Donnerstag, 14. Dezember 1916 – Sozialer Kurs in Solothurn

Josef Scherrer weilte vom 11. bis zum 17. Dezember in Solothurn, wo er jeweils abends vor einem hundert bis hunderfünfzigköpfigen Publikum referierte. In seinem Sozialen Kurs behandelte er die Entstehung der sozialen Frage (11.12.), den Liberalismus, sein System und seine Geschichte (12.12.), den Sozialismus, sein System und seine Geschichte (13.12.), die Stellung des Arbeiters in der Volkswirtschaft (15.12.) sowie die christlich-soziale Bewegung der Schweiz und ihre kulturelle Bedeutung (17.12.). Am Donnerstag, den 14. Dezember machte er eine Stippvisite zu Hause:

Ich fahre heute Morgen um 5.15 über Herzogenbuchsee und Olten nach St. Gallen, wo ich schnell in St. Fiden meine Lieben grüsse. Dann geht es bei schönem Winterwetter wieder an den Aarestrand nach Solothurn.

Sozialer Kurs in Solothurn.

Anwesend: 140–150 Personen.

Ich behandle die Lehre der katholischen Sozialreform.

Der Vortrag wird mit grossem Beifall aufgenommen. Vater Innozenz hebt in der Diskussion hervor, dass ein wissenschaftlich fein durchdachter schöner Vortrag gehalten worden sei, der umso höher anzuschlagen sei, als hier die katholischen Grundwahrheiten in neuem Gewande für das soziale Leben geltend gemacht werden. Pater Innozenz dankt mir in begeisterten Worten für den Vortrag, der, wie ich sehen konnte, eingeschlagen hatte.

Ich notiere das nicht aus Hoffart und Stolz, sondern weil eine solche Anerkennung mir doch eine begreifliche Genugtuung bedeutet für die eigene Arbeit, für das von mir beschriebene Selbststudium. Ich danke Gott für diesen persönlichen Erfolg. Ich will ihn für das arbeitende Volk, soweit es in meinen Kräften steht, verwerten, für meine lieben Christlich-Sozialen.

Der Abend war auch ein Erfolg für die Solothurner Christlich-Sozialen.

Gestern schon hatte ein alter Solothurner Führer dem Verein warme Komplimente gemacht, nämlich Fürsprech Jerusalem. Heute Abend war die Aristokratie recht gut vertreten, wenn es nur da auch eingeschlagen hat.

Quelle: Staatsarchiv St.Gallen, W 108/1 (Tagebucheintrag von Josef Scherrer) und OP. COLL. 328(3) (Geser: Stickereindustrie der Ostschweiz, 1908)

Sonntag, 26. November 1916 – Mit vereinten Kräften gegen den Alkoholismus

In der Schweiz besitzt der Bund das Alkoholmonopol, d.h. er erhebt Steuern auf alkoholische Getränke. Aus dem Reinertrag der eidgenössischen Alkoholverwaltung fliessen seit der Einführung Ende des 19. Jahrhunderts pro Jahr 10% (sog. Alkoholzehntel) in die Bekämpfung des Alkoholismus. Die Verteilung der Gelder obliegt seit Anfang den Kantonen. Auch die Abstinenzvereine wie das Blaue Kreuz profitierten davon. Heute werden die Beträge allgemeiner „zur Bekämpfung der Ursachen und Wirkungen von Suchtproblemen“ eingesetzt.

Zur Mitgliederwerbung setzten verschiedene Abstinenzvereine, darunter auch das Blaue Kreuz, sogenannte Agenten oder Agentinnen ein. Ihnen war auch die Öffentlichkeitsarbeit für die Anliegen des Vereins übertragen.

[…]

Referat von Herrn Agent Ammann

Der Vereinsleiter im Verkehr mit den Behörden.

Einleitend bemerkte Herr Ammann, dass dies eine etwas heikle, aber doch sehr wichtige Sache sei, wie er solches während seiner 17jährigen Praxis als Vereinsagent schon zur Genüge habe erfahren können.

Dann stellte er die beiden Fragen auf:

1) Wie ist das Verhältnis zwischen Vereinsleiter & Behörde?

2) Wie kann der Vereinsleiter am meisten Erfolg erzielen?

Zur Frage 1 erklärte er, das Verhältnis müsse ein gutes ein. Wo dies nicht der Fall sei, so solle der Fehler gut gemacht werden. Die Behörden können nicht anders, als dem Blauen Kreuz Sympathie entgegenbringen, & zwar ganz besonders dann, wenn sich richtig gerettete Trinker im Verein befinden. Es sollen ja nicht etwa Zeitungsschreibereien oder Schimpferereien [sic] gegen die Behörden betrieben werden. Sowohl im Toggenburg als auch in Flums habe sich der Gemeinderat schon wiederholt an das Blaue Kreuz gewendet; ebenso sei dasselbe speziell auch im Kanton Thurgau sowohl von den Behörden als von der ganzen Bevölkerung sehr geachtet. Desgleichen habe auch bei den hiesigen Stadtbehörden [von St.Gallen] schon sehr viel erreicht werden können. Manchmal mache man den Behörden auch ganz ungerechte Vorwürfe; dieselben seien eben an die Gesetze gebunden. – Ferner erinnerte Herr Ammann auch an den fast spielend erhaltenen separaten Beitrag von Fr. 1500.- aus dem Alkoholzehntel für die Sekretariate bezw. Agenten, wovon unserem Verband bekanntlich Fr. 1200.- zufliessen. Schwieriger stehe es allerdings manchenorts bei den Kirchenbehörden, & zwar hauptsächlich wegen der vermeintlichen „Stündelei“ & dem befürchteten Wegzug der Leute aus der Landeskirche. Aber auch da hange es meistens nur von den Vereinsleitern ab, ob sie mit den Behörden richtig verkehren können.

Herr Pestalozzi verdankte die trefflichen Ausführungen des Herrn Ammann bestens & eröffnete auch hierüber die allgemeine Diskussion. Dieselbe wurde benützt von den Herren Rued, Zahnarzt Halter, Gassner, Weber & Hörler, & zwar durchwegs in zustimmendem Sinne zu den Ausführungen des Referenten. Sodann fügte Herr Pfarrer Pestalozzi noch bei, dass in der letzten Sitzung der Trinkerfürsorgestelle auch die Polizeibehörde vertreten gewesen sei; ferner erinnerte er speziell auch noch an das stets sehr freundliche Entgegenkommen des frühern Polizeidirektors, Herr[n] Zuppinger. Ebenso seien uns auch die Kirchenbehörden & der Regierungsrat sehr sympathisch gesinnt. Während man früher fast mit Verachtung auf uns herabschaute, sei jetzt doch schon längst ein gewaltiger Umschwung eingetreten, was sich insbesondere auch beim Bau unseres Vereinshauses erzeigt habe.

Zum Schluss machte der Aktuar auch noch darauf aufmerksam, dass die Bekämpfung des Alkoholismus kürzlich sogar auch auf das offizielle Programm der freisinnig-demokratischen Partei von Gross-St.Gallen gesetzt worden sei.

[…]

Schülergruppe

Schülergruppe vor dem Eingang zum Schäflegarten in Rorschach, um 1910. In der Mitte (mit Glatze): Vikar August Schönenberger.

Quellen: Staatsarchiv St.Gallen, 091 (Blaues Kreuz, Auszug aus dem Protokoll der ersten Vereinsleiterkonferenz) sowie ZMH 61/072 (Visitenkarte) und ZOF 001/03 (Foto)

Sonntag, 22. Oktober 1916 – Öffentliche und geheime Laster

Protokol[l] der Monatsversammlung[,] abgehalten am 22. Okt. Anwesend waren 24 Personen.

Presitent [sic] Umlandt eröffnete die Versammlung mit Lied Nr. 118. Unser Referent Freund Kläger ver[r]ichtete dann mit uns das Gebet. Der Redner übernahm dan[n] das Wort, indem er seine Betrachtung an die Epistel des Paulus an die Galater im 5 Kap. Vers 1 und 14bis und mit 22. knüpfte. Freund Kläeger [sic] ermahnte uns mit herrlichen Worten festzustehen an dem Werk des Bl. Kreuzes. Wer einmal das Ret[t]ungsseil ergriffen hat[,] der soll es nicht wieder loslassen, denn man hat schlechte Erfahrung gemacht, wenn jemand längere Zeit im Bl. Kreuz war und er wieder fällt, so kommt er gewöhnlich noch ärger in die Knechtschaft, aber wollen wier [sic], die wir hier sind und befreit sind von dem Laster, uns unserer Freiheit freu[e]n; und danken demjenigen, der uns alle befreit hat, unser[e]m Herrn Jesu Christi. Es ist schad[e], dass die Leute es immer nicht glauben wollen, wen[n] nur diejenigen hier in Altstätten[,] die das Ret[t]ungsseil schon einmal ergriffen hatten[,] sich daran festgeklammert hätten, sie hätten nicht Platz hier in diesem Lokal, aber sie wollen nichtz [sic] opfern. Jesu gab sein Leben für uns, aber die Leute tun nichts für ihn, lieber Sterben [sic], als nur eines ihrer Laster, das sie doch nur unglücklich macht[,] zu entsagen. Wen[n] ein Mann nur das Rauchen oder eine Frau das schnupfen [sic, von Tabak] abgeben sollte, so bekommt man immer die Antwort, lieber Sterben [sic]. Das sind öffentliche Laster, aber die geheimen Laster sind schwer zu bezwingen. Die bezwingt niemand, ohne dass er Gott um Kraft und Beistand bittet. Ein Pra[h]ler[,] der meint[,] ohne Gott seine Laster bekämpfen zu können, der wird nie ein freier Man[n], denn nur der, der sich demüdigt [sic] und zum Kreuz geht, nur der wird richtig frei, denn wenn deine Sünden Blutroht [sic] sind, so sollen sie doch schneeweiss werden, aber offenbar sind die Werke des Fleisches, als da sind Ehebruche, Hurerei, Unreinigkeit [sic], Unzucht, Abgötterei, Zauberei, Feindschaft, Hader, Neid, Zorn, Zank, Zwi[e]tracht, Hass, Mord, Saufen, Fressen und dergleichen. Der Redner schloss dan[n] sein Refarat [sic,] indem er noch hienwies [sic] auf die Worte[,] die geschrieben steh[e]n, im Matäus [Matthäus] Kap. 24 Vers 13[:] Wer aber behar[r]et bis ans Ende, der wird selig.

Nun wurde das Lied Nr. 58 gesungen, dan[n] folgte die Diskus[s]ion[,] welche nicht stark benutzt wurde, dann nachher wurde ein Freund als Mitglied aufgenommen, und zum Schluss wurde das Acktiv Aufnahmslied [sic] Nr. 154 gesungen. Herrn Kläger sprach mit uns noch das Schlussgebet.

Der Presitent                             Der Aktuar

[Unterschrift fehlt]                      S. Schau

Die Antialkoholbewegung um die Jahrhundertwende war stark verzweigt. Das Blaue Kreuz, das zu den mitgliederstärksten Teilen gehörte, kümmerte sich vorwiegend um ehemalige (meist männliche) Trinker und ihre Familien. Geleitet wurden diese Vereine oft von evangelischen Pfarrern.

Lied Nr. 118 im Gesangbuch für die evangelische Kirche der Kantone Glarus, Graubünden, St.Gallen und Thurgau, Ausgabe für den Kanton St.Gallen (gedruckt in Frauenfeld 1911) begann so: Komm zu uns, Gottes guter Geist, schaff‘ Deiner Menschen Herzen neu! Der Text stammte von C. F. Neander (geboren 1723).

Schmolke (geboren 1672) und Kist (geboren 1607) hatten den Text für das Lied Nr. 58 gedichtet. Es war nach der Melodie von Nr. 48 (Thut mir auf die schöne Pforte) zu singen und eigentlich ein Adventslied. Sein Anfang lautete: Werde Licht, du Volk der Heiden! Werde Licht, Jerusalem! Dir geht auf ein Glanz der Freuden Vom geringen Bethlehem.

Lied Nr. 154 gehörte zu den Abendmahlsliedern, war zu singen nach der Melodie von Nr. 20 (Womit soll ich dich wohl loben): Danket, danket Gott mit Freuden, Danket ihm mit Herz und Mund! Macht die grossen Seligkeiten Dieses heil’gen Mahles kund, Was der Herr für Gnade schenket, Da er selbst und speist und tränket! Dankt ihm nun und immerdar, Dass er uns so freundlich war! Der Text stammte von N. Kaiser (geboren 1734).

Quelle: Staatsarchiv St.Gallen, Wy 091 (Blaues Kreuz, Sektion Altstätten, Vereinsversammlung)

Sonntag, 8. Oktober 1916 – Fangball, Jugendriegen und ein Gruss aus New York

Der Vorstand des kantonalen Turnverbandes traf sich zu einer Sitzung im Kaufmännischen Vereinshaus in St.Gallen:

[…]

II. Verkehr mit turnerischen Organen.

[…]

b) mit den Bezirksverbänden:

[…]

2. Vom Bezirksturnverband St.Gallen u. Umgebung orientiert ein Protokollauszug über die Vorstands-Sitzung vom 9. September und mit Zuschrift vom 13. September stellt der gleiche Verband die Ansuchen, der Kantonalvorstand möge zur weitern Abklärung der Fangballspiele genauere Bestimmungen über die Rangierung aufstellen und weiter zur Vermeidung von Unzukömmlichkeit bei Messungen von Läufen die Anschaffung von Apparaten für elektrische Messungen in Erwägung ziehen. Über die erste Anregung für Kantonal-Oberturner Tobler aus, dass für Rangierung im Fangballspiel eben mehr als ein oder zwei Spiele auszutragen seien; in diesen Fällen ergibt sich dann die Rangfolge ohne weitere Bestimmungen. Auf die Anschaffung von elektrischen Apparaten empfiehlt der gleiche Referent der hohen Kosten wegen z.Z. nicht einzutreten; diese Sache könne in normalen Zeiten erwogen werden. Der Vorstand schliesst sich diesem Votum mit einstimmigem Beschluss an; den Anregungen damit keine Folge gebend. Im Fernern übermittelt der gleiche Verband die Rangliste über den am 3. Sept. in St.Gallen abgehaltenen Turntag.

[…]

IX. Vorunterricht.

[…]

a) Alt Oberturner „Brühlmann – Tablat“ und mehrere andere bekannte Mitglieder des Schweizerturnvereins „West-Hoboken New Yersy [sic] entbieten von einer Turnfahrt nach New-York freundliche Grüsse. Dieselbe wird zu erwidern beschlossen.

b) An der Bahre des am 1. August in den Walliserbergen verunglückten Sohnes von Ehrenmitglied Jean Rüesch hat das Büreau einen Kranz unter Übermittlung eines Kondolenzschreibens niederlegen lassen. Mit Dankschreiben vom 7. August hat der trauernde Vater davon Kenntnis genommen.

c) Gemäss erteiltem Auftrag hat Kantonal-Oberturner Tobler über die vorgesehene Organisation des Jugendturnens, bezw. Gründung von Jugendriegen für die schulpflichtige Jugend von 12 Jahren an, resp. vom Austritt der 6. und 8. Klasse der Primarschule und für die Jugend vom 15.-16. Altersjahr folgende Leitsätze aufgestellt:

Turnunterricht soll unentgeltlich erteilt werden.

Anschluss an das Vereinsleben darf nicht erfolgen.

Pflichten des Schülers oder Jünglings:

Regelmässiger Besuch der Übungen, pünktliches Erscheinen, anständiges Betragen während und nach den Übungen.

Rücksichtnahme bei Ansetzung der Übungen und Ausmärsche auf die religiösen Pflichten.

Die Übungen sollen zeitlich möglichst früh angesetzt werden.

Der Eintritt in die Riegen soll mit Wissen und im Einverständnis der Eltern erfolgen, welchen auch über die Ansetzung und Dauer der Übungen event. Ausmärsche Mitteilung zu machen ist, um von Seite der Eltern Kontrolle über ihre Söhne ausüben zu können.

Die Eltern sowohl, wie auch Behörden und weitere Interessenten sollen durch persönlichen Besuch für das Jugendturnen gewonnen werden, wo Turnfreundlichkeit und Verständnis vorhanden durch Aufrufe zum Beitritt einladen und zwar alle Frühlinge. Wenn möglich soll dem Aufrufe die Form eines Propagandaschriftchens gegeben werden.

Der Turnstoff wird für den Sommerbetrieb spez. aus dem volkstümlichen Turnen entnommen und sollen die Übungen wenn immer möglich im Freien abgehalten werden, im Winter wird das Geräteturnen mehr in den Vordergrund treten. Auch sind die freien Leibes-Übungen des Sommers-Wintersportes [?] wenn immer möglich zu berücksichtigen. Sowohl an Orten, wo nur im Sommer, als auch an solchen, wo das ganze Jahr geturnt werden kann, soll der Arbeit ein bestimmtes Jahres- bezw. Halbjahres-Arbeitsprogramm zu Grunde gelegt werden, das auf eine sorgfältige und allgemeine Körperausbildung hinzielt.

Für die Leiter von Jugendriegen werden wenn immer möglich Kurse abgehalten, an denen nicht nur der Turnstoff behandelt wird, sondern auch durch Vorträge für ein richtiges Verständnis und richtige Auffassung des Jugendturnens und für allgemeine Aufklärung gesorgt wird.

Für die Aufsicht und Kontrolle über die Jugendriegen werden Kreischefs bestimmt, denen bis 6 Riegen unterstellt sind. Dieselben sollen anlässlich ihrer Besuche auf vorhandene Fehler hinweisen und belehrend wirken.

In der Diskussion erwähnen Tobler die nach seiner Ansicht laue Haltung der kantonalen Schulturnkomission [sic] und Sinkowitz Erscheinungen, die auf äusserst konservative Auffassungen verschiedener Erziehungsbehörden schliessen lassen.

Um diese Angelegenheit zu Handen der Abgeordneten-Versammlung endlich richtig vorbereiten zu können, wird dieser Punkt nochmals auf die Traktandenliste der nächsten Sitzung vorgemerkt.

d) In Ermangelung eines passenden Bildes wird davon Umgang genommen dem Geschäftsbericht über die verflossene Amtsdauer ein Solches vorzuhalten.

[…]

Quellen: Staatsarchiv St.Gallen, Wy 090 (Kantonalturnverband St.Gallen, Auszug aus dem Protokoll des Vorstands) und W 238/06.09-41 (Festpostkarte zum St.Gallischen Kantonal-Turnfest in Rapperswil 1911, abgestempelt am 17.06.1917)

Sonntag, 24. September 1916 – Die Weltlage, interpretiert vom Blauen Kreuz

(Die allgemeine Anrede innerhalb des Blauen Kreuzes lautete „Freund“ oder „Freundin“.)

Protokol[l] der Monatsversammlung[,] abgehalten am 24. Sept. im Lokal Obergasse

Anwesend waren 16 Personen. Presitent [sic] Umland eröffnete die Versammlung mit Lied und Gebet, dann erteilte er das Wort unserm verehrten Redner, Freund Kläger. Der Redner schilderte uns in einem vortrefflichen Referat, wie die Menschen von Gottes Wort abgekommen sind und dadurch die heutige schlechten schweren [sic] Zeit zum grössten Teil selber verschuldet [haben,] denn die Leute waren nicht mehr zufrieden[,] der Arbeiter wie der Reiche. Der Arbeitgeber mochte dem Arbeiter keinen rechten Lohn mehr gönnen, wie er durch jagen und haschen u die Arbeiter zu rascher Arbeit antreiben sein[en] Reichtum vergrösse[r]ten. Aber so sind die Menschen[,] wenn es ihnen schlecht geht[,] so denken sie an den lieben Gott, so bald es Ihnen gut geht[,] vergessen sie Gotteswort. Aber Gott wird sie nicht ungestraft lassen. Denn es heisst an einem Ort[: „]Ich werde euch in die Gefangenschaft führen, und wie viel tausent [sic] sind schon darin. Aber nicht dass sich die Leute bessern, im Gegenteil, Statt [sic] dass Sie [sic] sich demütigen und Bus[s]e tun, treiben Sie ihr Spiel noch ärger[.] Sie wuchern und scharen Geld zu Millionen zusammen und benützen den Krieg[,] sie essen und trinken gut u fröhnen ihre Wohl[l]ust. Und die Frauen schleudern das Geld aus für die Mode[.] Es ist schrecklich zz sehen[,] wie in den Stätten [sic] die Frauen überspannt gekleidet sind. Aber sie werden alle ihren Lohn erhalten[,] denn es steht geschrieben im Jakobus 5 Vers 1 bis 5.

Wohlan nun, ihr Reichen, weinet und heulet über euer Elend, das über euch kommen wird. Euer Reichtum ist verfaulet, eure Kleider sind mottenfrässig worden. Euer Gold und Silber ist ver[r]ostet, und sein Rost wird euch zu Zeugnis sein, und wird euer Fleisch fressen wie ein Feuer. Ihr habt euch Schätze gesammelt in den letz[t]en Tagen. Siehe der Arbeiter Lohn, die euer Land eingeerntet haben, der von euch abgebrochen ist, der schreiet, und das Rufen der Ernter ist kommen vor die Ohren des Herrn Zebaot. Ihr habt wohlgelebet auf Erden, und eure Wohl[l]ust gehabt, und eure Herzen geweidet auf den Schlacht[t]agen. Der Referent schloss sein ernstes Referat[,] indem er uns aufmunterte, nicht zu fürchten[,] der[,] wer als rechter C[h]rist gelebt hat, braucht sich nicht zu fürchten. Nun wurde ein Lied gesungen, dann folgte das Verlesen von Protokols [sic] welche beide angenommen wurde[n]. Der Presitent eröffnete die Diskus[s]ion[,] welche aber nicht stark benutzt wurde, nach einem Schlusslied schloss Freund Kläger die Versammlung mit einem Gebet[.]

Der Presitent                             Der Aktuar

[Unterschrift fehlt]                      S. Schau

Staatsarchiv St.Gallen, Wy 091 (Blaues Kreuz, Sektion Altstätten, Monatsversammlung) und ZMA 18/03.08-05 (Ansichtskarte von Altstätten, 1916, Edition Guggenheim & Co., Zürich)

 

Sonntag, 30. Juli 1916 – Wie man einen Festanlass plant

Einen Grossanlass wie ein Kantonalturnfest oder eine Turnfahrt zu organisieren, bedingte diverse Vorbereitungen. Für den für 1916 geplanten Anlass traf sich der Vorstand des Kantonalturnverbands am Sonntagmorgen im „Kräzerli“, Urnäsch. Der Sommersonntag bot – in diesem Jahr ausnahmsweise – gutes Wetter für den Anlass.

IV. Festliche Anlässe.

Der Vorsitzende konstatiert mit Vergnügen, dass der Redner für den patriotischen Akt: Herr Dekan Rothenberger, heute zur Verfügung steht: bei einer allfälligen Verschiebung wäre derselbe jedoch nicht zu haben gewesen. Als Ersatz hatte der Vorsitzende für diesen Fall bereits die Zusage von „Herrn Major Jules Schönholzer“ – St.Fiden erhalten, der dann in die Lücke getreten wäre. Der Vorstand beschliesst an beide Herren Dankschreiben abgehen zu lassen.

Die Kreistelegraphen-Direktion V erteilt mit Zuschrift vom 17. Juli ihr Einverständnis zur Benützung von Anfragen an die Telephon-Zentralen St.Gallen, Herisau & Urnäsch über die event. Abhaltung der Kantonalturnfahrt.

Die eidg. Meteorologische Anstalt Zürich bestätigt mit Zuschrift vom 20. Juli die Anfrage des Kantonalvorstandes über Auskunfterteilung der mutmasslichen Witterung am 30. Juli. Der inzwischen eingetroffene Bericht lautet diesbez. günstig.

[…]

Quellen: Staatsarchiv St.Gallen, Wy 090 (Protokoll) und W 238/03.02-13 (Foto J. Thurnheer, Berneck)

 

Sonntag, 28. Mai 1916 – Einladung zum Turntag in Rheineck

[…]

V. Festliche Anlässe.

a) Das Komitee des rheint. Turnverbandes ladet den Vorstand zur Teilnahme an den am 12. Juni in Rheineck stattfindenden Turntag ein; abgeordnet werden Hotz und Kessler. Da auch von den andern Verbänden die üblichen Einladungen zu Vertretungen erwartet werden, bestimmt der Vorstand als seine Vertreter am 1. Turntag des Bezirksturnverbandes St. Gallen u. Umgebung Litscher und Sturzenegger, an denjenigen des toggenburgischen Verbandes im Juli Tobler und Sinkwitz.

b) Mit Rücksicht auf die militärischen Verhältnisse, die nach einer Mitteilung des Vorsitzenden für St.Gallen über den Sommer günstig sind, kann der Vorstand an seinem bereits gefassten Beschluss über Ausführung einer zentralisierten Kantonal-Turnfahrt festhalten. Als Datum wird der 30. Juli ev. 6. August bestimmt. Für das Ziel werden vorgeschlagen: Bendel, Hochkamm, Kräzerli, Gäbris, Sitz, Wilket, Kronberg, Kühboden, u.a. Von diesen gelangen Kräzerli, Gäbris und Sitz in die engere Diskussion; während Kessler mit Rücksicht auf die Bodensee-Toggenburgbahn den Sitz befürwortet, plädieren Tobler und Peyer für das Kräzerli. Mit 4 gegen 2 Stimmen, die auf den Sitz fallen, wird das Kräzerli als Ziel der diesjährigen Kantonalturnfahrt bestimmt. Die Vorarbeiten, bezw. die Vornahme einer Rekognoszierung im Kräzerli werden einer 3gliedrigen Spezialkommission übertragen und als Mitglieder derselben bezeichnet: Hotz, Tobler und Peyer.

[…]

VII. Staatliche Subvention.

Seitens der Firma Alder-Fierz und Gebr. Eisenhut [Hersteller von Turngeräten] ist unterm 11. Mai der neue Preiscourant eingelangt, der mit Rücksicht auf die wirtschaftlichen Verhältnisse ebenfalls erhöhte Preise gegenüber früher vorsieht.

[…]

Der Vorstand des Kantonalturnverbands St.Gallen traf sich im Kaufmännischen Vereinshaus in St.Gallen.

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Quellen: Staatsarchiv St.Gallen, Wy 090 (Kantonalturnverband St.Gallen, Auszug aus dem Protokoll des Vorstands) sowie ZOF 002/02.11 (Turner bei einer Barren-Übung, zwischen 1912 und 1925; Diapositiv-Sammlung der Psychiatrischen Klinik Pfäfers, Bild: Wehrli AG, Züriche) und ZMH 17/011 (Briefkopf der Turngerätehersteller Alder-Fierz und Eisenhut in Ebnat-Kappel aus dem Jahr 1918)

 

Sonntag, 7. Mai 1916 – Damentour auf den Kaien, beobachtet von der Obertschuggerei Rehetobel unter Leitung von deren Polizeioberjehu

Tourenberichte wurden jeweils an den Clubabenden vorgelesen. Die Berichterstatter gaben sich deshalb Mühe, keine trockene Schilderung der Ereignisse abzuliefern. Die Rapporte enthielten häufig auch spezifische Hinweise, die nur Insidern oder Dabeigewesenen erklärlich waren.

Die im Bericht erwähnten „Tageszeitungen“ sind frei erfunden.

Der SAC war bis zum Zusammenschluss mit dem 1918 gegründeten Schweizerischen Frauenalpenclub eine reine Männervereinigung. Für Ehefrauen und Kinder führte der SAC St.Gallen aber ab und zu sogenannte Damentouren durch.

Tourenbericht von der Damentour, 7. Mai 1916.

Obschon das Wetter während längerer Zeit unsicher und trübe gewesen war, kamen am 7. Mai doch eine stattliche Anzahl Mittglieder [sic] der Sektion St.Gallen S.A.C. überein[,] die diesjährige Damentour zu veranstalten. So kam es, dass männiglich mit Kind und Kegel angeschwirrt kam, zum frohen Gang auf den Kaien. Da der Küchentrain, notabene ohne Langohren, aber doch mit genügend faulen Vertretern der Klasse[,] die man im gewöhnlichen Leben oft ganz fälschlicherweise als Esel taxiert. – Da diese fliegende Kolonne also schon mit schönem Vorsprung unterwegs war, konnte es unserm Untersuchungsrichter niemand übel nehmen, dass er in beständiger Sorge schwebte, die Köche könnten beim Probieren etwas zu tief in den Topf langen.

Aus manchen Zeitungen haben wir Ausschnitte genommen, die wir hier wiedergeben, da sie treffend den ZU- [sic] und Hergang dieser denkwürdigen Tour wiedergeben. —

St.Galler Morgenblatt:

Sonntag[,] den 7. Mai, 9h.M. – Heute morgen wurden die Bürger unserer Stadt durch ein grässliches Getrampel aus dem Schlaf geweckt. Ein paar waghalsige Strassenkehrer, unter Mithülfe [sic] einiger Betrunkener habe die Kühnheit gehabt, den schrecklichen Aufzug aus nächster Nähe zu betrachten. Sie berichten alle übereinstimmend von vielen grossen Männern, die um eine rote Fahne geschart waren und mit grob genagelten Füssen in sonderbarem Takt durchs Städtlein zogen. Anarchistische Umtriebe hegten sie ganz sicher, denn jefer [jeder] trug eine schwere Bombe auf dem Rücken. Was sie vorhatten[,] vermochten unsere Gewährsmänner nicht zu ermitteln, denn sie suchten sich bei der Polizei in Sicherheit zu bringen, und diese erklärte jede Verfolgung als aussichtslos, da sie nur gegen harmloses Gesindel ausziehe und nicht gegen anarchistische Dunkelmänner. —

Krontaleranzeiger, 3. Blatt.

Sonntag, den 7. Mai, 1916, 10h.M. – Eine sonderbare Gesellschaft versammelte sich heute morgen in der Hauptstrasse unserer Stadt. Es waren lauter struppige Männer[,] deren jeder irgend ein Anhängsel mitschleppte. Einer brachte im Rucksack eine dürre Salami[,] wieder einer führte an der Hand seine noch dünnere Ehehälfte. Da wog einer prüfend seinen Hackenstock [sic] in der nervigen Faust, hier stopfte ein zweiter andachtsvoll seine Riesenpfeife und ein dritter gar zerrte beiderseits einige kleinere Kinder nach sich. Um halb 9.h. waren schon ca. 30-40 Männlein und Weiblein beisammen, und kurze Zeit später setzte sich der Haufe in Bewegung Richtung Rehetobel.

Rehtobelcourier [sic], 5. Abendblatt.

Rehtobel, den 7. Mai 1916. — Der Förster von Rehtobel bemerkte heute eine rote Fahne auf dem Kai[e]n. Da ging er hinauf und sah ein eigentümliches Bild. Eine grössere Gesellschaft war offenbar von heisshungerigen Gelüsten befallen worden, denn es brodelte gar lieblich in den Kesseln[,] und die ohnehin schon viel zu kleinen Wurstzipfel verschmorrten [sic] unter den Händen der Köche zu unansehnlichen Stumpen. Aber es wurde dennoch tapfer eingehauen.

Der Kellner, ein kleiner dicker Pfiffikus, war rastlos tätig. Der hüpfte von einem zum andern[,] und der Förster behauptet[,] man hätte ihn oft gesehen[,] wie er auf dem Bauche rollend vom Kessel zur durstigen Frau Nägeli hingeglitten wäre.

Eine richtiggehende Landsgemeinde, mit reger Beteiligung wählte zum Vergnügungsleiter den rundlichen Fettklumpen mit der Feuerwehrbinde am Bauch. Ein alter Lästerer behauptete zwar, dass ein alter Nabelbruch die Binde erfordert hätte.

Auf Ersuchen der Polizei der Stadt ordnete die Obertschuggerei von Rehtobel die Ueberwachung der eigenartigen Gesellschaft. Der Schuster in seiner Eigenschaft als Polizeioberjehu ging sogleich mit drei Detektiven ab. Sie hatten sich mit Musikinstrumenten ausgerüstet[,] um zugleich durch Tanzmusik eine bescheidene Entschädigung zu verdienen. Leider vermochten die Herren aber nicht anzukommen, da schon eine Mundharmonika und einige beneidenswert gute Lungen pfiffen.

Die Gesellschaft übte fleissig das klassische Tauziehen[,] und ein schwarzer Tschinggenkopf soll dabei geplatzt sein. Auch Tanz und Scherz schien der Gesellschaft gut zu liegen, wenigstens lag bald alles in rührender Eintracht im Gras[,] und ein paar besonders Verwegene versuchten sich im Schnarchen.

Da der Absatz des Gesellschaftstiegers [sic] nun hielt[,] tanzte dieser schnell einen amerikanischen Soloschauertanz[,] ehe ihn der Schuster verhaftete. Aber die Polizei musste abziehen, denn gegen einen Untersuchungsrichter vermag selbst der Gewaltige Rehtobler polizeichef [sic] nicht aufzukommen.

Dann ging die ganze Bande weg samt Geschirr. Die Verfolgung durch die Polizei war erfolglos, da die Musikinstrumente hinderlich waren. —

Der Bote von Trogen.

Trogen, 8. IIIII.1916. — Die gestern von überal[l] her gemeldete Zigeunerbande ist gestern Abend auch hier durchgekommen. Aus dem Kastenloch herausstolpernd, überfiehlen [sic] sie eine Wir[t]schaft und beschlagnahmten den ganzen ersten Stock. Bis spät hörte man das Singen und Schreien der Bande[,] so dass der Nachtwächter nicht schlaffen [sic] konnte. —-

So die Presse. Die Nachrichten der Zeitungsmenschen sind so zuverlässig, dass wir von weiteren Schilderungen absehen wollen.

Für konforme Abschrift

W. H. Geheber [?]

S.A.C.

Verpflegung auf der Damentour

Quellen: Staatsarchiv St.Gallen, Wy 023 (SAC St.Gallen: Tourenberichte, Text und Bilder aus Album Sektionstouren im Bilde, ca. 1863-1930)