kompagnie Soldaten

Dienstag, 10. Juli 1917 – Neuschnee im Engadin

Das Geb.Sch.Bat. 8 (Gebirgsschützen-Bataillon 8) leistete vom 27. Mai bis zum 26. August 1917 Aktivdienst im Engadin. Stationiert war die Truppe in St.Moritz, Pontresina, Ponte, Schuls und auf dem Umbrail.

Am 10. Juli 1917 unternahm die 4. Kompagnie einen Gebirgsmarsch im frischverschneiten Grenzgebiet gegen Italien. Die Tour führte (den Abbildungen im Erinnerungsalbum gemäss) von La Punt durch das Val Chamuera und die zugehörige Fuorcla Chamuera ins Val da Fain auf die Alp Stretta, von dort an die Landesgrenze auf Fuorcla La Stretta, dann zurück ins Val da Fain und auf den Berninapass (oder umgekehrt).

Val ChamueraOriginallegende: Val Chamuera, 10.7.17.

Fuorcla StrettaOriginallegende: Marsch über Fuorcla Stretta 10. Juli 1917

Val da FainOriginallegende: Val del Fain gegen das Livignotal 10.7.17

Val da Fain Bernina

Originallegende: Val del Fain gegen die Bernina 10.7.17.

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Quelle: Staatsarchiv St.Gallen, W 132/2, Seiten 107, 111 (Beitragsbild, Kompagnie auf Passhöhe Casana, 2692 m) und 112

Wache

Sonntag, 17. Juni 1917 – Datierungsfragen

Das Geb.Sch.Bat. 8 (Gebirgsschützen-Bataillon 8) leistete vom 27. Mai bis zum 26. August 1917 Aktivdienst im Engadin. Stationiert war die Truppe in St.Moritz, Pontresina, Ponte, Schuls und auf dem Umbrail.

Des Erinnerungsalbum enthält auch das Bild, das im Kopf dieses Beitrags zu sehen ist. Es ist am linken Rand datiert mit Wache St.Moritz! 17.VI.17. Dieses Datum stimmt mit den Wochentagen im Jahr 1917 überein – im Jahr 1916 war der 17. Juni ein Samstag.

Auch die Legende im Album nennt es: Auf Wache am 17. Juni (Sonntag) in St.Moritz und auf der Rückseite der Karte findet es sich erneut (in der Mitte, auf den Kopf gestellt).

Wache Ruecks2

Auf der Rückseite des Bildes allerdings findet sich das Schreiben eines Soldaten an seine Cousine, datiert mit Maloja 7.VII.16 Dass der Abzug erst im Juli verschickt wurde, hat mit der Tatsache zu tun, dass der Film entwickelt werden musste, die Datierung auf 1916 darf neben den anderen Belegen als falsch eingestuft werden. Ob es daran lag, dass Vetter Linus aus dem Krankenzimmer schrieb?

Liebe Base!

Nebst diesem wirklich vorzüglichen Bild & ein paar Alpenrosen sendet Dir aus dem Ober Engadin die besten Grüsse

Vetter Linus

Nächste Woche geht’s ins Münstertal an die italienisch-oesterr. Grenze. Momentan bin ich im Krankenzimmer. Fuss verheit [Fuss «kaputt gemacht»]. Anfang od. Mitte August folgt Entlassung. Vielleicht[,] dass ich dann mal nach dort komme. Auch ein Gruss an Herrn Brunner.

Einblick in das Krankenzimmer des Gebirgs-Schützenbataillons 8 (man beachte im Hintergrund an der Wand die Zeitungen als Tapeten):

Krankenzimmer

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Quelle: Staatsarchiv St.Gallen, W 132/2, Seite 109 und Seite 97

 

Interniertenlager

Montag, 11. Juni 1917 – Endlich Ablösung in Château d’Oex

Vermutlich an diesem Tag erhielt die Ehefrau von Franz Beda Riklin den zwei Tage zuvor geschriebenen Brief ihres Ehemannes, der die letzten Tage als Leiter des Interniertenlagers in Château d’Oex verbrachte:

Chateau [sic] d’Oex, den 9. Juni 1917.

Liebster Schatz!

Heute ist also der erste Tag über die zwei Monate hinaus. Ich habe eine Tour gemacht bis zuhinterst ins Val d’Etivaz, um drei Arbeitsgruppen zu besuchen. Eine macht eigene Haushaltung in einer ganz schönen Alphütte u. rüstet das Holz, das von einer Lawine in e. Wald gebrochen worden ist. Es ist jetzt ein allgemeiner Arbeitsdrang entstanden, u. ich freue mich, das noch erreicht zu haben. Ich ass eine Milchsuppe aus einer gemeinsamen Schüssel mit Sennen (Verwandte von Berthod) u. kaufte mir nachher hier einen hölzernen geschnitzten Löffel wie sie sie dort haben. Das Herz hielt sich ganz ordentlich [Riklin litt an Herzproblemen]; es waren doch im ganzen 6 Stunden Marsch. Immerhin musste ich noch behutsam tun.

Meine frühere Sanitätskompagnie ist in Zofingen, Krankendepot. Gott sei Dank, dass ich nicht in jener Gegend bin.

Den Jour [?] habe ich doch nicht viel anders erwartet. Die Beziehungen werden sich nur noch allgemein höflich gestalten, wie zu den Engländern. Mehr wird nicht mehr sein. Vielleicht gibt es andere; u. sonst tant pis.

Carls [gemeint ist vermutlich Carl Gustav Jung] neueste Schrift ist für Allgemeines ganz recht, aber für mich kann ich es nicht mehr besonders goutiren [sic]. Es ist zu pfarrerlich.

Heute abend kommt Major de la Harpe hierher.

Ich habe den Wäschesack zurückgeschickt.

Tausend herzlichste Grüsse

von Deinem

Franz

Auf welches Werk von Carl Gustav Jung sich Riklin bezog, ist nicht eindeutig nachzuvollziehen. Möglich ist, dass er das 1917 im Rascher-Verlag in Zürich erschienene Buch Die Psychologie der unbewussten Prozesse. Ein Überblick über die moderne Theorie und Methode der analytischen Psychologie meinte.

Carl Gustav Jung löste Riklin als Leiter des Interniertenlagers in Château d’Oex ab. Das Beitragsbild stammt von einem der Notizzettel, auf denen Riklin in den letzten Wochen seines Aufenthalts in Château d’Oex ebenfalls manchmal Briefe an seine Frau schrieb. Auf dem mit einem unlesbaren Datum vom Juni 1917 datierten Zettel ist erstmals erwähnt, dass Jung Riklins Nachfolger sein sollte. Riklins Ehefrau, Sophia Riklin-Fiechter, war eine Cousine von Carl Gustav Jung.

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Quellen: Staatsarchiv St.Gallen, W 106 (Korrespondenz Franz Beda Riklin mit seiner Ehefrau)

Soldat bei Rast

Pfingstsamstag, 26. Mai 1917 – Nochmals Soldatensprache

Gleich in mehreren Publikationen wurden 1917 Forschungen zur Soldatensprache veröffentlicht. Der Artikel in den Rorschacher Blättern vom Mai 1917 bestätigt zusammenfassend einiges, was in früheren Beiträgen des Blogs (vgl. die Beiträge vom 8., 9. und 27. Februar, sowie vom 2. März 1917) schon genannt wurde, gibt aber zum einen oder anderen Thema weitere Beispiele. Der Autor ist in der Quelle nicht angegeben:

Soldatensprache.

Hat schon die gewohnte Friedenszeit bei unseren Soldaten manche Erfindertalente inbezug [sic] auf neue sprachliche Ausdrücke zutage gefördert, so ist die lange Zeit der Mobilisation in dieser Beziehung noch weit produktiver gewesen. Die Soldaten führen eine kräftige Sprache; es sind nicht Ausdrücke für ein Mädchenpensionat, die hier ihren Ursprung haben; aber auch unter den derben Ausdrücken finden sich nicht wenige, denen man das Kompliment nicht versagen kann, dass sei gesundem, träfen Humor ihre Herkunft verdanken.

Schon die Begrüssung der Herren Offiziere bei der Mobilisation ist günstig: «Lueg, da chömet üseri Fuehrmanne [Fuhrmänner]»; «pass uf, der Vater pfurret deher», so wird der Hauptmann der Kompagnie begrüsst. Der «Rodel» oder das «Zivilstandsregister» wird verlesen, wenn die Mannschaftsregister kontrolliert werden. Sind viele neue, junge Offiziere da, dann heisst[‹]s: «Es send nebe wieder mengs neui Lehrbuebe do». Dann geht[‹]s an die Inspektion: «Uslege – Ordnung mache»; «s’Husrötli [Hausrat] usschtelle»; «de Husierchaschte [Hausierkasten] zwäg mache»; «de Raritätechaschte» oder «s’Chuchichästli [Küchenkästchen] uftue».

Zahlreich sind die Benennungen für die einzelnen Teile der Ausrüstung. Die Schuhe werden tituliert: «Gondeli» [kleine Gondel], «d’Ledischiff» [flaches Transportschiff für grosse Lasten], «d’Finke» [Hausschuhe] oder «Bundesfinke», auch «Weidling» oder «Pontons». Die Uniform heisst «‹Gwändli», «Kluft», «s’Kostüm» oder gar, wenn sie nicht mehr in den Salon hineinpasst, «de Saufetze». Für die Hose fällt etwa der Ausdruck «de Gasfänger» ab, wogegen dem Waffenrock eine Reihe Titulaturen zugedacht sind: «Bundestschoppe», «Chute» [Kutte], «Frack», «Gstältli». Die graue Ueberbluse, die anfangs der Mobilitationszeit eine kurze Existenz feierte, war nicht besonders beliebt: «Chochischoss» [Küchenschürze], «Staublompe», «Schnoderlompe» [Taschentuch], «Ströflighemp» [Sträflingshemd], «Konditertschoppe» [Konditorjacke] usw. Nicht wenige Bezeichnungen hat das Käppi gefunden: «Goggs», «Schlachthuet», «Kriegszilaster», «Fürwehrhuet», «Glüeofe» [Glühofen], «Verschlussgöfferli», «Oelhafe». Der Leibgurt oder Ceintüron ist der «Hungerbarometer», «Magebremse», «Schwimmgurt», «Hungerrieme». Neben den schon genannten Bezeichnungen für den Tornister finden sich: «Komode», «Schwitzchaschte», «Affechaschte», «Verdrusschaschte», «Pomadechischte», «Horöldrucke», «d’Schwiegermuetter», «d’Frau», «Bundeströckli». Wenn der Brotsack nichts mehr enthält, muss er sich «Verdrusspüntel» schimpfen lassen, sonst ist er allenfalls der «Magentröster».

Auch das Gewehr wird verschieden tituliert, je nach Stimmung: «Schüssbengel», «Klöpfschit», «Charst», «Sprötzgüggeli» oder einfach «Prügel», «Chlobe», «schwär Chog». Auch die anhänglichen Patronen heissen nach einem Marsch einfach «d’Chöge», «Bleizäpfe», «Bohne»; im Schiessstand erfreuen sie sich höherer Gunst: «Chügeli», «Magrönli», «Böhnli», «Bäbeli». Die Patronenschachtel wird bezeichnet als «Stompechischte», «Molichaschte», «Mistschachtle», «Komödli».

Das Seitengewehr oder Bajonett heisst unseres Wissens in der halben Welt «Chäsmesser» [Käsemesser], «Chrutmesser», «Zahnstocher», «Schwert» oder «Spiess». Weniger nobel kommt das Sackmesser weg: «Chlobe», «Hegel», «Spatzspiess» sind nicht die ehrenvollsten Bezeichnungen. In einzelnen Kompagnien, wo wegen des Fehlens des Taschenmessers einzelne Bestrafungen vorkamen, erhielt es einfach den Namen «Arrestgötti». – Als vereinzelten Ausdruck für die Wadenbinden soll das Wort «Kuraschibinde» vorkommen, weil ein Spassvogel in einer Kompagnie bei der Gewohnheit seines Offiziers, vor den Uebungen  die Wadenbinden anzuziehen, den Witz machte, er müsse «de Kuraschi zsammebinde» [von «Courage» für Mut]. – Zur Ausrüstung gehören auch die «Grabsteine», d.h. die Identitätstäfelchen. Nicht sehr appetitlich für die Feldflasche ist der Ausdruck «Schmierölchante».

Da die Lebensmittelversorgung beim Militär keine geringe Rolle spielt, so ist nicht zu verwundern, dass auch hier die Phantasie nicht übel ins Kraut geschossen ist. Der Morgenkaffee ist die «Bundesbrüh», «Abwäschwasser», «Seifewasser», «Grampolwasser». Kein Kompliment für die Küchenmannschaft ist es, wenn die Mannschaft nur noch den Ausdruck «Gülle» übrig hat. «Negerschweiss» ist eine Bezeichnung, die offenbar aus der Studentensprache zum Militär hinübergerutscht ist. Für Suppe ist der Ausdruck «Schnalle» ziemlich üblich und zwar in Kombinationen, zum Beispiel «Sauschnalle» oder «Dreckschnalle», sonst auch «Harzwasser», «Magenwasser». Zwieback heisst «Bundesziegel»; Brot: «Wegge», «Bundesgugelhopf», «Arbeitergugelhopf», [«]Magetrost», auch «Gemseier» soll bei den Gebirgstruppen vorkommen. Die Kartoffeln sind «Soldateneier», «Handlangerpflume»; die Makkaroni werden zu «Zementröhre» oder «Kanoneröhre» vergrössert; die Nudeln erhalten den Beinamen «Treubruchnudle». Der Spatz [Suppenfleisch] erhält, wenn er zu zähe ist, den Uebernahmen [sic] «Sohlleder», «Negergummi» «Kautschukbletz.» Ist er auch gar zu klein, so ist er «Photographiespatz» und noch kleiner, so sinkt er zur «Zahnplombe» herab.

Wenn auch der Tee sehr beliebt ist, so muss er sich doch die Titulatur «Abstinenten-Gülle» gefallen lassen oder «Temperenzler Wasser», auch «Magengift». Dem Schnaps ist man scharf auf den Leib gegangen; aber er fristet sein Dasein immer noch als «Sirup», «Heilsarmeewasser», «Heidelbeeriwasser», «Bundesträne», «Wichwasser» [Weihwasser], «Arrestante-Balsam», «Milch», «Augetrost».

Eine nicht geringe Rolle spielt auch der Taback [sic] und was drum und dran hängt. Alles Rauchbare wird kurzweg bezeichnet als «Back», «Chrut», «Nussbomblätter» [Nussbaumblätter], «Buchelaub» [Buchenlaub], «Knaster». Die Pfeife heisst «Lüller», «Heizofen», «Sudtopf», «Hirnitröchner» [Hirntrockner], «Nasewärmer», «Schmorhafe». Die Stumpen sind zu «Italiener-Havanna» avanciert. «Sargnägel» und «Friedhofspargle» für Brissago [Gemeinde im Kanton Tessin, in der zu dieser Zeit eine für die Schweiz bedeutende Tabakindustrie beheimatet war] sind auch im Zivilleben gebräuchlich. Rauchen bezeichnen die Soldaten als «näble» [nebeln], «dämpfe», «Flüge vertriebe» [Fliegen vertreiben], «peste» usw.

Auch die verschiedenen Körperteile sind der allgemeinen Freude an witzigen Bezeichnungen nicht entronnen. Die Nase ist das «Schmeckschit», «Gasmesser», «Rüebli» [Karotte], «Böggehöhli» [Höhle für Nasenpopel], und dementsprechend lauten auch die Bezeichnungen für das Taschentuch. Der Kopf ist der «Verstandchaschte», «Käppihogge», «Kürbse» [Kürbis], der Mund heisst «Brotklappe», [«]Suppeloch», «Fuetterspalt». Der allzeit aufnahmebereite Magen heisst «Heutrog», «Verdauigschratte», «Kottletfriedhof». Die Beine sind die «Stelzen», «Spazierhölzer», «Telephonstangen», «Rheumatismusstengel», die einem nach einem strengen Marsch beinahe «abfallen». Und wenn einer nach einem strengen Marsche wegen den Fussblattern sorgsam auftritt, wird er noch gefragt, ob er ein «Blatteremuseum» gegründet habe.

Nicht nur in einzelnen Ausdrücken, sondern auch in ganzen Redewendungen zeigt sich die schöpferische Sprachentätigkeit des Soldaten. Doch wechseln diese sehr stark von Truppenkörper zu Truppenkörper. Ziemlich allgemein ist der Ausdruck «sich dünn machen» für verschwinden. Viel verwendet wird auch die Wendung «i Sache», z.B. «Wie hämmers i Sache Urlaub». Doch können sich solche Bezeichnungen nicht länger halten, da sie zu stark an ihren Ursprung erinnern.

Quelle: Staatsarchiv St.Gallen, P 913A (Rorschacher Blätter zur Unterhaltung und Belehrung, Gratisbeilage zur «Rorschacher Zeitung», 1917, Nr. 5, S. 35, Erscheinungsdatum: 26.05.1917) und W 207 (Album «Aus den Kriegszeiten»; Beitragsbild: Soldat J. Schmuki bei einer Rast im Val Blenio, undatiert)

Tanzbaer

Dienstag, 22. Mai 1917 – Bärenalarm in Rorschach

Das Tagblatt berichtete über einen Vorfall während des Frühlingsjahrmarkts in Rorschach:

Vermischtes. Von einer lustigen Bärenjagd berichtet unser Korrespondent aus Rorschach: In der Samstagnacht brach im Budenplatz am See ein Bär aus und trottete durch die Hauptstrasse. Die Landsturmwache beim Kornhaus rief «Korporal raus!» Sechs Mann marschierten auf und rückten Meister Petz mit Bajonett und geladenem Gewehr auf den Leib. Es gelang ihnen, den Bär in ein Feuergässchen zu treiben und in einen Hinterhof mit Laufstegbrettern einzuschliessen. Ein Landsturmsoldat hatte solche Furcht, dass er das Gewehr wegwarf und das Weite suchte. Nach zwei Stunden gelang es, einen Angestellten des Budenbesitzers aufzutreiben. Der Bär, der unterdessen einen Korb voll Fische verzehrt hatte, liess sich von diesem Mann willig und zufrieden in den Käfig zurückführen.

Vier Tage später erschien eine Berichtigung zu diesem Vorfall:

Rorschach (Berichtigung). Nachdem wir aufmerksam gemacht worden sind, dass es unrichtig sei, dass ein Landsturmsoldat anlässlich der «Bärenjagd» in Rorschach aus Angst das Gewehr habe fallen lassen, haben wir uns an den Verfasser jener Korrespondenz gewandt. Dieser schreibt uns, es tue ihm leid, den Sachverhalt unrichtig mitgeteilt zu haben; er sei durch einen sonst sehr zuverlässigen Beamten falsch orientiert worden. Nach der Darstellung von Augenzeugen soll ein Landsturmsoldat bei der Verfolgung des Bären gestrauchelt sein, was Anlass zu dem Histörchen gegeben hat, welches übrigens auch in einer Rorschacher Zeitung erschienen ist. Dass es unserem Gewährsmann nicht darum zu tun gewesen ist, die Landsturmleute lächerlich zu machen, versteht sich von selbst; er schreibt denn auch, dass man diese in Rorschach sehr gerne habe, und er wünsche, dass an dieser Stelle sein Bedauern über die unbeabsichtigte Entstellung zum Ausdruck gelange zuhanden des in Rorschach liegenden Landsturm-Detachements.

Nächster Beitrag: 24. Mai 1917 (erscheint am 24. Mai 2017)

Quellen: Staatsarchiv St.Gallen, P 909 (Abendblatt, Nr. 118, 22.05.1917 und Abendblatt, Nr. 122, 26.05.1917) und ZNA 01/0488 (Beitragsbild aus: Pfeiffenberger, Karl: Lesebuch für die Primarschulen des Kantons Basel-Stadt, 1. Schuljahr, 2. Aufl., Basel 1907)

Fliegerbesuch in St.Gallen

Montag, 14. Mai 1917 – Prächtiger schweizerischer Doppeldecker

Das Tagblatt berichtete:

Einen Fliegerbesuch

hatten wir am Sonntag in St.Gallen. ¼ vor 10 Uhr kreiste ein prächtiger schweizerischer Doppeldecker über unserer Stadt und landete glatt auf dem Exerzierplatz bei der Kaserne. Fliegeroberleutnant Bider als Führer und Hauptmann i. G. Scherrer als Passagier waren die Insassen desselben. Das Flugzeug blieb über mittag [sic] am neuen Waffendepot stehen, wo es viele Beschauer an sich zog. Abends punkt 6½ Uhr stieg das Flugzeug wieder auf und in prächtigem Fluge über die Stadt und dann Dübendorf zu. –e.

Nächster Beitrag: 15. Mai 1917 (erscheint am 15. Mai 2017)

Quellen: Staatsarchiv St.Gallen, P 909 (Text: Morgenblatt, Nr. 112, 14.05.1917) und P 945 (Beitragsbild: St.Galler Blätter für Unterhaltung und Belehrung aus Kunst, Wissenschaft und Leben, Illustrierte Sonntags-Beilage zum «St.Galler Tagblatt», Nr. 22, 1917, S. 90, Foto von W. Giger, St.Gallen)

Protokolleinband

Samstag, 12. Mai 1917 – Das Militär braucht Bretter

Die Vorstandsmitglieder des 1916 gegründeten Verbands St.Gallischer Sägereibesitzer trafen sich nachmittags um zwei Uhr zu einer Sitzung in St.Gallen. Sie berieten unter anderem über die Lieferung von Brettern an die Armee. Möglicherweise wurden damit Baracken gebaut:

5. Militärlieferungen n. Graubünden.

ca. 260 m3, vorwiegend 24 m7m Event. etwas 21 m/m konisch, mit Durchschnittsbreite von 20 bis 22 cm

Folgende Sägereien werden zur Lieferung verpflichtet, je 1 [Zugs]Waggon von 17-20 m:

1. Zogg-Hanselmann, Sevelen

2. Eisenring Ed., Gossau

3. Dierauer & Cie., Berneck

4. Epper, W., Gossau

5. Stüdli, J. U., Egg-Flawil

6. Gätzi, Unterterzen

7. Bürer & Cie., Ragaz

8. Hess K., Wattwil

9. Hefti, Weesen

10. Imholz Geb., Bütschwil

11. Kägi, Gommiswald

12. Rehkate u. Fisch[,] Heiligkreuz

13. Hagmann Frau[,] Sevelen

14. Bosshardt A.[,] Rapperswil

Letzterer Event. für 2 Waggon.

Präsident [Tobias] Dierauer [Architekt in Berneck] wird genannten Sägereien von dieser Lieferungspflicht Bericht geben.

Vorausgegangen war diesem Eintrag eine Mitteilung an der Ausserordentlichen Generalversammlung des Verbandes vom 5. Mai 1917:

9. Bretterlieferungen für die Armee n. Graubünden

Unser Verband hat 13 Waggon à 20 m3 = ca. 260 m3 24 m/m Event. 21 m/m konische Bretter zu liefern.

Es werden bezahlt: Frs. 87.- per m3 an Sägereien ohne Geleiseanschluss, und Frs. 85.- für solche mit Geleiseanschluss, Bahnwaggon verladen. Diese Lieferungen werden den grösseren Werken zugeschieden, insoferne sich andere Mitglieder nicht beteiligen wollen.

Traktandum 1 dieser Generalversammlung beschrieb die generelle Lage der Sägereibesitzer:

1. Der Präsident reveriert [sic] über Zweck und Ziel der heutigen Versammlung mit reichhaltiger Tagesordnung.

Haupttraktandum sei Beteiligung an der gegründeten Schw. Holzverwertungs- und Exportgenossenschaft, die notwendig geworden sei, nachdem Frankreich das Monopol für das einzuführende Holz in Anwendung gebracht habe. Dieses Nachbarland drücke durch seine Agenten sehr auf die Preise und desshalb [sic] sei Gegendruck durch geschlossene Organisation unbedingt erforderlich. Die Bundesbehörden nehmen sich dieser Angelegenheit an, und es sei zu erwarten, dass sämtliche Ausfuhrbewilligungen nur durch diese Exportgenossenschaft gehen, welche wiederum für richtige Verteilung sorge. Die notwendige Statutenrevision erfordere Zeit, wesshalb [sic] die Versammlung nicht n. Wattwil verlegt werden konnte, wie beschlossen wurde, indem die Zugsverbindungen nicht günstig seien.

Nächster Beitrag: 13. Mai 1917 (erscheint am 13. Mai 2017)

Quelle: Staatsarchiv St.Gallen, W 309/1.1 (Protokolle vom 5.05.1917 und 12.05.1917)

Fruehling, ca. 1918-1920

Mittwoch, 2. Mai 1917 – Lange-weile und Durchgreifen im Dienst

Franz Beda Riklin, im Militär im Rang eines Sanitätsoberstleutnants, hatte endlich die Hälfte seines Dienstes als Leiter eines Interniertenlagers im Waadtland hinter sich. Wie er in seinen Briefen vom 4. und vom 7. Mai schrieb, führte er straffes Regiment und wurde von den Instanzen, die in Betracht kommen, geschätzt: […] ich habe in einen ziemlichen Wirrwar [sic] von Intriguen [sic] u. Unfertigkeiten mit kräftiger Soldatenhand Ordnung gebracht. Trotzdem fühlte er sich nicht wohl: Ich weiss, dass man mir dankbar ist, und einen Respekt vor mir hat, oben und unten. Aber auch das nützt mich wenig u. kann nicht viel Befriedigung geben.

An seine Ehefrau schrieb er am 2. Mai:

Château d’Oex, den 2. Mai 1917.

Allerliebste Frau!

Jetzt hast Du einen Teil des Mädchenwechsels [Dienstbotenwechsel] hinter Dir; hoffentlich bist Du bald wieder anständig versehen. Bleibt Frl. Kärcher [?]?

Est [sic] ist mir beim besten Willen z. Z. nicht mehr möglich zu sagen, dass es hier interessant sei. Dazu ist zuviel Bureaudienst, u. das Einerlei einer Anstalt sozusagen. Es ist zwar Frühling; aber in der Nähe von Montreux, wo ich kürzlich war, ist die Natur viel weiter u. reicher. Hier ist verbessertes Unterwasser [wo die Familie die Ferien zuzubringen pflegte, vgl. die Beiträge vom 20. und 26. Juli 1916]. Das Hôtel ist sozusagen ausgestorben; was konnte, zog in’s Tiefland. Wenn ich Zeit genug für mich hätte, wollte ich mich wenigstens mit mir allein beschäftigen; aber es will doch täglich ziemlich viel erledigt sein. Und eigentlich geht einem die ganze Sache so herzlich wenig an! Dazu sind alle zu wenig Menschen. So sehne ich mich selbstverständlich ausserordentlich nach hause [sic]. Ich will übrigens ganz bestimmt auf den 15. ds. zu Besuch kommen; nur wird es nicht sehr lange sein; aber es ist dann doch jenseits der Hälfte.

Übrigens wundert mich sehr, ob alle drei eingeschickten Bilder angenommen sind. Weisst Du etwas darüber? Deine Sachen sind ja selbstverständlich alle angenommen worden.

Ich suche mich mit meinen Träumen abzugeben; denn es ist etwas im Tun. Aber dieser Dienst verträgt sich unendlich schlecht mit der Kunst, u. tötet mich halb, wenigstens geistig.

Ich plange [schweizerdeutsch für sich sehnen] also ausserordentlich aufs Wiedersehen. Wie gehts [sic] Mutter?

Allerherzlichste Grüsse von Deinem

Franz.

Auch Riklins Ehefrau, Sophia Riklin-Fiechter war künstlerisch tätig. Auf welchen Wettbewerb Riklin im Brief anspielte, lässt sich nicht nachvollziehen, im Bestand im Staatsarchiv St.Gallen gibt es keinerlei Spuren. Auch die bisherigen Publikationen über Franz Beda Riklin erwähnten ihre künstlerische Tätigkeit nicht, obwohl sie offenbar Erfolg damit hatte. In der Zeitschrift Heimatschutz beispielsweise ist notiert, dass sie bei einem Wettbewerb einen Preis erhielt. (Vgl. Mitteilungen über den Wettbewerb der Verkaufsgenossenschaft SHS zur Gewinnung von künstlerischen Reiseandenken, in: Heimatschutz, Jg. 15, 1920, Heft 2, S. 43, publiziert unter: http://www.e-periodica.ch/cntmng?var=true&pid=hei-001:1920:15::61)

Im Brief vom 10. Mai steht, dass Riklin vom 13. bis zum 16. Mai endlich den langersehnten Urlaub erhielt, um nach Hause zu fahren: Nachher muss ich dann intensiv auf meine Entlassung arbeiten; man möchte mich am liebsten gar nicht weg lassen; ich entdecke, dass ich eine Erlösung bedeutet habe; allerdings habe ich ganz furchtbar eingreifen müssen und mit eiserner Hand Intriguennester [sic] ausräuchern. Der Rauch ging bis in die Gegend des englischen Hofs. Und dann muss ich, Schweizer Soldat, zeigen[,] was militärisch heisst. Du kannst Dir kaum vorstellen, mit was für Mentalitäten man zu tun u. zu rechnen hat. Merkwürdig, dass ich dabei noch als ausserordentlich anständiger Mensch gelte. Ein schweizerischer Militärdienst ist in dieser Hinsicht ein Kinderspiel. Aber ich kann hier wenigstens mit der geistigen Überlegenheit wirtschaften, was nicht allzuschwer ist!

Nächster Beitrag: 4. Mai 1917 (erscheint am 4. Mai 2017)

Quellen: Staatsarchiv St.Gallen, W 106 (Korrespondenz Franz Beda Riklin mit seiner Ehefrau) und ZOF 002/08.46 (Bildersammlung Psychiatrische Klinik St.Pirminsberg, ca. 1918-1920)

Maigloeckchen

Montag, 30. April 1917 – Allerliebste Frau und allerherzlichste Grüsse

Château d’Oex, 30. April 1917.

Allerliebste Frau!

Herzlichen Dank für die Wäsche, u. für Deinen letzten Bericht. Bald ist die Hälfte meines Dienstes um, u. die zweite wird schneller gehen. Inzwischen sehen wir uns ja. Gestern stieg ich bis in die Nähe von Montreux hinunter, wo die Vegetation viel weiter ist. Hier hingegen sah ich eben vom Bureau aus eine schöne Lawine herunterfahren. Sonst haben wir jetzt schönes Wetter; aber alles ist hier eben sehr zurück.

Eigentlich verträgt sich so ein Dienst doch recht schlecht mit dem Künstlerischen. Es ist zusehr [sic] eine Rückkehr zum Alten statt ein Vorwärtsgehen. Sonst geht es mit gut; natürlich ist es eigentlich langweilig. Aber wenn ich sehe, was für seelisches Unheil, eine Art Verblödung, die lange Gefangenschaft bei den Offizieren u. Soldaten bewirkt hat, bin ich mit meinem Schicksal hier noch sehr zufrieden.

Wenn ich nur wüsste, womit am 1. Juni den Zins bei der Kantonalbank zahlen!

Hoffentlich kommst Du alllmälig [sic] mit dem Mägdewechsel zurecht. Ich bin froh, wenn das vorüber ist u. man reinen Tisch hat.

Allerherzlichste Grüsse, auch an die Kindlein, von denen ich gerne wieder weiteres [sic] höre.

Dein treuer

Franz

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Quellen: Staatsarchiv St.Gallen, W 106 (Korrespondenz Franz Beda Riklin an seine Ehefrau) und ZOA 001/3.13 (Beitragsbild, ca. 1898)

Unterschrift Riklin

Freitag, 27. April 1917 – Das Wetter und die Moral

Der Psychiater Franz Beda Riklin leitete ein Interniertenlager in Château d’Oex. Nach einer längeren, ihn eher belastenden Phase schickte er erstmals positivere Meldungen nach Hause:

Château d’Oex, 27. April 1917.

Liebster Schatz!

Herzlichen Dank für Deine Mitteilungen. Es tut mir sehr leid, dass Du zuhause nun einen widrigen Betrieb u. so viel Arbeit hast. Gib acht, dass Du nicht wieder zuviel machst, u. vor dem Staub musst Du besonders aufpassen. Geh auch einmal zu Frl. Dr. Kuhn zur Kontrolle!

Sonst bin ich froh über Deinen Bericht. Ich lasse die Kindlein herzliche grüssen. Hier ist seit 3 Tagen gutes Wetter eingezogen, was den Aufenthalt angenehmer macht. Ich mache allerhand interessante Beobachtungen; ich schreibe Dir einmal darüber. Ich habe doch ziemlich zu tun; aber es scheint mir, mit dem Herz gehe es besser, u. mit dem allgemeinen körperlichen Befinden. Ich habe mehr Frische und Beweglichkeit gewonnen. Mutter lasse ich vielmal grüssen. Sie soll nicht Angst haben; eine event. Operation lässt sich gut ohne Narkose machen. Wohin geht sie?

Hoffentlich habt Ihr bald wärmer. Also recht herzliche Grüsse u. vielen Dank von Deinem treuen

Franz.

Nächster Beitrag: 30. April 1917 (erscheint am 30.  April 2017)

Quellen: Staatsarchiv St.Gallen, W 106 (Briefe an seine Ehefrau; Text)