Dienstag, 19. Dezember 1916 – „Güggelischelm“, „Schwabeglünggi“, „nüntiger Chog“: Wie man sich beschimpft

Die Parteien sind an der Trischlistrasse in Rorschach wohnende Nachbarn, die nicht friedlich neben einander leben.

Das ist der Eingangssatz zu einem von mehreren Urteilen des Bezirksgerichts Rorschach aus dem Jahr 1916. Als Kontrahenten standen sich die 1865 geborene Gemüsehändlerin Marie Lehr-Rauh aus dem Grossherzogtum Baden, ihr 1890 geborener Sohn Raimund Lehr, sowie der kaufmännische Angestellte, der ebenfalls 1865 geborene Schweizer Eduard Gähwiller gegenüber. Raimund Lehr war als Magaziner tätig und litt infolge neunmonatigen Kriegsdienstes auf deutscher Seite an starker Nervenzerrüttung. Man warf sich gegenseitig Verleumdung und Beschimpfung vor und stellte Schadenersatzforderungen.

Im Urteil vom 19. Dezember steht zu diesem Fall zu lesen:

1. Zwischen dem heutigen Beklagten, als Kläger, und der Klägerin, als Beklagten, ist beim Bezirksgerichte Rorschach ein Verleumdungsprozess pendent. Den Vorgang, auf den sich jene Klage bezieht, setzt Gähwiller auf Anfangs Juni 1916 an. In jenem Prozesse hat die Klägerin behauptet, dass sie durch Gähwiller arg provociert worden sei. Das gesamte, seit langer Zeit bezeugte Verhalten des Gähwiller ihr gegenüber, und namentlich der Umstand, dass Gähwiller am betr. Tage durch vorgängige ehrenkränkende Zurufe sie aufgeregt habe, habe sie zu Aeusserungen hingerissen. Dieser dem Gähwiller zur Last fallende Provokationsvorfall bildet nun Gegenstand der gegenwärtigen Beschimpfungsklage. Es behauptet die Klägerin Folgendes: Am gleichen Tage, Anfangs Juni, an dem der zur Verleumdungsklage führende Auftritt stattfand, demselben vorgängig, sei sie vom Beklagten, und zwar ohne jede Veranlassung von ihrer Seite, beschimpft worden. Sie sei an jenem Vormittag in den Garten gegangen, um dort umzugraben. Bereits habe sie eine Weile gearbeitet, als Gähwiller ihr zuzurufen begonnen habe. Persönlich habe sie ihn nicht gesehen; er habe sich in seinem Waschhause befunden und habe aus diesem Verstecke herausgerufen: Hure, Schwabenhure, Schwabenpack; ausweisen sollte man diesen Schwabenpack, und dergl. mehr. Sie habe dem Beklagten zu diesen ehrverletzenden Angriffen gar keinen Anlass gegeben. Erst diese vom Zaune gerissenen boshaften Zurufe hätten sie aufgeregt, so dass sie auch dem Beklagten zugerufen habe. Das letztere habe dann dem Beklagten Anlass zur Verleumdungsklage geboten. Dieses Verhalten des Beklagten sei nach zwei Richtungen zu beurteilen: Einmal stellen seine Aeusserungen Beschimpfung dar; sodann hätten sie ihn zum nachfolgenden Vorgange schwer gereizt. Klägerin beruft sich auf die Frauen Nagel und Schwab als Zeugen.

2. Seitens des Beklagten wird die Klage bestritten. Die eingeklagten Aeusserungen habe er einmal gar nicht getan. Eventuell, wenn er sich noch geäussert hätte, hätten seine Worte nicht der Klägerin gegolten. Die Klägerin müsse ja selbst zugeben, dass sie den Beklagten beim betr. Vorfalle gar nicht selbst sah. Eventuellst werde Provokation seitens der Klägerin geltend gemacht. Beklagter berufe sich deshalb auf die Prozesseingaben, Akten, Entscheidungen etc. in dem von Gähwiller gegen die Klägerin angestrebten Verleumdungsprozesse. Es solle daher heute eine Zeugeneinvernahme bezüglich der von der Klägerin geladenen Zeugen nicht vor sich gehen. Die Zeugenabhörung solle im Hauptprozesse stattfinden. Beklagter beruft sich namentlich auch auf die in jenem Prozesse von ihm angerufenen Zeugen Frau Mock, Bruggisser und Therese Sendele. Wenn dem Beklagten bei dem fraglichen Vorfalle irgendwelche unparlamentarische Aeusserungen entschlüpft seien, so sei das höchstens in der Aufregung über die unerhörten vorangehenden Verleumdungen und Beschimpfungen geschehen, welche durch den Beklagten der Klägerin gegenüber bereits eingeklagt sind; es läge also zum mindesten schwere Provokation seitens der Klägerin vor (Beweis: die genannten Zeugen).

3. Der Widerklage liegt Folgendes zu Grunde: Die Widerbeklagte vertrat im Verfahren vor Vermittleramt den Standpunkt, dass der Widerkläger nicht in Zürich, sondern faktisch in Rorschach wohnhaft sei. Da der Widerkläger aber vor Vermittleramt nicht persönlich erschien, sondern durch Herrn Advokat Huber vertreten war, stellte die Widerbeklagte beim Vermittleramt das Begehren, dass der Widerkläger persönlich vor Vermittleramt zu erscheinen habe. In diesem Zusammenhange machte die Widerbeklagte vor Vermittleramt zugestandenermassen die Aeusserungen: Wenn Gähwil[l]er ein gutes Gewissen hätte, dürfte er selbst vor Vermittleramt erscheinen. Der Widerkläger behauptet nun, die Widerbeklagte habe gesagt, er, Gähwiller, habe kein Gewissen, und dürfe deshalb nicht selbst vor Vermittleramt erscheinen. Diese Worte sollen sich nach Ansicht des Widerklägers als Beschimpfung karakterisieren [sic].

Das Gericht beschloss die Einvernahme der von Frau Lehr angerufenen Zeuginnen, auferlegte ihr aber die Gerichtskosten von Fr. 6.50. Die Zeuginnen bestätigten die Aussagen der Gemüsehändlerin, woraufhin das Gericht den Beklagten für schuldig befand und zu einer Geldbusse von Fr. 50.- verurteilte. Ausserdem erklärte es die Ehrverletzungen für gerichtlich aufgehoben, wies die Widerklage ab und bürdete dem Schuldigen die Gerichtskosten von Fr. 29.10 auf. Zudem hatte Gähwiller seine Kontrahentin aussergerichtlich mit Fr. 57.05 zu entschädigen. Zur Höhe dieses ungeraden Betrags ist im Urteil keine Begründung zu finden.

Zwischen dem Sohn der Frau Lehr und Eduard Gähwiller war eine andere Geschichte vorausgegangen, die im Urteil vom 14. November 1916 beschrieben ist. Raimund Lehr hatte – wie Zeugen bestätigten – dem Kaufmann Anfangs Juni 1916 zugerufen: „Du Güggelischelm, Du bist ein Schelm, wart, ich erwische Dich schon noch, Du nüntiger Chog“, und ausserdem beigefügt „Du musst mich nicht Schwabeglünggi heissen“. Der Vorwurf des „Güggelischelm[s]“ beruhte auf dem Verschwinden eines Hahns der Familie Lehr, welchen Gähwiller laut Aussagen von vier Knaben und einem Mädchen in seinen eigenen Hühnerstall getrieben haben sollte. Dort hörte man ihn anderntags frühmorgens zwar noch krähen, später aber fehlte jede Spur von ihm. Der junge Lehr wurde für seine zitierten Aussagen der Beschimpfung schuldig erklärt und zu einer Geldbusse von Fr. 10 und der Übernahme der Gerichtskosten von Fr. 29.30 verurteilt. Gähwiller seinerseits zahlte seinem Anwalt für diesen Gerichtsspruch Fr. 123 an Deserviten und Fr. 33.40 an Auslagen.

Ende Dezember schliesslich findet sich nochmals ein Urteil. Erneut klagte Gähwiller, diesmal gegen die Mutter von Raimund Lehr. Mehrere Zeuginnen bestätigten im wesentlichen seine Vorwürfe, wonach die Gemüsehändlerin folgende scandalösen schändlichen Ehrabschneiderischen [sic] und verleumderischen[,] tief an der Ehre kränkenden Aussagen gemacht habe:

1. Gähwiller sei der nüntigste Chog weit herum und sei nicht wert, dass ihn ein Hund anseiche (mehrmals).

2. Zahle zuerst 100 rp. [sic] für den Franken.

3. Ich sei ein Friedhofschelm und habe auf dem Friedhof gestohlen.

4. Der Sauchog besuche in Zürich die Bordelle, das verstehe ich am besten.

5. Ich habe mit Frau Candreya wollen dies betreiben. Sie habe sich aber nicht mit mir abgegeben, sie gab sich nicht für das her.

6. Wird seit einiger Zeit stetsfort belästiget mit allen erdenklichen Schimpfworten und händelsuchenden Mittel[n] von Frau Lehr und Raimund Lehr; ich gehe alle Tage in die Kirche und stehle.

7. Nicht nur an E. Gähwiller ist genannte bösartige Frau zornswütig, sondern an ihrer eigenen kranken Tochter, die sie vergangenen Samstag Abends zwischen 8 u. 9 Uhr schwer misshandelte im Dachzimmer und ihr verwahrloste Chog zurief resp. nannte, bis sie bis Mitternacht wimmerte und die Nachbarschaft arg belästigte.

8. Ich sei bekannt, dass ich aufs Stehlen losgehe.

Das Gericht befand Marie Lehr-Rauh nach der Anhörung der Zeuginnen zwar der Verleumdung und Beschimpfung schuldig und verurteilte sie zu einer Geldbusse von Fr. 50 und der Übernahme der Gerichtskosten von Fr. 76.20. Ausserdem sollte sie dem Kläger aussergerichtlich Fr. 220 Entschädigung bezahlen. Die Richter hielten aber auch fest, dass der Kläger keinen einwandfreien Leumund besass. Gegen ihn war 1906 eine Strafuntersuchung wegen Blumendiebstahls vom Friedhof ergangen, und 1913 war er wegen grobunzüchtigen Handlungen mit Personen gleichen Geschlechts verurteilt worden.

Quelle: Staatsarchiv St.Gallen, G 2.7.1-1916 (Protokoll des Bezirksgerichts Rorschach: Urteile vom 10.10.1916, 14.11.1916, 23.11.1916, 19.12.1916 und 28.12.1916 sowie Stempel)

Montag, 18. Dezember 1916 – Hilfe für Italienerfamilien in der Schweiz

Oben: Briefkopf einer Direktimport-Firma für italienische Nahrungsmittel wie Salami, Thunfisch, (Oliven-)Öl, Käse, Konserven, Wein und Likören, 1913. Die Einfuhr von spezifisch italienischen Produkten dürfte mit der starken Zuwanderung von Italienerinnen und Italienern vor dem Ersten Weltkrieg zu tun haben.

Kreisschreiben des Departements des Innern des Kantons St.Gallen an die Gemeinderäte desselben betreffend Anmeldung für Unterstützung italienischer Staatsangehöriger.

Vom 18. Dezember 1916.

Die k. italienische Regierung hat durch das italienische Vizekonsulat in St.Gallen dem herwärtigen Regierungsrat den Betrag von Fr. 5000.- zugehen lassen zum Zwecke der gutfindenden Verteilung an die hierseitigen Wohltätigkeitsanstalten, welche durch den derzeitigen Krieg betroffene bedürftige italienische Familien unterstützt haben. Die italienische Regierung will durch die genannte Spende den hierseitigen Kantonal- und Gemeindebehörden ihre Dankbarkeit für die bezeigte Hülfe bekunden.

Behufs Durchführung der erwähnten Verteilung ergeht an diejenigen Gemeindebehörden, welche für sich oder für Wohltätigkeitsanstalten in ihrer Gemeinde einen berechtigten Anspruch auf Berücksichtigung bei dieser Verteilung glauben erheben zu können, die Einladung, sich spätestens bis zum 10. Januar 1917 beim unterzeichneten Departement anzumelden, unter Angabe der den Anspruch begründenden Tatsachen (Anzahl der Fälle, spezifizierte Angabe der Höhe der Auslagen und allfälliger bereits erfolgter Rückvergütungen in jedem Falle usw.)

Hierbei kommen nur diejenigen Ausgaben in Betracht, die seit Ausbruch des Krieges, d.h. seit August 1914, für italienische Staatsangehörige entstanden sind.

Über die Berücksichtigung der Anmeldungen und die Höhe der Beiträge wird der Regierungsrat entscheiden.

St.Gallen, den 18. Dezember 1916.

Für das Departement des Innern,

Der Regierungsrat:

Ruckstuhl.

Quellen: Staatsarchiv St.Gallen, ZA 001 (Kreisschreiben betreffend italienische Staatsangehörige in der Schweiz, erschienen im Amtsblatt für den Kanton St.Gallen, 91. Jg., Bd. II, Nr. 25 vom 22. Dezember 1916, S. 882) und ZMH 87/018b (Briefkopf)

Sonntag, 17. Dezember 1916 – Zweckmässige Ernährung in Kriegszeiten: langsam essen und gut kauen

Die Mitglieder der Gesundheitskommissionen des Rheintals trafen sich um halb vier Uhr nachmittags im Hirschen in Berneck. Die obige Ansichtskarte stammt aus dem Jahr 1917.

[…]

Vortrag von Dr. [Fritz] Custer, Rheineck,

Wie ernähren wir uns zweckmaessig.

Einleitend betont der Vortragende die Schwierigkeiten der zweckmaessigen Ernährung wie sie sich aus den heutigen durch die allgemeine Kriegslage ergebenden Verhältnissen ergeben. So notwendig die möglichst ausgiebige landwirtschaftliche Ausnutzung unseres der Bebauung zugänglichen Bodens sich notwendigerweise empfiehlt, so selbstverständlich ist das Postulat vorsichtigster Ausnutzung alles der Ernährung Dienenden. –

Zweckmässig sich ernähren heisst für Erwachsene[:] Behauptung des Körpergewichtes, für Kinder & Jugendliche Beförderung des Ansatzes.

Der Referent erlaeutert im Weitern[,] welche Stoffe in den Nahrungsmitteln hiezu herangezogen werden müssen & détailli[e]rt im Einzelnen die Rolle der Eiweiss[e], Kohlehydrate, Fette führenden Nahrungsmittel im Stoffverbrauch unseres Organismus.

Eingehend wird besprochen die Verteilung der notwendigen Ernährungssubstanzen der 3 Gruppen, dem Werte des Fleisches wird in eingehender Weise gerecht.

Besonders schwierig für unsern Haushalt ist zur Zeit der Bezug von Fett. Was das Fett uns für Vorteile & bei übermässigem Genuss für Nachteile liefert[,] wird erlaeutert & übergehend zu den Kohlehydrat[en] enthaltenden Nahrungsmitteln ihre ganz besondere Bedeutung im Haushalt des menschlichen Organismus hervorgehoben.

Dass wir unserm Organismus überdies die Zufuhr von Wasser & Nährsalzen schulden[,] wird betont.

Eisen[,] auch ein nötiger Einfuhrartikel[,] findet sich vornehmlich im Rindfleisch, den Eiern & speciell im Spinat. –

Den Ausnützungswert der einzelnen Speisen betreffend[,] wird auf langsames, gut kauendes Essen verwiesen. –

[Als] Ausschlaggebend im heutigen Ernährungsleben aber muss der Nährgeldwert unserer Lebensmittel bezeichnet werden. –

Nach dieser Richtung verdienen die Pflanzenkost gebenden Nahrungsmittel erste Erwähnung. Mais, Kartoffeln, Reis & Brot sind die Kost des Mittelmannes [Mittelstandes], von animalischen Nahrungsmitteln verdienen besondere Erwähnung Milch, Kaese, namentlich auch Magerkaese, Quark, Blockschokolade, soweit erhältlich Butter & die leider nur spärlich zur Verfügung stehenden andern Fettgemische pflanzlichen & tierischen Ursprungs. –

Dem möglichst zweckdienlichen Anbau von Bohnen, Erbsen, Kartoffeln, Getreide wird ausdrücklich das Wort gesprochen & ganz besonders der Anbau von Haber [Hafer] & Mais als altbewährten Volksnahrungsmitteln empfohlen. –

Wie sollen wir essen, in welchen Zeitabständen ist weiter zu berücksichtigen. Es empfiehlt sich möglichst genaues Einhalten bestimmter Essenszeiten, langsames Essen & gutes Kauen, eventueller Zahnersatz verdienen Erwähnung.

Zum Schluss seiner Ausführungen erlaeutert der Vortrragende zusammenfassend an Hand einer Tabelle die Zusammenstellung der einzelnen Nahrungsmittel mit Rücksicht auf Nährgehalt & Nährwert & betont auch die die Verdauung befördernde, Leben erhaltende Wirkung gewisser Gemüse, Kohlarten, Obst & dergleichen. –

[…]

(Die lange Zeit vertretene Meinung, Spinat sei sehr stark eisenhaltig, beruhte auf einem Berechnungsfehler.)

Am gleichen Tag traf sich auch der Vorstand des Kantonalturnverbands, diesmal im Restaurant zum „Grünen Baum“ in Rorschach. Er behandelte u.a. die Fortsetzung der Angelegenheit betreffend Bau einer Turnhalle in Flums (vgl. Protokollauszug vom 28. Oktober 1916):

[…]

II. Verkehr mit turnerischen Organen.

a) mit den Vereinen: Der in der Angelegenheit des Turnvereins Flums (Legat Spörry) um seine Meinung interpretierte [sic] Rechtsbeistand des Testators, Dr. Jakob-Basel, teilt mit Zuschrift vom 9. Dezember mit, dass er alles ihm zur Einsicht überwiesene Material seinem Schwager, Herrn Dr. Helbling in St.Gallen überwiesen habe.

[…]

IX. Weiterer Verkehr mit Behörden, Volk und Presse.

Neuerdings stellt, Stadler-Wil als Vormund des Kindes „Kreuzer-Bütschwil“ ein Gesuch um Aushingabe [sic] des Sparkassabuches für einen nicht gerade auf ordentlichen Wegen wandelnden Sohnes Kreuzer, zwecks Versorgung in der Anstalt Thurhof. Auf Vorschlag des Vorsitzenden beschliesst der Vorstand Zustimmung zu dem Gesuch.

[…]

Quellen: Staatsarchiv St.Gallen, A 386/3 (Bezirksphysikat Rheintal, Auszug aus dem Protokoll der Konferenz der Gesundheitskommissionen) und Wy 090 (Protokoll Kantonalturnverband) und W 238/03.02-25 (Postkarte von Rheineck)

Samstag, 16. Dezember 1916 – Doch kein Frieden …

Tagebucheintrag von Josef Scherrer-Brisig (1891-1965), Sekretär des Schweizerischen Christlichen Textilarbeiterverbands (1910-1916), später Kantonsrat und Nationalrat sowie Mitbegründer der Christlichsozialen Bewegung:

[…]

Die Friedensofferte der Zentralmächte erfährt leider bei der Entente eine schroffe Abweisung. Und ach Gott, das Morden soll weitergehen und weiter das grosse Elend noch umfassender und noch verheerender machen. Möchte doch Gott ein Einsehen haben und der bedrängten Menschheit den Frieden wieder schenken.

[…]

Quellen: Staatsarchiv St.Gallen, W 108/1 (Text) und W 238/03.06-08 (Bild, Auszug aus einer Glückwunschkarte zum Jahreswechsel, gezeichnet von Adolf Sprenger, Dessinateur)

Freitag, 15. Dezember 1916 – 20‘000 Fr. Bettagskollekte im Kanton St.Gallen

Im Amtsblatt wurde das Resultat der am Eidgenössischen Dank-, Buss- und Bettag in den Gotteshäusern eingegangenen Kollekte publiziert.

Bettagskollekte 1916.

Polit. Gemeinden Fr. Polit. Gemeinden Fr.
St.Gallen 3,990.83 Quarten 238.—
Tablat 810.03 Amden 50.—
Wittenbach 239.50 Weesen 136.10
Häggenschwil 49.— Schänis 110.—
Muolen 81.50 Benken 84.40
Mörschwil 138.81 Kaltbrunn 92.—
Goldach 200.52 Rieden 35.60
Steinach 61.— Gommiswald 50.30
Berg 31.30 Ernetschwil 29.—
Tübach 51.— Uznach 104.65
Untereggen 42.— Schmerikon 63.45
Eggersriet 73.— Rapperswil 267.55
Rorschacherberg 86.35 Jona 203.—
Rorschach 466.40 Eschenbach 96.—
Thal 307.80 Goldingen 68.50
Rheineck 220.— St.Gallenkappel 68.30
St.Margrethen 162.— Wildhaus 107.—
Au 135.— Alt St.Johann 152.—
Berneck 215.— Stein 55.—
Balgach 116.60 Nesslau 229.—
Diepoldsau 135.— Krummenau 220.10
Widnau 162.— Ebnat 241.70
Rebstein 197.30 Kappel 195.20
Marbach 155.— Wattwil 379.—
Altstätten 409.32 Lichtensteig 300.—
Eichberg 57.10 Oberhelfenschwil 57.20
Oberriet 218.30 Brunnadern 37.—
Rüthi 76.— Hemberg 109.85
Sennwald 110.— St.Peterzell 100.60
Gams 238.20 Krinau 43.—
Grabs 510.— Bütschwil 181.50
Buchs 405.50 Lütisburg 151.—
Sevelen 155.90 Mosnang 80.—
Wartau 170.— Kirchberg 143.54
Sargans 126.— Mogelsberg 85.—
Vilters 50.90 Ganterschwil 54.20
Ragaz 140.50 Jonschwil 50.—
Pfäfers 76.60 Oberuzwil 229.—
Mels 200.— Henau 287.50
Flums 254.10 Flawil 510.—
Wallenstadt [sic] 269.70 Degersheim 266.60
Wil 448.75 Gossau 282.12
Bronschhofen 67.— Andwil 81.05
Zuzwil 88.80 Waldkirch 98.20
Oberbüren 174.— Gaiserwald 113.80
Niederbüren 103.— Straubenzell 705.94
Niederhelfenschwil 125.50 Total 19,763.56
   

 

   
  Bezirke:

 

   
St.Gallen 3,990.83 See 950.75
Tablat 1,180.03 Obertoggenburg 1,200.—
Rorschach 1,150.38 Neutoggenburg 1,026.65
Unterrheintal 1,453.40 Alttoggenburg 556.04
Oberrheintal 1,113.02 Untertoggenburg 1,482.30
Werdenberg 1,589.60 Wil 1,007.05
Sargans 1,355.80 Gossau 1,381.11
Gaster 508.10 Total Fr. 19,945.06

                                 Publiziert im Auftrage des Regierungsrates.

                                 St.Gallen, den 11. Dezember 1916.

                                                                                 Die Staatskanzlei.

Quellen: Staatsarchiv St.Gallen, ZA 001 (Amtsblatt für den Kanton St.Gallen, 91. Jg., Bd. II, Nr. 24 vom 15. Dezember 1916, S. 884f.) und P 720 (1880 erbaute Synagoge an der Frongartenstrasse in St.Gallen, in: Die Eisenbahn, Bd. 13, Heft 14 vom 2.10.1880, S. 88a)

Donnerstag, 14. Dezember 1916 – Sozialer Kurs in Solothurn

Josef Scherrer weilte vom 11. bis zum 17. Dezember in Solothurn, wo er jeweils abends vor einem hundert bis hunderfünfzigköpfigen Publikum referierte. In seinem Sozialen Kurs behandelte er die Entstehung der sozialen Frage (11.12.), den Liberalismus, sein System und seine Geschichte (12.12.), den Sozialismus, sein System und seine Geschichte (13.12.), die Stellung des Arbeiters in der Volkswirtschaft (15.12.) sowie die christlich-soziale Bewegung der Schweiz und ihre kulturelle Bedeutung (17.12.). Am Donnerstag, den 14. Dezember machte er eine Stippvisite zu Hause:

Ich fahre heute Morgen um 5.15 über Herzogenbuchsee und Olten nach St. Gallen, wo ich schnell in St. Fiden meine Lieben grüsse. Dann geht es bei schönem Winterwetter wieder an den Aarestrand nach Solothurn.

Sozialer Kurs in Solothurn.

Anwesend: 140–150 Personen.

Ich behandle die Lehre der katholischen Sozialreform.

Der Vortrag wird mit grossem Beifall aufgenommen. Vater Innozenz hebt in der Diskussion hervor, dass ein wissenschaftlich fein durchdachter schöner Vortrag gehalten worden sei, der umso höher anzuschlagen sei, als hier die katholischen Grundwahrheiten in neuem Gewande für das soziale Leben geltend gemacht werden. Pater Innozenz dankt mir in begeisterten Worten für den Vortrag, der, wie ich sehen konnte, eingeschlagen hatte.

Ich notiere das nicht aus Hoffart und Stolz, sondern weil eine solche Anerkennung mir doch eine begreifliche Genugtuung bedeutet für die eigene Arbeit, für das von mir beschriebene Selbststudium. Ich danke Gott für diesen persönlichen Erfolg. Ich will ihn für das arbeitende Volk, soweit es in meinen Kräften steht, verwerten, für meine lieben Christlich-Sozialen.

Der Abend war auch ein Erfolg für die Solothurner Christlich-Sozialen.

Gestern schon hatte ein alter Solothurner Führer dem Verein warme Komplimente gemacht, nämlich Fürsprech Jerusalem. Heute Abend war die Aristokratie recht gut vertreten, wenn es nur da auch eingeschlagen hat.

Quelle: Staatsarchiv St.Gallen, W 108/1 (Tagebucheintrag von Josef Scherrer) und OP. COLL. 328(3) (Geser: Stickereindustrie der Ostschweiz, 1908)

Mittwoch, 13. Dezember 1916 – Heu- und Strohmangel fördert Profiteure zutage

Kreisschreiben des Volkswirtschaftsdepartementes des Kts. St.Gallen an sämtliche Bezirksämter, Gemeindebehörden und Polizeiorgane desselben betreffend den Handel mit Heu und Stroh.

Vom 13. Dezember 1916.

Es wird häufig darüber geklagt, dass Personen Heu und Emd kaufen, ohne dass sie diese Ware zum Selbstverbrauch bedürfen und ohne dass sie eine Ausweiskarte besitzen, die sie zum Heuhandel berechtigt. Es soll auch vorkommen, dass Produzenten beim Verkauf ihrer disponiblen Vorräte an Selbstverbraucher die für die Händler vorgesehenen Zuschläge erheben, was durchaus unstatthaft ist. Derartigen Praktiken muss ohne Verzug mit aller Gründlichkeit entgegengetreten werden, ansonst durch sie in Bälde auch den reellen Händlern der Handel unter Einhaltung der Höchstpreise verunmöglicht wird.

Sie werden daher angewiesen, den Heuhandel streng zu überwachen und jede Übertretung unnachsichtlich zu ahnden.

Die konzessionierten Händler und ihre Vertreter besitzen Ausweiskarten und sind gehalten, sich in ihrem Geschäftsgebahren nach [den von] dem Oberkriegskommissariat unterm 13. Oktober aufgestellten und den konzessionierten Händlern zugestellten Vorschriften zu richten. Die Ausweiskarten haben vorläufig Gültigkeit bis 31. Dezember 1916. Bewilligungen zum Strohhandel wurden zufolge der Strohrequisition bis jetzt nicht erteilt.

Wollen Sie Ihre Aufmerksamkeit speziell auch auf die gerichtlichen und freiwilligen Steigerungen lenken, wo Heu und Stroh bisweilen über den festgesetzten Höchstpreisen zugeschlagen werden soll. Die Höchstpreise dürfen auch bei Steigerungen nicht überschritten werden, ansonst jedermann seine Vorräte versteigern lassen könnte, um die Höchstpreise zu umgehen.

St.Gallen, den 13. Dezember 1916.

Für das Volkswirtschaftsdepartement

des Kantons St.Gallen,

Der Regierungsrat:

Dr. G. Baumgartner

Nachtrag und Einleitung zum morgigen Beitrag vom 14. Dezember: Josef Scherrer, Arbeitersekretär der Christlich-Sozialen, weilte in Solothurn. In seinem Tagebuch hielt er über die dortigen Wetterverhältnisse fest: Heute schneit es fort, zwar nass und unlustig. Auf den Strassen ist Pflotsch.

Quellen: Staatsarchiv St.Gallen, KA R.102-1a-4 sowie W 108/1 (Kreisschreiben des Volkswirtschaftsdepartementes des Kantons St.Gallen) und ZOF 003/1.12 (Landmaschinen der Strafkolonie Montlingen, ca. 1918-1921)

Dienstag, 12. Dezember 1916 – Deutschland möchte Friedensverhandlungen

Tagebucheintrag von Josef Scherrer-Brisig (1891-1965), Sekretär des Schweizerischen Christlichen Textilarbeiterverbands (1910-1916), später Kantonsrat und Nationalrat sowie Mitbegründer der Christlichsozialen Bewegung.

Während der Versammlung der konservativen Grossratsfraktion von Solothurn, zu der Josef Scherrer eingeladen worden war, ging folgende Nachricht ein:

[…]

Berlin, 12. Dezember. (Wolff) Der Reichskanzler teilte heute im Reichstag mit, die Regierungen der Zentralmächte haben heute an die diplomatischen Vertreter der mit dem Schutze ihrer Staatsangehörigen betrauten Staaten eine identische Note gerichtet, die den feindlichen Mächten mitgeteilt werden soll. Die Nota enthält den Vorschlag, von heute an in Friedensunterhandlungen einzutreten. In dieser Nota heisst es unter anderem, die Vorschläge, welche die Verbündeten zur Verhandlung stellen, sind nach ihrer Überzeugung geeignet, als Grundlage für die Wiederherstellung eines dauernden Friedens zu dienen. Wenn trotz dieses Angebotes der Kampf fortdauern sollte, sind die vier verbündeten Mächte entschlossen, ihn bis zu einem siegreichen Ende zu führen, wobei sie jede Verantwortlichkeit ablehnen.“

Es wird eine hochbedeutsame Stunde weltgeschichtlichen Geschehens angebrochen und man zittert, ist es vielleicht möglich, dass doch Frieden werden könnte. Oh wie würde der Druck, der seit zwei und einem halben Jahre auf uns lastet, von uns und von Millionen hinweggenommen. Deutschland macht ein Friedensangebot! Ob es ohne F ü h l u n g geschehen ist in den kriegführenden oder einzelnen gegnerischen Staaten? Man muss es leider fast annehmen. Deutschland kann nachher die schwere Verantwortung für den Krieg ablehnen. Es erhält ein moralisches Übergewicht, das dem Volke für die Weiterführung des Kampfes neuen Elan gibt. Möchte doch endlich das Ringen aufhören, oh wie würde die ganze Welt aufatmen, wenn wirklich auf Weihnachten ein Waffenstillstand eintreten würde. Man kann es noch nicht glauben, man wagt es noch nicht zu hoffen. Möge das Christkind, der grösste Friedensfürst doch bald den Frieden geben.

[…]

Quellen: Staatsarchiv St.Gallen, W 108/1 (Tagebuch) und W 238/03.06-10 (Ausschnitt aus einer Glückwunschkarte zum Jahreswechsel, gezeichnet von Adolf Sprenger, Dessinateur)

Sonntag, 10. Dezember 1916 – Eine Frau ist die beste Bienenzüchterin im Kanton St.Gallen

Bruggen, den 10. Dez. 1916.

Bericht über die Förderung der Bienenzucht im Kanton St.Gallen pro 1916.

Hochverehrter Herr Landammann!

Verehrte Herren Regierungsräte!

Gestatten Sie mir gütigst, dass wir Ihnen über die Förderung der Bienenzucht im Kanton St.Gallen, während des Jahres 1916 Bericht erstatten.

Allgemeines. Einem wunderschönen Vorfrühling, der sich die Völker prächtig entwickeln liess, folgte eine schlimme Zeit. Wenige Trachttage – doch reichen sie in tiefer gelegenen Gebieten so weit, dass kräftige Kolonieen [sic] eine schöne Frühjahrsernte einheimsten und davon etwas für den Imker erübrigten. Mittlere und geringe Völker aber kamen in dieser Zeit erst so recht ins Brutgeschäft und erstarkten dann, als die dauernd schlimme Witterung eintrat. Auch in diesem schlimmen Jahr ist der Unterschied zwischen Rassenvölkern und nicht rassigen durchgehends klar zum Vorschein gekommen.

Unsere Nachforschung bei 125 Imkern der ganzen deutschen Schweiz[,] welche zusammen an die 5000 Völker besitzen, ergaben, dass die Durchschnittsernte pro Rassenvolk beinahe das Doppelte der nicht veredelten Völker betrug. Dasselbe ist auch bezüglich der Maximalleistungen der Völker zu sagen.

Wenn, wie in diesem Jahr, der Sommer geringe Tracht bietet, vermögen sich eben nur die besten Völker selbst zu erhalten. Viele Kolonieen [sic] mussten mit der Futterflasche durch den Sommer und in den Winter gebracht werden, was bei den hohen Zuckerpreisen mit grossen Opfern verbunden war. So ist es nicht zu verwundern, wenn die Freude an der Bienenzucht da und dort schwindet. Und es darf konstatiert werden, dass die Grosszahl der in den Winter genommenen Völker ihre Existenz der idealen Einwirkung der Bienenzucht auf den Menschen zu verdanken hat. Man hofft – und hofft – auf’s nächste Jahr!

Die Prämiierung. Dieser Tiefstand konnte nicht ohne Rückwirkung auf die Beteiligung an der Prämiierung sein. Im Gebiete von Rorschach bis Wil meldeten sich 14 Imker zu derselben, von denen aber im Laufe der Zeit dann zwei sich zurückzogen.

Die zwölf prämierten Betriebe erstrecken sich auf 327 Völker. Die Bienenhäuser sind schlicht und recht bis an eines, dem man die „Axt im Haus“ in seiner Unzweckmässigkeit doch etwas gar zu sehr ansieht. Das Kastenmaterial ist fast durchweg von guter Qualität. Die Einsicht, dass ein richtiger Kasten zu einem geordneten Betriebe absolutes Bedürfnis ist, gewinnt allgemein Boden, doch verlängern die schlimmen Honigjahre manchem „Rumpelkasten“, den Bienen und dem Imker zum Aerger, das Dasein.

Die Betriebsweise ist mancherorts durch die schlimmen Ernteaussichten nachteilig beeinflusst und wirkt direkt auf die „Leistungsfähigkeit der Völker“ und die „Anzahl der guten Völker“. Ohne eigene Nachzucht des nötigen Königinnenmaterials in Rücksicht auf die gewünschten Vererbungsfaktoren, ist ein rationeller Betrieb heute nicht mehr denkbar. Die Existenzmittel der Bienen schwinden infolge intensiver Wiesen- und Milchwirtschaft und durch die sorgsame Ausforstung der Wälder in bedenklicher Weise.

Dass bei jedem strebsamen Imker die Qualität der Völker über allem steht, bezeugt der verhältnismässig geringe Unterschied im Völkerdurchschnitt in den drei Kategorieen. Die erste Kategorie weist bei einem Maximum von 40 Punkten ein solchen von 33,7, die zweite einen solchen von 32,6 und die dritte einen solchen von 31 Punkten auf.

Das beste Volk mit einer Punktzahl von 39,5 entstammt einem bekannten Zuchtstamme, hat aber bereits auf dem Stande Königinwechsel vorgenommen. Es weist also mit aller Deutlichkeit darauf hin, wie durch sorgsame Auswahl der Betrieb erleichtert und gesichert werden kann.

Die Brutanlage ist infolge des allgemein trostlosen Sommers sehr gleichartig und schwankt zwischen 3,5 – 3,3 – 3,1 Punkten im Durchschnitt der drei Kategorieen. Erfreulich war der Gesundheitszustand. [Wirken] In der Umrahmung des Brutnestes mit Pollen und Honigspielen zeitliche und örtliche Verhältnisse bestimmend mit, doch sind auch hierin die rassigen Völker durch ihre ausgesprochene Anlage zur Selbstverproviantierung obenan.

Der Wabenbau ist mit einem Durchschnitt von 4 in den drei Kategorieen gleich eingeschätzt, was der Sorgfalt der Imker ein gutes Zeugnis ausstellt. Freilich sind noch da und dort eindringliche Belehrungen in dieser Beziehung am Platze. Bei Standbesuchen und Kursen darf man nicht müde werden, immer wieder auf die Sammlung und Verwertung des eigenen Wachses zu dringen.

Züchterisch betätigen sich die Imker der ersten zwei Kategorieen mit mehr oder weniger Erfolg.

Das Mittel der punktierten Völker schwankt zwischen 38,17 und 28,25. Das Gesamtergebnis der diesjährigen Prämiierung steht also entschieden hinter demjenigen normaler Jahre. Die Bienen sehnen sich also, wie die Imker, nach bessern Tagen. – Möchten sie doch endlich kommen!

Auf den Belegstationen Simmitobel, Bruggen, Gamplüt, Rohr, Kirchberg, Flums und Gärtensberg wurden 222 Königinnen aufgeführt, von denen 181 oder 81% befruchtet wurden. Im Bewusstsein, dass einer tut [gut] geführten Belegstation ein sehr hoher Wert an der Hebung der Bienenzucht zukommt, haben wir den Bedürftigsten derselben kleinere Subventionen zukommen lassen.

Am Schlusse unserer Berichterstattung angelangt, danken wir Ihnen bestens für Ihr[e] Hilfe und bitten Sie, uns auch fernerhin in bisheriger Weise Ihre Subventionen gütigst zukommen zu lassen[.]

Mit vorzüglicher Hochachtung

Der Präsident: M. Jüstrich                                                                         Der Vice-Präsident: [ohne Unterschrift]

Quelle: Staatsarchiv St.Gallen, KA R.176-11 (Bericht des Bienen-Inspektorats des Kantons St.Gallen)

Samstag, 9. Dezember 1916 – Landwirtschaft im Rheintal

Oben: Feldertrag der Strafkolonie Montlingen, ca. 1918-1921.

Situationsbericht aus dem Rheintal.

Die günstige Witterung des Spätherbstes und des Vorwinters hat die letzten Herbstarbeiten bedeutend gefördert. Die letzten Ackerfrüchte, die Runkelrüben und Süssräben, konnten überall rechtzeitig, d.h. vor Beginn stärkerer Fröste, eingebracht werden. Mit Ende Oktober wurde der Weidegang fast allgemein beendigt. Nur vereinzelt sah man in der ersten Novemberwoche noch weidende Herden. Noch selten wurde der Rasen so scharf abgeätzt, wie im vergangenen Herbst.

Jetzt beschäftigen sich die Rheintaler Bauern, soweit es die Witterung und die Stallarbeiten erlauben, hauptsächlich mit der Bodenbearbeitung und mit der Oeffnung der Entwässerungsgraben. Es ist in den letzten Wochen, namentlich im obern Teil des Rheintales, ziemlich viel Wiesland umgekehrt worden. Die schwierige Beschaffung von genügend Kartoffeln für den eigenen Bedarf einerseits und die hohen Preise für das verkaufbare Quantum anderseits, bilden den besten Ansporn zur Ausdehnung der Kartoffelkultur. Ueberdüngte und deshalb stark verunkrautete Wiesen sollten noch in stärkerem Masse der Kartoffelkultur dienstbar gemacht werden; sie liefern, vorausgesetzt dass der Boden trocken genug ist, bei geringem Düngeraufwand grosse Erträge. Auffallend ist dagegen die geringe Zahl, sowie der geringe Umfang der mit Wintergetreide bestellten Aecker. Wir möchten bei den hohen Körner- und Strohpreisen dem Korn- und dem Winterroggen ein grösseres Anbaugebiet wünschen. Voraussichtlich wird im nächsten Frühjahre der Maisanbau ausgedehnt, umso mehr als sich diese Körnerfrucht, wie kein anderes Gewächs, zum Anbau im Gemisch mit Gemüsepflanzen eignet. Da alles vorrätige Gemüse schlank aufgekauft wurde, denkt man naturgemäss auch an den vermehrten Anbau der Kohl- und Rübengewächse und der Bohnen, welche die leichte Beschattung durch den Mais gut ertragen. Trotzdem wenigstens ein Teil des Heues in den frühern Lagen in tadelloser Qualität eingebracht werden konnte, sind die Klagen über geringe Milchergiebigkeit allgemein. Es fehlt hier, wie überall, an den geeigneten, eiweissreichen Kraftfuttermitteln. Dass man bei knappen Milcherträgen mit den festgesetzten Höchstpreisen nicht übermässig zufrieden ist, ist nicht erstaunlich; denn Preis und Produktionskosten stehen oft nicht im richtigen Verhältnis.

Mehr Glück hatte man mit dem Viehabsatz; nicht nur wurden für bessere Ware gute Preise bezahlt, sondern es konnten auch diejenigen Tiere, die nicht befriedigten, wohl noch selten zu so günstigen Bedingungen abgesetzt werden. 

Häftlinge der Strafkolonie Montlingen beladen einen Wagen mit Garben, ca. 1918-1921:

Haeftlinge mit Wagen

Quellen: Staatsarchiv St.Gallen, W 248/82 (St.Galler Bauer, 3. Jahrgang, Heft 49, 09.12.1916, S. 820-821) sowie ZOF 003/1.19 und ZOF 003/1.21 (Bilder)