahme-Bewilligungen der Konsequenzen wegen nicht erteilt werden können.

Bei dieser Gelegenheit wird auch darauf aufmerksam gemacht, dass Ausnahmen vom Fleischverbot an Dienstagen und Freitagen an Hochzeiten und anderen derartigen Feierlichkeiten nur dann bewilligt werden können, wenn der Nachweis geleistet wird, dass eine Verschiebung der Feier auf einen andern Tag nicht möglich ist.

Nächster Beitrag: 24. März 1917 (erscheint am 24. März 2017)

Quellen: Staatsarchiv St.Gallen, P 909 (St.Galler Tagblatt, 19.03.1917, Morgenblatt: Text; 24.02.1917, Morgenblatt: Anzeige für Brautleute)

Soldaten und Alkohol

Freitag, 2. März 1917 – Soldatensprache: Genussmittel

Rasch lebte sich der Tee ein; dass er “Abstinenten-Gülle”, “Temperänzler-Wasser” heisst, hat mich nie aufgeregt; wohl aber weiss ich, dass auch der hinterste Soldat schon seine Zunge ellenlang nach einem Schluck “Magengift” gestreckt hat. Auf Vorposten und strengen Märschen verlangt heute der Soldat Tee. Die einstigen Schnapsereien und zeitweiligen Saufereien, Sie gestatten, dass ich die Dinge bei ihren wahren Namen nenne, sind glücklicherweise in den Aktivdiensten, soweit ich beobachten konnte, stark zurückgetreten. Es sind aber immer wieder Augenblicke und Zustände, wo der einzelne sich der einstigen Wiederholungskurs-Ereignisse erinnert und wieder in die alten Laster zurückfällt. Es war schon in jenen Zeiten verpönt, die Dinge bei ihren Namen zu nennen: Schnapsgeruch! Wie da die Worteerfindung blüht. Ich hege starke Zweifel, ob die Erfinder seinerzeit in der Schule so schlagfertig gewesen sind: Milch, Augentrost, Borax, Thurwi, Toggenburger, Gix sind harmlose Synonyme dafür; der Aktivdienst und die schärfere Kontrolle durch die Soldaten selbst, ich möchte dies bemerkt haben, waren Grund zu einigen drolligen, neuen Bemerkungen: Sirup steht zwar in geringem Ansehen, da er aber in der Feldflasche mitgetragen werden durfte, so war er doch gut genug, dass er seinen guten Namen dem bösen Schnaps lehnen musste; ebenso ging’s dem schwarzen Kaffee, dem Tee; dem Schnäpsler bedeutet das eben Schnaps. Heidelbeeri-Wasser, Helvetia-Träne, Wichwasser, geweihtes Wasser, Lieblieb, Plauderi-Wasser, Schrägmarsch, Arrestanten-Balsam, Vipere-Wasser, Vipere-Kognak, Ehre-Wi. Heilsarmee-Tränen gebärden sich so harmlos, dass es auch dem schärfsten Alkoholgegner kaum auffällt, was damit eigentlich gemeint ist. Der neben der Kolonne daherschreitende Offizier wird schwerlich verstehen, was die Soldaten verhandeln, und das ist oft ein Hauptzweck auf der Suche nach blumenreichen Ausdrücken mit möglichst harmlosem Gepräge. Die Schnapsflasche heisst: Wäntele [Wanzen], Wehrmannskalender; ein findiger Kerl, der nicht davon lassen konnte, hat sich einen Wehrmannskalender so zurecht geschnitten, dass er den “Fesselballon” regelrecht umhüllte, und da der Wehrmannskalender dienstlich empfohlen wird, so ist ja die Geschichte insoweit auch in der Ordnung. Weniger appetitlich sind dann das Brunzgütterli [kleine Flasche zum Wasserlassen] oder Schmierölkäntli.

Heimlich trinken heisst: Eins drücken, Gamelledeckel schwengge, weil dies oft der Grund ist, sich zu drücken; de Kiesel wäsche, schmore, jodle, bätte.

Wein und Bier haben viel weniger Bezeichnungen, da sie nach 5 Uhr abends zu den allgemein genossenen Getränken gehören und daher ein aussergewöhnlicher Genuss weniger scharfe Ahndung erfährt, wenn das Mass nicht gar zu voll ist. Forellewi, Krinauer, Laufenburger sind Nachbildungen, die ja im gewöhnlichen Sprachgebrauch häufig vorkommen.

Most

Reichlicher finden wir besondere Ausdrücke beim Rauchen: Es gibt verschwindend wenige Soldaten, die nicht zum Rauchen ihre Zuflucht nehmen, sei es auch nur, um die quälende Langeweile damit zu vertreiben oder um einen Aerger zu verbrennen. Für Tabak wird einmal kurzweg “Back” gesagt; daneben aber hörte ich die Ausdrücke: Chrut, Nussbaumblätter, Buchelaub, Knaster; die Pfeife ist ein Lüller, Heizofen, Sudtopf, Güllefass, Nasenwärmer, Hirnitröchner [Gehirntrockner]; Schmorhafen und Sudtopf waren bei uns die üblichen Benennungen. Die häufig gerauchten Stümpen, natürlich stets von bester Beschaffenheit, nannten die Räuchler: Sprenzel, Italiener-Havanna, Nasenwärmer, Glimmstengel; Sargnägel für Brissago gebrauchen wir ja auch ausserdienstlich. Die sehr stark gebrauchten Zigaretten scheinen wenig Angriffspunkte zu Andersbenennungen zu bieten. Es ist mir kein Name besonders aufgefallen. Näble, stinke, Flüge vertribe [Flinegen vertreibe], lülle, peste, dämpfe lauten die verschiedenen Zeitwörter [Verben], wofür wir einfach “rauchen” sagen.

Bevor ich übergehe zum Dienstbetriebe, möchte ich noch einige bunte Namen für die Körperteile nennen. Verstandeschaste, Kürbse, Räbe, Käppihogge heisst der Kopf; Frässlade, Brotklappe, Suppeloch, Brottrülli, Vaterunserloch, Schnorre, was sonst Mund genannt wird. Wer seine Zähne in der Militär-Zahnklinik machen liess, hat eine “Bundesschnorre”.

Für Nase vernahm ich folgende Namen: Chlobe, Gasmesser, Schmeckschitt, Bögehöhli [Popelhöhle], Zinge, Rüebli [Karotte]. Taschentuch heisst dann: Bögecharte [Popelkarte], Bögealbum [Popelalbum]; es dient zur Reinigung und zum Abputzen des Suppen- oder Fidelirechens, des Bögegstells, der Bürschte. Beim Bartchratzer wird dann aber doch der “Schnauz” in Ordnung gebracht.

Drollige Benennungen bekommt der immer aufnahmebereite Soldatenbauch: Ranze, Fressack, Heutrog, Verdauigschratte, Kotlettfriedhof.

Die Beine werden zu Stelzen, Haxen, Spazierhölzern, Telephonstangen, Rheumatismusstengeln; nach strengem Marsche “fallen” sie einem fast ab. Tatzen sind sonst Füsse. Wenn einer eine Menge Blattern sich angelaufen hat, wird er spottweise gefragt: Hescht e Bloteremuseum gründet? Hescht Eier under de Füss? Wer vor lauter Blattern von einem Fuss auf den andern hüpft und möglichst schonend nachtippelt, vernimmt den Zuruf: Warum tanzischt so ume? Was häsch Gfreuts? Die Antwort ist meist – sehr deutlich.

Nächster Beitrag: 4. März 1917 (erscheint am 4. März 2017)

Quelle: Staatsarchiv St.Gallen, P 945 (St.Galler-Blätter für Unterhaltung und Belehrung aus Kunst, Wissenschaft und Leben, Illustrierte Sonntagsbeilage zum St.Galler Tagblatt, N. 9, 1917) und W 132/2 (Bilder: Geb Sch Bat 8 (Gebirgs Schützen Bataillon 8) im Aktivdienst 1914-1918)

Verpflegung

Dienstag, 27. Februar 1917 – Soldatensprache: Verpflegung

Beitragsbild: Füs Bat 79 (Füsilier Bataillon 79) im Winterdienst im Oberengadin, 1915/16, Feldküche auf Schlitten

Der Vortrag von Heinrich Zogg zur Soldatensprache erschien in mehreren Folgen (vgl. Beiträge vom 8. und vom 9. Februar). Nachdem es zunächst um die Ausrüstung des Soldaten gegangen war, widmete sich der Autor der Verpflegung:

Die Neuschöpfungen erhalten dort, wo es sich um die Ernährung handelt, eigenartiges Gepräge. Wenn die Liebe des Mannes durch den Magen geht, so ist auch die Dienstfreudigkeit stark abhängig von der Verpflegung; hängt doch vom guten oder “schlimmen” Essen weit mehr ab, als auf den ersten Blick erscheint. Ich hörte wenig klagen, und das gesunde Aussehen würde die Kläger Lügen strafen, trotzdem sind aber die Ausdrücke oft reichlich grob beschaffen.

Der Kaffee am Morgen heisst: Bundesbrüh, Gluriwasser, Grampolwasser, Abwäschwasser, Schweisssockebrüh, Nagelbrüh, wenn von “Gülle” gesprochen wird, schlägt die Stimmung schon gereiztere Formen an [sic]. Geringer Gunst erfreute sich früher der Kakao: Abwäschwasser, Seifewasser, Ziegelwäschete, Negerschweiss zeugen dafür; als Abwechslung ist er trotz alledem hochwillkommen.

Des denkbar besten Rufes erfreut sich mit Recht unser vorzügliches Brot; seine Güte wird kaum angefochten; über Form und Grösse sind die Meinungen verschieden: Wegge, Bundesgugelhopf, Arbeitergugelhopf, Magetrost, Soldatewohl, Bundesziegel, -tirggel, Zahplombe; jeder Ausdruck verrät “wohlgesinnte Vertilger”. Auf Vorposten im Hochgebirge entstand das Wort “Gemseeier”. Die Suppe, nebst dem Brot das begehrteste und beste Nahrungsmittel, tauften die Leute sehr abweichend. Süppli, sagt der Hungrige; Schnalle ist gang und gäb, ohne die geringste Nebenabsicht. Dräckschnalle, Sauschnalle schimpfen die Nimmersatten. Harzwasser und Magenwasser stamen aus der Zeit des Pionierdienstes. Für Handlangerpflume, Soldateeier, Hännevogeleier sagen wir sonst Erdäpfel, noch öfter “Hörpfel” [Kartoffel]. Nudeln und Makkaroni sollen nach Bächtold [Schweizer Sprachforscher, s. Hinweis] als Kanone- und Zementröhre, als Treubruchnudle bezeichnet werden. Bei uns war die Esserei stets so rege, dass ich keine besondern Benennungen erlauschen konnte. Die Einbildungskraft des Soldaten hat sich von jeher mit dem Spatz befasst. Es heisst nicht “Fleisch fassen”, sondern “Spatzen fassen”. Hartes, zähes Fleisch heisst Negergummi, Sohlleder, Kautschukplätz; en Hüspatz ist von einem Ross [Pferd]. Sind die Stücke gar zu klein, ist’s en Photographiespatz, en Ibildigsspatz [Einbildungsspatz], e Zahplombe, weil damit gerade ein hohler Zahn gefüllt werden kann. Um anzudeuten, wie klein die Spatzen geraten sind, sagt wohl einer zum andern: “Pass uf, heb de Spatz, i muess schnufe”; wer zwei “wegdrückt”, wird gefragt: Was, witt zur Kavallerie? Hesch d’Sohle durglaufe? Witt en Regemantel mache? Hesch im Sinn, de Füchse zlegge (ködern)? usw.

Eine eigenartige Verkleinerung enthält auch der Ausdruck: Hüt hemmer e Photographie vonere Ahnig (Ahnung!) zfresse = kleiner, dünner Käse. Der Lichtbildnerei sind auch die “Schattebilder” entlehnt, womit dünne Kässchnitten gemeint sind. In das gleiche Stoffgebiet gehören: Kommandokäs, Arrestantenfänger, Magenärger. 1914 und auch später war es aus an und für sich selbstverständlichen Gründen verboten, die Zwischenverpflegung, wozu eben meist der Käse dient, ohne besondern Befehl einzunehmen. Gab’s dann unvermutet “Käseinspektion”, so wurde rasch Güterteilung vorgenommen, oder wenn dies nicht mehr möglich oder ratsam erschien, musste halt ein Bundes-Freitag mit in Kauf genommen werden.

Hinweis: Mit “Bächtold” ist vermutlich Hanns Bächtold-Stäubli (1886-1941) gemeint, der 1916 ein Bändchen mit dem Titel “Volkskundliche Mitteilungen aus dem Schweizerischen Soldatenleben” publiziert hatte.

Nächster Beitrag: 2. März 1917 (erscheint am 2. März 2017)

Quelle: Staatsarchiv St.Gallen, P 945 (St.Galler-Blätter für Unterhaltung und Belehrung aus Kunst, Wissenschaft und Leben, Illustrierte Sonntagsbeilage zum St.Galler Tagblatt, N. 9, 1917) und W 131/3.33 (Beitragsbild, Legende s. oben) sowie W 132/2 (Bild: Geb Sch Bat 8 (Gebirgs Schützen Bataillon 8) im Aktivdienst 1914-1918)

 

Samstag, 24. Februar 1917 – Gemüse für die Armee

Die Armee brauchte nicht nur dringend Fleisch (vgl. den Beitrag zum 17. Februar), sondern auch Gemüse. Im St.Galler Bauer vom 24. Februar 1917 publizierte die Schweizerische Armee-Konservenfabrik in Rorschach deshalb folgende Anzeige:

Transkribiert heisst das:

Die Hauptsache ist:

Sicherer Absatz und Verdienst.

Wer etwas aus dem Gemüsebau erzielen will, ohne grossen Zeitverlust für Marktfahrten, ohne Preissturz-Risiko, ohne Aufwand für Körbe, Säcke, Frachtspesen usw. bestellt Saatgut u. Setzpflanzen rechtzeitig und liefert an die

Schweiz. Armee-Konservenfabrik in Rorschach.

Die Armee-Konservenfabrik ging später über die Firma Roco, bekannt für ihre Ravioli.

Preisliste

Nächster Beitrag: 27. Februar 1917 (erscheint am 27. Februar 2017)

Quelle: Staatsarchiv St.Gallen, W 248 (Inserat: St.Galler Bauer, 4. Jg., Heft 8, 24.02.1917) und Wy 025 (undatierte Preisliste, Titelblatt und Rückseite der Broschüre)