Oberkirch Sechser 1917

Freitag, 13. Juli 1917 – Sommer-(Fuss)reisen der Schüler von Hof Oberkirch (Teil 2)

Nachdem im gestrigen Beitrag die Jüngsten, die auf Reise gehen durften, berichtet hatten, folgt heute die Erzählung der Ältesten. Sirup und Alpenklübler gehörten offenbar zu den Höhepunkten für die etwa sechzehnjährigen Schüler aus der zweitobersten Klasse der Schule (vgl. Beitragsbild):

Die Sechser.

Ihr kennt sicher alle die unruhige Erwartung am Abend vor jedem Ereignis das kommen soll. Ja, so war es auch am Abend vor der diesjährigen Sommerreise. Fast konnte an nicht einschlafen. Am Morgen standen wir frühe auf, den[n] schon um 7 Uhr ging der Zug von Benken ab. Dort stiegen auch die Siebner ein. Beide Klassen fuhren bis nach Chur. Dort trennten wir uns, und wir fuhren mit dem “kleinen Bähnchen” [Rhätische Bahn] nach Disentis. Schon in Chur bekamen wir einen Syrup [sic] und Käse. Man hörte Stimmen, Herr Tobler habe heute einen “ganz Gueten”. In Diesentis [sic] gingen wir auf der Pass[s]trasse nach St.Maria. Es war eine 5stündige Tour. Manchen schien der Luckmanier [sic] länger als sie gedacht hatten. Hier blieben wir nun 3 Nächte. Hat einer von Euch schon in St[.]Maria gelebt für einige Zeit? Nein, das ist eine sehr lustige Pinte, dieses Hospitz. Wir bekamen “Kaffee complet”. Einfach prima! Nur ein wenig spät kam er. Doch auf die letzten Tage haben wir auch diesem Graubündner Übelstand abgeholfen. Wir bestellten unser Essen regelmässig 1 bis 1 ½ Stunden zu früh, und dann kam es etwa zur rechten Zeit. Fluchte man, so sagten die romanischen Leute: “In eine Augenblick.” Immer mit dem gleichen Gesicht schauten sie uns an, ob wir lachten oder fluchten.

Ja, also wir schliefen hier in der ersten Nacht. Wir hatten ein gutes Heulager. Am 2ten Tag gingen wir auf den Scopie [Scopi]. Eine schöne Aussicht erfreute Alle [sic]. Es war 5 Stunden hinauf, die ersten waren in einer Stunde schon wieder unten.

Dann lies[s]en wir noch ein wenig das Kalb los. Zum Essen gab es Spag[h]etti mit – – Gaiskäs! Ihr hättet den Kuenzli sehen sollen, wie er “gefuschtet” hat, als er bemerkte, das[s] e skein Kuhkäse war. Natürlich wurde seine neuste Schwäche sofort gepackt und auf der ganzen Reise ausgenützt.

Nachher gabs [sic] es einen Syrup. Ja, es musste doch wa[h]r sein, das[s] Herr Tobler einen “guten” auf der Reise hatte.

Am 3ten Tag gingen wir an den Ritomsee. Das Wetter war schon nicht mehr ganz bock, aber richtig verregnet wurden wir nicht. Diese Tour füllte den ganzen Tag aus. Zum Abendessen gab es Schaffleisch. Dann verzogen wir uns aufs Heu. Am nächsten Tag war das Wetter ganz bedenklich. Eigentlich wollten wir über den Rondadurapass, aber so mussten wir wieder die Lukmanierstrasse hinunter und wurden traurig verschifft [verregnet.]

In einem ganz kleinen dunkeln und stinkigen Kuhstall mussten wir unterstehen. Dann aber besserte sich der Himmel, und die Sonne kam wieder hervor. Wir gingen nun nach Sedrun und Tschamut. Hier shliefen wir in Betten. Wir hatten es redlich verdient, denn den ganzen Tag waren wir auf den Beinen gewesen.

Das kleine Alphotel war sehr nett eingerichtet. – Hier gab es ein Essen. Omelette und Kartoffeln. Die Leute konnten nicht genug herbeischaffen. Es wurde kiloweise alles verschlungen. Nach dem Essen ging der Kuenzli sofort ins Bett, weil er ganz sicher sein wollte, ja nicht mehr hinausgetrieben zu werden. Dies rief bei allen eine grosse Erheiterung hervor. Nun mussten wir uns auch in’s Fremdenbuch schreiben. Neger schrieb sogar unter Stand hinein “stud. Neger”! und Hurmes [?] auch dorthin “Gewe [? “GW” für Grössenwahn?] im Hage”.

Dann krochen wir in die Kisten. Um 6 Uhr morgens ging es schon wieder hinaus. Auf den Oberalp marschierten wir. Von da aus nach Andermatt. Nun gings die wunderbare Schöllenenschlucht hinab. Einfach grossartig und erhebend. In Göschenen nahmen wir am Bahnhof zu Mittag. Herr Zahn begrüsste uns dann noch. 1257 gings mit dem Gotthardzug nach Flüelen. Die Kehrtunnels bei Wassen machten allen viel Spass. In Flüelen angekommen, bestiegen wir das Schiff und fuhren aufs Rütli; an dieser heiligen Städte [sic] nahmen wir ein[en] Syrup und einen Alpenklübler. Dies war kolossal einfach und hatte eine kollossale [sic] Wirkung. Sehr fröhlich gestimmt, fuhren wir wieder nach Flüelen, und von da asu über Art-Goldau [Arth-Goldau] auf den Hof. Müde und frisch landeten wir und schliefen die Strapazen der Reise aus.

In St.Maria machten wir noch die Bekanntschaft mit Herr[n] Pfarrer Bolt, dem Verfasser der Bücher: Sviz[z]ero, Peterli am Lift und Allzeit bereit. Ein feiner Mensch!

Gemeint ist der in Lichtensteig SG geborene Theologe und Schriftsteller Niklaus Bolt (1864-1947). Die genannten Werke waren über Jahrzehnte beliebte, mehrfach neu aufgelegte und übersetzte Jugendbücher. Der Svizzero erreichte ähnlich hohe Verkaufszahlen wie Johanna Spyris Heidi. (Informationen aus den Artikeln zu Niklaus Bolt im e-HLS und in wikipedia, beide konsultiert am 24.02.2017)

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Quellen: Staatsarchiv St.Gallen, W 127 (Hofchronik 1915-1921 und Foto «Die VI-er 1917»)