Mitteilungen

31. Mai 1917 – Die „Sehnsucht nach dem baldigen Weltfrieden“

Zur Lage.

F.K. Hegte man bei Jahresbeginn noch Hoffnung auf die Möglichkeit der Anbahnung eines Friedensschlusses, so waltet heute eher das Gefühl vor, es könnte uns noch ein vierter Kriegswinter beschieden sein.

Seit Kriegsbeginn erzeugt der gewalttätige Druck des einen Gegners entsprechenden Gegendruck beim andern, wodurch die neutralen Völker immer stärker in Mitleidenschaft gezogen worden sind. Der verschärfte deutsche Unterseebootkrieg, der dadurch veranlasste Eintritt der Vereinigten Staaten in den Krieg auf Seite der Entente und die russische Revolution, sind die folgenschwersten Ereignisse dieser ersten Jahreshälfte.

Lebensmittelnot, Mangel an Rohmaterialien, ungenügende Kohlenzufuhr, Teuerung, mehr und mehr bedrückende Ausfuhrverbote, Transportschwierigkeiten, Verunmöglichung des Absatzes der industriellen Produkte kennzeichnen unsere heutige Lage. So frägt man sich, wie bei der zunehmenden wirtschaftlichen Einengung das noch werden soll?

Man hat seitens der kriegführenden Mächte des öftern Worte der Anerkennung und des Lobes gefunden für die korrekte neutrale Haltung der Schweiz und ihre oft bewiesene Liebestätigkeit für die Opfer des Weltkrieges. Auch die überwiegende Einigkeit und das Zusammenarbeiten unseres Volkes torzt verschiedener Wesensart der Landesteile sind als Vorbild für eine künftige Annäherung der verschiedenen Staaten Europas auf demokratischer Grundlage angeführt worden. Man ist noch weiter gegangen: unter Hinweis auf Arnold von Winkelried, der bei Sempach für die Freiheit der Schweiz ein[e] Gasse gemacht habe, hat man sich ausländischerseits auch ausgedrückt, wes werde unserm Land infolge seiner bisherigen philantropischen [sic] Wirksamkeit die Mission vorbehalten sein, in diesem völkermordenden Krieg dem Frieden eine Gasse zu machen.

Die Ereignisse der letzten Wochen haben leider manches an diesen Annahmen und guten Voraussetzungen erschüttert. Es hat sich gezeigt, dass Bemühungen um die Anbahnung eines Weltfriedens auch in einer Sackgasse enden könnten und ein Teil unserer Tagespresse, in schellfertigem Urteil, weiss nichts besseres [sic] zu tun, als ganze Volksteile aufzuhetzen und durch übertriebene Alarmberichte unser Ansehen in den Nachbarstaaten zu schädigen. Gegen solche Vorkommnisse sollte man bessere Vorbeugungs- und Abwehrmittel zur Hand haben. Wie kann man sonst verhüten, dass die gleichartige Stufe der ausländischen Alarmpresse die übertriebenen Anschuldigen als bestehende Tatsachen ihren Lesern vorsetzt und dazu schürt, dass die uns bedrückenden wirtschaftlichen Massnahmen immer noch enger gezogen werden[.] In erster Linie bekommen unsere Handels- und Industriekreise, dann der Gewerbestand die Folgen dieses, die Interessen unseres Landes schädigenden Gebaren zu spüren.

Mehr als je ist es nötig, unserseits durch Einheitlichkeit und Geschlossenheit der Reihen diesem Druck von aussen entgegenzuwirken. Der obersten Landesbehörde, die bis anhin in umsichtiger Weise ihr bestes im Interesse des Landes getan hat, darf man fernerhin volles Vertrauen entgegenbringen. Das politische Departement ist ja in guten Händen und die nunmehrige Angliederung der Handelsabteilung an das Volkswirtschaftsdepartement dürfte der Wichtigkeit der Sache eher noch förderlich sein.

Wollte man anschliessend die Lage der verschiedenen Zweige unsere einheimischen Textilindustrie unter den jetzigen Verhältnissen einer eingehenden Betrachtung unterziehen, so könnte man mit der Aufzählung aller der entgegenstehenden Schwierigkeiten ganze Spalten füllen, das Gute wäre dagegen mit wenigen Sätzen abgetan. Darum wenden wir uns zum Schluss lieber einer andern, doch erfreulicheren Seite unseres sonst gedrückten Daseins zu, den wunderbaren Offenbarungen der Natur, die uns seit Beginn des Monats Mai, nach dem langen harten Winter geradezu überschüttet mit der Fülle ihre schöpferischen Gestaltungskraft, die sich in der Fruchtbarkeit und Schönheit der Kulturen zeigt. Es ist, als ob Lehrmeisterin Natur uns absichtlich den harten, langen Winter als das Sinnbild des vernichtenden Krieges und im Gegensatz dazu die schöpferischen Jahreszeiten als Symbol der Segnungen des Friedens vor Augen führen wollte. Wenn die gewalttätigen Machthaber der Menschheit ihre Eingebungen nur etwas mehr aus dieser Schule schöpfen wollten!

Die Sehnsucht nach einem baldigen Weltfrieden ist allgemein, und dieser wird wie eine Erlösung wirken. Sollte aber nicht bald eine Einlenkung in den starren Prinzipien, Anschauungen und Zielen der sich bekämpfenden Gegner zum Durchbruch kommen, so steht uns noch der allerhärteste Kriegswinter bevor.

Die Initialen F. K. am Anfang des Artikels stehen vermutlich für Fritz Kaeser, Metropol, Zürich. Er war Chefredaktor und als solcher in Personalunion zuständig für redaktionelle Beiträge, Inserate und Expedition der Zeitschrift Mitteilungen über Textilindustrie.

Nächster Beitrag: 3. Juni 1917 (erscheint am: 3. Juni 2017)

Quelle: Staatsarchiv St.Gallen, Wy 124 (Mitteilungen über Textil-Industrie, 24. Jg., Nr. 11/12, Juni 1917; Text und Beitragsbild)

Huetten

Pfingstmontag, 28. Mai 1917 – Das St.Galler Bachstelzentrio (Teil 2)

Das Aufwachen in der Alphütte am andern Morgen war für die Naturfreunde auf Pfingsttour alles andere als gemütlich. Der Berichterstatter notierte: […] meine Zähne klapperten mit wahrer Virtuosität, hielt der Autor des Berichts fest. Hier die Fortsetzung seines Berichts (Teil 1 vgl. Beitrag vom 27. Mai):

Morgens halb 5 weckte mich ein Juchzer aus dem Halbschlummer, denn ich konnte vor Frieren kaum schlafen, u. meine Zähne klapperten mit wahrer Virtuosität. Die andern beiden schliefen noch ruhig, als ich Sie [sic] durch türaushängen [sic] wekte, dieselbe vor die Schwelle legte u. die Herrschaften einlud[,] auf die so geschaffene Terrasse hinauszutreten[,] um den herrlich anbrechenden Tag zu bewundern. Das Morgenessen wurde auf später verschoben[,] wenn die Sonne uns mit Ihren wärmenden Strahlen durchdringen würde[,] was jetzt noch nicht der Fall war[,] denn es war noch ziemlich kühl, also war man schnell Marschbereit [sic] u. weiter gings zur Obersee-Alp hinunter, doch kaum hatten wir etwa 100 Schritte gemacht, welch trauriger Anblick bot sich uns? wo [sic] ehemals schöner Hochwald gestanden hatte, ragten nur noch abgebrochene Strünke in die Luft u. die Stämme lagen in wilden [sic] Chaos durcheinander. Hier musste eine ungeheure Lawine oder ein Orkan gewütet haben. ca [sic] 5 hektaren [sic] gross war die verwüstete Fläche. Bald haben wir uns durchgearbeitet u. gelangten zur Oberseealp vor der Hütte tummelten sich einige Touristen, über magere Alpweide gings in Südlicher [sic] Richtung der Sulzalp zu. Vor der Alp Kreuzegg an einem muntern Bächlein wird gelagert[,] um den Kulinarischen [sic] Genüssen zu fröhnen [sic], kaum fertig mit Essen u. Waschen eröffnet unser Photo-Fritze eine Tannzapfenschlacht[,] in dessen Verlauf der Berichterstatter einen Volltreffer an den Kürbis erhielt, u Hans einen in den Kochenden [sic] Thee als Zuputz.

Nach ca ¾ Stdg. Rast gehts weiter mit erst mässiger[,] dann starker Steigung einem Bach entlang über den Sulzboden zur Sulz 1387 m hinauf [.] Hier beginnt der Schnee, er ist aber schön zu begehen[,] denn er trägt. Die Vegetation bleibt immer mehr zurük u. die Gegend nimmt hochalpinen Charakter an. So erreichten wir nach 2 Std. steigen [sic] die Alp Lachen 1500 m. Hier befionden sich 2 offene gute Hütten mit schönem Heulager, nur an Wasser fehlts, so löschen wir halt den Durst mit Schnee u. Citronen[,] welche letztere Menzer noch mit Zuker versüste [sic] u. nach kurzer Rast gings weiter der Passhöhe zu[,] welche wir nach schönem Steigen in 1 Std erreichten. Nun eröffnet sich uns eine neue Welt, vor uns das gewaltige Glärnisch-Massiv, rechts davon schaut die schöne Pyramide des bösen Faulen herfor [sic] als schöne Fortsetzung Pfannenstock, Silbern, Pragelpasshöhe u. Schwarzstock. Direkt zu unserer rechten [sic] erhebt sich der Rädertenstock in schönen Schichtenbildungen, dreht man sich um[,] so reiht sich Stock an Stock[,] worunter der Brünnelistock mit 2150 m als höchster regiert, als letzter ist noch die Scheye mit 2261 m zu bemerken. Soeben beginnt der Photograph seine Arbeit[,] um die Umgebung auf seine Platten zu fesseln, auch auf uns zwei arme Sünder hat er es abgesehen, wir hatten gerade ein schönes Rasenplätzchen ausgemacht[,] um auszuruhen, da ertönt sein Kommando: rückwärts, etwas links, noch etwas, halt; wir wollens uns wieder bequem machen, doch welche Gemeinheit! unser [sic] Kommandeur hatte uns in den grössten Dreck hinein dirigiert, wi’s [sic] beim Militär üblich ist, unser Protest fand jedoch taube Ohren u. da er unerbittlich blieb[,] so fügten wir uns drein u. legten uns hien [sic,] sonst wären die Berge im Hintergrund eifersüchtig geworden auf unsere Grösse u. da dacht ich[,] Bescheidenheit ist eine schöe Zier, wenns auch einen drekigen Hintern kostet.

Halb 2 Uhr began der Abstieg, bis zur Alp Ober Längenegg gings Pfadlos [sic] über ziemlich steile[,] aber üppige Alpweide hinunter, dann ca 10 Min das Tälchen hinaus in Westlicher [sic] Richtung, dann begann ein Weg[,] wie wir noch keinen unter den Füssen hatten u. yeder [sic] Beschreibung spottet, der berüchtigte Brühltobelweg [im Alpstein] ist ohne Übertreibung ein Spaziergang dagegen, so geröllbesät u. steil wie er war[,] musste man springen[,] ob man wollte oder nicht, ein Wunder[,] dass dabei keiner den Fuss verstaucht hat, Freund Menzer sprang mit wahrer Todesverachtung voraus u. erreichte dann auch als erster die Pragelstr. Endlich hat die hüpferei [sic] ein Ende u so sind wir die 1000 m in 50 Min hinuntergesprungen. Nach 10 Min war das Gasthaus Vorauen erreicht[,] wo wir bei einer Flasche Bier etwas verpusteten, dann gings im Stechschritt dem Klönthalersee entlang. Unterwegs überholte uns ein Bauernfuhrwerk[,] welches wir aber etliche Male wieder einholten. Yedesmal [sic] wenn wir wieder in der Nähe desselben waren[,] bekam das Pferd wieder ein Fitz [einen leichten Schlag], denn der Bauer wollte nicht[,] dass wir Ihn [sic] überholten. Da gabs für un sein[en] lustiger [sic] Zwischenfall, das Wägeli war bereits wieder eingeholt, als dasselbe sich plötzlich vorne rechts runter neigte u. die biedern Leutchen beinahe mit dem Strahsengraben [sic] Bekanntschaft gemacht hätten[,] denn das vordere rechte Rad war herausgefallen, der Schaden war aber schnell wieder gut gemacht u. weiter gings 4 ¼ Uhr kam Netstal in Sicht[,] ehe wir ins Dorf hineinmarschierten[,] schlugen wir uns seitwärts in die Büsche[,] um etwas Toilette zu Machen, uner Photograph folgte zwar nur murrend, denn Ihn [sic] plagte der Durst[,] uns zwar auch nicht minder[,] doch war die Sache bald in Ordnung, dann gings am berühmten Löntschenwerk vorbei ins Dorf hinein zum Bahnhof. Die 5/4 Std Aufenthalt wurd[en] zu einer Erfrischung benützt.

10 Min vor der Zeit kam ein Extrazug angefahren[,] wihr [sic] verstauten uns dort drin trotz dem Ruf der Schaffner: nicht einsteigen, dann gings fort hinaus aus dem schönen Linththal [sic]. In Ziegelbrüke hiess es ausstigen[,] der Zug fahre nicht über Uznach, wider [sic] mehr als 1 Std. Aufenthalt u. endlich konnten wir wider [sic] einsteigen u. kamen mit ziemlicher Verspätung in Uznach an[,] wo der Toggenburger Zug schon auf uns wartete. Glüklicherweise war dieser schon dermahsen überfüllt[,] dass wihr 2. Cl. fahren konnten [damals gab es noch 3 Klassen in den Zügen], wie fuhr sichs da schön auf den weichen Polstern. Freund Menzer u. der Berichterstatter waren denn auch bald eingeschlafen, wä[h]rend Hans noch seinen Ruksak nach etwas essbarem [sic] durchstöberte u. sich an den Überbleibseln gütlich tat. Da wurden wir plötzlich Morpheus Armen entrissen, St.Gallen war erreicht.

Froh über die prächtig verlaufene Pfingsttour trennten wir uns u. 2 Tage der Freiheit waren vorüber.

Berg frei!

Teilnehmer: H. Weber, Menzer

der Berichterstatter: O. Schlegel.

Obwohl im Bericht immer wieder davon die Rede ist, dass einer der Teilnehmer fotografierte, finden sich keine Bilder der Tour, und auch Zeichnungen oder Skizzen der Berichterstatter, wie sie in anderen Schilderungen zu finden sind (vgl. z.B. Beiträge zum 2. Juli 1916 und vom 6. August 1916), gibt es keine. Das Beitragsbild ist dem zweiten Band der Tourenberichte der St.Galler Naturfreunde entnommen, man findet es dort auf der Titelseite.

Nächster Beitrag: 31. Mai 1917 (erscheint am 31. Mai 2017)

Quellen: Staatsarchiv St.Gallen, W 285/2.06.1-1 (Tourenbericht, der besseren Lesbarkeit wegen durch Absätze gegliedert) und W 285/2.06.2-1 (2. Band der Tourenberichte)

Berg frei

Pfingstsonntag, 27. Mai 1917 -Das St.Galler Bachstelzentrio (Teil 1)

Die St.Galler Naturfreunde begaben sich auf Pfingsttour. Der Autor des Tourenberichts, O. Schlegel (vgl. Unterschrift im Beitragsbild), pflegte eine eigenwillige Orthographie, weitgehend ohne Interpunktion. Er kannte offenbar das “ck” nicht, “Strasse” heisst “Strahse”, und “wir” schrieb er (fast) konsequent als “wihr”:

Tourenbericht 27./28. Mai 1917 Thalwilerhütte Klönthal

Ein prächtiger Pfingstsonntag-Morgen hatte uns aus den Federn gelokt, um die abgemachte Tour im Tubsthal [?] zur Thalwilerhütte anzutreten. Um 6 Uhr 50 dampfte unser Zug ab u. langte nach kurzer[,] aber schöner Fahrt mit einiger Verspätung um 8 ¼ Uhr in Uznach an. Hier luden wihr [sic] unser Kreuz in Form des schwerbepakten Ruksakes auf den Bukel u. schoben los. Vom Bahnhof gings Westlich [sic] ca 500 m der Bahnlinie entlang zum Bahnübergang, aber kaum über der Brücke gerieten wihr schon auf Abwege[,] aber unverdrossen gings in Südl. [sic] Richtung weiter durch hohes Riedgras einem Lebhang entlang. Nach ca 10 Min[.] gelangten wihr auf die Strahse [sic,] die nach Tuggen führt, kurz vor diesem Dorfe stand ein Mann auf einsamer Feldwache auf unsere Frage? ob er Durst habe[,] gab er keine Antwort[,] denn nun en[t]pup[p]te er sich als Vogelscheuche. 9 Uhr durchwanderten wihr das Dörfchen[,] um am Ausgang Desselben [,] die herrlich entwikelte Sumpfflora zu bewundern. In Schübelbach angelangt, wurde beschlossen[,] Siebnen rechts liegen zu lassen[,] um den Weg abzukürzen, etwaigen Nachfolgern möchte ich davon abraten, denn, dann wäre uns viel Mühe u. mehr als 1 Std Zeitverlust erspart geblieben[,] nun item wihr gingen weiter u. wären beinahe auf den Schübelbacher Friedhof geraten, wonach jedoch keinen von uns gelüstete[,] also zurück auf die Strahse eine kurze Streke verfolgten wihr dieselbe, dann kamen wir auf den richtigen Weg u. nun giengs bergan. Nachdem ca ½ Wegstunde zurükgelegt war, erinnerte uns Freund Weber daran, dass der Magen seit Samstag Abend keine schwere Arbeit me[h]r zu verrichten hatte. Ein Blik auf die Uhr zeigte schon 10 Uhr, ein schattiges Plätzchen nahm uns auf u. rasch wurde abgekocht[,] dann giengs weiter mit schöner Steigung. An einer Wegkreuzung wurde halt [sic] gemacht u. unser Photograph trat in Aktion[,] dabei konnte er erfahren, wie rasch der Mensch sinken kann[,] denn er stand rükwärtsschreitend plötzlich in einem tiefen Graben u. starrte uns verwundert an, indess [sic] wir laut auflachen mussten über die komische Situation[.] Da stieg er rasch aus dem Loch heraus, knipste ab u. pakte dann brummend zusammen[,] worauf wihr den Weg wieder unter die Füsse nahmen.

Am Eingang ins Wäggithal begrüsste uns als erster der grosse Anberg 1648 m, ca 1 Std gehts auf schöner Strahse vorwärts[,] dann folgt schlechter Fahrweg auf[,] auf welchem wihr uns im Gatter auf und zumachen üben können, denn bereits alle 100 m war ein solcher[,] obwohl noch kein Vieh weidete. So führte uns der Weg durch schönen Wald u. über saftige Weiden zum Trebsenbach in einsamer Waldschlucht. Ein Blik auf die Karte zeigte uns, dass das Ramseli [?] dicht an letztgenantem [sic] liege u. wihr beschlossen[,] das Bachbett als Führer zu nehmen. Mittlerweile war’s 2 ½ [?] Uhr geworden u. wihr hatten gerechnet[,] bis 3 Uhr in der Hütte zu sein, also gieng die Hüpferei von Stein zu Stein los zum Glück war wenig Wasser[,] sonst hätte sich die Sache schon schwieriger gestaltet, aber komisch müsste es auf einen Zuschauer gewirkt haben[,] wie das St.Galler Bachstelzentrio im Bach herumhüpfte, wihr sahen dabei allerdings auch manches schöne[,] was uns auf dem richtigen Weg entgangen wäre. Bald gings über mächtige Felsblöke[,] bald über stellen [sic,] die ein rasches vorwärtskommen [sic] unmöglichten [sic]. Endlich kamen wir nach 1 ½ Stdg. Kletterei auf den Weg[,] wonach in wenigen Min. die Hütte im Ramseli erreicht wurde.

Die Hütte ist sehr schön gelegen u. in gutem Zustand[,] nur schien Sie mir etwas zu klein für einen grössern Andrang[,] wie das heute auch der Fall war[.] Sie bietet für höchstens 25 Personen Unterkunft, allerdings steht in der Nähe auch noch ein Stall zur verfügung [sic]. Eine schöne Umgebung ladet zu Exkursionen ein, zum Beispiel: Bokmattisattel [Bockmattlipass] zum Bokmattli 1993 m oder Scheinberg [?] evt. auch Brünnelistock, oder auf den zerrissenen Köpfenstok 1893 m[,] ferner ein schöner Spaziergang im hint. Wäggithal.

Nachdem wir für unser leibliches Wohl gesorgt hatten[,] verewigten wir [sic!] uns im dortigen Hüttenbuch, bezahlten die Tagesgebühr 20 Rp. u. zogen weiter, da wir uns Hier nicht recht heimisch fühlten u. die Uhr erst die 6. Abendstunde anzeigte, beschlossen wir, den schönen Abend zum Aufstieg zu benützen u. mit ! Berg frei!; wurde von den Anwesenden Abschied genommen[,] dann führt uns der Weg ca 200 m den Felsenbach hinauf[,] um dann rechts abzubiegen, so schreiten wir einen Waldweg bergan (der übrigens sehr schlecht markiert ist) zu Punkt 1443 m. Von Hier windet sich der Weg in kurzen Serpentinen mit Starker [sic] Steigung zum Bokmattlisattel hinauf, dampfend langen wir oben an[,] da wird erst der Rok u die Zipfelmütze angezogen[,] denn Hier oben ziehts ordentlich[,] sind wir doch schon 1840 m hoch. Die Mühe des 2 Stdg. Auf- Aufstiegs [sic] wurde aber glänzend belohnt durch eine wunderschöne Aussicht. Vom fernen Säntisgebiet schweift unser Blik über das Zürcher-Oberland zu den Schwyzer-Glarner- u. St.Galleralpen, wie gebannt standen wir da u. konnten den Blik kaum abwenden von der scheidenden Sonne[,] welche die umliegenden Berge in allen Farben erscheinen liess.

Doch nun müssen wir uns sputen, sonst werden wir von der Nacht überrascht[,] ehe unser heutiges Ziel, die Ahornen Alp erreicht ist[,] wozu wir noch 435 m abzusteigen haben. Nach kurzer Anstrengung wird der höchste Punkt der Konnes [?] 1900 [m] erreicht[,] welchen wir dann in Nordöstlicher Richtung ca 300 m verfolgen, um dann den Abstieg über einen gefährlich steilen Rasenhang hinunter anzutreten, den Weg wähnten wihr ein Stük weiter unten zu sehen, die Dämmerung hatte uns aber schwer getäuscht[,] wie wir später sahen, dazu bekam es unser Photograph Menzer noch mit einem Schwindelanfall zu tun[,] wodurch das Tempo verlangsamt werden musste.

Ohne weitern Zwischenfall erreichten wir [sic] in Guloir [Couloir] auf Punkt 1681 m. Hans stieg als 1. hinunter[,] um zu sehen[,] ob sich unten keine Wand befinde, denn von oben konnte man nichts me[h]r sehen[,] da inzwischen die Nacht völlig hereingebrochen war, zum Glük kam gerade der Mond heraufgekrochen. Bald signalisierte Hans: nachkommen keine Wand da! Nun began eine höchst interessante Kletterei, Petrus muss wahrscheinlich gegrinst haben wie er uns zugeschaut hat u. uns für Mondsüchtig [sic] gehalten, glüklich gelangten wir ans untere Ende des Guloirs[,] wo sich noch Schnee vorfand[,] was von uns Mondscheinkraxlern freudig begrüsst wurde, denn nun konnten wir doch noch ein Stük abfahren[,] die Freude war jedoch nur solang wie das Schneefeld u. das war kurz, nun folgte flacheres Terrain u. bald war die Thalsole [sic] erreicht. Hier wurden die Laternen in Funktion gesetzt[,] um die Hütten der Ahornen Alp zu suchen[,] denn der Mond war wieder verschwunden hinter den Bergen. Bald stiessen wir auf die Hütten[,] die 1. zwei waren nicht verschlossen[,] dafür tönte uns der nicht gerade freundliche Ruf: besetzt; entgegen, nach verschiedenen weitern erfolglosen Versuchen[,] eine gute Unterkunft zu finden[,] gelangten wir zur letzten Hütte. In einem kleinen Anbäuli [Anbau] derselben befand sich noch etwas Heu[,] aber gerade noch soviel[,] dass man die härte [sic] des Bodens spüren konnte. Doch wir schikten uns ins Unfermeidliche [sic,] denn wir waren zu müde[,] um weiter zu gehen. Vom Bokmattli bis hinunter brauchten wir 3 Std[.,] was bei Tag 1 ½ Std in Anspruch nähme [sic]. Dank unsrer Müdigkeit schlieffen [sic] wir bald ein[,] nachdem wir es uns so bequem als es die Umstände zuliessen gemacht hatten. Nur unser Photograph war noch um sei[n]e Füsse besorgt[,] die er Mangels an Heu in den Ruksak stekte u. oben zuband[,] um dann sanft ins Land der Träume hinüber zu schlummern.

Nächster Beitrag: 28. Mai 1917 (erscheint am 28. Mai 2017)

Quellen: Staatsarchiv St.Gallen, W 285/2.06.1-1 (Tourenbericht)

Soldat bei Rast

Pfingstsamstag, 26. Mai 1917 – Nochmals Soldatensprache

Gleich in mehreren Publikationen wurden 1917 Forschungen zur Soldatensprache veröffentlicht. Der Artikel in den Rorschacher Blättern vom Mai 1917 bestätigt zusammenfassend einiges, was in früheren Beiträgen des Blogs (vgl. die Beiträge vom 8., 9. und 27. Februar, sowie vom 2. März 1917) schon genannt wurde, gibt aber zum einen oder anderen Thema weitere Beispiele. Der Autor ist in der Quelle nicht angegeben:

Soldatensprache.

Hat schon die gewohnte Friedenszeit bei unseren Soldaten manche Erfindertalente inbezug [sic] auf neue sprachliche Ausdrücke zutage gefördert, so ist die lange Zeit der Mobilisation in dieser Beziehung noch weit produktiver gewesen. Die Soldaten führen eine kräftige Sprache; es sind nicht Ausdrücke für ein Mädchenpensionat, die hier ihren Ursprung haben; aber auch unter den derben Ausdrücken finden sich nicht wenige, denen man das Kompliment nicht versagen kann, dass sei gesundem, träfen Humor ihre Herkunft verdanken.

Schon die Begrüssung der Herren Offiziere bei der Mobilisation ist günstig: «Lueg, da chömet üseri Fuehrmanne [Fuhrmänner]»; «pass uf, der Vater pfurret deher», so wird der Hauptmann der Kompagnie begrüsst. Der «Rodel» oder das «Zivilstandsregister» wird verlesen, wenn die Mannschaftsregister kontrolliert werden. Sind viele neue, junge Offiziere da, dann heisst[‹]s: «Es send nebe wieder mengs neui Lehrbuebe do». Dann geht[‹]s an die Inspektion: «Uslege – Ordnung mache»; «s’Husrötli [Hausrat] usschtelle»; «de Husierchaschte [Hausierkasten] zwäg mache»; «de Raritätechaschte» oder «s’Chuchichästli [Küchenkästchen] uftue».

Zahlreich sind die Benennungen für die einzelnen Teile der Ausrüstung. Die Schuhe werden tituliert: «Gondeli» [kleine Gondel], «d’Ledischiff» [flaches Transportschiff für grosse Lasten], «d’Finke» [Hausschuhe] oder «Bundesfinke», auch «Weidling» oder «Pontons». Die Uniform heisst «‹Gwändli», «Kluft», «s’Kostüm» oder gar, wenn sie nicht mehr in den Salon hineinpasst, «de Saufetze». Für die Hose fällt etwa der Ausdruck «de Gasfänger» ab, wogegen dem Waffenrock eine Reihe Titulaturen zugedacht sind: «Bundestschoppe», «Chute» [Kutte], «Frack», «Gstältli». Die graue Ueberbluse, die anfangs der Mobilitationszeit eine kurze Existenz feierte, war nicht besonders beliebt: «Chochischoss» [Küchenschürze], «Staublompe», «Schnoderlompe» [Taschentuch], «Ströflighemp» [Sträflingshemd], «Konditertschoppe» [Konditorjacke] usw. Nicht wenige Bezeichnungen hat das Käppi gefunden: «Goggs», «Schlachthuet», «Kriegszilaster», «Fürwehrhuet», «Glüeofe» [Glühofen], «Verschlussgöfferli», «Oelhafe». Der Leibgurt oder Ceintüron ist der «Hungerbarometer», «Magebremse», «Schwimmgurt», «Hungerrieme». Neben den schon genannten Bezeichnungen für den Tornister finden sich: «Komode», «Schwitzchaschte», «Affechaschte», «Verdrusschaschte», «Pomadechischte», «Horöldrucke», «d’Schwiegermuetter», «d’Frau», «Bundeströckli». Wenn der Brotsack nichts mehr enthält, muss er sich «Verdrusspüntel» schimpfen lassen, sonst ist er allenfalls der «Magentröster».

Auch das Gewehr wird verschieden tituliert, je nach Stimmung: «Schüssbengel», «Klöpfschit», «Charst», «Sprötzgüggeli» oder einfach «Prügel», «Chlobe», «schwär Chog». Auch die anhänglichen Patronen heissen nach einem Marsch einfach «d’Chöge», «Bleizäpfe», «Bohne»; im Schiessstand erfreuen sie sich höherer Gunst: «Chügeli», «Magrönli», «Böhnli», «Bäbeli». Die Patronenschachtel wird bezeichnet als «Stompechischte», «Molichaschte», «Mistschachtle», «Komödli».

Das Seitengewehr oder Bajonett heisst unseres Wissens in der halben Welt «Chäsmesser» [Käsemesser], «Chrutmesser», «Zahnstocher», «Schwert» oder «Spiess». Weniger nobel kommt das Sackmesser weg: «Chlobe», «Hegel», «Spatzspiess» sind nicht die ehrenvollsten Bezeichnungen. In einzelnen Kompagnien, wo wegen des Fehlens des Taschenmessers einzelne Bestrafungen vorkamen, erhielt es einfach den Namen «Arrestgötti». – Als vereinzelten Ausdruck für die Wadenbinden soll das Wort «Kuraschibinde» vorkommen, weil ein Spassvogel in einer Kompagnie bei der Gewohnheit seines Offiziers, vor den Uebungen  die Wadenbinden anzuziehen, den Witz machte, er müsse «de Kuraschi zsammebinde» [von «Courage» für Mut]. – Zur Ausrüstung gehören auch die «Grabsteine», d.h. die Identitätstäfelchen. Nicht sehr appetitlich für die Feldflasche ist der Ausdruck «Schmierölchante».

Da die Lebensmittelversorgung beim Militär keine geringe Rolle spielt, so ist nicht zu verwundern, dass auch hier die Phantasie nicht übel ins Kraut geschossen ist. Der Morgenkaffee ist die «Bundesbrüh», «Abwäschwasser», «Seifewasser», «Grampolwasser». Kein Kompliment für die Küchenmannschaft ist es, wenn die Mannschaft nur noch den Ausdruck «Gülle» übrig hat. «Negerschweiss» ist eine Bezeichnung, die offenbar aus der Studentensprache zum Militär hinübergerutscht ist. Für Suppe ist der Ausdruck «Schnalle» ziemlich üblich und zwar in Kombinationen, zum Beispiel «Sauschnalle» oder «Dreckschnalle», sonst auch «Harzwasser», «Magenwasser». Zwieback heisst «Bundesziegel»; Brot: «Wegge», «Bundesgugelhopf», «Arbeitergugelhopf», [«]Magetrost», auch «Gemseier» soll bei den Gebirgstruppen vorkommen. Die Kartoffeln sind «Soldateneier», «Handlangerpflume»; die Makkaroni werden zu «Zementröhre» oder «Kanoneröhre» vergrössert; die Nudeln erhalten den Beinamen «Treubruchnudle». Der Spatz [Suppenfleisch] erhält, wenn er zu zähe ist, den Uebernahmen [sic] «Sohlleder», «Negergummi» «Kautschukbletz.» Ist er auch gar zu klein, so ist er «Photographiespatz» und noch kleiner, so sinkt er zur «Zahnplombe» herab.

Wenn auch der Tee sehr beliebt ist, so muss er sich doch die Titulatur «Abstinenten-Gülle» gefallen lassen oder «Temperenzler Wasser», auch «Magengift». Dem Schnaps ist man scharf auf den Leib gegangen; aber er fristet sein Dasein immer noch als «Sirup», «Heilsarmeewasser», «Heidelbeeriwasser», «Bundesträne», «Wichwasser» [Weihwasser], «Arrestante-Balsam», «Milch», «Augetrost».

Eine nicht geringe Rolle spielt auch der Taback [sic] und was drum und dran hängt. Alles Rauchbare wird kurzweg bezeichnet als «Back», «Chrut», «Nussbomblätter» [Nussbaumblätter], «Buchelaub» [Buchenlaub], «Knaster». Die Pfeife heisst «Lüller», «Heizofen», «Sudtopf», «Hirnitröchner» [Hirntrockner], «Nasewärmer», «Schmorhafe». Die Stumpen sind zu «Italiener-Havanna» avanciert. «Sargnägel» und «Friedhofspargle» für Brissago [Gemeinde im Kanton Tessin, in der zu dieser Zeit eine für die Schweiz bedeutende Tabakindustrie beheimatet war] sind auch im Zivilleben gebräuchlich. Rauchen bezeichnen die Soldaten als «näble» [nebeln], «dämpfe», «Flüge vertriebe» [Fliegen vertreiben], «peste» usw.

Auch die verschiedenen Körperteile sind der allgemeinen Freude an witzigen Bezeichnungen nicht entronnen. Die Nase ist das «Schmeckschit», «Gasmesser», «Rüebli» [Karotte], «Böggehöhli» [Höhle für Nasenpopel], und dementsprechend lauten auch die Bezeichnungen für das Taschentuch. Der Kopf ist der «Verstandchaschte», «Käppihogge», «Kürbse» [Kürbis], der Mund heisst «Brotklappe», [«]Suppeloch», «Fuetterspalt». Der allzeit aufnahmebereite Magen heisst «Heutrog», «Verdauigschratte», «Kottletfriedhof». Die Beine sind die «Stelzen», «Spazierhölzer», «Telephonstangen», «Rheumatismusstengel», die einem nach einem strengen Marsch beinahe «abfallen». Und wenn einer nach einem strengen Marsche wegen den Fussblattern sorgsam auftritt, wird er noch gefragt, ob er ein «Blatteremuseum» gegründet habe.

Nicht nur in einzelnen Ausdrücken, sondern auch in ganzen Redewendungen zeigt sich die schöpferische Sprachentätigkeit des Soldaten. Doch wechseln diese sehr stark von Truppenkörper zu Truppenkörper. Ziemlich allgemein ist der Ausdruck «sich dünn machen» für verschwinden. Viel verwendet wird auch die Wendung «i Sache», z.B. «Wie hämmers i Sache Urlaub». Doch können sich solche Bezeichnungen nicht länger halten, da sie zu stark an ihren Ursprung erinnern.

Quelle: Staatsarchiv St.Gallen, P 913A (Rorschacher Blätter zur Unterhaltung und Belehrung, Gratisbeilage zur «Rorschacher Zeitung», 1917, Nr. 5, S. 35, Erscheinungsdatum: 26.05.1917) und W 207 (Album «Aus den Kriegszeiten»; Beitragsbild: Soldat J. Schmuki bei einer Rast im Val Blenio, undatiert)

Kriegsnachrichten Ostschweiz

Freitag, 25. Mai 1917 – Kriegsnach-richten sollen wieder auf die erste Seite

Die Betriebskommission der Zeitung Ostschweiz fällte in ihrer Sitzung folgenden Beschluss:

4. Es wird gewünscht, dass die Kriegsnachrichten des Tages, welche bisher von der Redaktion resümierend auf der ersten Seite des Hauptblattes angebracht und seit der verschlimmerten Bahnzugs-Verbindungen auf die zweite Seite des Blattes verlegt werden mussten, wenn möglich wieder auf der ersten Blattseite erscheinen. Die Frage, ob dies technisch möglich ist, soll näher untersucht werden.

Ähnliche Wünsche wurden in der gleichentags abgehaltenen Sitzung des Verwaltungsrates der Ostschweiz geäussert:

3. In der allgemeinen Umfrage wird gewünscht, dass die Betriebskommission sich bemühe, in der Frage der Stoffeinteilung des Blattes bei der Redaktion eine Verbesserung zu erzielen und dass Mittel und Wege studiert werden, den Accidenzdruck [Zusatzarbeiten in einer Buchdruckerei] zu vermehren, um den Ausfall des Amtsblattes [das nicht mehr bei der Ostschweiz gedruckt wurde] besser wett zu machen.

Das Beitragsbild zeigt als Beispiel die zusammenfassenden Nachrichten vom 25. Mai, erschienen im Morgenblatt auf Seite 3. Man beachte, dass immer noch vom europäischen Krieg die Rede ist, obwohl die Vereinigten Staaten Deutschland bereits am 6. April 1917 den Krieg erklärt hatten:

Der europäische Krieg.

Das wichtigste Ereignis auf den Kriegsschauplätzen ist ein bedeutender Erfolg der Italiener auf der Karsthochfläche, wo sie die österreichischen Linien durchbrachen und im Laufe des Tages 9000 Gefangene, darunter 300 Offiziere, einbrachten. Seit der Einnahme von Görz ist das der bedeutendste Erfolg der Italiener. [Gemeint ist die sog. Zehnte Isonzoschlacht. Ziel der italienischen Angriffe war der Durchbruch nach Triest, vgl. https://de.wikipedia.org/wiki/Isonzoschlachten]

Anlässlich des zweiten Jahrestages des italienischen Kriegseintrittes erliess Viktor Emanuel eine Proklamation an sein Heer, worin er Italien den endgültigen Sieg verheisst.

Vom westlichen Kriegsschauplatz werden lebhaftere Kämpfe nur von der Heeresgruppe des deutschen Kronprinzen gemeldet. Gegenseitige Angriffe wurden abgewiesen.

An der russischen Front lebte die Gefechtstätigkeit ebenfalls wieder auf, wo an der Ostseeküste von den Deutschen russische Kundschafter vertrieben wurden.

In Mazedonien ist eine Kampfpause eingetreten.

Es verlautet, dass die Vereinigten Staaten ein neues Friedensprogramm ausarbeiten, das im wesentlichen mit den Erklärungen des französischen Ministerpräsidenten übereinstimmen werde, einen Frieden ohne Annexionen und Entschädigungen postuliere, an der Rückgabe Elsass-Lothringens an Frankreich aber festhalte.

Der russische Aussenminister Terechtschenko und der französische Ministerpräsident Ribot wechselten Telegramme, in denen sie die gegenseitige ERgebenheit und Treue zwischen Russland und Frankreiche zum Ausdruck bringen und den festen Willen beider Staaten bekunden, den Krieg bis zum endgültigen Sieg fortzusetzen.

In Italien wird auf die Einführung der Brotkarte verzichtet, indem die Getreideversorgung bis zur nächsten Ernte gesichert sei. In Deutschland ist zur Regelung der Kohlenversorgung die Einführung des Karten- und Kundenlistensystems vorgesehen.

Quellen: Staatsarchiv St.Gallen, Wy 088 (Firmenarchiv «Ostschweiz» Medien AG, Protokolle Verwaltungsrat und Betriebskommission, 1915-1920) und P 907 (Die Ostschweiz, 25.05.1917, Morgenblatt)

Firma Rohner in Widnau

Donnerstag, 24. Mai 1917 – Hungersnot in Syrien

Die katholische Tageszeitung Die Ostschweiz berichtete unter der Rubrik Kanton St.Gallen:

Für die Hungerleidenden in Syrien

wurde in letzter Zeit durch einen HH. Prälat eine Kollekte vorgenommen, die einen ausserordentlich schönen Ertrag abgeworfen hat. Neben den vielen kleinen Gebern sind auch eine Anzahl grösserer Schenkungen gemacht worden, so u.a. von Herrn Kantonsrat Jakob Rohner, Rebstein, Fr. 3000. Der HH. Prälat, der seine Kollekte im Kanton St.Gallen fortzusetzen gedenkt, verdankt recht herzlich und gibt der Hoffnung Ausdruck, auch weiterhin wohltätige Herzen zu finden, welche bereit sind[,] für die armen hungerleidenden Syrier ihr Scherflein herzugeben.

In einem geheimen Abkommen hatten Grossbritannien und Frankreich 1916 ihre Interessengebiete im Nahen Osten auf Kosten des Osmanischen Reiches bereits festgelegt. Vorerst gehörten Syrien, Palästina, der Libanon sowie das längst unter britischer Herrschaft stehende Ägypten – wie im ‹Atlas für Schweizerische Mittelschulen› von 1915 dargestellt – formell noch immer zum Osmanischen Reich:

Jacob Rohner (1852-1921), ursprünglich Käser, später Lohnsticker und Fergger, hatte sich zum erfolgreichen Industriellen emporgearbeitet. Seine Schifflistickfabriken im Rheintal und in Buttikon SZ produzierten für den Export in alle Welt. Als katholischer Fabrikant war Rohner im Kanton St.Gallen eine Aussenseiterfigur, seine Konkurrenten gehörten der evangelischen Konfession an. Von 1898 bis 1921 sass Rohner für die Katholisch-Konservativen im Kantonsparlament.

Vgl. zu Jacob Rohner den Eintrag im Historischen Lexikon: http://www.hls-dhs-dss.ch/textes/d/D30322.php.

Nächster Beitrag: 25. Mai 1917 (erscheint am 25. Mai 2017)

Quellen: Staatsarchiv St.Gallen, P 907 (Nr. 120, 24.05.1917 ), W 238/03.05-00 (Beitragsbild: Ausschnitt aus Ansichtskarte) und KPC 8/39 (Atlas für Schweizerische Mittelschulen, 3. Auflage, Zürich 1915)

Tanzbaer

Dienstag, 22. Mai 1917 – Bärenalarm in Rorschach

Das Tagblatt berichtete über einen Vorfall während des Frühlingsjahrmarkts in Rorschach:

Vermischtes. Von einer lustigen Bärenjagd berichtet unser Korrespondent aus Rorschach: In der Samstagnacht brach im Budenplatz am See ein Bär aus und trottete durch die Hauptstrasse. Die Landsturmwache beim Kornhaus rief «Korporal raus!» Sechs Mann marschierten auf und rückten Meister Petz mit Bajonett und geladenem Gewehr auf den Leib. Es gelang ihnen, den Bär in ein Feuergässchen zu treiben und in einen Hinterhof mit Laufstegbrettern einzuschliessen. Ein Landsturmsoldat hatte solche Furcht, dass er das Gewehr wegwarf und das Weite suchte. Nach zwei Stunden gelang es, einen Angestellten des Budenbesitzers aufzutreiben. Der Bär, der unterdessen einen Korb voll Fische verzehrt hatte, liess sich von diesem Mann willig und zufrieden in den Käfig zurückführen.

Vier Tage später erschien eine Berichtigung zu diesem Vorfall:

Rorschach (Berichtigung). Nachdem wir aufmerksam gemacht worden sind, dass es unrichtig sei, dass ein Landsturmsoldat anlässlich der «Bärenjagd» in Rorschach aus Angst das Gewehr habe fallen lassen, haben wir uns an den Verfasser jener Korrespondenz gewandt. Dieser schreibt uns, es tue ihm leid, den Sachverhalt unrichtig mitgeteilt zu haben; er sei durch einen sonst sehr zuverlässigen Beamten falsch orientiert worden. Nach der Darstellung von Augenzeugen soll ein Landsturmsoldat bei der Verfolgung des Bären gestrauchelt sein, was Anlass zu dem Histörchen gegeben hat, welches übrigens auch in einer Rorschacher Zeitung erschienen ist. Dass es unserem Gewährsmann nicht darum zu tun gewesen ist, die Landsturmleute lächerlich zu machen, versteht sich von selbst; er schreibt denn auch, dass man diese in Rorschach sehr gerne habe, und er wünsche, dass an dieser Stelle sein Bedauern über die unbeabsichtigte Entstellung zum Ausdruck gelange zuhanden des in Rorschach liegenden Landsturm-Detachements.

Nächster Beitrag: 24. Mai 1917 (erscheint am 24. Mai 2017)

Quellen: Staatsarchiv St.Gallen, P 909 (Abendblatt, Nr. 118, 22.05.1917 und Abendblatt, Nr. 122, 26.05.1917) und ZNA 01/0488 (Beitragsbild aus: Pfeiffenberger, Karl: Lesebuch für die Primarschulen des Kantons Basel-Stadt, 1. Schuljahr, 2. Aufl., Basel 1907)

Katze mit Maus

Samstag, 19. Mai 1917 – Vorteile eines langen Winters

Eine günstige Wirkung des langen Winters.

So unangenehm die bis gegen Ende April andauernden Schneefälle namentlich von Seite der Landwirtschaft treibenden Bevölkerung empfunden wurden, so hatte die ausserordentlich niedrige Temperatur der Vorfrühlingsperiode doch auch ihre gute Seite. Sie hat nicht nur den Beginn der Vegetation verzögert, sondern auch unter den Pflanzenschädlingen aufgeräumt. Besonders stark fällt uns diese Tatsache in bezug [sic] auf die Feld- oder Springmäuse auf. Im letzten Herbst beobachtete man in einigen Talgebieten ein starkes Ueberhandnehmen dieser Nagetiere und auch im Nachwinter konnte man sie noch in grosser Zahl unter den Maisstrohtristen wahrnehmen. Einzelne Gemeinden bestellten deshalb vorsorglich Gift, um rechtzeitig zum Kampfe gerüstet zu sein. Heute scheinen diese Schädlinge mancherorts beinahe ganz verschwunden zu sein. Da es sich nicht um eine Abwanderung handeln kann, denn sonst würde man von andern Orten über ein starkes Auftreten Klagen vernehmen, ist diese Erscheinung wohl hauptsächlich auf das Konto der nasskalten Aprilwitterung zu setzen. Da die Feldmäuse mit der Fortpflanzung sehr früh beginnen, wurde die erste Brut und zum Teil wohl auch die empfindlichen säugenden Weibchen durch die andauernde Kälte massenhaft dahingerafft.

Keinen Einfluss scheint aber die Witterung auf die Maulwürfe auszuüben. Diese in etwas grösserer Tiefe lebenden Erdbewohner sind naturgemäss von der Witterung weniger abhängig, ausserdem leiden sie auch bei der schlechtesten Witterung nicht unter Nahrungsmangel.

Nächster Beitrag: 22. Mai 1917 (erscheint am 22. Mai 2017)

Quellen: Staatsarchiv St.Gallen, W 248 (St.Galler Bauer, 19.05.1917, Text) und ZNA 01/0471 (Benz, J. C. und Zäch, C.: Lesebuch für das zweite Schuljahr der Primarschulen des Kantons St.Gallen, St. Gallen 1899, S. 53, Beitragsbild)

Gerichtsbuecher

Dienstag, 15. Mai 1917 – Was zu einem Kino gehört

Am 15. Mai 1917 trafen sich vor der Gerichtskommission des Bezirksgerichts Rorschach die folgenden Parteien: R. Timeus, Elektriker von Rorschach als Kläger und Widerbeklagter sowie die Theatergesellschaft der katholischen Abstinentenliga Rorschach als Beklagte und Wiederklägerin. Der Kläger forderte Fr. 46.95, die Beklagte als Widerklägerin total Fr. 176.75 abzüglich der Fr. 46.95, also netto Fr. 129.80.

Der Hintergrund der Geschichte: Beide Parteien waren gemeinsam Eigentümer eines Kinos (im damaligen Wortgebrauch: einer Kinematographenanlage) im alkoholfreien Restaurant Schäfle-Garten in Rorschach (Bilder dazu: vgl. Beitrag zum 26. November 1916). Sie stritten sich über die Erstellungskosten dieser Einrichtung und hatten bereits durch ein Expertengutachten deren Wert feststellen lassen. Nun ging es noch darum, die Differenzen zu bereinigen. Das Gericht entschied, Zeugen zu befragen, was am 19. Juni und 10. Juli gleichen Jahres geschah.

Die Streitigkeit an sich wäre nicht interessant, wenn das Gerichtsurteil nicht Hinweise enthielte, mit welchen Gegenständen das Kino eingerichtet war. Erwähnt sind zwei Objektive, 2 Filmrollen à 6 frs [sic] und 10 Bilderrahmen à 1.20 sowie ein Ventilator. Dieses Zubehör war von der Gesellschaft Pathé Frères in Paris geliefert worden. Die ganze Einrichtung kostete rund 2500 Fr. Von einem Projektionsapparat, einer Leinwand oder Sitzgelegenheiten für das Publikum ist nicht die Rede.

Warum beteiligte sich ausgerechnet die katholische Abstinentenliga an einem Unternehmen, das den Kontostand einer zeitgenössischen Vereinskasse bei weitem überstieg? Die Abstinenzbewegung bemühte sich stets darum, sich ein modernes Image zu geben. Ein eigenes Kino konnte deshalb dazu dienen, die Mitgliederzahlen des Vereins zu erhöhen. Mit Hilfe von Filmen oder Lichtbildern liess sich Propaganda für ein gesundes, alkoholfreies Leben machen. Indem man moralisch Unbedenkliches zeigte, bot man ärmeren Gesellschaftsschichten geistige Anregung und eine Freizeitbeschäftigung in einem Umfeld ohne Verlockungen durch geistige Getränke.

Nächster Beitrag: 19. Mai 1917 (erscheint am 19. Mai 2017)

Quelle: Staatsarchiv St.Gallen, G 2.7.1 (Protokolle Gerichtskommission Rorschach vom 15.05.1917, 19.06.1917, 10.07.1917)

 

Fliegerbesuch in St.Gallen

Montag, 14. Mai 1917 – Prächtiger schweizerischer Doppeldecker

Das Tagblatt berichtete:

Einen Fliegerbesuch

hatten wir am Sonntag in St.Gallen. ¼ vor 10 Uhr kreiste ein prächtiger schweizerischer Doppeldecker über unserer Stadt und landete glatt auf dem Exerzierplatz bei der Kaserne. Fliegeroberleutnant Bider als Führer und Hauptmann i. G. Scherrer als Passagier waren die Insassen desselben. Das Flugzeug blieb über mittag [sic] am neuen Waffendepot stehen, wo es viele Beschauer an sich zog. Abends punkt 6½ Uhr stieg das Flugzeug wieder auf und in prächtigem Fluge über die Stadt und dann Dübendorf zu. –e.

Nächster Beitrag: 15. Mai 1917 (erscheint am 15. Mai 2017)

Quellen: Staatsarchiv St.Gallen, P 909 (Text: Morgenblatt, Nr. 112, 14.05.1917) und P 945 (Beitragsbild: St.Galler Blätter für Unterhaltung und Belehrung aus Kunst, Wissenschaft und Leben, Illustrierte Sonntags-Beilage zum «St.Galler Tagblatt», Nr. 22, 1917, S. 90, Foto von W. Giger, St.Gallen)