Der Direktor der Strafanstalt St.Jakob in St.Gallen hielt in den sogenannten Stammbüchern neben einem allgemeinen Signalement, den Vermögensverhältnissen, dem Gesundheitszustand und der Art des Verbrechens u.a. auch die Lebensgeschichte eines jeden Inhaftierten fest. Der vorliegende Fall betraf einen Mann, der am 24. Juli 1914 in das Gefängnis eingetreten war und am 23. Januar 1916 austreten konnte. Er war wegen Raubes verurteilt. Der Eintrag im Stammbuch weist eine Reihe von besonderen Kennzeichen auf, so unter anderem eine grosse Narbe am linken Handgelenk und ein tätowiertes Schweizerwappen am linken Vorderarm:
Leg. [legitim, d.h. ehelich] geboren, den 2. März 1893 in Montlingen, wo seine Eltern […], Sticker & […] noch wohnen. Er hat 3 Brüder & 4 Schwestern, alle 7 ledig. Die Erziehung sei recht gewesen.
Nachdem er die Primarschule in Montlingen mit ordentlichem Erfolg besucht hatte, ging er bis zum 17. Jahr in eine Ziegelei, erlernte dann beim Vater das Sticken, das er aber nach einem Jahre wieder aufsteckte & arbeitete seither als Taglöhner beim Rheindurchstich. 1913 passierte er die Infanterierekrutenschule in St.Gallen & am 31. Mai 1914 wurde er in Montlingen verhaftet.
Von der Polizeikommission Gossau ist er am 8. August 1911 wegen Ruhestörung & Rauferei mit 20 Fr. gebüsst worden; sonst weiss das Leumundszeugnis von Oberriet nichts Nachteiliges über ihn zu berichten.
Vorstrafen: keine.
Ankage: Samstag, den 30. Mai a.c. nachts zwischen 11 & 12 Uhr wurde der Pflästerermeister […] auf dem Wege von Krieseren [Kriessern] nach Montlingen das Opfer eines Raubüberfalles.
Der deshalb in Verdacht gekommene […] gestand schon im 2. Verhör, dass er jenen, den er zuvor im „Sternen“ in Krieseren in angetrunkenem Zustande gesehen hatte, in Beraubungsabsicht mit seinem Velo zu Boden gefahren, mit einigen Faustschlägen an den Kopf traktiert & geknebelt zu haben, wobei, bezw. worauf er ihn seines gesamten Tascheninhaltes beraubte.
Dieser bestand aus einer Barschaft von mindestens 214 Fr. 75, aus einem 2 Fr. wertigen Taschenmesser, aus 4 Schlüsseln im Werte von 5 Fr., 2 neuen Taschenbüchlein (Wert 2 Fr.) & einem Retourbillet [sic] St.Gallen-Altstätten (Restwert 2 Fr. 60). Von dem somit 226 Fr. 35 ausmachenden Gesamtdeliktsbetrag konnten dem Geschädigten 204 Fr. 75 in bar zurückgegeben werden. Messer[,] Schlüssel etc. will der Beklagte in den Kanal geworfen haben.
Obschon derselbe wegen Rauferei mit einer Geldbusse belegt wurde, fällt mildernd in Betracht, dass er im übrigen bisher gut beleumdet war & auch die Tat rasch gestanden hat, dass der Schaden zum grossen Teil gedeckt & für den Restbetrag anerkannt ist, sowie der Umstand, dass der Raubüberfall infolge der Trunkenheit des Geschädigten leicht durchzuführen war.
Verhandlung des Kantonsgerichts, den 23. Juli 1914 & Verurteilung […], als des Raubes schuldig, in Anwendung von Art. 66 Ziff. 2, 35 & 36 Str. G. zu einer
Zuchthausstrafe von anderthalb Jahren.
Im Stammbuch wurde auch das Betragen während der Haft festgehalten. Der Verurteilte wurde in der Schusterei beschäftigt. Arbeitsleistung und Betragen seien befriedigend gewesen.
Quelle: Staatsarchiv St.Gallen, KA R.86 B 5, Band 1912-1919