Donnerstag, 21. Dezember 1916 – „Warum feiern die Menschen noch Weihnachten?“ Gedanken eines zukünftigen Pfarrers

Oben: Briefkopf der „Helvetia“, Abstinentenverbindung an schweizerischen Mittelschulen. Stephan Martig benutzte dieses Briefpapier, um seinem Freund, Ernst Kind (1897-1983), zu schreiben.

Ernst Kind studierte ab 1917 an der Universität Zürich Germanistik und Geschichte. Er war später Rektor der Kantonsschule St.Gallen. 1932 heiratete er Wanda Bolter.

Stephan Martig (1898-1984) studierte ebenfalls an der Universität Zürich, aber Theologie. Er war anschliessend Pfarrer in Langwies, Luchsingen, Romanshorn und Winterthur. Während der Zeit im Gymnasium und während des Studiums war er aktives Mitglied der Antialkoholbewegung (Hevetia und Libertas). Er verheiratete sich 1922 mit Lina Gisep.

Chur, 21. Dez 1916

Mein lieber Ernst!

Nun erhälst [sic] Du auch wieder einmal ein Lebenszeichen von mir. Bitte entschuldige, das ich nicht früher geschrieben habe. Ich habe aber immer viel zu tun. Kann heute auch nur kurz machen, denn auf Weihnachten hat man immer so viel zu schreiben. Vor allem wünsche ich Dir, Deinen lb. Eltern und Schwestern recht fröhliche und schöne Festtage und ein wahres, erlösendes Weihnachtserleben. Trotzdem der Krieg um unsere Grenzen weitertobt und die Aussichten auf baldigen Frieden sehr klein sind, kommt auch am Endes [sic] dieses jammervollen Jahres die frohe Botschaft des heilenden Christus zu uns. Doch immer wieder steigt in mir eine lange Furcht auf, die fragt, warum feiern die Menschen noch Weihnachten, sie wollen ja auch heute noch wie vor 19 Jahrhunderten nichts vom Christus wissen. Was hat das Weihnachtsfest angesichts dieser bis ins Innerste zerrütteten Welt noch für einen Sinn? Doch dies sind nicht christliche Gedanken, es sind Gedanken, die die Welt uns aufdringen will. Wir müssen sie abweisen, müssen gegen sie ankämpfen. Und da hilft uns gerade die Weihnachtsbotschaft. Sie zeigt uns das geistige Wesen des Menschen, den Christus in jedem Menschen, die Macht der Liebe und Wahrheit Gottes. Auf diese Macht sollen wir unsere Gedanken richten, sie, Gott immer mehr bejahen, auf ihn vertrauen; dann, nur dann, wenn Gott für uns alles geworden ist, sehen wir ein, dass all diese[s] menschliche Elend der Herrlichkeit Gottes weichen muss. Darum wollen wir froh und zuversichtlich Weihnachten feiern und uns vertiefen in das, was Weihnachten bedeutet, damit wir während dem folgenden Jahre immer wieder neu Weihnachten erleben. –

Dann muss ich noch mich entschuldigen, dass ich auf meiner Rückreise aus der welschen Schweiz nicht zu Dir gekommen bin. Ich konnte nämlich keinen Aufenthalt machen in Zürich, da ich noch am gleichen Tage nach Chur gelangen wollte und in Wädenswil einen Zug überspringen musste um meine dortigen Verwandten zu besuchen. Allerdings wurde ich dann in Wädenswil dennoch festgehalten, sodass ich gut noch bis am Abend in Zürich bleiben hätte können.

Am 2. Jan. 17 habe ich in Zürich od. in Rapperswil eine Zentralausschussitzung der „Helvetia“, deren Aktuar ich bin. Wenn Du in Zürich wärest, würde ich Dich, wenn möglich, schnell besuchen. Es würde mich ausserordentlich freuen, Dich wieder einmal zu sehen. Aber nicht, dass Du etwa meinetwegen Deine Ferienpläne umänderst!

Ich muss hier abbrechen. Wünsche Dir und Deinen lb. Angehörigen ein segensreiches, friedenbringendes

Neujahr und grüsse Dich

Herzlich Dein

Alter Freund

Stephan Martig.

Quelle: Staatsarchiv St.Gallen, W 073/5 (Nachlass Kind)

Sonntag, 26. November 1916 – Mit vereinten Kräften gegen den Alkoholismus

In der Schweiz besitzt der Bund das Alkoholmonopol, d.h. er erhebt Steuern auf alkoholische Getränke. Aus dem Reinertrag der eidgenössischen Alkoholverwaltung fliessen seit der Einführung Ende des 19. Jahrhunderts pro Jahr 10% (sog. Alkoholzehntel) in die Bekämpfung des Alkoholismus. Die Verteilung der Gelder obliegt seit Anfang den Kantonen. Auch die Abstinenzvereine wie das Blaue Kreuz profitierten davon. Heute werden die Beträge allgemeiner „zur Bekämpfung der Ursachen und Wirkungen von Suchtproblemen“ eingesetzt.

Zur Mitgliederwerbung setzten verschiedene Abstinenzvereine, darunter auch das Blaue Kreuz, sogenannte Agenten oder Agentinnen ein. Ihnen war auch die Öffentlichkeitsarbeit für die Anliegen des Vereins übertragen.

[…]

Referat von Herrn Agent Ammann

Der Vereinsleiter im Verkehr mit den Behörden.

Einleitend bemerkte Herr Ammann, dass dies eine etwas heikle, aber doch sehr wichtige Sache sei, wie er solches während seiner 17jährigen Praxis als Vereinsagent schon zur Genüge habe erfahren können.

Dann stellte er die beiden Fragen auf:

1) Wie ist das Verhältnis zwischen Vereinsleiter & Behörde?

2) Wie kann der Vereinsleiter am meisten Erfolg erzielen?

Zur Frage 1 erklärte er, das Verhältnis müsse ein gutes ein. Wo dies nicht der Fall sei, so solle der Fehler gut gemacht werden. Die Behörden können nicht anders, als dem Blauen Kreuz Sympathie entgegenbringen, & zwar ganz besonders dann, wenn sich richtig gerettete Trinker im Verein befinden. Es sollen ja nicht etwa Zeitungsschreibereien oder Schimpferereien [sic] gegen die Behörden betrieben werden. Sowohl im Toggenburg als auch in Flums habe sich der Gemeinderat schon wiederholt an das Blaue Kreuz gewendet; ebenso sei dasselbe speziell auch im Kanton Thurgau sowohl von den Behörden als von der ganzen Bevölkerung sehr geachtet. Desgleichen habe auch bei den hiesigen Stadtbehörden [von St.Gallen] schon sehr viel erreicht werden können. Manchmal mache man den Behörden auch ganz ungerechte Vorwürfe; dieselben seien eben an die Gesetze gebunden. – Ferner erinnerte Herr Ammann auch an den fast spielend erhaltenen separaten Beitrag von Fr. 1500.- aus dem Alkoholzehntel für die Sekretariate bezw. Agenten, wovon unserem Verband bekanntlich Fr. 1200.- zufliessen. Schwieriger stehe es allerdings manchenorts bei den Kirchenbehörden, & zwar hauptsächlich wegen der vermeintlichen „Stündelei“ & dem befürchteten Wegzug der Leute aus der Landeskirche. Aber auch da hange es meistens nur von den Vereinsleitern ab, ob sie mit den Behörden richtig verkehren können.

Herr Pestalozzi verdankte die trefflichen Ausführungen des Herrn Ammann bestens & eröffnete auch hierüber die allgemeine Diskussion. Dieselbe wurde benützt von den Herren Rued, Zahnarzt Halter, Gassner, Weber & Hörler, & zwar durchwegs in zustimmendem Sinne zu den Ausführungen des Referenten. Sodann fügte Herr Pfarrer Pestalozzi noch bei, dass in der letzten Sitzung der Trinkerfürsorgestelle auch die Polizeibehörde vertreten gewesen sei; ferner erinnerte er speziell auch noch an das stets sehr freundliche Entgegenkommen des frühern Polizeidirektors, Herr[n] Zuppinger. Ebenso seien uns auch die Kirchenbehörden & der Regierungsrat sehr sympathisch gesinnt. Während man früher fast mit Verachtung auf uns herabschaute, sei jetzt doch schon längst ein gewaltiger Umschwung eingetreten, was sich insbesondere auch beim Bau unseres Vereinshauses erzeigt habe.

Zum Schluss machte der Aktuar auch noch darauf aufmerksam, dass die Bekämpfung des Alkoholismus kürzlich sogar auch auf das offizielle Programm der freisinnig-demokratischen Partei von Gross-St.Gallen gesetzt worden sei.

[…]

Schülergruppe

Schülergruppe vor dem Eingang zum Schäflegarten in Rorschach, um 1910. In der Mitte (mit Glatze): Vikar August Schönenberger.

Quellen: Staatsarchiv St.Gallen, 091 (Blaues Kreuz, Auszug aus dem Protokoll der ersten Vereinsleiterkonferenz) sowie ZMH 61/072 (Visitenkarte) und ZOF 001/03 (Foto)

Mittwoch, 1. November 1916 – Gymnasiasten besteigen die Hundwilerhöhe

Oben: Ausschnitt aus einer Randverzierung am Schluss des Protokolls zum 26. Stiftungsfest der Humanitas Sangallensis vom 13. Januar 1917. Die Mitglieder gaben u.a. ein Fasnachtsspiel und eine Komödie von Hans Sachs. (Zeichnung von W.v.V., Walther van Vloten)

Ausflug zweier Humanitaner samt zwei Junioren auf die Hundwilerhöhe am 1.XI.16.

Ich freue mich aufrichtig auf die zukünftige Humanitas, denn es wird eine fleissige Gesellschaft und der Kantonsschule eine Zierde sein. Denn alle, denen wir nachsprangen[?,] hatten viel zu arbeiten an dem freien Tage. So zog ich denn mit dunkeln Ahnungen im Herzen ins Nest und fand da wirklich nur zwei Nesthöcker. Bald kam auch noch der zweite Aktive mit der Pfanne, W. van Vloten, angerückt. Nun marschieren wir nach Stein und unterhielten uns noch von Herrn Dr. Ruth angeregt über Krieg und Militär. Über Hundwil stiegen wir nun der Höhe zu, u. immer mehr und mehr Land breitete sich vor uns aus. Endlich war der ersehnte Augenblick, die Höhenkurve der Freude dieses Tages gekommen. Endlich stunden wir vor dem Säntis u. den Voralpen u. endlich konnten wir – unsere Pfanne mit Wasser füllen und ein Feuer anmachen[,] überhaupt ein fröhliches Wesen treiben wie es schon Virgilius beschrieben hat. quaerit pars semina flammae, abstrusa in venis [sicilis] pars densa ferarum tecta rapid silvas inventaque flumina monstrant [sic]. Allerdings holten wir das Feuer nicht mehr aus Steinen, es geht eine Poesie nach der andern verloren. So führten wir ein fröhliches Lagerleben von 11 Uhr an bis Nachmittags zwei. Zum Schluss wurden noch allerlei Kochkünste gemacht, Aepfel und Zucker gebraten und andere Dinge mehr.

Dann mussten wir uns von dem prächtigen Aussichtspunkt trennen. Wir galoppierten mit Pfannengerassel den Berg hinab. Wunderbar schien die Herbstsonne auf die vergilbten Buchen, auf die grünen Weiden. Die Fenster der Häuschen glitzerten, die Knaben lungerten vor ihnen u. spielten Hund-Harmonika [sic, statt Mundharmonika]. Überhaupt sonnte sich alles, Gross u. Klein noch einmal in der Herbstsonne. In Appenzell strömten uns gerade die Leute aus der Kirche entgegen. Besonders gefielen uns die alten Weiblein mit den roten gesti[c]kten Tüchern, die sie um den Kopf gebunden hatten; auch auf den alten Turm der Kirche stiegen wir. Nun ging’s heimwärts. Mit schwierigen physikalischen Problemen beschäftigten wir uns. Die Nacht brach langsam herein und aufeinmal [sic] grüssten wir den Säntis vom Leimnest noch [?]. Mit der Nacht kamen wir auch wieder auf die Schule und das Kadettenwesen zu sprechen. Trotzdem wir ziemlich viel Energie zum Aufstieg und sogar noch zum Abstieg gebraucht hatten, glaubten wir merkwürdigerweise doch neugestärkt wieder auf die Schulbänke sitzen zu können. Reisegenossen: Walter van Vloten, Paul Grob, Rittmeyer III ga, Lehner III ga.

                                                                                                      Der Schriftführer.

Die lateinischen Verse stammen aus dem 6. Buch der Aeneis und beschreiben Aeneas Reise in der Unterwelt. Die Klassenbezeichnung „III ga“ weist darauf hin, dass die Schüler einer gymnasialen Lateinklasse angehörten.

Quelle: Staatsarchiv St.Gallen, Wy 058 (Humanitas Sangallensis, Abstinentenverbindung an der Kantonsschule St.Gallen, Protokoll)

Sonntag, 22. Oktober 1916 – Öffentliche und geheime Laster

Protokol[l] der Monatsversammlung[,] abgehalten am 22. Okt. Anwesend waren 24 Personen.

Presitent [sic] Umlandt eröffnete die Versammlung mit Lied Nr. 118. Unser Referent Freund Kläger ver[r]ichtete dann mit uns das Gebet. Der Redner übernahm dan[n] das Wort, indem er seine Betrachtung an die Epistel des Paulus an die Galater im 5 Kap. Vers 1 und 14bis und mit 22. knüpfte. Freund Kläeger [sic] ermahnte uns mit herrlichen Worten festzustehen an dem Werk des Bl. Kreuzes. Wer einmal das Ret[t]ungsseil ergriffen hat[,] der soll es nicht wieder loslassen, denn man hat schlechte Erfahrung gemacht, wenn jemand längere Zeit im Bl. Kreuz war und er wieder fällt, so kommt er gewöhnlich noch ärger in die Knechtschaft, aber wollen wier [sic], die wir hier sind und befreit sind von dem Laster, uns unserer Freiheit freu[e]n; und danken demjenigen, der uns alle befreit hat, unser[e]m Herrn Jesu Christi. Es ist schad[e], dass die Leute es immer nicht glauben wollen, wen[n] nur diejenigen hier in Altstätten[,] die das Ret[t]ungsseil schon einmal ergriffen hatten[,] sich daran festgeklammert hätten, sie hätten nicht Platz hier in diesem Lokal, aber sie wollen nichtz [sic] opfern. Jesu gab sein Leben für uns, aber die Leute tun nichts für ihn, lieber Sterben [sic], als nur eines ihrer Laster, das sie doch nur unglücklich macht[,] zu entsagen. Wen[n] ein Mann nur das Rauchen oder eine Frau das schnupfen [sic, von Tabak] abgeben sollte, so bekommt man immer die Antwort, lieber Sterben [sic]. Das sind öffentliche Laster, aber die geheimen Laster sind schwer zu bezwingen. Die bezwingt niemand, ohne dass er Gott um Kraft und Beistand bittet. Ein Pra[h]ler[,] der meint[,] ohne Gott seine Laster bekämpfen zu können, der wird nie ein freier Man[n], denn nur der, der sich demüdigt [sic] und zum Kreuz geht, nur der wird richtig frei, denn wenn deine Sünden Blutroht [sic] sind, so sollen sie doch schneeweiss werden, aber offenbar sind die Werke des Fleisches, als da sind Ehebruche, Hurerei, Unreinigkeit [sic], Unzucht, Abgötterei, Zauberei, Feindschaft, Hader, Neid, Zorn, Zank, Zwi[e]tracht, Hass, Mord, Saufen, Fressen und dergleichen. Der Redner schloss dan[n] sein Refarat [sic,] indem er noch hienwies [sic] auf die Worte[,] die geschrieben steh[e]n, im Matäus [Matthäus] Kap. 24 Vers 13[:] Wer aber behar[r]et bis ans Ende, der wird selig.

Nun wurde das Lied Nr. 58 gesungen, dan[n] folgte die Diskus[s]ion[,] welche nicht stark benutzt wurde, dann nachher wurde ein Freund als Mitglied aufgenommen, und zum Schluss wurde das Acktiv Aufnahmslied [sic] Nr. 154 gesungen. Herrn Kläger sprach mit uns noch das Schlussgebet.

Der Presitent                             Der Aktuar

[Unterschrift fehlt]                      S. Schau

Die Antialkoholbewegung um die Jahrhundertwende war stark verzweigt. Das Blaue Kreuz, das zu den mitgliederstärksten Teilen gehörte, kümmerte sich vorwiegend um ehemalige (meist männliche) Trinker und ihre Familien. Geleitet wurden diese Vereine oft von evangelischen Pfarrern.

Lied Nr. 118 im Gesangbuch für die evangelische Kirche der Kantone Glarus, Graubünden, St.Gallen und Thurgau, Ausgabe für den Kanton St.Gallen (gedruckt in Frauenfeld 1911) begann so: Komm zu uns, Gottes guter Geist, schaff‘ Deiner Menschen Herzen neu! Der Text stammte von C. F. Neander (geboren 1723).

Schmolke (geboren 1672) und Kist (geboren 1607) hatten den Text für das Lied Nr. 58 gedichtet. Es war nach der Melodie von Nr. 48 (Thut mir auf die schöne Pforte) zu singen und eigentlich ein Adventslied. Sein Anfang lautete: Werde Licht, du Volk der Heiden! Werde Licht, Jerusalem! Dir geht auf ein Glanz der Freuden Vom geringen Bethlehem.

Lied Nr. 154 gehörte zu den Abendmahlsliedern, war zu singen nach der Melodie von Nr. 20 (Womit soll ich dich wohl loben): Danket, danket Gott mit Freuden, Danket ihm mit Herz und Mund! Macht die grossen Seligkeiten Dieses heil’gen Mahles kund, Was der Herr für Gnade schenket, Da er selbst und speist und tränket! Dankt ihm nun und immerdar, Dass er uns so freundlich war! Der Text stammte von N. Kaiser (geboren 1734).

Quelle: Staatsarchiv St.Gallen, Wy 091 (Blaues Kreuz, Sektion Altstätten, Vereinsversammlung)

Sonntag, 24. September 1916 – Die Weltlage, interpretiert vom Blauen Kreuz

(Die allgemeine Anrede innerhalb des Blauen Kreuzes lautete „Freund“ oder „Freundin“.)

Protokol[l] der Monatsversammlung[,] abgehalten am 24. Sept. im Lokal Obergasse

Anwesend waren 16 Personen. Presitent [sic] Umland eröffnete die Versammlung mit Lied und Gebet, dann erteilte er das Wort unserm verehrten Redner, Freund Kläger. Der Redner schilderte uns in einem vortrefflichen Referat, wie die Menschen von Gottes Wort abgekommen sind und dadurch die heutige schlechten schweren [sic] Zeit zum grössten Teil selber verschuldet [haben,] denn die Leute waren nicht mehr zufrieden[,] der Arbeiter wie der Reiche. Der Arbeitgeber mochte dem Arbeiter keinen rechten Lohn mehr gönnen, wie er durch jagen und haschen u die Arbeiter zu rascher Arbeit antreiben sein[en] Reichtum vergrösse[r]ten. Aber so sind die Menschen[,] wenn es ihnen schlecht geht[,] so denken sie an den lieben Gott, so bald es Ihnen gut geht[,] vergessen sie Gotteswort. Aber Gott wird sie nicht ungestraft lassen. Denn es heisst an einem Ort[: „]Ich werde euch in die Gefangenschaft führen, und wie viel tausent [sic] sind schon darin. Aber nicht dass sich die Leute bessern, im Gegenteil, Statt [sic] dass Sie [sic] sich demütigen und Bus[s]e tun, treiben Sie ihr Spiel noch ärger[.] Sie wuchern und scharen Geld zu Millionen zusammen und benützen den Krieg[,] sie essen und trinken gut u fröhnen ihre Wohl[l]ust. Und die Frauen schleudern das Geld aus für die Mode[.] Es ist schrecklich zz sehen[,] wie in den Stätten [sic] die Frauen überspannt gekleidet sind. Aber sie werden alle ihren Lohn erhalten[,] denn es steht geschrieben im Jakobus 5 Vers 1 bis 5.

Wohlan nun, ihr Reichen, weinet und heulet über euer Elend, das über euch kommen wird. Euer Reichtum ist verfaulet, eure Kleider sind mottenfrässig worden. Euer Gold und Silber ist ver[r]ostet, und sein Rost wird euch zu Zeugnis sein, und wird euer Fleisch fressen wie ein Feuer. Ihr habt euch Schätze gesammelt in den letz[t]en Tagen. Siehe der Arbeiter Lohn, die euer Land eingeerntet haben, der von euch abgebrochen ist, der schreiet, und das Rufen der Ernter ist kommen vor die Ohren des Herrn Zebaot. Ihr habt wohlgelebet auf Erden, und eure Wohl[l]ust gehabt, und eure Herzen geweidet auf den Schlacht[t]agen. Der Referent schloss sein ernstes Referat[,] indem er uns aufmunterte, nicht zu fürchten[,] der[,] wer als rechter C[h]rist gelebt hat, braucht sich nicht zu fürchten. Nun wurde ein Lied gesungen, dann folgte das Verlesen von Protokols [sic] welche beide angenommen wurde[n]. Der Presitent eröffnete die Diskus[s]ion[,] welche aber nicht stark benutzt wurde, nach einem Schlusslied schloss Freund Kläger die Versammlung mit einem Gebet[.]

Der Presitent                             Der Aktuar

[Unterschrift fehlt]                      S. Schau

Staatsarchiv St.Gallen, Wy 091 (Blaues Kreuz, Sektion Altstätten, Monatsversammlung) und ZMA 18/03.08-05 (Ansichtskarte von Altstätten, 1916, Edition Guggenheim & Co., Zürich)

 

Sonntag, 27. August 1916 – Sonntagsspaziergang des Blauen Kreuzes nach Eichberg

Protokol[l]

Vom Son[n]tag[,] den 27. August 1916.

Da unser Schwesterverein Eichberg eine Versammlung veranstaltet hatte, in der Herr Ammann referieren sollte, hatten wier [sic] uns entschlossen[,] derselben beizuwohnen.

Um 2 Uhr gings von Altstätten ab, ein schönes Trübchen [„es schöns Trübeli“, eine schöne Schar oder Gruppe] hatte sich zusammen gefunden[,] cirka 16 an der Zahl[;] dazu gesellte sich noch Herrn Tobler von Rebstein mit seiner Familie, um 3 Uhr waren wier im Eichberg im Schulhaus. Leider wurde von dort die Versammlung schwach besucht. Herr Künzler eröffnete die Versammlung[,] indem er uns begrüsste und über den anderweitigen schwachen Besuch sein betauern [sic] aus[s]prach. Hernach wurde gebetet[,] dann ein Lied gesungen. Der Presitent [sic] erteilte Herrn Amman[n] das Wort, der dann in vortrefflichen Worten den Feind innerhalb der Schweizergrenze [gemeint ist der Alkohol] schilderte. Nach diesem sehr wichtigen Referat, wurde wieder ein Lied gesungen, wonach dan[n] eine sehr rege Diskus[s]ion folgte. Es wurde gegenseitig der Wunsch ausgesprochen, dass die beiden Vereine mehr zusammen arbeiten sollten[.] Der Presitent verdankte den Anwesenden sein erscheinen und schloss die schöne Versammlung mit Lied und Gebet. Nun wurde der Heimweg angetretten [sic], der im raschen Tempo vollzogen wurde, da uns regen [sic] drohte.

Der Presitent                             Der Aktuar

[Unterschrift fehlt]                      S. Schau

Quellen: Staatsarchiv St.Gallen, Wy 091 (Blaues Kreuz, Sektion Altstätten, Vereinsversammlung) und ZMC 03/09.01 (Bild des Primarschulhauses in Eichberg, wo die Versammlung des Blauen Kreuzes stattfand, undatiert)

Sonntag, 23. Juli 1916 – Nieder mit dem Militarismus

Aus dem Tourenbuch der Jugendsektion des Touristenvereins Naturfreunde St.Gallen (TNV):

Sonntag, den 23. Juli 1916 wurden nach grösster Mühe endlich 10 Mitglieder zusammengebracht. Sammlung war auf ½ 8 Uhr morgens angelegt. Nach langem Zaudern, wer wohl das Kochgeschirr zuerst tragen müsse, gelang man endlich zum Abmarsch. Auf dem Bahnhof angelangt, wurde man von den Arbonern begrüsst, welche soeben vom Zuge kamen. Jeder kaufte sich noch etwas „Krämeligs“. Dann ging’s an’s Einsteigen. Im Bahnwagen ging es verflixt gemütlich zu. Die Handorgel, Dryangel und Trommeln wurden sofort in Funktion gesetzt und bald hatte man auch schon Maulaffen feil. Es war ein Glück, dass der Zug bald aus der Halle dampfte. Abwechselnd wurde gesungen. Ein kleines Geräusch wurde im Wagen verführt, das ziemlich an Grampol grenzte und doch war es halt durchaus kreuzfidel. Nur zu geschwind schrie der Zugführer: „Gossau“. Auf der Strasse wurde sofort aufgestellt[,] und in strengster Ordnung ging es durch Gossau und auf der Niederwielerstrasse [sic] weiter. Voran schritten die Tambouren, dann das Banner der Sekt. Arbon. Wichtig stolzierte dann die Sektion St.Gallen daher, dann reihten sich die Arboner, welche 29 an der Zahl beisammen hatten. Es dauerte nun nicht lange fort, als der Eine oder andere einen grässlichen Hunger oder Durst oder beides zusammen verspürte. Man sah es daher für genötigt[,] einen Halt zu machen. Nachdem der grösste Kohldampf gestillt und auch eine derbe Zahl Nussgipfel verschlungen waren, zog man weiter, bei Niederwil vorbei, bis zum nächsten Wegweiser, dort wollte der Eine nach links der Andere nach rechts und der Letzte gar nicht mehr weiter. Nach langen Unterredungen gelang man doch zum Entschluss, nach links zu gehen. Der Uzwilerfritze hingegen brummte immer noch etwas zu hinterst, von „einer simpeleinfältigen Abkürzung, Pappenheimer etc. etc.[“] Er trug nämlich einen Wäschekorb am Stock, worauf gemalt war: „Sozialisten auf der Reise“. Er sah überhaupt aus, wie ein richtiger Kunde [Landstreicher]. In der rechten Rocktasche schimmerte noch etwas von einer Bierflasche „Pardon“ Syroupflasche [Sirupflasche] hervor, was seinem Ae[u]ssern einen richtigen Aufputz gab. Bereits hatten wir die Kollone [sic] wieder in Reih und Glied eingestellt, als man plötzlich eine Ration rote Zipfelmützen am Strassenhorizonte auftauchen sah. Es waren einige Uzwilergenossen, die uns entgegeneilten. Im Nu waren sie bei uns und nach kurzem Händeschütteln und Servusrufen ging es weiter, bei Oberbüren vorbei nach Niederuzwil. Die Sonne schien schon lange ganz tüchtig heiss und hie und da meinte einer „Viel Afrika“. Endlich gelangten wir auf den Rastplatz. Sofort wurde eine kräftige Suppe gebraut[,] die schon um ½ 1 Uhr schnabuliert werden konnte. Es schmeckte herrlich. Auch Gen. Knecht, der mit dem Zug gekommen war, erwischte noch einen Löffel voll. Nachdem ein Kessel Tee auf’s Feuer gesetzt wurde, ging’s an’s Gesichter verewigen. Nachher wurde zum Umzug aufgestellt. Der Umzug dauerte über eine Stunde. Daran beteiligten sich die Sekt. Arbon, Uzwil, St.Gallen, Frauenfeld, Wil, Rapperswil & Winterthur. Nachher referierte Gen. Mimicola [?] im „Schweizerhof“ über Militarismus. Um 5 Uhr war das Referat beendigt und der Tee mundete jetzt auch ganz vortrefflich. Doch bald wurde zur Heimkehr gemahnt. Die Arboner kehrten per Bahn heimwärts. Einige Uzwiler begleiteten uns noch ein Stück Weges. Beim Botsberg gab es einen Ansturm auf einen prächtigen Rosenstock. Ein Radfahrer, der sich ungemein hervor tun wollte, verlor dabei einen Sack Stachelbeeren und fuhr wie ein rasender [sic] davon, als man ihm nach rief. Das war für ein Festessen, die Beeren wurden sofort verteilt. Unser Fritze war wieder das gemütlichste Huhn, er kaufte für uns ein mächtiges Zapfenbrot und verteilte es dann am Bahnhof redlich unter uns. Wie gafften nicht die Neugierigen, wie wir das trockene Brot vertillgten [sic]. Der Zug[,] in den wir in Gossau hätten einsteigen sollen, sauste jetzt an uns vorüber. Das war das Zeichen zum Weitermarsch. Unter fortwährendem Gesange ging es bei Oberglatt vorbei nach Gossau, wo wir dann noch einen kurzen Galopp machen mussten, denn eben fuhr der Zug im Bahnhof ein. Noch rechtzeitig erhaschten wir den Zug, was für uns ein grosses Glück war. Im Bahnwagen ging’s noch recht gemütlich zu und her, bis wir in St.Gallen einfuhren. Sofortige Verabschiedung. Ankunft auf dem Bahnhof St.Gallen ½ 10 Uhr.

Willi Hofer

Die Naturfreunde gehörten der Abstinenzbewegung an, sie tranken keinen Alkohol, deshalb der Hinweis auf die Sirupflasche.

Quellen: Staatsarchiv St.Gallen, W 285/2.11.1-1 (Tourenbuch) und W 285/2.11.1-1-2.39 (Naturfreunde verschiedener Sektionen mit einem Banner «Nieder mit dem Militarismus» am Umzug in Niederuzwil)

Samstag, 13. Mai 1916 – Lesen statt Biertrinken

Aus dem Protokoll der Humanitas Sangallensis, der Abstinentenverbindung an der Kantonsschule St.Gallen:

Literarischer Abend vom 13. Mai 1916.

Dieser Abend hat einen doppelten Wert. Denn es wurde der „Landvogt von Greifensee“ von Gottfried Keller vorgelesen, eine fröhliche Geschichte. Der lebensfrohe Geist in der Geschichte ist für den Geist[,] was ein frischer Luftzug für den Körper. Die Leute sind keine Kopfhänger[,] und wenn etwas nicht nach ihrem Wunsche gegangen ist[,] nehmen sie einander nichts übel und lassen den Mut nicht sinken. Der zweite Wert dieses Abends ist aber nicht geringer. Denn es wurde Propaganda für Boner und Julin gemacht, allerdings auf eine ganz eigenartige Weise, aber sie hat jedenfalls gewirkt. So könnte der Abend nicht besser ausgefallen sein.

Der Schriftführer Paul Grob.

Mitgliederkarte

Mitgliederkarte für Paul Grob, unterzeichnet u.a. vom Aktuar Walther van Vloten.

Quelle: Staatsarchiv St.Gallen, Wy 058 (Text; Mitgliederkarte; Zeichnung (vermutlich von Walter van Vloten) am Anfang des Protokolls zum 26. Stiftungsfest der Humanitas Sangallensis vom 13. Januar 1917. Die Mitglieder bereiten die Bühne vor, auf der u.a. ein Fasnachtsspiel und eine Komödie von Hans Sachs gegeben wurden.)

 

 

 

 

Dienstag, 7. März 1916 – Auch mit Süssmost kann man lustig sein

Eines der wichtigsten Anliegen der Abstinenzverbände war die alkoholfreie Obstverwertung. Mittels Aktionen produzierten viele Ortsvereine jeweils im Herbst für Privathaushalte Süssmost. Dazu gab es mehrere Verfahren, die sich aber nicht alle gleich gut eigneten. Vielfach verdarb der Most, weil bei der Herstellung oder beim Abfüllen der Hygiene nicht genügend Beachtung geschenkt worden war.

 4. Bericht über die Tätigkeit des Kantonalkomitees [des Blauen Kreuzes].

Referent ist Herr Pfr. Pestalozzi. Derselbe hebt hervor:

a) Die Erstellung der Statistik, wobei sich erstmals ein kleiner Rückschlag von 9 Mitgliedern erzeigte. (Total 1791 gegenüber 1800 im Vorjahr).

b) Die Abordnung des Herrn Schläpfer in Sargans an eine in Zürich stattgefundene Konferenz behufs Beratung über die Neugestaltung unserer Vereinigung.

c) Die Wahl der Abgeordneten an die schweiz. Delegierten-Versammlung in Neuchâtel.

d) Die Bemühungen der Herrn Schläpfer, Hörler & Ammann für die Errichtung von Soldatenstuben in Sargans, Teufen, Gossau, Flawil;

e) Die Wahl des Herrn Beusch an Stelle des wegen Zeitmangel zurückgetretenen Herrn Neuenschwander als Mitglied der Hoffnungsbundkommission [Jugendorganisation des Blauen Kreuzes].

f) Die Mitwirkung beim Versuch bezl. [bezüglich] der Herstellung von alkoholfreiem Most.

g) Die Vorbereitungen für die kant. Delegierten-Versammlung. Als versuchsweise Neuerung ist hiebei eingeführt worden die Verlesung des Kantonalberichtes an das Zentralkomitee, sowie die Diskussion über die obligatorischen Vereinsberichte vom 1. September, wogegen dann aber die Separatberichte von einzelnen, speziell hiefür bezeichneten Vereinen fallen gelassen wurden;

h) Verschiedene Vereinsbesuche durch den Kantonal-Präsidenten & andere Kommissions-Mitglieder;

i) Wahl eines kantonalen Berichterstatters für das Vereinsorgan, gemäss spezieller Anordnung des Zentralkomitees. Als solcher ist bestimmt worden Herr J. Bolt, Privatier, Rosenheimstrasse 7 Langgasse St.Gallen.

Sodann wurde noch anerkennend erwähnt die Hebung der Schwierigkeiten in Rorschach und Heiden, sowie insbesondere auch die interimistische Uebernahme der Vereinsleitung in Gossau durch Herrn Eggenberger in Herisau & derjenigen in Walzenhausen durch Herrn Feurer in St.Gallen. Herr Eggenberger soll zudem den im deutschen Kriegsdienst befindlichen Vereins-Präsidenten von Gossau, Herrn Maurer, sogar einmal persönlich besucht haben, was diesen begreiflicherweise ganz ausserordentlich gefreut habe.

[….]

10. Allgemeine Mitteilungen & Diskussion über die Jahresberichte.

Nach Verlesung des Kantonalberichtes wird speziell auf die beiden Jahresberichte von Straubenzell & Buchs vom 1./9.14 aufmerksam gemacht, in welchen sehr wertvolle Anregungen enthalten sind. – So sollen in Straubenzell besondere Plakate für die beiden Bahnhöfe angeschafft & spezielle Werbekarten beschlossen worden sein, sowie den Herren Aerzten in der Gemeinde verschiedene Blaukreuzschriften für die Wartezimmer zur Verfügung gestellt werden. – In Buchs soll eine eigene 10gliederige Werbekommission ernannt worden sein, an welche zu je 2 Mitgliedern ein bestimmtes Qua[r]tier der Gemeinde zugeteilt worden sei, & welche allmonatlich über ihre Tätigkeit an den Vereinsvorstand zu rapportieren habe. Diese Neuerung soll sich sehr gut bewährt haben. In der hierauf eröffneten Diskussion hierüber gibt zunächst Herr Beusch die wichtigsten Gründe bekannt, welche zu diesem Vorgehen veranlasst haben. Vor allem sei man zu der Erkenntnis gekommen, dass die bisherige, gewöhnliche Arbeit nicht mehr genüge & ein Mehreres getan werden müsse. Dann sei vielen ihre freie Arbeit zur Last geworden & hätten sie alles dem Vorstand bezw. Präsidenten überlassen. Die Mitglieder dieser Werbekommission seien nun viel arbeitsfreudiger geworden & sollen durch ihre Arbeit am meisten für sich selber gewonnen haben. Wenn auch nicht jeder, welcher besucht werde, zum Eintritt in den Verein bewogen werden könne, so habe man doch immer Fühlung mit den Betreffenden & kommen dieselben auch hie & da etwa an einen Vortrag. Herr Feurer findet, der Antrieb zu solcher Arbeit sollte freiwillig & von innen heraus kommen. Ein jeder eigne sich auch nicht dazu. – Herr Pfr. Pestalozzi gibt hierauf nähere Auskunft über das im St.Galler-Verein praktizierte Verfahren. Die Herren Vetsch & Büchi in Bruggen machen auf die daselbst eingeführten sogenannten Männerabende aufmerksam. – Herr Hörler hat bez[g]l. den Werbekommissionen die gleichen Befürchtungen wie Herr Feurer. Er findet, wer sich innerlich zu solcher Arbeit berufen fühle, tue dies von selbst & ein anderer könne der Sache erst mehr schaden als nützen. Herr Michel macht noch speziell auf die Macht der Fürbitte aufmerksam, & Herr Ammann fügt noch bei, wie schwierig es oft sei, bei solchen Besuchen die richtigen Anknüpfungspunkte zu finden. Da es inzwischen bereits halb 12 Uhr geworden, erklärte der Vorsitzende, dass die Diskussion nun abgebrochen werden müsse. Das sei aber keine verlorene Zeit gewesen. Jeder könne nun aus diesen sehr lehrreichen Ausführungen seine Schlüsse selber ziehen & das für seine Verhältnisse Passende herausnehmen.

Hieraus wurde die Vormittag[s]sitzung mit dem Gesang des Liedes Nr. 15 & mit Gebet von Herrn Pfr. Buxtorf geschlossen.

Während des gewohnten St.Galler Bratwurstessens, welches auch diesmal wieder im eigenen Heim eingenommen wurde, berichtete noch Herr Pfarrer Lüscher in ausführlicher Weise über seine gemachten Erfahrungen bez[g]l. der Herstellung & Aufbewahrung von alkoholfreiem Most. Die weitaus meisten Versuche seien geraten; wo dies nicht der Fall gewesen sei, habe es an den verwendeten Fässern gefehlt. Von den angeschlossenen 50 Stk. Patenthahnen sollen circa 38 verkauft worden sein, sowie in Grabs & im Custerhof [landwirtschaftliche Schule in Rheineck] sogar spezielle Kasse stattgefunden haben. Die Weiterverfolgung dieser Angelegenheit sei nun Sache des kantonalen Abstinenten-Verbands, welcher bekanntlich das Patent für diese Erfindung erworben habe. Der Vorsitzende verdankte Herrn Pfr. Lüscher seine Ausführungen & gehabten Bemühungen bestens & fügte bei, dass es natürlich für die ganze Abstinenzbewegung ein grosser Gewinn wäre, wenn bez[g]l. der Obstverwertung eine richtige Lösung gefunden werden könnte.

Hierauf gab Herr Pfr. Högger in Heiden noch einige Aufschlüsse über die stattgefundene Vereinigung der dortigen beiden Abstinenzvereine. Es sei eigentlich keine Vereinigung gewesen, sondern ein direkter Anschluss vom Abstinenten-Verein an das Blaue Kreuz. Als der Referent seinerzeit nach Heiden gekommen sei, habe er sich verpflichtet, die Leitung des Abstinenten-Vereins zu übernehmen, aber schon damals sei eine Vereinigung mit dem Blauen Kreuz in Aussicht genommen gewesen. Letzten Herbst nun, bei Anlass des Wegzuges von Herr[n] Pfr. Keller, sei diese Idee verwirklicht & er als neuer Präsident gewählt worden. Die grösste Freude darüber habe der Sprechende selber empfunden, weil er auch schon früher im Blauen Kreuze war; es soll ihm gewesen sein wie eine Heimkehr. Bei der ersten Versammlung habe er über das Bibelwort gesprochen, „Herr ich bin zu gering aller Barmherzigkeit & Treue, die Du an mir getan hast.“ Er habe dadurch den Leuten schon am Anfang zeigen wollen, auf was für einem Boden er stehe, damit sie wussten, woran sie waren. Das sei halt doch der beste Zusammenhalt der Blaukreuzler, & in diesem Sinne werde nun auch in Heiden weiter gewirkt werden.

Nicht unerwähnt bleiben darf, dass die Zeit während des Mittagessens auch noch verschönert wurde durch einige gesangliche & musikalische Darbietungen von einer Anzahl Mitgliedern unserer beiden Gesang[s]vereine, was den Betreffenden allen auch von dieser Stelle bestens verdankt sei.

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Quellen: Staatsarchiv St.Gallen, Wy 091 (Auszug aus dem Protokoll der Delegiertenkonferenz des Kantonalvereins des Blauen Kreuzes) und ZMH 89/002 (Briefkopf von 1909)